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Indessen Inhalt und Aussprüche klassischer Autoren flossen ihm, wo englische Übersetzungen fehlten, durch vielerlei abgeleitete Quellen zu. Gewisse Vorstellungen von der antiken Tragödie konnte er aus Sidneys vielgelesener Schrift «The Defence of Poesie» entnehmen. Die sogenannten Regeln des Horaz wurden in allen literarischen Zirkeln debattiert, am Hofe wie in der Mermaid Schenke, wo er mit Ben Jonson und anderen zusammenkam. Die literarischen Bestrebungen und Forderungen der Zeit konnte er. wie jeder literarisch Interessierte, in den zahlreichen englisch geschriebenen Tagesschriften eines Lodge, Sidney, Webbe, Nash, Puttenham und anderer, sowie aus den Vorreden zu Ausgaben und Übersetzungen klassischer Autoren gründlich kennen lernen. Und da der literarische Kampf sich auch der Bühne bemächtigt hatte und in den Prologen der Dramatiker einen Widerhall fand. mußte er sich, um ein Beispiel zu wählen, des großen Gegensatzes seiner und Ben Jonsons Römerdramen deutlich bewußt werden. Die wenigen Kunsturteile, die wir von Shakespeare besitzen, zeugen von ernstem Nachdenken und großer Urteilskraft. Wie er für Welt und Menschen einen unvergleichlichen Blick hatte, wird sein heller und empfänglicher Geist auch alle Bildung der Zeit in sich aufgenommen haben, soweit nicht der Mangel besonderer Fachkenntnisse ihn davon ausschloß. Daß er auch die nicht dramatische zeitgenössische Literatur gründlich kannte und selbst gelegentlich ältere Schriftsteller wie Chaucer, Gower, Caxton las, ist längst erwiesen. Mit der Volksdichtung hatte er innigste Fühlung. Wie stark aber die bahnbrechenden Dramatiker der Zeit, Kyd, Lyly, Marlowe, auf ihn gewirkt haben, zeigen die Stücke seiner Jugendperiode mit vollster Deutlichkeit. Sie legen ebenso wie die Sonette und die beiden Epen «Venus und Adonis» und «Lucretia» von seiner ungewöhnlich schnellen Erfassung literarischer Gattungen und Stilarten beredtes Zeugnis ab.

Anders steht es freilich mit seinen Kenntnissen in der französischen, italienischen und spanischen Literatur. In wie weit er das Französische lesen konnte, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Einige Kenntnisse darin mag er gehabt haben. Die französischen Brocken und Sätzchen in «Heinrich V.» und sonst geben durchaus keinen Maßstab ab, obwohl sie fehlerfreies Französisch bieten. Ob er den geistreichen Essayisten Montaigne. dessen Einfluß auf Shakespeare man stark überschätzt hat. im Originale las, muß dahingestellt bleiben. Die erste englische Übersetzung erschien 1603 und es ist beachtenswert, daß die einzige völlig sichere Stelle, welche Gedanken

des Franzosen wiedergibt, sich in dem späten «Tempest» findet. Im übrigen aber ist ein direkter Einfluß französischer Autoren bei unserem Dichter kaum nachzuweisen.

Die im Zeitalter der Elisabeth vielgelesene italienische Literatur, die novellistische und dramatische, hat auch in den Werken Shakespeares einen Niederschlag gefunden, ohne daß jedoch die Annahme nötig wäre, der Dichter habe Italienisch so weit verstanden, daß er zu den Originalen griff. Ein großer Teil der italienischen Novellistik war den Elisabethanern in französischen und englischen Übersetzungen zugänglich gemacht die englischen Übersetzer hatten die schlüpfrigsten übergangen, ein charakteristischer Zug. Überdies waren viele dieser Stoffe schon vor Shakespeare dramatisch verwertet worden. In Romeo und Julia hat Shakespeare neben der Hauptquelle, dem Gedichte Brookes, nachweislich auch die englische Übersetzung der betreffenden Novelle benutzt. Auch für «Maaß für Maaß» ist Cinthio als direkte Quelle abzulehnen; den Namen Angelo hat Shakespeare schon in der «Komödie der Irrungen». Einzelne Schriften Macchiavellis konnte er zur Not in französischen Übersetzungen studieren. Der Principe war 1553 schon ins Französische übertragen. Die Mehrzahl der elisabethanischen Dramatiker kannte ihn jedenfalls nur aus des Franzosen Gentillet giftiger Streitschrift ContreMacchiavel, worin die auffälligsten Lehren des Florentiners in fünfzig kurzen Sätzen zusammengestellt waren. Schon 1577 war eine englische Übersetzung davon erschienen. Shakespeares angebliche italienische Reise aber, die von einigen Forschern noch immer mit neuen Gründen zu stützen versucht wird, beruht auf durchaus unsicheren Voraussetzungen. Nicht gewisse Einzelheiten, die er über Italien weiß, sind für die Frage entscheidend, sondern das was augenscheinlich nicht wußte. Es ist undenkbar, daß die Eindrücke einer italienischen Reise, falls sie stattgefunden, in seinen Dichtungen keine tieferen Spuren hinterlassen hätten. Es muß daher als Tatsache hingenommen werden, daß der Dichter, der, wie man gesagt hat, in seinen Werken die ganze Welt umspannt, so wenig in der Welt herumgekommen ist. Nicht einmal Schottland scheint er je mit eigenen Augen gesehen zu haben.

