behörde und Entschädigung des Pächters nicht durchgraben durften. Schon jetzt ergab sich indessen, dass die Mauern, welche wir blossgelegt hatten, von Dieffenbach gar nicht gesehen wurden, da bei ihm von einer Parallel mauer gar keine Rede ist, sondern nur von zwei rechtwinkelig aufeinander stossenden Mauerstücken, von welchen die eine Seite in einer Länge von 25 Schritten und zwar von Osten nach Westen streichend, sichtbar" war, an diese aber die zweite rechtwinkelig in der Richtung von Süden nach Norden" anstiess, die etwa 40 Schritt lang sichtbar" war. Dieser von ihm beschriebene Mauerwinkel befand sich indessen nach der Aussage eines jener vier Arbeiter, die 1845 auf Befehl des grossherzoglichen Rentamtmanns die Mauer ausgebrochen hatten, am westlichen Ende des grossen fiscalischen Ackers, der im Osten an das Frau Rousselle gehörige von uns durchgrabene Grundstück stösst. Die von Dieffenbach gesehene, „von Osten nach Westen streichende“ Mauer kann daher nicht die nördliche der beiden von uns gefundenen von Osten nach Westen ziehenden Parallelmauern sein. Denn addirt man die Länge dieser letzteren nördlichen Mauer, 22 Schritt, zu der Breite des anstossenden fiscalischen Ackers bis zu der Stelle, wo den Aussagen des Augenzeugen nach jener Mauerwinkel sich befand, so erhält man für diese Mauer eine Länge von mindestens 54 Schritt und nicht, wie Dieffenbach angibt, nur von 25 Schritt. Da Dieffenbach ferner die Länge der von Norden nach Süden ziehenden Mauer zu 40 Schritt angibt, der Abstand der beiden vom Hanauer Geschichtsverein aufgedeckten Parallelmauern aber nur 22 Schritt beträgt, so bleiben nur zwei Möglichkeiten übrig. Entweder die südliche 1875 aufgefundene, noch auf 25 Schritt erhaltene Parallelmauer bildete die Mittelmauer eines sehr grossen Gebäudes, zu dem der auf dem fiscalischen Boden liegende, von Dieffenbach gesehene Mauerwinkel gehörte, da die von Norden nach Süden ziehende Seite desselben ja 18 (40 minus 22) Schritt über sie hinausging oder, was viel wahrscheinlicher ist, wir haben es hier mit zwei verschiedenen grösseren Gebäuden zu thun, deren übrige Verbindungsmauern verschwunden sind. Wollen wir ferner dem Berichte von Calaminus Glauben schenken, so müssen auch noch weitere Häuser dort gestanden haben; aufgefunden wurde, wie schon früher bemerkt, von den von ihm 1845 genannten Grundmauern in Halbkreisform, wie sie römischen Gebäuden so oft eigen sind, keinerlei Spur. Diesen Stand der Frage suchte ich in einem Vortrage in der Generalversammlung des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M. am 27. Januar 1876 näher darzulegen 1). In Voraussicht der geringen Resultate, welche eine weitere Ausgrabung in dem fiscalischen Acker ergeben konnte, liessen wir, besonders als wir noch vernommen hatten, wie überaus gründlich das grossherzog 1) Vgl. Mitth. d. Frankf. Vereins f. Gesch. u. Altthskde. V, Nr. 3 (1877), pag. 319 f. liche Rentamt Seligenstadt gegen die dort gefundenen Mauerreste vorgegangen war, eine weitere Untersuchung der Stelle fallen und lehnten die uns vom historischen Verein zu Darmstadt zu fernerer Nachgrabung freundlichst angebotenen pecuniären Mittel dankend ab. Ob nun die römischen Gebäude der Mainspitze dem Inneren einer Befestigung angehörten, möchte sich nach diesen unvollkommenen Fundergebnissen wohl kaum bestimmt sagen lassen. Für bürgerliche Wohngebäude und die Betreibung von Ackerbau durch die Besitzer war die Stelle mitten im Strom jedenfalls seltsam gewählt. Zudem bleibt es sehr wahrscheinlich, dass die fast unangreifbare