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Fortgesetzte Untersuchungen über specielle

Minimalflächen.

Im Januar 1872 von Herrn Kummer der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin mitgetheilt. Monatsberichte der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jahrgang 1872, Seite 3-27.

Eine der Aufgaben, welche Gergonne bezüglich der Bestimmung von Minimalflächen unter vorgeschriebenen Grenzbedingungen im 7ten Bande seiner Annales de Mathématiques (1816) gestellt hat, ist folgende:

Couper un cube en deux parties, de telle manière que la section vienne se terminer aux diagonales inverses de deux faces opposées, et que l'aire de cette section, terminée à la surface du cube, soit un minimum?

Donner, en outre, l'équation de la courbe suivant laquelle la surface coupante coupe chacune des autres faces de ce cube? In demselben Bande der Annales stellt Tédénat in zwei Aufsätzen eine Schraubenfläche als Lösung der angegebenen Aufgabe hin, gleichzeitig äussert jedoch bereits Gergonne in verschiedenen Anmerkungen bezüglich der Richtigkeit dieser vorgeblichen Lösung gewichtige Bedenken, welche in der Behauptung gipfeln: Nichts beweist, dass die von Tédénat gefundene Minimalfläche diejenige ist, durch welche die gestellte Aufgabe gelöst wird.

Die Tédénat sche Lösung ist unrichtig, weil dieselbe eine der bei dieser Aufgabe auftretenden Grenzbedingungen, in deren Aufstellung sich a. a. O. eine Lücke vorfindet, unerfüllt lässt, indem die von der Variation der Grenzen abhängenden Glieder der ersten Variation nicht gleich Null sind.

Hiernach ist auch eine neuerdings aufgestellte Behauptung „es sei von den Gergonneschen Aufgaben nur die einfachste, die auf

die Schraubenfläche führe, von Tédénat gelöst worden", zu berichtigen.

Der Königlichen Akademie beehre ich mich, in dem vorliegenden Aufsatz eine Untersuchung mitzutheilen, aus welcher unter anderem hervorgeht, dass durch die angegebene Gergonnesche Aufgabe zwei (zu einander symmetrische) Minimalflächen bestimmt werden, welche den aus der Aufgabestellung sich ergebenden analytischen Bedingungen genügen und welche zugleich specielle Fälle derjenigen Minimalflächen sind, die in dem Nachtrage zu meiner im Jahre 1867 der Königlichen Akademie vorgelegten Abhandlung „Bestimmung einer speciellen Minimalfläche“ *) betrachtet werden.

1.

Nach einer von Gauss herrührenden Formel (Werke Bd. V S. 65) besteht die Variation &S, welche der Flächeninhalt eines einfach zusammenhängenden, von einer in sich zurückkehrenden Linie L begrenzten Flächenstückes S bei einer Variation dieses Flächenstückes erfährt, im Allgemeinen aus zwei Theilen. Während der erste dieser beiden Theile ein über alle Elemente von S zu erstreckendes Doppelintegral ist, dessen Element die mittlere Krümmung der Fläche an der betreffenden Stelle als Factor enthält, ist der zweite Theil ein über alle Elemente der Begrenzungslinie L zu erstreckendes einfaches Integral.

Bezeichnet dL die Länge eines Elementes der Begrenzungslinie L, p die Richtung der Tangente einer dem Flächenstücke S angehörenden Linie, welche von dem Elemente dL in das Innere von S führt und auf diesem Elemente perpendicular steht, wobei die Richtung vom Rande aus nach innen als positiv angenommen wird, bezeichnet ferner de die absolute Grösse der Verschiebung des Elementes dL und бр dp de cos (p, de) der Grösse und Richtung nach die Projection dieser Verschiebung auf das Perpendikel p, so ist der zweite Theil der Variation des Flächeninhalts des Stückes S das über alle Elemente dL der Begrenzungslinie L zu erstreckende Integral

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Soll die Fläche S die Eigenschaft haben, innerhalb vorgeschriebener Grenzen einen möglichst kleinen Flächeninhalt zu besitzen, so

*) Siehe S. 92-108 dieses Bandes.

muss die erste Variation dieses Flächeninhalts gleich Null sein, woraus bekanntlich geschlossen wird, dass die mittlere Krümmung des Flächenstückes überall den Werth Null haben muss.

