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XIV.

Ueber die Höhlenfunde in der Wildscheuer und dem Wildhaus bei Steeten an der Lahn.

(Hierzu Tafel VII, VIII, IX, X.)

Von

Dr. H. Schaaffhausen,

Geh. Medicinalrath und Professor zu Bonn.

(Vgl. Ann. XIII, 1874, pag. 380.)

Die mit eingeklammerten Zahlen sind die Nummern, welche die Stücke im Alterthumsmuseum zu Wiesbaden tragen.

Die gänzliche Ausräumung einer mit Löss angefüllten Höhlenspalte in einem Seitenthale der Lahn bei Steeten, welche unter Leitung des Herrn von Cohausen im Jahre 1874 stattfand, hat für die Untersuchung der Frage, ob der Mensch schon mit dem Mammuth gleichzeitig in Europa gelebt hat, sehr wichtige Ergebnisse geliefert. Unter den hier gemachten Funden, über die ich bereits in der Generalversammlung des naturhistorischen Vereins in Bonn am 2. October 1876, in der Sitzung der Niederrhein. Gesellschaft vom 7. Mai 1877 und bei der Anthropologenversammlung in Constanz am 27. September desselben Jahres berichtet. habe, sind Reste des Mammuth und Rhinoceros, der Hyäne, des Bären, des Ochsen, des Hirsches und Rennthieres, besonders aber vom Menschen bearbeitete Stücke von Mammuthzahn und von Mammuthknochen, sowie menschliche Gebeine, zumal der obere Theil eines Menschenschädels von eigenthümlicher und unvollkommener Bildung bemerkenswerth und von grösster Bedeutung für die Vorgeschichte unseres Landes.

Früher hatte man mit E. Robert (Comptes rendus, S. d. 18. Mai 1863), gesagt, der Mangel verarbeiteten Elfenbeins spreche gegen die Gleichzeitigkeit von Mensch und Mammuth. Aber de Vibraye hatte schon 1860 ziemlich gute Arbeiten auf Elfenbein in den Grotten von Arcy sur Cure gefunden, und unter den in den Jahren 1863 bis 1865 in den Grotten von Perigord gefundenen Mammuthzähnen zeigten 14 unzweifelhafte Spuren menschlicher Arbeit. Auch führt de Vibraye eine zu

Annalen f. Nass. Alterthumsk. u. Geschichtsf. XV. Bd.

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Tayac gefundene weibliche Statuette von Elfenbein an. Aufsehen machte ein im Mai 1865 in einem der Foyers de l'Angerie basse gefundener Rennthierknochen mit einem Thierkopf, der nur der des Mammuth sein konnte, doch ist das Ohr des Kopfes schmal und dem Auge näher gestellt; vgl. Annales des sc. nat. 1865, IV, pag. 356; auch fand sich ein kleines Elfenbeinstück mit tiefen Einschnitten, eine Pfeilspitze und eine Pfrieme von Elfenbein. Im Jahre 1865 machte dann Lartet die berühmt gewordene Elfenbeinplatte mit dem eingeritzten Bilde eines Mammuth oder, wie es scheint, zweier Mammuthe mit langer Mähne bekannt, welches zuerst an den zusammengelegten Stücken von Falconer erkannt wurde, der mit Lartet an den Fundort gekommen war. Man nahm an, dass diese Zeichnung nur von einem Menschen gemacht sein konnte, der das Mammuth lebend gesehen hatte.

Die bearbeiteten Knochen und Zahnstücke des Mammuth aus der Wildscheuer" haben einen um so grösseren Werth, als an ihrer Aechtheit nicht gezweifelt werden kann, und die Einfachheit und Ursprünglichkeit der darauf angebrachten Strichverzierungen mit den ersten Bildungszuständen des Menschen in einer besseren Uebereinstimmung stehen, als es bei manchen der auf Rennthierknochen und Mammuthszahn angebrachten Thierbildern aus Südfrankreich der Fall ist. Lindenschmit hat die Fälschung einiger der in der Höhle von Thayingen gefundenen geschnitzten Rennthierknochen nachgewiesen, vgl. Archiv für Anthropologie 1876, IX, pag. 173.

Bereits vor zehn Jahren habe ich meine Bedenken gegen das hohe Alter der in Perigord gefundenen geschnitzten Rennthierknochen und ihre Herkunft von einem rohen Jägervolke ausgesprochen und mehrere der auf der Weltausstellung in Paris ausgelegten auf Stein geritzten Thierbilder für falsch erklärt; vgl. Verhandl. des naturhist. Vereins, Bonn 1866, Sitzungsberichte, pag. 77. Diese Zweifel habe ich wiederholt bei dem 1868 in Bonn abgehaltenen internationalen Congress für Alterthumskunde und Geschichte, vgl. Archiv für Anthropologie 1869, III, pag. 338, und bei der Versammlung deutscher Aerzte und Naturforscher in Wiesbaden im Jahre 1873, vgl. Bericht über dieselbe pag. 192. Bei der letzten Gelegenheit habe ich auch die Gründe zusammengestellt, wesshalb mir die Aechtheit des Mammuthbildes auf der Lartet'schen Platte verdächtig ist. Dieselben sind noch einmal angeführt in einem Aufsatze über Lubbock's Darstellung der Urgeschichte im Archiv für Anthropologie 1876, VIII, pag. 264, sowie in den Verhandlungen des Anthropologen-Congresses in Constanz, vgl. Bericht, pag. 114. Wenn die Mammuthbilder nicht mehr als zuverlässig gelten können, so bleiben für die Gleichzeitigkeit des Menschen und des

