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wurde. Aber gerade eine solche ist für eine Disziplin, die sich an die elementaren angliedern soll, ein unbedingtes Erfordernis und zugleich ein Kriterium dafür, daß das Gebiet eine gewisse Reife und Abrundung erlangt hat.

Die elementare Bestimmung des Buches verlangte elementare Methoden. Vielfach mußten solche erst erfunden werden, so z. B. für die schöne Laguerresche Approximation goniometrischer durch algebraische Funktionen, die schon Hermite einfacher zu begründen suchte, ferner für das Additionstheorem in der exzentrischen Kreisteilung. Das ist das einfache Bild, unter dem ich die Teilung der elliptischen Funktionen der Elementarmathematik einverleibe. Auch in der niederen Analysis mußten oft neue Wege eingeschlagen werden. Für die Transzendenz von e und hatte ich schon im Jahre 1900 einen elementaren Beweis beigebracht. In diesem Buche wird nunmehr gezeigt, daß die einfachen Gedanken, auf denen er beruht, im Grunde schon in den Beweisen von Lambert und Hermite für die Irrationalität von und enthalten sind.

Von Interesse ist vielleicht noch die elementare Einführung der Kreispunkte, der Winkel und Strecken als Logarithmen von Doppelverhältnissen, die Quadratur der Hyperbelsektoren ohne verkappte Integration, die eigentümliche mechanische Quadratur und Rektifikation beliebiger Kurven, wie sie sich aus gewissen Formeln von Lambert gewinnen läßt.

Die elementaren Methoden werden heute vielfach vernachlässigt, ihre Tragweite unterschätzt, weil man sie zu beherrschen verlernt hat. Denn daran liegt es doch, daß die auf elementarem Wege erkennbare Transzendenz von e und zuerst nach Überwindung großer Schwierigkeiten auf einem außerordentlichen Umwege gefunden wurde1); oder daß so manche zu den Zeiten eines Fermat bewiesene Sätze, z. B. die über die Mersenneschen Primzahlen heute für uns unbeweisbar sind. Die elementaren Methoden, von den älteren Mathematikern mit Virtuosität gehandhabt, sind uns nicht ebenso geläufig. In der Überschätzung des Neuen haben wir das bewährte Alte vernachlässigt. Und wir gehen sogar so weit auch auf der Schule, zugunsten einiger sehr bescheidener Teile neuerer Methoden, die alten noch weniger behandeln zu wollen; statt sie vielmehr tiefer, gründlicher, umfassender zu erörtern und ihre weit reichende Anwendbarkeit voll auszunutzen.

1) Hermite äußert sich darüber noch ganz resigniert an Borchardt Crelles J. 76 [1873], p. 342): Je ne m'hasarderai point à la recherche d'une démonstration de la transcendence du nombre . Que d'autres tentent l'entreprise, nul ne sera plus heureux que moi de leur succès, mais croyez m'en, mon cher ami, il ne laissera pas que de leur coûter quelques efforts.

Für die Wertschätzung des Elementaren berufe ich mich auf Gauss, der an der leider in Vergessenheit geratenen Erchingerschen Konstruktion des regulären Siebzehnecks „die musterhafte mühsame Sorgfalt alles nicht rein Elementarische zu vermeiden" mit hohen Worten der Anerkennung hervorhebt.

Während die Theorie der Konstruktionen vielfach, wenn auch hier zum ersten Male in systematischer, gewissermaßen erschöpfender Weise behandelt wird, ist das für die Theorie der Approximationen nicht der Fall. Auf die Notwendigkeit, diese Gebiete mehr zu pflegen, hat vor allem Klein1) nachdrücklich hingewiesen, und manche Arbeit ist aus dieser Anregung hervorgegangen. Soll hier nicht wieder die Verbindung mit den Elementen abreißen, so muß auch den elementaren Näherungsmethoden zu ihrem Rechte verholfen werden. In der Geometrie, wie sie in Euklids Elementen sich durch zwei Jahrtausende fast unverändert erhalten hat, war für diese Methoden kein Platz. Daher mag es kommen, daß dieselben auch sonst verhältnismäßig wenig berücksichtigt wurden. Demgegenüber habe ich Wert darauf gelegt, einige ältere Näherungsmethoden, wie sie sich bei den Ägyptern, Griechen und Indern und auch bei uns in älterer Zeit, so namentlich bei Dürer, Vieta, Huyghens u. a. fanden, wieder in Erinnerung zu bringen.