Wie in der Kenntnis der klassischen Sprachen, so stand er auch in der Aneignung der damals in England mit Eifer betriebenen neueren Sprachen und Literaturen gegen viele gebildete Zeitgenossen sehr zurück. Es verwundert uns aber nicht, daß ihm das Spanische es erging ihm hier wie den meisten andern. Wo sich

fremd war.

in seinen Werken eine deutliche Berührung mit spanischer Literatur zeigt, wie in den «Beiden Edelleuten von Verona» sind die Quellen des Dichters wieder abgeleitete.

Shakespeares Geschichtskenntnisse sind vormals sehr bewundert und selbst von englischen Staatsmännern gepriesen worden. Die moderne exakte Forschung hat diesen Wahn zerstört. Er schöpfte den Inhalt seiner Historien aus den gangbaren Geschichtswerken der Zeit, vornehmlich aus Holinshed und Hall, die ihm nicht bloß das historische Detail, sondern auch ausführliche Schilderungen von Zeiten und Menschen gaben. Daneben verschmähte er es nicht in größter Unbefangenheit ältere historische Dramen als gleichwertige Quellen zu benutzen. Wo ihm letztere zugänglich waren, hat er sie vorgezogen. Er besaß kein eigenes wissenschaftliches Urteil in geschichtlichen Dingen, sondern sah die Menschen und Zeiten mit derselben Parteibrille wie seine Gewährsmänner. Dabei kam es ihm zu statten, daß eine seiner Hauptquellen, Holinshed, im Gegensatz zu der sonstigen meist sehr gefärbten katholischen oder protestantischen Parteiliteratur, sich, wenn auch oft vergeblich, von übertriebener Parteilichkeit freizumachen bestrebt war. Die andere wichtigste Geschichtsquelle des Dichters, Hall, ist erfüllt von blinder Loyalität, preist die Reformation und Politik Heinrichs VIII. und bietet eine Fülle kleinsten Details und eingehende Sittenschilderungen. Der Dichter gönnt auch in seinen Historien der Phantasie einen breiten Spielraum. Mit der Chronologie und den Tatsachen nimmt er es wenig genau. Nichts lag ihm ferner als die Rolle des Geschichtslehrers. Die völlig unhistorische Figur Richards III., die der Dichter in dem gleichnamigen Stücke zeichnet, ist in allen wesentlichen Zügen das ins Ungeheuerliche gesteigerte Bild des Königs, wie es in hundertjähriger Umbildung Parteigeschichte, Dichtung und Sage allmählich gestaltet hatten.

Auch in allem anderen Wissen zeigt sich Shakespeare als Kind der Zeit und Laie. Seine juristischen Kenntnisse gehen nicht über das hinaus, was man in London an den Gerichtshöfen täglich hören und im Umgange mit den Insassen der Inns of Court erfahren konnte. Er selbst hat wie sein Vater manchen Prozeß geführt. Seine astronomischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisse mit allem damit verknüpften mittelalterlichen Aberglauben sind durchaus die volkstümlichen. Wenn ihm gelegentlich neueste Errungenschaften nicht unbekannt geblieben sind, wie die von dem Arzte Harvey damals entdeckte Zirkulation des Blutes, so ist das

nicht verwunderlicher. wie wenn der Laie heute von Röntgenstrahlen spricht. Daneben aber hat er wie immer mit ungewöhnlich scharfem Blick vieles dem Leben abgesehen und über Wahnsinn und Hallucination, die psychische und physische Natur des Menschen Beobachtungen niedergelegt. die noch jetzt den Fachgelehrten Bewunderung abnötigen. Er hatte eben Sinn und Interesse für alles. Gelehrte Fachstudien aber hat er nicht getrieben. Er besitzt den ungeheuren Bildungsdrang der Renaissance und die im Zeitalter Elisabeths besonders stark entwickelte intellektuelle Rezeptivität.

Er ist auch ein Denker im besten Sinne des Wortes. Der Zug der Reflexion, den auch andere Dramatiker der Zeit mit ihm teilen. tritt bei ihm am stärksten in die Erscheinung, sowohl der Weite als der Tiefe nach. Er ist kein zünftiger Philosoph, aber ein Grübler, der den Sinn des Lebens und der Geschichte wie kein anderer neben ihm ergründet hat.

