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sagte der junge Herr lächelnd. Ihr Herren vom Handwerk kommet in allen Ländern herum und könnet schon etwas erzählen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und Geschichten."

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5 „Ja, ja, man hört Manches," erwiderte der Zirkelschmied, dafür studiren Herren wie Ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wüßtet Ihr noch Klügeres und Schöneres zu erzählen, als ein schlichter Handwerksbursche wie unser Einer. Mich müßte 10 Alles trügen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter."

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„Ein Gelehrter nicht," lächelte der junge Herr, wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimath reisen; doch was in unsern Büchern steht, eignet sich weniger zum Erzählen, als was Ihr hie und dort gehört. Darum 15 hebet immer an, wenn anders diese da gerne zuhören.“

„Noch höher als Kartenspiel," erwiderte der Fuhrmann, ,gilt bei mir, wenn Einer eine schöne Geschichte erzählt. Oft fahre ich auf der Landstraße lieber im elendesten Schritt und höre Einem zu, der neben hergeht und etwas Schönes 20 erzählt; Manchen habe ich schon im schlechten Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, daß er Etwas erzähle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deßwegen so lieb, weil er Geschichten weiß, die sieben Stunden lang und länger dauern.“

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"So geht es auch mir," seßte der junge Goldarbeiter hinzu, „erzählen höre ich für mein Leben gerne, und mein Meister in Würzburg mußte mir die Bücher ordentlich verbieten, daß ich nicht zu viel Geschichten las und die Arbeit darüber vernachlässigte. Drum gib nur etwas Schönes preis, 30 Zirkelschmied, ich weiß, Du könntest erzählen von jezt an bis es Tag wird, ehe Dein Vorrath ausginge.“

Der Zirkelschmied trank, um sich zu seinem Vortrag zu stärken, und hub alsdann also an:

Die Sage vom Hirschgulden.

In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die stattlichste der Gegend war, Hohen- 5 zollern. Sie erhebt sich auf einem runden steilen Berg, und von ihrer schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. So weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen 10 deutschen Landen. Nun lebte vor mehreren hundert Jahren, ich glaube, das Schießpulver war kaum erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch

war.

Man konnte nicht sagen, daß er seine Unterthanen hart gedrückt oder mit seinen Nachbarn in Fehde gelebt hätte, 15 aber dennoch traute ihm Niemand über den Weg ob seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirne und seinem einsilbigen, mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer dem Schloßgesinde, die ihn je hätten ordentlich sprechen hören, wie andere Menschen; denn wenn er durch das Thal ritt, einer 20 ihm begegnete und schnell die Müze abnahm, sich hinstellte und sagte: „Guten Abend, Herr Graf, heute ist es schön Wetter," so antwortete er: Dummes Zeug," oder „Weiß schon." Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht für ihn oder seine Rosse, begegnete ihm ein Bauer im Hohlweg 25 mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen nicht schnell genug vorüberkommen konnte, so entlud sich sein Ingrimm in einem Donner von Flüchen; doch hat man nie gehört, daß er bei solchen Gelegenheiten einen Bauern geschlagen

hätte. In der Gegend aber hieß man ihn „das böse Wetter von Zollern."

Das böse Wetter von Zollern hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm und so mild und freundlich war, wie 5 ein Maitag. Oft hat sie Leute, die ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch freundliche Worte und ihre gütigen Blicke wieder mit ihm ausgesöhnt; den Armen aber that sie Gutes, wo sie konnte, und ließ es sich nicht verdrießen, sogar im heißen Sommer oder im schrecklichsten 10 Schneegestöber den steilen Berg herab zu gehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete ihr auf solchen Wegen der Graf, so sagte er mürrisch: „Weiß schon, dummes Zeug," und ritt weiter.

Manch andere Frau hätte dieses mürrische Wesen abge15 schreckt oder eingeschüchtert; die eine hätte gedacht: was gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie für dummes Zeug hält; die andere hätte vielleicht aus Stolz oder Unmuth die Liebe gegen einen so mürrischen Gemahl erkalten lassen; doch nicht also Frau Hedwig von Zollern. Sie liebte 20 ihn nach wie vor, suchte mit ihrer schönen weißen Hand die Falten von seiner braunen Stirne zu streichen und ehrte ihn. Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein junges Gräflein zum Angebinde bescheerte, liebte sie ihren Gatten nicht minder, indem sie ihrem Söhnlein dennoch alle Pflichten einer zärt25 lichen Mutter erzeigte. Drei Jahre vergingen, und der Graf von Zollern sah seinen Sohn nur alle Sonntage nach Tische, wo er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er blickte ihn dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihn der Amme zurück. Als jedoch der Kleine Vater sagen 30 konnte, schenkte der Graf der Amme einen Gulden,—dem Kind machte er kein fröhlicheres Gesicht.