Dabei hat auch eine der Laguerreschen ähnliche, aber einfachere Approximation der goniometrischen Funktionen von Bhaskara, deren Entstehung für rätselhaft galt, ihre Aufklärung gefunden. Ebenso eine bisher nicht interpretierte Heronische Kubikwurzelapproximation. Es handelt sich hier um eine gebrochene Interpolation, zu der sich ein Analogon bei Gauss findet. Für die Fehlertheorie der geometrischen Konstruktionen wurde außer der Gaussschen Methode der kleinsten Fehlerquadratsummen auch die Poncelet- Tchebycheffsche des kleinsten Maximalfehlers herangezogen.

Die niedere Analysis tritt in diesem Buche nur als Mittel zum Zweck auf. Da sie, im Gegensatz zu den anderen Teilen des Buches, anderweitig gründliche Behandlung erfahren hat, kommt sie hier nur abrißweise zur Darstellung. Ich habe geglaubt, mich von den Worten Hermites) leiten lassen zu dürfen:

L'admiration, a-t-on dit, est le principe du savoir, .; je m'autoriserai de cette pensée pour exprimer le désir qu'on fasse la part la plus large, pour les étudiants aux choses simples et belles, qu'à l'extrême rigueur aujourd'hui si en honneur, mais bien peu attrayante, souvent même fatigante et sans grand profit pour le commençant qui n'en peut comprendre l'intérêt.

1902.

1) Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie. Leipzig 2) Oeuvres I, p. XXXVII.

Dengemäß bevorzugt meine Darstellung das Formale und verweist Verschärfungen als sekundärer Natur gelegentlich in die Anmerkungen.

Bei einem Buche, wie dem vorliegenden, versteht es sich von selbst, daß auch das Historische und Literarische umfassende und gründliche Berücksichtigung findet. Das ist in solchem Umfang geschehen, daß ich hoffen kann, nichts Wichtiges unerwähnt gelassen zu haben.

Es bleibt mir noch übrig Herrn Dr. Theodor Beyer in Stralsund, meinem früheren Schüler, für seine Hilfe beim Lesen der Korrekturen und bei Herstellung des Manuskriptes nach dem Vorlesungskonzept meinen herzlichsten Dank auszusprechen.

Der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner bin ich für ihr bereit williges Entgegenkommen und für die Drucklegung durch mancherlei Schwierigkeiten hindurch zu großem Danke verpflichtet.

ELDENA i. Pomm., Dezember 1910.

VAHLEN.

INHALT.

Erster Teil.

Lineare Konstruktionen.

Kapitel I. Projektive lineare Konstruktionen

Theorie der Doppelverhältnisse 1, Singularität, Harmonie, Äquianharmonie 3, Kubische und quadratische Invariante, Diskriminante, Gemeinsames harmonisches Paar 4, Invarianz bei Projizieren und Schneiden 6, Harmonie am Vierseit, Involution 7, Projektivität 8, Antragen, affine, inverse, projektive Transformation 9, Konstruktion rationaler Funktionen von Doppelverhältnissen 10, Doppelverhältniskoordinaten 12, Satz von Menelaus und Ceva 13, Projektiv-lineares Netz 15, Kegelschnitte, Fundamentaleigenschaft, Pascal, Brianchon 16, Konstruktionen, Polarität, Apolarität 18, Kurven dritter Ordnung und Klasse 20.

Kapitel II. Affine lineare Konstruktionen

Parallel, halbierte Strecken, rational geteilte Strecken 22, Desargues' Satz 23, Theorie der Verhältnisse, affine Koordinaten, affin lineares Netz 25, Streckenaddition, affine Begriffe, Sätze, Aufgaben 27.

Kapitel III. Metrische lineare Konstruktionen.

Rechte Winkel, Thales 30, Apollonius, Bodenmiller, Lotefällen 30, Zirkulare Involution, Kreispunkte, Koordinaten 32, Harmonische, äquianharmonische Konstruktionen 34, Streckenmultiplikation und -division 35, Verschiedene Daten 37, Metrische Begriffe, Sätze, Aufgaben 38, Winkel und Strecke als Logarithmen von Doppelverhältnissen 39, Achsen, Brennpunkte, Leitlinien, Aufgaben 40.

Zweiter Teil.

Quadratische Konstruktionen.

Algebraische Einleitung: Quadratische Irrationalitäten
Kapitel I. Projektive quadratische Konstruktionen

Quadratische Fundamentalaufgabe 44, Quadratwurzelziehen 45, Projektiv quadratisches Netz 46, Andere Fundamentalaufgabe 46, Projektiv gleiche Kegelschnittbogen 49, Aufgaben 50, Aufgabe von Castillon, von Steiner 52.

