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Fünfter Teil.

Numerische Approximationen.

Statt bei gegebenen Konstruktionsaufgaben, die mit gegebenen Hilfsmitteln nicht lösbar sind, neue Konstruktionsmittel einzuführen, kann man auch darauf ausgehen, die Aufgaben mit den bisherigen Konstruktionsmitteln, aber nur näherungsweise aufzulösen.

Die Aufgaben, die am meisten Veranlassung zu Approximationen gegeben haben, sind die Aufgaben der Würfelvervielfachung und der Teilung und Rektifikation von Kreisbögen oder des ganzen Kreises. In Beziehung auf das Hauptproblem der Rektifikation des ganzen Kreises kann man drei Perioden unterscheiden.

In der ersten, von Archimedes bis zur Erfindung der Infinitesimalrechnung, handelt es sich im wesentlichen nur um die näherungsweise Darstellung des Kreisumfanges als rationales Vielfaches des Durchmessers. Diese Art Approximationen wollen wir numerische" nennen. (Fünfter Teil.)

In der zweiten Periode wurde der analytische Charakter der Zahl und der damit zusammenhängenden goniometrischen, zyklometrischen, logarithmischen und Exponentialfunktionen erkannt, zunächst nur in formaler Weise, indem man gesetzmäßige Darstellungen dieser Größen fand. (Sechster Teil.) Dann aber, im 19. Jahrhundert, auf Grund der gefundenen Darstellungen, erkannte man das eigentliche Wesen der Zahl, daß es nämlich eine transzendente Zahl ist. (Achter Teil.)

Jede näherungsweise Darstellung der Zahl oder allgemeiner der zyklometrischen Funktionen durch konstruierbare Zahlen bzw. Funktionen liefert zugleich konstruktive Näherungsrektifikationen. Das Entsprechende gilt für näherungsweise Darstellungen von Va durch konstruierbare Funktionen von a, oder für solche Darstellungen von (z. B.) cos durch konstruierbare Funktionen von cos a. (Siebenter Teil.)

α

n

Kapitel I.

Goniometrische und zyklometrische Approximationen. Ältere Geschichte der zyklometrischen und goniometrischen Approximationen, insbesondere der Zahl л.1)

Der älteste überlieferte Näherungswert für findet sich in einem ägyptischen Papyrus des britischen Museums, dem Papyrus Ahmes, der nach seinem Entdecker Papyrus Rhind heißt ), vermutlich ein gegen 2000 v. Chr. geschriebenes Schulheft. 3)

8

Hier wird als Seite des dem Kreise flächengleichen Quadrates 9 des Durchmessers angegeben, was dem Werte

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entspricht. Dieser auffallend genaue Wert ist vermutlich, wie überhaupt die frühesten mathematischen Sätze empirisch gefunden; vielleicht durch Vergleich der Inhalte von Hohlmaßen mit quadratischer und mit zirkulärer Basis.4) Es ist aber auch denkbar, daß dieser als Mittel aus der Seite des um- und der Seite des ein

Wert

8

9

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gewonnen wurde. Etwas künstlich er-
scheint dagegen die Annahme Demmes 5),
diese Quadratur hänge mit dem Zwölfeck
zusammen: ein flächengleiches dem Kreise
konzentrisches Quadrat schneidet annähernd
den Kreis in acht Ecken des regulären A B
Zwölfecks. Demme macht die doppelte An-
nahme, Ahmes habe bemerkt, daß nahe
CD 2 AB und zweitens, daß CD nahe

8

=

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des Durchmessers sei. Der Umweg über

1) Vgl. Montucla, Histoire des recherches sur la quadrature du cercle ed. Lacroix, Paris 1831. A. de Morgan, Budget of paradoxes, London 1872. H. Schubert, Die Quadratur des Zirkels, Hamburg 1889. Über die Einführung der Bezeichnung durch Euler (1737, 1748) s. G. Enneström, Bibl. math. III (1889), p. 29, IV (1890), p. 22. Klügel, Math. Wörterbuch, Leipzig 1803, I, p. 653 f.

2) A. Eisenlohr, Ein mathematisches Handbuch der alten Ägypter, Leipzig 1877. Auf beziehen sich No. 41, 48, 50.

p. 63.

3) Vgl. hierzu: M. Simon, Gesch. d. Math. im Altertum (Berlin 1909), p. 27. 4) M. Simon 1. c., p. 43. M. Curtze, Abh. z. Gesch. d. Math., 8 (1898), 5) C. Demme, Schlöm. Ztschr. 31 (1886), Hist.-lit. Abt., p. 132.

das Zwölfeck ist überflüssig; ebenso gut konnte Ahmes nach Zeichnung eines nahezu flächengleichen Quadrates, das vielleicht empirisch gefunden war (s. o.), AB selbst (nicht erst CD) auf dem Durchmesser abtragen.

In dem ältesten mathematischen Buch der Chinesen, dem ,,heiligen Rechenbuch" Tcheou-pei-swan-king, dessen erster Teil etwa 1100 v. Chr., dessen zweiter zwischen 213 vor und 300 nach Chr. abgefaßt ist, findet sich, und zwar in diesem zweiten Teil, ein viel schlechterer Näherungswert für л (und zwar als Umfangszahl), nämlich = 3, den auch die Babylonier1) und die Juden) haben. Man muß annehmen, daß dies ein bewußter Näherungswert war, denn der Sechsecksumfang hätte bereits >3 erkennen lassen; und daß der Sechsecksumfang gleich dem dreifachen Durchmesser ist, war z. B. den Babyloniern höchst wahrscheinlich bekannt.)