An seinem dritten Geburtstag aber ließ der Graf seinem Sohn die ersten Höslein anziehen und kleidete ihn. prächtig in Sammt und Seide; dann befahl er, seinen Rappen und ein anderes schönes Roß vorzuführen, nahm den Kleinen auf den Arm und fing an mit klirrenden 5 Sporen die Wendeltreppe hinabzusteigen. Frau Hedwig erstaunte, als sie dies sah. Sie war sonst gewohnt, nicht zu fragen, wo aus, und wann heim? wenn er ausritt, aber diesmal öffnete die Sorge um ihr Kind ihre Lippen. Wollet Ihr ausreiten, Herr Graf?"-sprach sie; er gab keine 10 Antwort.-,,Wozu denn den Kleinen?" fragte sie weiter. Cuno wird mit mir spazieren gehen.“

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,,Weiß schon," entgegnete das böse Wetter von Zollern und ging weiter; und als er im Hofe stand, nahm er den Knaben bei einem Füßlein, hob ihn schnell in den Sattel, 15 band ihn mit einem Tuch fest, schwang sich selbst auf den Rappen und trabte zum Burgthore hinaus, indem er den Zügel vom Roffe seines Söhnleins in die Hand nahm.

Dem Kleinen schien es anfangs großes Vergnügen zu gewähren, mit dem Vater den Berg hinab zu reiten. Er 20 klopfte in die Hände, er lachte und schüttelte sein Rößlein an den Mähnen, damit es schneller laufen sollte, und der Graf hatte seine Freude daran, rief auch einige Male: „Kannst ein wackerer Bursche werden.“

Als sie aber in der Ebene angekommen waren, und 25 der Graf statt Schritt Trab anschlug, da vergingen dem Kleinen die Sinne; er bat anfangs ganz bescheiden, sein Vater möchte langsamer reiten, als es aber immer schneller ging, und der heftige Wind dem armen Cuno beinahe den Athem nahm, da fing er an still zu weinen, wurde immer 30 ungeduldiger und schrie am Ende aus Leibeskräften.

„Weiß schon! dummes Zeug!" fing jeßt sein Vater an. „Heult der Junge beim ersten Ritt; schweig oder

Doch den Augenblick, als er mit einem Fluche sein Söhnlein aufmuntern wollte, bäumte sich sein Roß; der Zügel 5 des andern entfiel seiner Hand, er arbeitete sich ab, Meister seines Thieres zu werden, und als er es zur Ruhe gebracht hatte und sich ängstlich nach seinem Kinde umsah, erblickte er deffen Pferd, wie es ledig und ohne den kleinen Reiter der Burg zulief.

ΙΟ So ein harter, finsterer Mann der Graf von Zollern sonst war, so überwand doch dieser Anblick sein Herz; er glaubte nicht anders, als sein Kind liege zerschmettert am Weg; er raufte sich den Bart und jammerte. Aber nirgends, so weit er zurückritt, sah er eine Spur von dem Knaben; 15 schon stellte er sich vor, das scheugewordene Roß habe ihn in einen Wassergraben geschleudert, der neben dem Wege lag. Da hörte er von einer Kinderstimme hinter sich seinen Namen rufen, und als er sich flugs umwandte-sieh'! da saß ein altes Weib unweit der Straße unter einem Baum und 20 wiegte den Kleinen auf ihren Knieen.

,,Wie kömmst Du zu dem Knaben, alte Here?" schrie der Graf in großem Zorn; sogleich bringe ihn heran zu mir."

„Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer Gnaden!" lachte 25 die alte, häßliche Frau, „könntet sonst auch ein Unglück`nehmen auf Eurem stolzen Roß! Wie ich zu dem Junkerlein kam, fraget Ihr? Nun, sein Pferd ging durch, und er hing nur noch mit einem Füßchen angebunden, und das Haar streifte fast am Boden, da habe ich ihn aufgefangen in 30 meiner Schürze.“

„Weiß schon!" rief der Herr von Zollern unmuthig,

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