Mammuth nicht eben zahlreiche Beweise übrig. Neben dem bearbeiteten fossilen Elfenbein, welches auch von Dupont in den belgischen Höhlen und vom Grafen Zawisza in der Mammuthhöhle bei Krakau gefunden wurde, bleibt der sicherste Beweis noch immer der Fund im Löss bei Egisheim im Elsass, wo sich das Bruchstück eines Menschenschädels niederer Form nach der genauen Untersuchung von Scheurer-Kestner chemisch ebenso verändert zeigte, wie die in derselben Erdschichte gefundenen Mammuthknochen. Da heute der grösste Theil des zumal in England verarbeiteten Elfenbeins fossiles vom sibirischen Mammuth ist, so kann man vermuthen, dass der vorgeschichtliche Mensch ebenfalls die Mammuthzähne, die er im Boden fand, bearbeitete. Aber ist es nicht die Kälte des Polarklimas, welche dem sibirischen Mammuthzahn eine viel grössere Festigkeit bewahrt hat, da sie sogar die Zerstörung der Weichtheile dieses Thieres verhindern konnte? In der That sind die im mittleren und westlichen Europa jetzt gefundenen Fangzähne des Mammuth so mürbe und brüchig, dass sie irgend eine Bearbeitung nicht aushalten würden. Wir wissen indessen nicht, wie ihre Beschaffenheit vor 3000 bis 4000 Jahren etwa war. Eine zweifellose Gewissheit, dass das damals verarbeitete Elfenbein nur vom lebenden Mammuth genommen sein kann, haben wir nicht.

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Es sind sogar Gründe vorhanden für die Annahme, dass man in prähistorischen Zeiten schon fossiles Elfenbein bearbeitet hat. Der Mensch, welcher die Höhlen bewohnte, wird dasselbe nicht selten im Boden derselben gefunden haben. Die im Königl. Naturalien-Kabinet in Stuttgart vorhandene Gruppe von 13 Stosszähnen und 3 Backenzähnen vom Seelberg ist auf Befehl des Königs Friedrich von Württemberg genau in der Lage aufgestellt, wie sie im October 1816 im Boden gefunden worden war. Die Fangzähne sind so regelmässig übereinander gelegt, dass nur der Mensch sie in diese Anordnung gebracht haben kann. Eine ähnliche Anhäufung von Mammuthzähnen fand sich am Tieder Hügel bei Braunschweig. Buckland (Reliqu. Diluv., London 1823, pag. 180) lässt diese Ansammlung durch Diluvialfluthen geschehen, aber die Zähne zeigen keine Spur der Rollung. Er führt pag. 87 an, dass er in der Pavilandhöhle am Fussknöchel eines weiblichen Skelets eine kleine Menge Adipocire und mehrere 1-4" lange Stäbchen von Elfenbein mit Dendriten bedeckt gefunden habe, und glaubt, diese seien von fossilem Elfenbein gemacht, als dieses noch hart war. Die menschlichen Gebeine, bei denen auch bearbeitete Knochenstücke, eine Muschelschale von Nerita und zahlreiche Stücke Röthel lagen, können unzweifelhaft für gleichzeitig oder älter als die Römerzeit gehalten werden. Für das Alter der Elfenbeinschnitzerei, einer heute noch in

