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Knochendolches, von dem nur ein kleines Theilchen untersucht werden konnte, erscheint ziemlich fest, verhielt sich chemisch aber wie der Mammuthknochen. Der Greisenschädel ist mürber als die meisten der übrigen Menschenreste, die jedenfalls für jünger zu halten sind, als die Knochen des Mammuth und Rhinoceros, trotz der auf beiden erscheinenden Dendriten, die aber, wie oben bemerkt, von verschiedener Beschaffenheit sind. Auch ist der Greisenschädel nicht mit den Mammuthknochen vermengt, sondern ganz am inneren Ende der Höhle gefunden worden, wo er eingegraben gewesen sein kann. Das Ergebniss der chemischen Untersuchung fossiler Knochen muss mit grosser Vorsicht gedeutet werden, weil, wie ich gefunden habe, derselbe Knochen an verschiedenen Stellen einen verschiedenen Grad der Zersetzung, auch in Bezug auf den Knorpelgehalt, erlitten haben kann. Man muss wo möglich einen Theil jenes inneren Gefüges, nicht ein ein Stückchen der Oberfläche untersuchen.

Ein Unterschied in der Zusammensetzung des Greisenschädels und einiger Mammuthreste ist allerdings vorhanden, aber nicht wesentlich, da ja beide noch organische Substanz enthalten.

Der Schädel erinnert in der langen schmalen Form, der kurzen und ziemlich geraden Stirne, dem abgesetzten Hinterhaupt an den Typus des Engisschädels, doch ist dieser in der grösseren Breite der Stirne viel vollkommener gestaltet. Der Mann aus der Wildscheuer hat eine fast zugespitzte Stirne, die so schmal an keinem erwachsenen Schädel mir bekannt ist. Der Schädel von Egisheim im Elsass, der ebenfalls im Löss gefunden ist und der Mammuthzeit zugeschrieben wird, hat eine ihm noch ähnlichere Form. Diesem gleicht auch der auf dem Mammuthfelde von Cannstadt bereits im Jahre 1700 gefundene Menschenschädel. Derselbe wurde 1870 bei der Beschiessung von Paris im Laboratorium des Herrn von Quatrefages durch eine deutsche Bombe zertrümmert. Dieser Gelehrte hat nach ihm die älteste europäische Rasse: raçe de Cannstadt genannt. Da sich im Museum von Stuttgart auch die oben erwähnten Fangzähne vom Mammuth befinden, die so regelmässig übereinander liegen, dass man nicht daran zweifeln kann, dass Menschenhände sie in diese Lage gebracht haben, so lag die Frage nahe, ob der in derselben Gegend gefundene Menschenschädel vielleicht ebenso alt sei. Eine an den mir von Prof. Fraas zur Verfügung gestellten Bruchstücken, sowohl der Mammuthzähne als des Schädels, angestellte chemische Untersuchung erwies aber, dass die Mammuthreste, mit Salzsäure behandelt, keine organische Substanz mehr hinterliessen, die des Menschen aber noch Knorpel enthielten, dessen microscopische Structur deutlich war; vgl. Compte rendu du

Congrès internat. d'Anthrop. et d'Archaeol. praehist. 1872, Bruxelles 1873, pag. 544.

Beide gehören also wohl nicht derselben Zeit an. Am meisten stimmt der lange und schmale Schädel von Steeten mit seinen hochstehenden und vorspringenden Scheitelhöckern überein mit einem im Jahre 1874 nicht sehr fern von dieser Fundstelle bei Höchst 5 Fuss tief im Löss gefundenen Schädel, an dessen rechter Seite ein geschliffenes und durchbohrtes Steinbeil lag. Herr Landesgeologe Dr. Koch in Wiesbaden hat mir damals den Schädel mit den Umständen des Fundes mitgetheilt, der sich jetzt ebenfalls [9715] im Wiesbadener Museum befindet. Auch dieser war ein Greisenschädel, 193 mm lang, 144 mm breit, sein Index betrug also 70,46 mm. Zumal in der Seitenansicht sind beide ausserordentlich ähnlich, der von Höchst ist auch in der Stirne viel breiter. Alle Alveolen des Unterkiefers sind absorbirt. An der Innenfläche des Scheitels ist eine Grube für die Pacchionischen Drüsen in Folge seniler Atrophie nach aussen durchgebrochen, sodass sich auf dem rechten Scheitelbein ein 16 mm grosses Loch befindet, andere sind durchscheinend. Doch sind die Scheitelhöcker vorhanden. Der obere Theil der Hinterhauptsschuppe bildet einen runden vorspringenden Buckel. Die Augenbrauenbogen sind stark entwickelt, die Nasenwurzel ist breit. Alle Nähte sind geschlossen, sogar die Schläfennaht, nur nicht die Lambdanaht, welche kurze Zacken hat. Die Stirn ist niedrig und ziemlich gerade, ein Stirnkiel ist angedeutet und auch der Scheitel etwas kahnförmig. Beide Greisenschädel beweisen, dass auch in jener Zeit die Menschen ein sehr hohes Alter erreichen konnten.

