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Wie einsam dagegen sitt Frankreichs Kalliope! Ein blitzender Witz hat ihr die Larve einer Buhlerin aufgedrückt und ihren majestätischen Purpur mit Flittergolde beseßt. Ihre Trompete ist dem Momus in die Hände gefallen. Will man den Beweis? hier ist er. Das neue Jahr, ein heroisches Narrengedichte.* Es bestehet aus zehn Gesängen, wovon der längste ohngefehr 80 Zeilen hat. Unter den kleinen Calendern, welche die Franzosen einander zum Neuenjahre schenken, ist in diesem Jahre einer in Versen gewesen, welcher der Almanach der Liebe heißt. Man kan sich leicht einen Begrif davon machen. Die Gewalt dieses Almanachs über das schöne Geschlecht ist der Stof dieses Gedichts. Lycoris hat den Lindor bezaubert; er erklärt ihr seine Liebe; Lycoris verwirft sie auf das grausamste: erster Gesang. Amor erscheint. dem Lindor am Ufer der Seine, tröstet ihn, und giebt ihm den Almanach der Liebe, mit der Versicherung, daß eine einzige Lection daraus seine Geliebte überzeugen werde, jedes Herz sey ihm Opfer schuldig: zweyter Gesang. Lindor eröffnet das Buch, erschrikt Anfangs da er sieht, daß es ein Calender ist, fasset aber neuen Muth da er den eigentlichen Innhalt sieht: dritter Gesang. Es ist Nacht, Lindor schläft, im Traum erscheinen ihm die Liebes-Götter und Grazien, welche sich über seinen Almanach erlustigen. Er sieht seine Lycoris im Schlafe sich ihm ergeben, er küßt sie im Schlafe. Wird man mir glauben, „spricht der Dichter, wenn ich sage, daß die Grazien, die das alles mit „ansahen, finstre Grimassen machten, daß eine Zweydeutigkeit ihre Tugen„den in Harnisch jagte? Nein, nein; die Zeit der Scham ist vergangen. Die Grazien sind wie andre Schönen. Hinter dem Fächer braucht man „über nichts roth zu werden 2c.“ vierter Gesang. Der Neuejahrstag bricht an; seine Thorheiten belacht ein Philosoph: fünfter Gesang. Lindor begiebt sich zu seiner Lycoris; sie will ihn nicht anhören, sie wirft sein Geschenke zu Boden; eine alte häßliche Kammerfrau wagt es Schiedsrichterin zu seyn; sie vertheidigt den Lindor; Lindor küßt das Gespenste aus Dankbarkeit mehr als einmal; alle Anwesende lachen darüber, und endlich auch Lycoris: sechster Gesang. Lindor und Lycoris sind allein; er spricht aufs neue von seiner Liebe; die Unbewegliche will ihm nichts als Freundschaft zugestehen. Endlich überreicht er ihr den Almanach; voller Verachtung wirft sie ihn auf den Nachttisch, und schwört ihn nicht zu lesen.

Lindor

* Le nouvel an, Poeme Heroi-Fou. Aimés-vous la Muscade? On en a mis partout. Despréaux à Brochuromanie, l'an du deluge des Almanachs 1751. in 12. 60 Seiten.

geht fort in der sichern Hofnung seine Geliebte morgen verändert zu finden: fiebender Gesang. Die Neugier besiegt die Lycoris; sie liest den Almanach; ihr Herz wird zärtlich; sie geht zur Ruhe: achter Gesang. Lycoris träumt; ihr Traum ist ein wollüstiges Räthsel, welches der Dichter den Traumdeutern zur Erklärung vorlegt: neunter Gesang. Lindor fömt mit anbrechenden Morgen zu seiner Schönen und sie überliefert sich ihm. „Ist „dieses gleich eine Fabel, schließt der Dichter, so hütet euch doch ihr „Schönen für die Almanachs in Versen; sie verbergen Schlangen unter ,,angenehmen Blumen; der Almanach der Liebe ist der Almanach des „Teufels.".. Hat es sich der Mühe verlohnt, daß wir dem Leser diese Kleinigkeit so weitläuftig erzählt haben? Die untermengte Satyre ist fein, sie hat aber nichts als gewisse Modethorheiten zum Gegenstande. Den Ausländern wird sie dadurch unverständlich; und in Paris selbst ohne Nußen, so bald man diese Thorheiten mit andern abwechselt. Eine Abwechselung worinne Frankreich so sinnreich, als in Veränderung seiner Kleider ist.

Vielleicht ist die Epische Dichtkunst in England glücklicher? Noch bewundert es seinen Leonidas, ein Werk, dessen Schönheit sich einem freyen Engländer in einer Vergrösserung zeigen müssen, worinne sie wenigstens kein zum dienen gebohrner Franzose zu fühlen fähig ist. In diesem Jahre aber hat es unter dem Tittel Scribleriade ein neues komisches Heldengedichte erhalten, welches voller ursprünglichen Wißes ist. Der Held heißt Scriblerus, ein Gelehrter, in deffen Person der Dichter die unnüßen Unternehmungen der studirten Don Quixotes unnachahmlich lächerlich macht. Er hat überall des Cervantes ernsthafte Art zu scherzen genau behbehalten, und sie niemals mit dem drolligten abgewechselt, welche Vermischung zwar vielen gefällt, in der That aber ein Fehler ist. Wir wollen anfangen, dem Leser von dem ersten Buche, mit eingestreuten kleinen Stellen, den Innhalt bekannt zu machen, und in dem künftigen Blatte damit fortfahren. Der Dichter fängt, wie gewöhnlich, mit Beschreibung seines Unternehmens an. Er entdeckt, daß Saturn oder die Zeit der Feind seines Helden sey. Er berührt kürzlich die Ursachen dieser Feindschaft, und zeigt uns den Scriblerus auf einmal in der afrikanischen Wüste. Diese durchzieht er mit seinen Gefährten, die versteinerte Stadt aufzusuchen. (Diese versteinerte Stadt ist in ganz Afrika bekannt, und nicht wenige ansehnliche Personen in Europa