2

1 3

An Genauigkeit zwischen dem ägyptischen und dem babylonischen Näherungswert stehen die indischen des Baudhayana.) Von diesem wird zur Zirkulatur des Quadrats der Durchmesser des ihm flächengleichen Kreises als ein Mittel zwischen Seite und Diagonale genommen und zwar gleich der Seite vermehrt um der Diagonale; weil augenscheinlich der einbeschriebene Kreis von dem Quadrat weniger verschieden ist als der umbeschriebene. Hier liegt also das erste Beispiel einer Approximierung durch Mittelbildung vor. Die Annahme entspricht dem Werte

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π

1

3

=

+ V2 1,138... statt 1,128...

=

3

18 (3-2√2) = 3,0883...

Für die umgekehrte Aufgabe nimmt er

9785

11136

0,878682...

vom

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1) Oppert, Journal asiatique, 1872 VIII, 1874 X.

2) Buch 1 der Könige, Kap. 7 Vers 23; Buch 2 der Chronik, Kap. 4 Vers 2. Das gibt Spinoza Veranlassung, die Unwissenheit der jüdischen Sachverständigen zu verspotten. Siehe J. J. Schmidt, Biblischer Mathematicus, Züllichau 1736. Zuckermann, Das Mathematische im Talmud, Breslau 1878.

3) S. M. Simon 1. c., p. 113.

4) The Sulvasutras (d. i. Lehre von der Meßschnur) by G. Thibaut, Asiatic Society of Bengal 1875, art. 26 ff.

und ging aus 18 (3-2√2) durch Einsetzen des Näherungswertes

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für 1/2 den Näherungswert

7

=

15

3,004.) Nimmt man in der

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4

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3

10

7'

so erhält man zur Quadratur des

Kreises des Durchmessers als Seite; und zur Zirkulatur des Qua

8

8

drates der Diagonale als Durchmesser.")

10

Euklid hat vermutlich die Grenzen 3<< 4 gekannt), die das einbeschriebene Sechseck und das umbeschriebene Viereck liefern. Der erste Ansatz zu einer methodischen Berechnung der Zahl stammt von Antiphon1), der den Kreisumfang durch eingeschriebene Polygonumfänge von unten approximieren wollte, während Bryson") außerdem die umgeschriebenen zur Approximation von oben und überdies Mittelbildung, wenn auch nur aus den Vierecken i̟ und J (und durch sophistische Fehlschlüsse entstellt) vorschlug (um 450 v. Chr.). 6)

4

Archimedes (287-212 v. Chr.) hat das systematisch ausgeführt.7) Er zeigt, wie man aus den Umfängen u,, U des ein- bzw. umbeschriebenen regulären n-Ecks die Umfänge ug,, U2, findet, und leitet aus

1 2

n

96

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3) Aus Euclidis Elementa IV 15, IV 8, XII 16 konnten diese Grenzen abgeleitet werden.

4) Simplicius' Kommentar zu Aristoteles Physik (hrsg. von H. Diels, Berlin 1882, p. 53). F. Rudio, Der Bericht des Simplicius über die Quadraturen des Antiphou und des Hippokrates, Leipzig 1907; Bibl. math. 3 (3) (1902), p. 7. P. Tannery, ib. p. 342.

5) Aristoteles περὶ σοφιστικῶν ἐλέγχων.

6) Vgl. auch K. A. Bretschneider, Die Geometrie und die Geometer vor Euklides (Leipzig 1870), p. 101, 125; und namentlich J. L. Heiberg in Einleitung in die Altertumswissenschaft (hrsg. v. A. Gercke u. E. Noorden, Leipzig u. Berlin) II (1910), p. 424.

7) Kúzlov μétonois, prop. III (Opera ed. Heiberg, Leipzig 1880) I, p. 263 ff. Vahlen: Konstruktionen u. Approximationen.

12

Diese Archimedischen Grenzen 3,1428... und 3,1408... kommen

den Werten U = 3,1427... und

1 2

bzw. 2 Tausendstel nahe.1)

1

U96

=

3,1410... bis auf 1

Später 2) findet er für noch die engeren Grenzen:

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Er hatte auch den Zusammenhang zwischen Kreisumfang und -inhalt gefunden; zur Berechnung von

gone, nicht die Inhalte. Er wußte

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benutzt er die Umfänge der Polywohl, daß die halben Umfänge

ergeben als die Inhalte i, denn

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da en der Radius des einbeschriebenen Kreises, kleiner als Eins ist.

Von den erforderlichen Ungleichungen folgen die auf die Inhalte bezüglichen

OAB Sektor OACB <OADB

ohne weiteres aus den allerersten Kreiseigenschaften, daß eine Sehne ganz innerhalb, eine Tangente ganz außerhalb liegt. Von den auf die Umfänge bezüglichen

kann

AB Bogen AB < AD + DB

man zwar die erste aus dem Archi

medischen Satze von der Geraden als kürzesten herleiten 3); dem entspräche eine Herleitung der zweiten aus dem erst von Legendre

1) Leonardo von Pisa hat aus den 96-Ecken die etwas genaueren Grenzen hergeleitet:

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2) In einer verlorenen Schrift περὶ πλινθίδων καὶ κυλίνδρων, die Heron (Metrica I 26 ed. H. Schöne, Leipzig 1903), p. 66/67 erwähnt; die Zahlen sind leider verschrieben, sie heißen vermutlich:

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s. P. Tannery, Journ. d. sav. (nouv. sér.) 1 (Paris 1903), p. 205; Apollonius aus Perge und Philon von Gadara gingen in der Annäherung noch etwas weiter (s. Eutokios Komment. zu Arch. ed. Heiberg, Leipzig 1880/81, p. 300). 3) Archimedes, nɛgi opaigas nai nvlívdgov (Opera ed. Heiberg, Leipzig 1880/81), erstes Postulat.

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