Maininsel, deren Vertheidiger zu einem Ausfall doch ziemlich rasch über den ungefähr 100 Schritt breiten alten Main" auf das Ufer übersetzen konnten, eine treffliche Deckung für die 600 Schritt westlich gelegene wichtige Furt über den Hauptarm bildete. Diese Furt bestand in einer mächtigen, quer durch den Strom vor dem heutigen Schlosse Philippsruhe sich hinziehenden Basaltader ganz ähnlicher Art, wie vor Kurzem erst wieder eine in dem immer mehr versandenden Mainbette bei Gross-Steinheim beseitigt wurde. Die Felsen der Furt bei Kesselstadt-Philippsruhe, die selbst bei mittlerem Wasserstande die Mainschifffahrt sehr erschwerten, wurden meistens erst im Laufe dieses Jahrhunderts nach und nach gesprengt. Trotzdem ist bei niederem Wasser die Stelle selbst heute noch schwer für grössere und stärker beladene Fahrzeuge passirbar. Die Benutzung dieser Steinschwelle zu militärischen Zwecken reicht bis in die neuere Geschichte. So liess am 11. Juni 1636 der kaiserliche General Lamboy beim Herannahen des aus Hessen und Schweden bestehenden Entsatzes des blokirten Hanau auf jener Furt aus seiner grössten Schanze bei Kesselstadt die Bagage über den Main nach seinem Hauptquartier GrossSteinheim hinüberschaffen 1). Dass die römische Befestigung nicht unmittelbar der Furt gegenüber, sondern einige hundert Schritt oberhalb derselben angelegt war, liesse sich aus zwei Gründen erklären. Einmal musste ein Flankenangriff auf den erst über den Strom herübergelassenen Gegner weit wirkungsvoller sein, als die Vertheidigung der Furt durch ein gerade davor angelegtes Castell. Befand sich doch ohnehin der Feind ausser Stande, den Uebergang zu benutzen, so lange die weiter oberhalb gelegene, leicht zu vertheidigende, aber schwer angreifbare Maininsel nicht in seinen Händen war. Dann aber war von der Maininsel aus der Ausblick auf den unmittelbar gegenüberliegenden Wachhügel des Säulingsbergs ein viel leichterer, als weiter unterhalb in der Nähe der Furt. Vom Säulingsberge aus konnte nach der Mainspitze jede Gefahr, die von dem nur 11/2 Stunden nach Osten entfernten Pfahlgraben her den römischen Ansiedelungen drohte, als 1) Vgl. A. Bornemann u. A. Duncker: „Zur Geschichte der Lamboy'schen Belagerung von Hanau“. Mitth. des Han. Bezirksvereins Nr. 5 (1876), pag. 157. bald signalisirt werden. Nach dem Säulingsberg hin muss sich vom Castell bei Rückingen her nördlich des grossen Bogens, den die Kinzig bei Hanau bildet, eine römische Strasse gezogen haben, freilich nicht eine grosse Heerstrasse, sondern eine solche zweiten Grades, die zugleich auch commerciellen Zwecken diente und schwerlich gepflastert war. Ihr zur Seite waren auch die Gräber angelegt, die man bei Rückingen, ferner auf dem Felde vor der neuen oder Wilhelmsbrücke östlich Hanaus und endlich am Abhange des Säulingsbergs fand. Sie wird im Allgemeinen die Richtung genommen haben, welche die sogenannte Leipziger Heerstrasse noch 1813 besass, als sie Napoleon I., um den Rückzug auf Mainz zu gewinnen, gegen Bayern und Oesterreicher in mörderischer Schlacht seiner letzten auf deutschem Boden! forcirte. Zweifellos stand der römische Uebergang an der Mainspitze auch in Verbindung mit der sogenannten „hohen Strasse", die von Novus Vicus bei Heddernheim kommend, über Bergen auf das Castell bei Marköbel am Pfahlgraben hinzog. Die Entfernung von ihr an der Stelle, wo sie die heutige Heerstrasse zwischen Rossdorf und Ostheim schneidet, bis zum Säulingsberg beträgt nur 2 Stunden. Das Terrain zwischen Säulingsberg und Mainspitze hat sich besonders seit 100 Jahren bedeutend