Kapitel II. Affine quadratische Konstruktionen

Konstruktionsmittel, affin-quadratisches Netz 53, Aufgaben 54.

Kapitel III. Metrische quadratische Konstruktionen.

Konstruktionsmittel 54, Satz von Poncelet und Steiner 55, Satz von Mascheroni 56, Inversion 57, Bi-Lineal 58, Papierfalten 59, Streckenübertrager 59, Aufgaben, Malfatti, Apollonius 61.

Dritter Teil.

Kubische Konstruktionen.

Algebraische Einleitung: Kubische Irrationalitäten, kubische und bi-
quadratische Gleichungen 62.

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Seite

21

30

42 44

53

54

Kapitel I. Projektive kubische Konstruktionen.

Fundamentalaufgabe 65, Steinersche Verwandtschaft 66, Kegelschnittbogen als Konstruktionsmittel 69, Aufgaben 72, Biquadratische und trilineare Projektivität 73.

Kapitel II. Affine kubische Konstruktionen.

Konstruktionsmittel, affin kubisches Netz 75, Aufgaben 76.

Kapitel III. Metrische kubische Konstruktionen

Historisches über ältere Lösungen 77, Geometrische, arithmetische, harmonische Mittel 80, Trisektionsfigur, Fünfeck, Siebeneck, Neuneck 82, Trisektion durch Einschiebungen 84, Konchoiden, Pascalsche Schnecke, Grégoire 85, Chasles, Menächmus, Descartes 86, Newton, Clairaut, Heron, Apollonius, Vieta, Diocles, Sporus 87, Zissoide 88, Winkeldreiteilung durch feste Ellipse 88, Kubikwurzelziehung durch feste Hyperbel 90, Auflösung der biquadratischen Gleichung durch feste Ellipse 91, Hyperbel 92, Aufgaben, Archimedes' Kugelteilung 93, Apollonius' Normalenproblem 94, Lotefäller, Spiegellineal, Siebeneck, Dreizehneck 95, Verwendung kubischer Kurven 96, Spezielle kubische Kurven 101.

Vierter Teil.

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Höhere algebraische und transzendente Konstruktionen. Anwendungen und Ergänzungen zu den vorhergehenden Teilen. Kapitel I. Wurzelziehung und Winkelteilung durch algebraische Kurven 104 Kapitel II. Transzendente Konstruktionen

Winkelteilung 108, Wurzelziehung 110, Interszendente Konstruktionen 111, Graphisches Rechnen, Nomographie 112.

108

Kapitel III. Imaginäre Elemente, Realitätskriterien, Anzahlgeometrie. 114 Imaginäre Elemente 114, Realitätskriterien 116, Anzahlgeometrie 118. Kapitel IV. Geometrographie und Fehlertheorie

Geometrographie, Einfachheit 121, Genauigkeit 122, Fehlertheorie, Fehlerkurven, Fehlerfortpflanzung 124, Fehlerausgleichung nach der Gaussschen Forderung 125, Bertotsche Konstruktion 125, Fehlerausgleichung nach der Poncelet-Tchebycheffschen Forderung, Punkt zu drei Geraden, Gerade zu drei, Kreis zu vier Punkten 126, Kegelschnitt zu sechs Punkten 127. Kapitel V. Konstruktionen unter besonderen Bedingungen

Hilfskonstruktionen bei ungünstiger Lage 129, Konstruktionen in begrenztem Gebiete und mit beschränkten Hilfsmitteln 130, Mechanische Konstruktionsmittel 136.

Kapitel VI. Teilung des Kreises, der Lemniskate, der Lemniskatoide,
exzentrische Kreisteilung

Kreisteilung 142, Satz von Gauss, von Eisenstein 144, Irreduktibilität
der Kreisteilungsgleichung 145, Gausssche (Fermatsche) Primzahlen, Qua-
dratisch lösbare Kreisteilungsgleichungen 148, Siebzehneck 149, Satz von
Richmond 155, Lemniskatenteilung 156, Bogenabtragen, -halbieren 157,
Drei-, Fünfteilung 158, Siebzehnteilung 159, Lemniskatoidenteilung 159,
Exzentrische Kreisteilung 160, Bogenabtragen 161, Poncelets' Satz 163,
Bogenhalbieren 164, Exzentrisches Bogenmaß 164, Additionstheorem 166,
Dreiteilung 169.

Kapitel VII. Konstruktionen im Raume
Postulat von Hauck 170, Aufgaben 170, Konstruktionen auf der Kugel
171, Drehungen 172.

121

129

142

169

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