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dass auch die „Auffindung" des nördlichsten Theiles dieser bei Arnd verzeichneten Linie, nämlich von der Mümling bis zur Gersprenz ebenfalls Arnd selbst zu verdanken ist! Nach dessen eigenen Worten (Pfahlgr., pag. 20) fand sich vor ihm über diese Strecke in der Literatur nirgends eine Notiz"! Dieser Hinweis reicht aus, die Mitforscher auf hessen-darmstädtischem Gebiet, die, wie mir bekannt, von Arnds Resultaten grösstentheils durchaus nicht überzeugt sind, mindestens zur Vorsicht zu mahnen und ihnen die Verpflichtung aufzuerlegen, die mittelalterlichen Landwehren und Gemarkungsgrenzen jenes Landstrichs zum Gegenstand eines näheren Studiums zu machen. Sie werden insbesondere auch zu untersuchen haben, was aus dem im vorigen Jahrhundert noch mit Wasser angefüllten breiten Landwehr graben geworden ist, der an der Mümling nordöstlich Hainstadts begann, sich östlich Schafheims hinzog und sich westlich Stockstadts wieder mit der Gersprenz vereinigte. Er ist auf Karte 24 des „Atlas compendiarius quinquaginta tab. geogr. Homannianarum, Nürnberg 1752 (im Register Mayntz und Oberhessen"; auf dem Titel der Karte steht Anderer und minderer Theil des gantzen Hochlöbl. Fränckischen Craises") noch unter zweimaliger Beifügung des Wortes „Landwehr“ verzeichnet. Eine höchst frappante Aehnlichkeit mit der Richtung der von Arnd construirten Mümling-Gersprenzlinie, die bis auf seine Zeit merkwürdiger Weise „noch nirgends in der Literatur notirt" war, ist ihm nicht abzusprechen.

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Die Existenz der starken, von der Mudau aus der Gegend des Castells von Walldürn, vielleicht auch vom Hauptwalle des Limes Transrhenanus zur Mümling ziehenden Wehr, welche zur weiteren Sicherung dieses für den Odenwaldübergang besonders wichtigen Abschnitts diente, ist vor nahezu 70 Jahren, als noch weit mehr Spuren und Ueberreste vorhanden waren, durch J. F. Knapp in seinen Römischen Denkmalen des Odenwalds" (1813, 2. Aufl., ed. H. E. Scriba, Darmstadt 1854) nebst ihren Castellen unzweifelhaft festgestellt worden. Knapp (2. Aufl., pag. 77) nimmt mit vieler Wahrscheinlichkeit das nördliche Ende dieser Linie bei Obernburg an. Doch meint er, dass sich diesem Städtchen gegenüber der Wall auf dem rechten Ufer in der Richtung auf Aschaffenburg fortgesetzt habe. Dass er mit dieser durch nichts unterstützten Vermuthung nur Ch. E. Hanselmann und Wenck folgt, wies ich Pfahlgr., pag. 66 f. nach.

Die Castelleigenschaft der ausgedehnten römischen Niederlassung am rechten Kinzigufer auf der sogenannten „Altenburg" bei Rückingen vermag Hübner immer noch nicht zuzugeben. Pag. 19 sagt

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er darüber: „Die schon bei Brambach1) verzeichneten Legions- und Cohortenziegel, welche sich hier und in den nächsten Umgebungen in beträchtlicher Menge vorgefunden haben, machen es allerdings unzweifelhaft, dass irgendwo in der Umgebung ein römischer Lagerplatz gelegen war". Jeder Kenner der Gegend aber muss darauf antworten, dass dieses irgendwo schon längst bekannt und ganz genau begrenzt ist. Der Felddistrict Altenburg" begreift, wie auch schon Arnd, Pfahlgr., pag. 10 zugibt, eine flache Anhöhe von etwa 20 Morgen Quadratinhalt. Seine Grenze bilden: 1) nach Norden die von Hanau in das Kinzigthal ziehende Landstrasse, gewöhnlich die Leipziger Strasse genannt; 2) nach Westen der von Norden her der Kinzig zuströmende Bach Langewassergraben"; 3) nach Osten 2) der ebenfalls in der Richtung von Norden nach Süden fliessende Heidengraben"; 4) auf der südlichen Seite erstreckt sich das Feld bis in die Nähe der Kinzig. In diesem Terrain und sonst nirgends in der Umgebung stösst man immer noch auf zahlreiche Spuren römischen Mauerwerks. Dort liess Fürst Karl zu Isenburg-Birstein 1802-1804 die Fundamente des von der 3. dalmatischen Cohorte aufgeführten Gebäudes blosslegen, das bis auf den heutigen Tag noch auf den Karten den irrthümlichen Namen des „Römerbades" führt. Vgl. darüber Schlereth in Arnds Zeitschr. f. d. Prov. Hanau, Bd. I, pag. 207 ff. und meine Ausführungen im „Römercastell bei Rückingen", Hanau 1873, pag. 5 f., pag. 13 ff. und Plan III, sowie in meinem „Pfahlgraben“, Excurs II, pag. 86 ff. Oestlich des Baches „Heidengraben“ führt auch ein grösserer Felddistrict den Namen der Heidengraben". Vgl. m. Pfahlgr., pag. 39 ff. Die grosse Ausdehnung der Fundamentmauern auf der „Altenburg" bestätigten neuerdings wieder mehrere Ausgrabungen, die im Frühjahr und Herbst 1879 von den Herren Akademiedirector Hausmann, GymnasialOberlehrer a. D. Dr. R. Suchier und mir dort vorgenommen wurden 3). Ueber den Zug dieser römischen Mauern und die Lage der dort früher befindlichen Gebäude sollen erst nach der Vornahme weiterer in Aussicht genommener Ausgrabungen des Hanauer Geschichtsvereins nähere Mittheilungen publicirt werden. Zugleich damit werden denn