verändert. Während früher beide Uferränder ziemlich gleich hoch lagen, ist seit 1768 auf der kurhessischen, jetzt preussischen Seite zur Abwehr der Mainfluthen und zum Schutze des Dorfes Kesselstadt der hohe und breite Strassendamm mit der Kinzigbrücke und mehreren Durchlässen aufgeführt, auf dem man von Hanau durch eine schöne Lindenallee zum landgräflich hessischen Schlosse Philippsruhe gelangt. Zur Römerzeit kann es bei den häufigen Hochwassern der Kinzig und des Mains nicht zu den Seltenheiten gehört haben, dass man von der nördlichen Abdachung des Säulingsbergs mit Kähnen oder Fähren direct nach der Maininsel übersetzte, weil der Wasserstand die Benutzung der Furt unmöglich machte. Vom linken Mainufer führten dann Verbindungswege nach den weiteren Ansiedelungen und Befestigungen der Agri decumates, deren nächste grössere, die von Seligenstadt, etwa 22 Stunden von der Fährstelle an der Mainspitze entfernt lag. Schon oben ist darauf hingewiesen worden, dass solche Uebergänge auf der Strecke Hanau - Kostheim noch mehrere vorhanden waren. Bei Frankfurt ist ein weiterer ähnlicher Punkt zu verzeichnen. Die etwas zu weit gehende Ansicht Römer-Büchner's in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Stadt Frankfurt und ihres Gebiets" (Frankfurt 1853), dass zur Verbindung des südmainischen Gebiets mit Novus Vicus „an gleicher Stelle, wo die (alte) Brücke steht, ein Uebergang über die daselbst im Main befindlichen Inseln sich befand, um die Verbindung mit dem Odenwald zu unterhalten", ist schon durch G. L. Kriegk, Arch. f. Frankf. Gesch., N. F., I (1860), pag. 67 f., dann durch F. Scharff, Arch. f. Frankf. Gesch., N. F., III (1865), pag. 221 ff., endlich besonders durch A. v. Cohausen, Mitth. des Frankf. Ver. f. Gesch. u. Alterthskde., III, pag. 101 u. 164 f., von Letzterem nach einer genauen Untersuchung der alten Flussläufe zwischen Frankfurt und Sachsenhausen, auf das richtige Mass zurückgeführt worden. Novus Vicus, wahrscheinlich auf den Trümmern einer früheren römischen Ansiedelung am Ende des I. Jahrhunderts erbaut und desshalb so benannt, muss, wenn wir die inschriftlichen und sonstigen Funde in Betracht ziehen, seine Blüthe am Ausgang des II. und im Anfang des III. Jahrhunderts erreicht haben. Es besass ausser der Verbindung mit Castellum Mattiacorum auf der grossen über Hofheim ziehenden und noch heute theilweise erhaltenen Heerstrasse und ausser der Communication mit der Befestigung bei Höchst, schon aus Rücksichten des Handelsverkehrs einen noch kürzeren Verbindungsweg (trames) mit dem südlichen Mainufer, der über Eckenheim ging und im heutigen Frankfurt am Ende der Fahrgasse an der Furt endete, die nachmals zur Frankenzeit der villa regial und dann der Stadt den Namen gab. Eine Strasse von grösserer strategischer Bedeutung war dieser Richtweg nicht, wird indessen für die Fuhrwerke der Landleute und Händler, die clabularia, plaustra und carri, welche mit Ochsen, Maulthieren oder Eseln bespannt zur Furt und Fähre hinabzogen, ausgereicht haben. Auf dieselbe Communication waren die Bewohner der römischen Ansiedelung bei Bergen. angewiesen, sofern für diese nicht, was sehr wahrscheinlich, ein noch näher gelegener Uebergangspunkt in der Richtung der alten Berger Strasse bei der Steinschwelle und Furt Kaiserlay, südöstlich der jetzigen Röder Höfe, oder bei dem heutigen Offenbach existirte. Der Name Eselspfad", der sich auch in der Maingegend vielfach für alte Strassen und Richtwege findet, mag wohl öfters seinen Ursprung bis in die Zeiten des römischen Verkehrslebens