England blühenden Industrie, bringt Buckland ein wichtiges Zeugniss bei. Strabo sage nämlich, IV, c. 6, dass man den Briten als Steuer Elfenbeinringe und Halsbänder, ligurischen Stein und Glasgefässe auferlegt habe. Die Stelle lautet aber nach der Uebersetzung des Prof. Bergk hierselbst: „sie zahlen bis jetzt keine schweren Zölle, weder für die Ausfuhr noch für die Einfuhr. Diese sind aber elfeinbeinerne Armringe und Halsketten, lingurischer Stein und Glasgefässe und andere kleine Waaren". Karcher übersetzt: „elfenbeinerner Zaumschmuck und Halsketten, Gefässe von Bernstein und Glas und andere dergleichen unbedeutende Waaren". Das Wort yaλia heisst gewöhnlich Armring aber auch Kinnkette des Pferdzaumes, Tepiavɣévia heisst das, was um den Hals getragen wird, der lingurische Stein ist der Bernstein, der nach Strabo im Lande der Linguren um Genua im Ueberflusse gefunden wird, er fügt hinzu, dass einige ihn Electrum nennen. Der Fund von Bernstein in Oberitalien ist neuerdings bestätigt worden. Auf dem Congresse in Stockholm hat Capellini darüber Mittheilungen gemacht. Nach der Stellung der Worte Ausfuhr und Einfuhr im Vordersatze Strabo's sind unter den im zweiten Satze angeführten Gegenständen des Handels zwischen Britannien und Gallien die elfenbeinernen Sachen und der meist aus dem Norden bezogene Bernstein wohl als die Ausfuhr aus Britannien, die Glasgefässe und andere Kurzwaaren als die Einfuhr zu betrachten. Dass die Briten die genannten Dinge als Tribut statt der Steuern entrichtet hätten, geht nach Bergk aus den Worten des Schriftstellers durchaus nicht hervor. Wenn die Briten in jener Zeit aber Elfenbein verarbeiteten, so muss es fossiles gewesen sein, welches in ihrem Lande wie in Gallien nicht fehlte. Ist die Annahme richtig, dass die Mammuthzähne unserer Höhlen vor 2000 bis 3000 Jahren noch so fest waren, dass sie bearbeitet werden konnten, so gewinnen wir einen Massstab für die Zeit, in welcher das Mammuth noch lebte, und dieselbe erscheint dann weniger fern, als sie gewöhnlich geschätzt wird. Wenn 2000 bis 3000 Jahre hinreichten, um die Zahnsubstanz des Mammuth mürbe zu machen, so wird sie damals, als sie noch hart war, noch keine so lange Zeit im Boden gelegen haben. Die Kälte unserer Vorzeit kann auf die im Boden Westeuropa's begrabenen Reste des Mammuth ihren erhaltenden Einfluss gewiss nicht in dem Masse geltend gemacht haben, wie es in Nordasien der Fall war, wo in dem stets gefrorenen Boden sogar die Weichtheile dieser Thiere sich erhalten konnten. Es hat also, vorausgesetzt, dass die Briten und Gallier das fossile Elfenbein in unseren europäischen Höhlen und Anschwemmungen noch im harten Zustande fanden, so dass sie dasselbe bearbeiten konnten, die Schluss

folgerung eine gewisse Berechtigung, dass, wenn in 2000 Jahren das in unserem Boden begrabene fossile Elfenbein so mürbe geworden ist, wie wir es jetzt finden, die Thiere, von denen es herkommt, vor kürzerer Zeit als vor 4000 Jahren noch gelebt haben müssen, weil, wenn ihre Reste älter wären, sie vor 2000 Jahren auch schon so mürbe gewesen sein würden, wie sie im Laufe der letzten 2000 Jahre es geworden sind.

Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht vielleicht auch die classischen Völker, welche das Elfenbein zu Kunstarbeiten so allgemein verwendeten, neben dem frischen auch schon fossiles Elfenbein bearbeitet haben. Winckelmann (vgl. Sämmtliche Werke h. von S. Eiselein, 1825, III, pag. 99) sagt: „In Elfenbein wurde schon in den ältesten Zeiten der Griechen geschnitzt und Homer redet von Schwertgriffen und Schwertscheiden, ja von Betten und von vielen anderen Sachen, welche daraus gemacht waren". Er führt dann zahlreiche Kunstwerke, auch Statuen aus Elfenbein an und bemerkt, von letzteren habe sich, kleine Figuren ausgenommen, keine Spur gefunden, weil Elfenbein sich in der Erde. calcinire. Am olympischen Zeus von Phidias waren indessen, was auch von anderen Statuen gelten mag, nur die nackten Theile von Elfenbein, Gewand und Haare von Gold. Jedenfalls war das fossile Elfenbein den Alten bekannt. Plinius 1. XXXVI, c. 18 sagt, Theophrastus behaupte, dass das fossile Elfenbein von weisser und schwarzer Farbe gefunden werde und dass es wie die Knochen in der Erde von selbst entstehe, es würden weichere Steine gefunden. Joh. Lucas Rhiem, Disput. med. inaugur. de ebore fossili, Altdorf 1682, stellt chemische Untersuchungen mit demselben an und rühmt seine Wirksamkeit gegen Krankheiten und Vergiftungen. Er erklärt dasselbe für ein Mineral, weil es an vielen Orten gefunden werde, wo der Elephant niemals gelebt habe. Das in Italien gefundene bezieht er aber auf die Elephanten, die Hannibal aus Afrika dahin geführt habe. Auch spricht er von einem 11⁄2 Pfund schweren Zahn, den der Prof. Wartenberg von dem Skelet eines Riesen genommen, welches man 1645 in Grembs in Oesterreich aufgegraben habe, und welches im Theatr. Europ. P. V., 1645, pag. 974 beschrieben sei. Das Unicornu fossile ist ihm nur ein anderer Name für dasselbe Mineral, doch sagt de Boot von demselben, dass es von vielen Fürsten dem Golde gleich geschätzt werde. Diese Bemerkung und die des Ferrante Imperato, dass er fossiles Elfenbein unter den Edelsteinen gesehen habe, die man Cameen nenne, sprechen für eine hohe Schätzung und eine Bearbeitung desselben. Unter römischen Alterthümern ist vieles, was für Elfenbeinarbeit ausgegeben wird, in Knochen geschnitzt, das gelbe oder gebräunte und glänzende Aussehen

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