Der unter meiner Aufsicht gemachte Ausguss des Steetener Schädels Taf. VIII, Fig. 3 [5507] zeigt in der Gehirnform die unvollkommene Entwickelung fast noch deutlicher als der Schädel selbst. Das Hirn ist 180 mm lang, 128 mm breit, sein Index also 70,11 mm. Zumal die hinteren Lappen des Grosshirns sind in einer auffallenden Weise zugespitzt und erscheinen wie die ganze Hirnoberfläche sehr windungsarm, sowohl im Vergleiche mit dem Hirn des Neanderthalers, als mit dem eines Negers und Australiers, deren Grosshirnhemisphären weder vorn noch hinten so schmal und einfach sind. Doch zeigen diese beiden, was ich auch an andern Hirnen niederer Rassen beobachtet habe, wie der Steetener Schädelausguss eine Einschnürung des vorderen Theiles der grossen Hemisphären, die in der Gegend des Stammes der Meningea beginnt und vor der Kranznaht um das Hirn verläuft. Am Steetener Schädel wird man diese Einschnürung vielleicht mit der geschilderten Schläfenenge in Verbindung bringen können. Auffallend ist die Stärke der

Annalen f. Nass. Alterthumsk. u. Geschichtsf. XV. Bd.

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Meningea und ihrer Aeste, die ich am Neger und Australier ebenfalls finde und die in hohem Grade beim Neanderthaler vorhanden ist, während an intelligenten Hirnen, wie denen von Gauss und Heinse, diese Gefässe viel schmäler und feiner erscheinen.

Jedenfalls geht aus den erwähnten Funden im Löss des Rheingebietes eine gewisse Uebereinstimmung der Rasse und eine Organisation hervor, die viel tiefer steht als die des jetzt dort lebenden Geschlechtes.

Dass der Mann von Steeten, der uns seine Hirnschale hinterlassen hat, ein Mammuthjäger gewesen sei, ist nach dem Ergebniss unserer Untersuchung nicht wahrscheinlich, aber die Möglichkeit kann nicht bestritten werden, dass die durch Menschenhand bearbeiteten Mammuthknochen vom lebenden Thiere genommen sind.

Bonn, den 10. Mai 1879.

XV.

Die Höhlen und die Wallburg bei Steeten an

der Lahn.

(Dazu Tafel VII, VIII, IX u. X.)

Von

Conservator Oberst z. D. v. Cohausen.

Die mit eingeklammerten Zahlen sind die Nummern, welche die Stücke im Alterthumsmuseum zu Wiesbaden tragen.

Geschichte.

Die Lahn beschreibt zwischen Runkel und Limburg einen nach Norden ausweichenden Bogen, den die Eisenbahn mittelst des Tunnels von Eschhofen abschneidet. Am rechten Ufer liegen hier Dietkirchen mit seiner uralten Kirche hoch auf dem Felsen, Dehrn mit Burg und Schloss und Steeten mit seinen um Jahrtausende älteren Höhlen und der Wallburg über denselben. Der Fluss hat bei Runkel und Schadeck mächtige Grün- und Schalsteinfelsen durchbrochen und bei den drei ebengenannten Dörfern einen Uebergangs-, den Stringocephalen-Kalk, in massiger Lagerung und malerischen ins Ufer vortretenden Felsen blossgelegt. Zumal sind es die Dolomite am Kalkofen unter Steeten, welche auch durch die mannichfaltigsten Knochenreste in ihren Spalten. Interesse erwecken.