1) C. J. Rhen. 1436. Dort stehen indessen nur ganz wenige, während im Römercastell von Rückingen“ Hanau 1873, pag. 32-35 sehr viele und zwar die mannichfaltigsten Arten und Formen eingehend besprochen sind. 2) In meiner Abhandlung über den Pfahlgr. ist ein Druckfehler stehen geblieben. Pag. 39 heisst es dort: Bekannt ist schon, dass der Graben westlich der Rückinger Altenburg den Namen des „Heidengrabens“ führt. Es muss heissen: „östlich der R. Altenburg". - ) Ueber die erste dieser Untersuchungen gab ich ausführliche Nachricht in den „Mittheilungen an die Mitglieder des hess. Geschichtsvereins“, Jahrg. 1879, Heft II, pag. 14 ff., worauf ich hier verweise.

auch wohl für den im Regierungsbezirk Cassel gelegenen Theil des Limes die von Hübner mit Recht verlangten Zeichnungen und Profile veröffentlicht werden müssen.

Das 1872 vom Hanauer Verein aufgedeckte Todtenfeld der Besatzung des Castells liegt über 400 Schritt nordwestlich der „Altenburg" auf der entgegengesetzten Seite der Leipziger Strasse.

Die Hunderte auf der Altenburg" gefundener Legions- und Cohortenziegel (XXII. Legion, 3. Cohorte der Dalmater, 4. Cohorte der Vindelicier), zu welchen bei jeder Ausgrabung neue Fundstücke hinzukommen, haben Herrn Hübner bis jetzt vom militärischen Character der Niederlassung noch nicht überzeugt. Man gestatte mir hier zu den früher in meinen beiden Abhandlungen angeführten Gründen für die Befestigung des Platzes noch zwei Bemerkungen hinzuzufügen. Zugegeben auch, die in den Maingegenden sehr häufig vorkommenden Ziegel der 22. Legion und der 4. vindelicischen Hülfscohorte seien von diesen Truppentheilen in Masse fabricirt und auch zum Bau bürgerlicher Niederlassungen abgegeben oder an die Provinzialen verkauft worden, so muss doch bei einer bürgerlichen Niederlassung das zahlreiche Vorkommen von Ziegeln der 3. Cohorte der Dalmater, (nach Mommsen auch Pia Fidelis zubenannt) auf der „Altenburg" befremden, die sich in den Rhein- und Maingegenden meines Wissens ausserdem nur im Castell zu Wiesbaden (Mattiacum) und dessen nächster Umgebung vorgefunden haben. Vgl. Rossel, Militärdiplom Trajans aus dem Castell zu Wiesbaden, pag. 47 f. Sollten wirklich die Ziegler der zu Wiesbaden garnisonirenden 3. dalmat. Cohorte Steine zum Bedarf für eine 15 Stunden entfernte Ansiedelung an der Kinzig geliefert haben, welcher wichtige römische Niederlassungen doch so viel näher lagen?

Fast scheint es, als ob die Besatzungstruppe der „Altenburg" schon eine Ahnung davon besessen hätte, dass die Nachwelt einmal ihre kriegerische Qualification anzweifeln würde. Daher hinterliess sie uns in einigen Graffiten, die ich vor sechs Jahren im „Römercastell bei Rückingen" publicirte, gleichsam ein „testamentum in procinctu“. Ist doch auf einem dort gefundenen Schalenfragmente durch einen Soldaten sogar eine Centurie bezeichnet, die zeitweise, wohl gemeinsam mit anderen Detachements, auf der „Altenburg" lag. Der Soldat kritzelte in die Schale die Worte: Centuria Virilis '). Das letztgenannte Wort „Virilis“ kann möglicherweise als Epitheton ornans der Centurie, aber auch als Name ihres Centurionen aufgefasst werden, wie jeder Epigraphiker zugeben wird. Den auf derselben Sigillata

1) Vgl. Römercastell bei Rückingen“, pag. 39 ff.