hinaufführen, als die heute noch im Süden als Lastthiere vorwiegend verwendeten Maulthiere und Esel als Bespannung und als Saumthiere weit mehr benutzt wurden als Pferde und Ochsen. Die Furt zwischen Frankfurt und Sachsenhausen war zur Römerzeit ebensowenig für Heere oder grosse Truppenkörper verwerthbar, als die bei Kesselstadt am Schlosse Philippsruhe. So möchte ich auch den von mir in meinen „Beiträgen zur Geschichte des Pfahlgrabens", pag. 48 gebrauchten Ausdruck: Die Mainfurt bei Sachsenhausen war zu römischer Zeit noch nicht in Benutzung“, verstanden wissen. Allein für die Besatzungen einzelner Limescastelle, die sich vor dem übermächtig andringenden Feinde über den Main zurückzogen, wenn ihnen sogar die Mauern von Novus Vicus, der am weitesten nach Osten vorgeschobenen grösseren Römerfeste, nicht hinlänglichen Schutz mehr gewährten oder ihnen der Rückzug dorthin verlegt war- für solche Truppenabtheilungen reichten Uebergangspunkte aus, wie der bei Kesselstadt durch die Maininsel geschützte oder die nachmalige von Einhard 793 zuerst genannte „Franconofurd", an der Karls des Grossen Palatium lag. Mehr noch benutzt waren beide jedenfalls beim Handelsverkehr, den die Provinzialen untereinander und mit den benachbarten Germanenstämmen betrieben. So war es zu den Zeiten Hadrians und der Antonine, als sich auch das Grenzland glücklicher Friedenstage erfreute, man fast den militärischen Character des Grenzwalls vergessen hatte und seine Castelle und Warten mehr als Markzeichen der „Ausbuchtung" des Römerreichs, des „sinus imperii", wie Tacitus unsere Gegend nennt, denn als Vertheidigungslinie ansah. Mit dem 4. Decennium des III. Jahrhunderts freilich änderte sich die Situation ganz und gar. Das vorher so blühende Grenzland ward ein Schauplatz andauernden furchtbaren Ringens zwischen den Römern und ihren germanischen Gegnern, den Alemannen und Franken, bis endlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Römer nach blutigen Kämpfen über den Main zurückgeworfen wurden. Dort behaupteten sie sich noch mit Mühe bis zum Beginn des IV. Jahrhunderts. Am Ende des III. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung mag jene Furt, dem heutigen Sachsenhausen gegenüber, den Franken, die schon Herren des rechten Mainufers waren, bei ihren fortwährenden Angriffen auf das Römerland jenseits des Mains besonders dienlich gewesen sein und daher ihren Namen erhalten haben. Schliesslich räumten die Legionen fechtend auch die Positionen zwischen Main und Rhein und beschränkten sich, einzelne Vorstösse abgerechnet, lediglich auf die Vertheidigung des linken Rheinufers, bis in den Tagen Stilicho's auch diese ihre letzte und stärkste Linie von der Jugendkraft der deutschen Stämme für immer durchbrochen ward. Ueber die Gründlichkeit der Vernichtung der römischen Niederlassungen und Festen in unserer Gegend kann Niemand genauere Auskunft geben als die erfreulicher Weise immer zahlreicher werdenden Männer, welche Wissensdrang und Neigung der Erforschung dieses dunkeln und schwierigen, darum aber nicht minder hochinteressanten Theils der vaterländischen Vorgeschichte zuführen. Wenn ich daher auch das Ueberschlagen dieser naturgemäss trockenen Schilderung eines römischen Mainübergangs im germanischen Grenzlande Vielen nicht verübeln kann, so hoffe ich doch andererseits, dass auch wieder einige Leser dieser Annalen sie mit wohlwollenderen Augen betrachten und ansehen werden als das, was sie sein möchte als einen kleinen Baustein zu der noch keineswegs sicher fundirten Topographie der Agri decumates. |