Page images
PDF
EPUB

II.

Zum Alemannenkriege Caracallas

und der angeblichen

Alemannenschlacht des Claudius Gothicus am Gardasee.

Von

Dr. Albert Duncker,

Oberlehrer am Real-Gymnasium zu Wiesbaden.

1.

Für die chronologische Bestimmung der Kämpfe der Alemannen mit den Römern im dritten Jahrhundert n. Chr. Geb. ergeben sich viele Schwierigkeiten, deren Lösung auch mit Zuziehung der inschriftlichen Zeugnisse und der Münzen nicht immer gelingen will. 1874 hat indessen Alcuin Holländer zu Strassburg in einer verdienstlichen Abhandlung 1) unter sorgsamer Benutzung des bis jetzt zu Gebote stehenden epigraphischen Materials verschiedene dahin einschlagende Streitfragen endgültig gelöst; andere indessen sind, wie wir an einem Beispiele zu zeigen gedenken, auch bei ihm unerledigt geblieben.

Zu den neugewonnenen Resultaten ist die genauere Constatirung des Zeitpunktes von Caracallas Alemannensieg am Main zu rechnen. Die Bemerkung Theodor Mommsens Corp. Inscript. Lat. III, 2, 708 weiter ausführend, macht Holländer pag. 8 ff. darauf aufmerksam, dass unter den vor wenigen Jahren zu Rom ausgegrabenen,,acta fratrum Arvalium" sich eine Inschrift (Henzen, relaz. 75, Z. 95 f.) vorfindet, aus der hervorgeht, dass Caracalla am 11. August 213 sich anschickte, den limes Raeticus, den südlichsten Theil des römischen Grenzwalls in Deutschland, sonst auch limes Transdanubianus genannt, zu überschreiten, um die Alemannen anzu

1) Die Kriege der Alamannen mit den Römern im dritten Jahrhundert n. Chr.". Karlsruhe (G. Braun), 8.

[ocr errors]

greifen. Dieselbe Inschrift weiss dann auch zu melden, dass das aus diesem Grunde durch den Arvalbruder Lucius Armenius Peregrinus gebrachte Opfer seine Wirkung gethan habe. Denn schon am 6. October desselben Jahres konnte von den Arvalen eine ,,victoria Germanica" des Kaisers durch weitere Opfer festlich begangen werden. Cassius Dio, Spartianus und Aurelius Victor erwähnen diesen Alemannenkrieg. Bei Aurelius Victor de Caesaribus 21 heisst es bekanntlich von Caracalla: Alamannos, gentem populosam, ex equo mirifice pugnantem, prope Moenum amnem devicit. Dass diese Schlacht am Main", als deren Schauplatz Localforscher, wie Steiner, ob mit Recht oder Unrecht lassen wir hier dahingestellt, das Damm- oder Blutfeld", Obernburg gegenüber, ansehen, in der zweiten Hälfte des Jahres 213 stattgefunden haben muss, ergab sich auch durch die Heranziehung zweier längst bekannter Inschriften vom Mittelrhein, auf die wir, ehe Henzen seine „Acta fratrum Arvalium" zu Leipzig veröffentlichte und Holländers Abhandlung erschienen war, schon 1873 im Göttinger Philologus XXXIII, 181 aufmerksam machten. Auf der Saalburginschrift, die jetzt am Weissenthurm" des Schlosses zu Homburg v. d. H. eingemauert ist 1), erweist die Anführung des anderwärts hinlänglich festgestellten 15. Jahres der tribunicischen Gewalt des Caracalla TRIBVNIC POTES TATIS XV, die Errichtung dieses Denksteins im Jahre 212. Der Kaiser heisst darauf Britannicus und Parthicus, aber noch nicht Germanicus. Auf einem zu Steinbach in Baden gefundenen Meilenstein 2) führt er jene beiden ersten Beinamen ebenfalls. Das Jahr der „,tribunicia potestas" fehlt dort, dafür aber weisen die Worte COS IIII den Meilenstein dem Jahre 213 zu, in welchem Caracalla zum vierten Male das Consulat bekleidete, wie durch andere Quellen feststeht. Es muss demnach das Steinbacher Milliarium, auf dem Germanicus" gleichfalls fehlt, im Anfang des Jahres 213 errichtet worden sein, während der Sieg über die Alemannen etwa in den September jenes Jahres zu setzen sein wird. Denn die Kunde davon muss schon Anfang October nach Rom gelangt sein, woselbst, wie es in den erwähnten acta fr. Arval. heisst, schon pr. Non. Oct. (6. October) auf dem Capitol dafür von der Arvalbrüderschaft ein feierliches Dankopfer dargebracht werden konnte.

|

[ocr errors]

Die Anwesenheit Caracallas im unteren Maingebiet ergibt sich, wie längst feststeht, aus vielen inschriftlichen Denkmalen. Die acta fratrum Arvalium belehren uns aber auch darüber, dass sein Feldzug

1) Brambach, Corp. Inser. Rhen. 1424. Zuletzt publicirt durch v. Cohausen und Jacobi, Das Römercastell Saalburg ete., Homburg 1878, 21, IV. 2) Brambach, Corp. Inser. Rhen. 1962.