Ist nun die Begrenzungslinie L des gesuchten Flächenstückes S in allen ihren Theilen gegeben, so ist die Variation de für alle Punkte derselben gleich Null, also ist auch für alle Punkte der Begrenzung die Grösse op = de cos (p, de) gleich Null, und es liefert daher das über die Begrenzung von S zu erstreckende Integral -fdp.dL in diesem Falle keinen Beitrag zur Variation 8S. Wenn hingegen die Begrenzungslinie oder ein oder mehrere Theile derselben nicht selbst gegeben sind, sondern an die Stelle derselben gegebene Flächen treten, auf denen die nicht gegebenen Theile der Begrenzung L liegen sollen, beziehungsweise frei variiren können, während es sich erst noch darum handelt, diejenige Gestalt der nicht gegebenen Theile der Begrenzungslinie zu ermitteln, für welche die Fläche S einen möglichst kleinen Flächeninhalt besitzt, so tritt zu der Hauptbedingung, dass die mittlere Krümmung in jedem Punkte des Flächenstückes S gleich Null sein soll, noch die Grenzbedingung hinzu: Ueberall, wo die Begrenzungslinie nicht selbst vorgeschrieben ist, sondern an deren Stelle eine gegebene Fläche F tritt, auf welcher die Fläche S endigen soll, muss für den Fall des Minimums längs der Endigung der Factor cos (p, de) gleich Null sein; mit andern Worten: es muss in allen Punkten des auf der Fläche F liegenden Theiles der Begrenzung von S die Tangentialebene von S mit der Tangentialebene von F einen rechten Winkel einschliessen.

Die Grenzbedingungen, denen die Fläche S für den Fall des Minimums genügen muss, können also folgende Form erhalten: Die Fläche S soll längs gegebener Linien L endigen", oder „gegebene Flächen F rechtwinklig treffen" oder endlich längs gegebener Linien Lendigen und gegebene Flächen F rechtwinklig treffen."

Zu denjenigen Aufgaben, bei welchen die Grenzbedingungen die zuletzt angegebene Form erhalten, gehört auch die specielle im Eingange erwähnte Aufgabe Gergonne's. Die Bedingung des Rechtwinkligstehens hat Gergonne, als derselbe die Aufgabe stellte, wohl nicht gekannt, vermuthlich weil zu jener Zeit das Rechnen mit Doppelintegralen, wenn auch die Grenzen derselben zu variiren sind, nicht hinreichend entwickelt war; es würde indessen nicht schwer gewesen sein, für den speciellen Fall der Gergonne schen Aufgabe die Grenzbedingung des Rechtwinkligstehens auch ohne Zuhülfenahme der

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herzuleiten, weil es bei dieser Aufgabe hinreicht, nur solche Variationen ins Auge zu fassen, bei denen die veränderlichen Theile der Begrenzungslinie in denselben der -Axe parallelen Ebenen bleiben.

(Vergl. Gauss Werke Bd. V S. 58 Art. 21.)

Dass aber Gergonne richtig erkannt hat, zu welcher Gruppe von Aufgaben die in Rede stehende specielle Aufgabe gehört, geht daraus hervor, dass derselbe in einer Anmerkung (Annales Tome VII. p.153) sich folgendermassen ausdrückt: Le problème général, dont celui-ci est un cas particulier, serait le suivant: Deux portions de courbes, isolées l'une de l'autre, se terminant de part et d'autre à deux surfaces courbes, aussi isolées l'une de l'autre étant données; faire passer par ces deux courbes une surface dont l'étendue, comprise entre elles et les deux surfaces données, soit la moindre possible?