Der bei Steeten mündende wasserarme Bach würde aus seinem grossen Auffangbecken um Ober- und Niedertiefenbach eine grössere Fülle erwarten lassen, allein er versinkt unfern dem letzten Ort in die Erde und gibt so Zeugniss von Höhlen und unterirdischen Wasserläufen, wie sie dem Kalkgebirg eigen sind. Doch hat er einst zwischen diesem Punkt und seiner Mündung bei Steeten in eine Kalkbank, die seinen Lauf durchsetzte, eine enge Schlucht eingerissen. Dieselbe, jetzt wasserleer, führt vielleicht eben desshalb den Namen „in der Leer". Sie ist kaum 250 Schritt lang, von 25 m hohen Felsen überragt, über denen sich die Hochfläche in Wald und Feld ausbreitet. Die zumal auf dem linken Ufer scharf vortretenden Felsen drohen die Schlucht oben und unten zu sperren und bilden dadurch zwischen sich eine in Terrassen und Böschungen abfallende Bucht, ein Asyl, über welchem nur der obere Theil der Felswand nackt sichtbar bleibt. Dahin führt von Steeten her auf einem Gesimse, von dem der Fels links 12 m tief zum

Bach abstürzt und rechts ebenso hoch aufragt, ein enger gefährlicher Pfad und geleitet uns zu den beiden Höhlen Wildhaus und Wildscheuer. Zwischen beiden erreichen wir, eine jähe Erdböschung ersteigend, eine kleine Hochfläche, den Herrenplatz, wo durch den Felsabsturz auf der westlichen und durch eine Steinumwallung auf den übrigen Seiten eine Wallburg begrenzt wird, welche auch von der Höhe her den Zugang zu den Höhlen verwehrt.

Ein Zufluchtsort waren diese Höhlen in der That. Die Erinnerungen der Dorfbewohner reichen bis in die neunziger Jahre. Die Mutter des Bürgermeisters Eschhofen von Steeten, welche im Jahre 1872 80 Jahre alt, bei vollem Verstand verstorben ist, erzählte, dass der Wald in der Leer ohne Weg und Steg und so dicht gewesen, dass Niemand leicht dahin gekommen sei; wo jetzt Busch- und Stangenholz steht, haben sonst über dem Genistel alte hohe Buchen gestanden und die ganze Schlucht überdeckt; dahin hatten sich die Leute im französischen Krieg mit ihrem Vieh geflüchtet und versteckt. An einem Abend aber hätten sie Feuer in der Wildscheuer gemacht und das habe sie verrathen; die französischen Vorposten wären auf den Felsen gegenüber umhergestreift und hätten in die Höhle geschossen, so dass die Leute sich ergeben mussten.

Gegenüber der Höhle, auf der anderen Seite der Schlucht, sah man früher am Fuss der Felsen noch den Wild-Pütz; er stamme, heisst es, nicht von neueren Grubenanlagen, sondern sei uralt, vor 40 Jahren sei er noch 20 Fuss tief gewesen, später aber verschüttet worden, damit Niemand hineinfalle. Unten im Bachbett, am Fusse des Wildhauses, liegt ein viereckiger Felsblock mit einer kopfgrossen Vertiefung, das Wildkesselchen, darin immer Wasser steht und nie versiegt". Weiter unten, ausserhalb der Schlucht, gegenüber den dort anstehenden hohen Lösswänden entspringt eine schwache Quelle, der Wildbrunnen, der gar heilsam sei für die Augen. Aber auf dem Herrenplatz, von dem aus man die Schaumburg, Limburg, Dietkirchen und Dehrn und die alten Eichen des Dehrner Wäldchens, auf denen die Reiher horsten, gar schön vor sich liegen sieht, haben die Herren immer ihren Jagdtrunk gethan.

Dem Kreis dieser Dorfchronik sich anschliessend, mag auch einer Felsspalte rechts über der Wildscheuer Erwähnung geschehen, in der lange Eulen genistet und die man nicht ohne Mühe erreicht, dann aber, wenn man nicht aller Phantasie baar ist, von einer Seitenöffnung beleuchtet ein schlafendes Kind erblickt.

Glasirte Thonscherben, Bruchstücke von Steingeschirr, ein Messingknopf und eine alte Messerklinge, die wir bei unseren Nachgrabungen ober

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