nicht vom Rhein, sondern von der oberen Donau, vom limes Raeticus aus, unternommen wurde. Von dorther drang das Römerheer durch das heutige bayerische Mittelfranken nach Unterfranken und dem Main hin vor. Es handelte sich darum, die Alemannen, welche schon dicht am Grenzwall, der nach Burgstadt am Main hinzog 1), in bedrohlichster Weise Posto gefasst hatten, aus diesen Sitzen zu vertreiben und weiter nach Osten zurückzudrängen. Nach einer anderen von Th. Mommsen in der „,Ephemeris epigraphica 1872, fasc. 1, 130 veröffentlichten Inschrift aus Aquino (Aquinum), begleitete der Proprätor der Provinz Rätien, Sabinus, den Kaiser als Befehlshaber verschiedener Detachements (vexillarii) in diesen Krieg. Durch jenes Zeugniss der Arvalacten wird die Ansicht J. Beckers (ausgesprochen in den Nass. Annalen X (1870), 174 in der Abhandlung „Die Rheinübergänge der Römer bei Mainz"), wie schon Holländer pag. 10, Anm. 2, bemerkt, hinfällig, dass Caracalla von Mainz aus gegen die Alemannen gezogen sei, wofür sonst die Wahrscheinlichkeit sprach 2). Caracallas Erfolge, oder besser ausgedrückt die seiner Feldherrn müssen trotz alles Uebeln, das ihm nachgesagt wird (Cassius Dio 77, 13 und 14), entscheidend gewesen sein, da wir nach jenem Feldzuge über 20 Jahre nichts von Angriffen der Alemannen auf die agri decumates hören. Erst um 235, kurz vor Severus Alexanders Tode, werden ie wieder erwähnt. Maximinus Thrax sichert dann 236 durch einen grossen siegreichen Zug Rhein- und Donaugrenze vor ihnen und anderen Germanenstämmen. Dieser Zug scheint am Limes die umgekehrte Richtung genommen zu haben, wie die Expedition Caracallas im Jahre 213 und den limes Transrhenamus entlang nach dem limes Raeticus und von dort nach Noricum und Pannonien hin gegangen zu sein. Er endete zu Sirmium, dem heutigen Mitrovitza an der Save, westlich von Belgrad. Kaum 20 Jahre später fiel der ganze Grenzwall nördlich des Mains mit allen römischen Castellen und Ansiedelungen, darunter auch die zu Mattiacum (Wiesbaden), zum grössten Theile auf immer, in die Hände der Alemannen und ihrer Nachbarn, der

1) Bei dieser Gelegenheit sei ein auffallender Fehler der sonst gründlichen Arbeit Holländers zur Sprache gebracht. Pag. 5 heisst es nämlich von der Richtung des limes Romanus: „Dieser Gränzwall begann bei Regensburg und wurde Von hier über Aschaffenburg bis nach Mainz (!!) fortgeführt". Ist Mainz a. a. O. vielleicht ein lapsus calami für „Ems“? Oder hat etwa Holländer den allgemein gehaltenen und nur die Richtung des Limes nach Nordwesten skizzirenden Ausdruck Th. Mommsens „Die Schweiz in römischer Zeit" Mittheil. d. antiquar. Gesellsch. z. Zürich IX, 2, 11) derart missverstanden? Auch J. Freudenberg, Bonn. Jahrb. 47/48 (1869) 175 macht in seiner Recension der Henzenschen Relazione auf die betr. Stelle der Arvalinschriften aufmerksam.

Annalen f. Nass. Alterthumsk. u. Geschichtsf. XV. Bd.

2

Franken. Die römische Cultur der agri decumates ward fast vollständig vernichtet. Einzelne besonders feste Punkte „,castella in solo barbarico" (H. A. trig. tyr. 5) wurden wohl noch gehalten oder von tapferen Kaisern der Folgezeit, wie Postumus, Laelianus, Probus neu befestigt. Bürgerliche Ansiedelungen der Römer gab es jedoch seit der Zeit des Gallienus (253-268 n. Chr.) auf dem rechten Mainufer und im Taunusgebiet nicht mehr 1), wofür wir auch in den Anhängen des von Th. Mommsen herausgegebenen Veroneser „,libellus provinciarum" vom Jahre 297 n. Chr. (Abhandlungen der Berliner Akad. d. Wiss. 1862, 489 ff.) die ausdrückliche Bestätigung finden.

2.

Nicht so einverstanden, wie hinsichtlich der Chronologie von Caracallas Alemannenfeldzuge, sind wir mit einer anderen Ansicht Holländers, 31 f. Dort nimmt auch er an, der Kaiser Claudius Gothicus (268-270 n. Chr.) habe am Gardasee (lacus Benacus) ein in Italien eingedrungenes Heer Alemannen in den Jahren 268 oder 269 geschlagen. Das Irrige dieser Ansicht, die sich noch in sehr vielen Geschichtswerken findet 2) und immer wieder auftaucht, wiesen wir 1868 in unserer Abhandlung „Claudius Gothicus. Ein Beitrag zur römischen Kaisergeschichte". Hanau. Gymn.-Progr., 25 ff. Anm. 2, ausführlich nach. Wir beschränken uns daher hier nur auf einige Bemerkungen, um darzuthun, dass auch die Beweisführung Holländers keine stichhaltigen neuen Argumente für die Richtigkeit jener Annahme beibringt.