Es verdient bemerkt zu werden, dass die Aufgabe, eine einfach zusammenhängende Minimalfläche zu bestimmen, welche vorgeschriebenen Grenzbedingungen der angegebenen Art genügt, nicht immer eine bestimmte ist. Abgesehen davon, dass es Fälle gibt, in denen durch dieselbe Begrenzungslinie mehr als eine einfach zusammenhängende Minimalfläche gelegt werden kann, welche in ihrem Innern von singulären Stellen frei ist, gibt es Fälle, in denen unendlich viele Minimalflächen allen Bedingungen genügen. Man braucht z. B. nur an den Fall zu denken, in welchem eine von einem variablen Parameter abhängende Schaar von Minimalflächen von einer röhrenförmigen Fläche, welche auf den einzelnen Flächen der Schaar Flächenstücke von endlicher Ausdehnung begrenzt, orthogonal durchsetzt wird. Denkt man sich nun diese Röhrenfläche gegeben, so ist ersichtlich, dass es unendlich viele einfach zusammenhängende Flächenstücke gibt, welche der erstbetrachteten Schaar angehören und welche demnach mit der Eigenschaft, dass die mittlere Krümmung in jedem Punkte derselben den Werth Null hat, die Eigenschaft verbinden, die gegebene Fläche rechtwinklig zu treffen, woraus sich übrigens ergibt, dass alle diese Flächenstücke gleichen Flächeninhalt haben.

Schwarz, Gesammelte Abhandlungen. I.

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2.

Der einfachste Fall der im Vorhergehenden erwähnten allgemeineren Aufgabe tritt offenbar dann ein, wenn die Linien L gerade Linien und die Flächen F Ebenen sind. In diesem Falle treten folgende beiden Sätze in Kraft:

I. Jede auf einem Stücke einer Minimalfläche liegende Gerade ist eine Symmetrieaxe der durch analytische Fortsetzung dieses Stückes entstehenden Minimalfläche.

II. Wenn auf einem Stücke einer Minimalfläche eine ebene Curve liegt, längs welcher die Tangentialebene der Fläche und die Ebene der Curve miteinander einen rechten Winkel einschliessen, so ist die Ebene dieser Curve eine Symmetrie-Ebene derjenigen Minimalfläche, welche durch analytische Fortsetzung dieses Stückes entsteht.

Diese beiden Sätze, auf welche ich gelegentlich der Untersuchung einer speciellen Minimalfläche (vergl. Monatsberichte 1865 S. 152) *) geführt worden bin, sind specielle Fälle eines allgemeineren Satzes, dessen Kenntniss ich einer gütigen mündlichen Mittheilung des Hrn. Weierstrass verdanke und von dem ich in der Folge eine wichtige Anwendung machen werde.

Mit Hülfe dieser Sätze habe ich versucht, folgende Aufgabe zu lösen:

„Gegeben ist eine zusammenhängende geschlossene Kette, „deren Glieder von geradlinigen Strecken, oder von Ebenen, „oder von geradlinigen Strecken und von Ebenen gebildet „werden; gesucht wird ein einfach zusammenhängendes, in sei„nem Innern von singulären Stellen freies Minimalflächenstück, "welches von den geradlinigen und von den ebenen Gliedern „der Kette begrenzt wird und die letzteren rechtwinklig trifft.“ Die vorstehende Aufgabe ist für den Fall, dass die Glieder der Kette nur von geradlinigen Strecken gebildet werden, in allgemeinster Weise von Hrn. Weierstrass gelöst worden (Monatsberichte 1866 S. 855 u. 856). Die Untersuchungen Riemann's über dieselbe Aufgabe liegen in einer Bearbeitung des Hrn. Hattendorff vor. (Abhandl. der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen Bd. 13)

Die Functionen, welche Hr. Weierstrass mit G(u) und H(u) bezeichnet hat, genügen auch in dem hier angegebenen Falle einer

*) Siehe S. 1-5 dieses Bandes.

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