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schale und auf einer zweiten sich findenden Ausdruck Contubernius" erklärte ich in der genannten Schrift, wo alles Nähere über die beiden Griffelinschriften nachzulesen ist, für einen Ausdruck der lingua rustica. statt des schriftgemässen Contubernalis (Zeltkamerad). Beide Gefässe scheinen danach von milites barbari, vielleicht Dalmatern oder Vindeliciern, mit dem Zeichen der Corporalschaft (contubernium) versehen worden zu sein. Der Name Virilis findet sich auch als Cognomen eines Vitalius auf einem Erinnerungsmonument zu Augsburg (Augusta Vindelicorum), der Hauptstadt der Vindelicier. S. dar. Mezger, die röm. Steindenkmäler u. s. w. des Maximilianeums zu Augsburg. C. XVI, pag. 44 f.; Th. Mommsen C. J. L. III, 2, pag. 719, Nr. 5851. Doch möchte ich damit keineswegs die vindelicische Herkunft des Centurio auf der „Altenburg" behaupten, da das Cognomen Virilis sehr häufig vorkommt und man es vermeiden soll, durch die Beihülfe epigraphischer Indices sich in einen wohlfeil erworbenen Nimbus von Gelehrsamkeit zu hüllen.

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In Betreff der Arbeit über das Römercastell bei Rückingen und insbesondere die Conjectur, dass die Conjectur, dass Contubernius Contubernalis sei, schrieb mir am 7. December 1873 Herr Oberbibliothekar Professor Dr. Wilhelm Brambach aus Karlsruhe: Es hat mich ausserordentlich gefreut, dass Ihre Landschaft endlich einer zuverlässigen und kritischen Untersuchung unterzogen worden ist, was bis jetzt so gut wie gar nicht geschehen war. Ueberall, wo ich Ihrer Untersuchung folgen konnte, habe ich ein richtiges Vorgehen und stichhaltige Resultate gefunden. Um noch eine Einzelheit, die mir besonders gefallen hat, zu erwähnen, erkläre ich mein Einverständniss zu der schönen Conjektur Contubernius.

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Ob die Ausgrabungen auf der Rückinger Altenburg" noch weitere und noch deutlichere Proteste römischer Krieger gegen die Degradirung ihres Castells mit seinem Barackenlager (Canabae) zu einer Ansiedelung von Provinzialen von dem Genre des taciteischen Levissimus quisque Gallorum, inopia audax" zu Tage fördern werden, bleibt der Zukunft anheimgestellt. Mir und wohl auch noch vielen Anderen erscheinen die bisher dort gemachten Funde und Wahrnehmungen mehr als hinreichend, um die Eigenschaft des Platzes als Limescastell zu beweisen.

Bezüglich des sogenannten von Arnd angeblich entdeckten „äusseren" Limes durch Hochspessart und Vogelsberg, den Herr Professor Hübner immer noch vertheidigen zu müssen glaubt, wenn auch, wie er selbst zugibt (pag. 23) seine Gründe nicht ausreich m seine Existenz gegen jeden Zweifel sicher bleibe ich gleichfalls bei meiner Ansicht. Wenn

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wirklich eines Tages an dem alten germanischen Rennpfade, der sich über die Spessarthöhe hinzieht, unzweifelhafte Ueberreste auch nur eines einzigen römischen Castells oder einer einzigen römischen Ansiedelung gefunden werden sollten, bin ich gern bereit, den Manen Steiners und Arnds feierlichst Abbitte zu thun. Bis dahin aber beschuldige ich den Ersteren, den Spessartlimes, wie er auch auf der Kiepert'schen Karte zu Hübners Abhandlung im 63. Heft der Bonner Jahrbücher verzeichnet ist, erfunden und den Zweiten, die Steinersche Hypothese insbesondere für den Vogelsberg noch weiter ausgebildet zu haben 1). Vorerst bleibe ich der getrosten Zuversicht, dass ich nie in jene Nothwendigkeit eines Pater peccavi" versetzt werde.

Nach einer soeben erschienenen Abhandlung Irle's: „Die Mark Altenstadt" (1. Jahresbericht des oberhessischen Vereins für Localgeschichte, 1879), pag. 25 scheint sich übrigens auch anderwärts erfreulicher Weise die Einsicht Bahn zu brechen 2), dass auch die Theorie vom äusseren grossen Römerwalle durch Spessart und Vogelsberg, mag man dessen Bau nun dem Kaiser Probus oder sonstwem zuschreiben, zu den vielen unhaltbaren Leistungen Arnds auf wissenschaftlichem Gebiete zu rechnen ist.

1) Vgl. die Karte zu Steiners „Gesch, und Topographie des Maingebiets unter den Römern", Darmstadt 1834 und die Karte zu Arnds „Pfahlgraben", die ich nach Verbesserung sehr vieler darauf falsch angeführter Ortsnamen meinem „Pfahlgraben“ beigegeben habe. — ) Vgl. auch Liter. Centralblatt 1879, Nr. 19, pag. 604 f.

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