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Die Zeitgenossen berichten leider nur äußerst wenig über den persönlichen Charakter des Dichters. Die vereinten Stimmen, unter ihnen Ben Jonson, preisen ihn als einen «ehrenwerten» Mann von <gebildetem Benehmen, aufrichtiger rechtschaffener Gesinnung und von offenem freimütigem Wesen.»> So kannte man ihn im Leben und pflanzte sich auch nach dem Tode sein Gedächtnis fort. Die übrigen biographischen Nachrichten ergänzen das Bild in mannigfacher Hinsicht. Sie zeigen uns den Dichter als Sohn und Vater, als Bruder und Freund in gutem Lichte. Den Eltern sucht er das verpfändete mütterliche Erbgut Asbies wiederzugewinnen. Er sorgt dafür, daß seinem in London verstorbenen Bruder Edmund, der gleichfalls den Schauspielerberuf ergriffen hatte, ein ehrenvolles Begräbnis zu Teil wird. Die alten Freunde in Stratford und London vergißt er auch im Testamente nicht und beschenkt sie mit den üblichen Gedenkringen. Der Dichter kauft sich schon frühe (1597) in Stratford an, wohin er sich nach einer erfolgreichen Laufbahn zurückzieht. Es spricht das nicht nur wahrscheinlich für ein gutes Verhältnis zu seiner Familie, sondern gewiß auch für seine Anhänglichkeit an die Heimat und die Liebe zur Scholle, auf der er geboren ist. Den Armen seiner Vaterstadt vermacht er im Testament eine hübsche Summe. Es sind freilich nur knappe Nachrichten, gleichsam Streiflichter, aber deutlich genug, um ein Bild zu geben, das uns freundlich anspricht. Nur gegen seine Frau, so hat man aus dem Testamente gefolgert, habe er eine gründliche Abneigung gehabt. Die Ehe soll keine glückliche

gewesen sein. Es ist wahr, den größten Teil des Vermögens erhält seine älteste Tochter Susanne, die einen Arzt Hall geheiratet hatte. Seiner Frau verbleibt mit einer Ausnahme nur die gesetzliche Nutznießung vom dritten Teile des freien Grundbesitzes. In einer nachträglichen Bestimmung vermacht er ihr das zweitbeste Bett. Dies Testament läßt so vielerlei Deutung zu, daß wir uns des Urteils enthalten müssen. Die näheren Umstände, unter denen es gemacht ist. und vor allem die Motive mancher Bestimmungen sind unbekannt. Das Verhältnis der Ehegatten zu einander, über das wir garnichts Näheres wissen, läßt sich nicht mit der törichten Alternative «glücklich» oder «unglücklich» abtun. Wenn es dem Dichter zusagte, aus der glänzenden Hauptstadt in die stille Ländlichkeit zurückzukehren, mag er auch in der einfachen Frau die Herzensbildung als das im Leben allein beglückende gewürdigt haben.

Nichts ist jedoch besser beglaubigt, als daß er nach Gut und Geld strebte. Nach einigen Gelehrten ist es der Endzweck seines dichterischen Schaffens gewesen. Das glaubte auch Pope. Seiner Größe unbewußt und ohne die verdiente Anerkennung zu finden, soll er seinen Vorteil und seine Befriedigung im Materiellen gesucht haben. Gewiß, seinen Vorteil hat er beharrlich ausgenutzt. Die bitteren Jugenderlebnisse, die Verschuldung des Vaters und das traurige Bohême-Leben vieler Londoner Schriftsteller werden ihm als warnende Beispiele vor der Seele gestanden haben. Er besaß die Charakterstärke, den Verlockungen der Hauptstadt kräftigen Widerstand zu leisten. Er gehörte nicht zu jenen, von welchen es bei Ovid heißt: video meliora proboque, deteriora sequor. Eiserner Fleiß und Zielbewußtsein, fester Wille und Selbstbeherrschung, das sind die Merkmale, die seinem Lebensgange, handle es sich um den Erwerb materieller Güter oder um künstlerisches Schaffen. das Gepräge geben. Denn er hatte nicht bloß materiellen Ehrgeiz, sondern auch literarischen. Unausgesetzt hat er an seiner Bildung und künstlerischen Vervollkommnung gearbeitet. Ben Jonson faßt es wieder in schöne Worte:

Doch darf ich der Natur nicht alles geben,

Auch Deine Kunst, Shakespeare, muß ich erheben;

Denn ist auch Stoff des Dichters die Natur,

Wird Stoff zum Kunstwerk durch die Form doch nur;

Und wer will schaffen lebensvolle Zeilen

Wie Deine sind, muß schmieden, hämmern, feilen,

Stehn an der Musen Amboß ohne Ruh,

Die Formen bildend und sich selbst dazu.

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