Der Sieg des Claudius über die Alemannen am Gardasee ist nur durch eine einzige Quellenstelle bezeugt, nämlich durch die Epitome des Aurelius Victor de Caesaribus c. 34, eine Schrift, die wohl manche wichtige historische Angaben enthält, daneben aber von Unrichtigkeiten aller Art dermassen wimmelt, dass es oft schwer wird, in ihr das Wahre vom Falschen zu scheiden. Bei diesem Epitomator lesen wir a. a. O.:,,exstinctoque a suis Aureolo, receptis legionibus (Ms. regionibus; em. Schottus) contra aciem Alamannorum haud procul a lacu Benaco dimicans tantam multitudinem (sc. Claudius) fudit, ut aegre pars dimidia superfuerit". Trebellius Pollio, Zosimus und Zonaras, welche ebenfalls über die Thaten des Claudius berichten, kennen eine solche Schlacht nicht. Bei Zosimus und Zonaras, die lange nach dem dritten Jahrhundert lebten und bei der

1) Näheres über diese Frage s. in unserer Abhandlung: „Beiträge z. Erforschung u. Geschichte des Pfahlgrabens im unteren Maingebiet und der Wetterau“, 77 ff. — 2) So auch in dem neuesten Buche W. Arnolds Deutsche Urzeit“ (Gotha 1879), 136.

Erzählung von Ereignissen im Westen des römischen Reichs sich oft weniger gut unterrichtet zeigen, als in den Vorgängen des Ostens, kann man dies Schweigen noch erklärlich finden. Nicht so bei Trebellius Pollio, dem Servilsten der servilen ,,Scriptores Historiae Augustae", jener fünf jämmerlichen Geschichtschreiber, auf deren Notizenkram und Phrasenschwall wir leider bei vielen wichtigen Partien der Geschichte des dritten Jahrhunderts oft fast ganz allein angewiesen sind. Trebellius Pollio schrieb zur Zeit Diocletians und des Cäsar Constantius Chlorus, eines Grossneffen des Claudius Gothicus. Mit besonderer Rücksicht auf diesen Constantius, Constantins des Grossen Vater, ist seine 18 Kapitel enthaltende ,,vita Divi Claudii" abgefasst, in der das Möglichste an Kriecherei gegen die claudisch-constantinische Kaiserfamilie geleistet wird. So gern wir nun zugestehen, dass der historische Werth von Trebellius Pollios Schriften im Allgemeinen mit dem Prädicate gering" noch viel zu hoch taxirt ist, so wenig können wir uns denken, dass gerade er sich einen grossen Alemannensieg" des Ahnherrn dieses Kaiserhauses ganz hätte entgehen lassen. Es ist das um so weniger wahrscheinlich, als zur Zeit, wo Pollio schrieb, kaum 40 Jahre seit der Regierung des Claudius verflossen waren. Dagegen sind die Schriften des Aurelius Victor fast ein Jahrhundert nach dem Tode des Claudius abgefasst und die seinen Namen führende, bis zum Tode Theodosius des Grossen (395 n. Chr.) fortgesetzte Epitome, welche im 34. Kapitel jene Angabe über die Alemannenschlacht am lacus Benacus enthält, hat wohl erst im Beginn des fünften Jahrhunderts ihre jetzige Gestalt erhalten.

Da somit Aurelius Victors ohnehin sehr mässige Autorität allein der des Trebellius Pollio, Zosimus und Zonaras gegenübersteht, so würden die Gelehrten seiner Angabe, die sich noch dazu in einem Kapitel findet, das aus lauter Unwahrscheinlichkeiten und Unrichtigkeiten zusammengesetzt ist, wie wir in unserer früheren Abhandlung a. a. O. nachgewiesen haben, schwerlich grösseres Gewicht beigelegt haben, wenn nicht Münzen und Inschriften dieselbe zu unterstützen schienen. Es kommen nämlich fünf Arten Münzen des Claudius Gothicus mit dem Revers,,Victoria Germanica" und,,Victoria Germanica Maxima" vor. Eckhel d. n. VII, pag. 474. Cohen descr. V, 108 und eine Inschrift, Orelli I, 1024 add. 4985, zuletzt im Corpus Inscript. Lat. III. 1, 3521 (pag. 448) publicirt. Sie fand sich in der Provinz Pannonien bei Ofen und lautet in den hier in Betracht kommenden Zeilen: IMP · CAES MAVREL CLAVDIO GERMANICO etc. TRIB POTEST ·| III etc. Mehrere Legionen errichteten ihrem „unbesiegten" (INVICTO) Kaiser diesen Denkstein, dessen Anfertigung, wie aus dem beigefügten

« PreviousContinue »