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haben das Mährchen geglaubt. Shaw erzehlet uns in seiner Reisebeschreibung, daß Ludwig XIV. so überzeugt davon gewesen sey, daß er seinem Gesandten Befehl gegeben habe, ihm den Körper eines versteinerten Mannes, aus dieser Stadt, zu verschaffen, es möge kosten, was es wolle. Zween Janitscharen hätten dem Gesandten auch wirklich einen steinern Knaben um fünf hundert Liv. verkauft, und vorgegeben, daß sie einen grössern Körper ohnmöglich so weit wegbringen könnten ohne von den Arabern entdeckt zu werden, welche es durchaus nicht zugeben wolten, daß ein Muselmann, tod oder lebendig, an Christen verkauft würde. D. Shaw aber habe ihm bewiesen, daß der versteinerte Knabe nichts, als die Bildsäule eines Cupids sey, wie er ihm denn den Ort bemerken lassen, wo sie den Köcher von den Schultern abgebrochen hatten.) Saturn glaubt nunmehr Gelegenheit zu haben, seine Rache auszuführen, und den Held ums Leben, ja, was ihm noch werther als das Leben war, um seine Ehre zu bringen. Er bittet den Aeolus, ihn durch einen Wirbelwind unter den Wogen des Sandes zu vergraben, damit er mit sammt seinen Gefährten in die Vergessenheit gestürzt würde. Nun redet der Held. Eine so unedle Todęsart wird von ihm verworfen. Voller Gegenwart des Geistes beschließt er alle seine ge= sammelten Raritäten auf einen Haufen zu thürmen, sie anzuzünden, und sich selbst in die Flamme zu stürzen. „Wie selig, sagt er, ist der Mann, „dessen Name von einem ruhmvollen Tode seinen prächtigsten Glanz er„hält. O hätte das liebreichere Schicksal beschloffen, daß ich, wie der grosse Empedocles, in dem Feuer des Aetna verderben könnte! Oder „daß ich das Geschick des unsterblichen Plinius theilte, und die Asche des „berüchtigten Vesuvs wäre mein Grab geworden! Hätte es beschlossen, ,,mein Ende wie das Ende jener ruhmvollen Stadt zu machen, und mich, mir selbst ein trauriges Monument, versteinert dastehen zu lassen! Weit „über die Welt würde alsdenn mein wachsender Ruhm erschallen, und „von allen Musen in allen Gegenden besungen werden. Ach! Ein schimpf„liches Schicksal soll mein hofnungsloses Haupt unbeweint, unbemerkt und auf ewig tod vergraben! Doch.. Ich sollte diesen unedlen Tod „nicht verschmähen? . . Nein, unter dem elenden Sande will ich mei„nen Geist nicht aushauchen. . . Da ich alle meine Augenblicke würdig Lessing, sämmtl. Werke. III.

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„zugebracht habe, so sey etwas gethan, wodurch auch der lezte verherrlichet „wird! Ja, der wackere Phönir soll mein Beyspiel seyn. (. . ach, daß „ich den Phönix, ich unglücklicher, nicht noch habe sehen sollen! . .) .. „Ja sein prächtiger Scheiterhaufen erweckt in mir den erhabensten Einfall! „.. Ich will meine gesammleten Schäße`anzünden, und mich selbst der theuren Flamme übergeben." . . Der Gott nimmt die Aufopferung dieser raren Sammlung als das Zeichen der tiefsten Unterthänigkeit auf, und beschließt also sein Leben noch zu fristen. Weil er aber doch seine gegenwärtige Hofnung zu Schanden machen will, so führet er den Sturmwind über die versteinerte Stadt und vergräbt sie unter dem Sande. Scribler, welcher unmöglich den Verlust seiner Schäße überleben kan, wird von der Vollziehung seines Vorhabens durch ein Wunder, durch die Dazwischenkunft des Gottes Momus, abgehalten. Nach einem fruchtlosen Forschen von sechs Tagen dringen seine Gefährten auf die Rückreise. Scribler hält eine Rede an sie, und besteht darauf die versteinerte Stadt aufzusuchen; endlich aber redet es ihm Albertus, einer von seinen Gefährten, durch die Erzählung eines erdichteten Traums aus. Scribler hält eine Lobrede auf die prophetischen Tränme, und beklagt den Mangel der andern Orakel. Aber, spricht er, wo ich meine der Ewigkeit ge„weihte Reise nun weiter hinwenden soll, das wollen mir keine Ahndungen „entdecken, keine freundliche Schatten mich lehren. Ach daß in unsern „unerleuchteten Tagen kein gelehrter Priester die Opfer mehr erkläret, und mit prophetischen Auge die Eingeweide durchspähet, oder die herum„irrenden Warnungen des Himmels lesen kan! Keine geheiligten Orakel „kommen mehr zu Hülfe; die Pythia und das Cumäische Mädchen find „sprachlos. O hätten wir in jenen glüklichen Zeiten gelebt, als der Tro„janische Held und der Griechische Weise herumschweiften! Da hätten „wir vielleicht einen freundschaftlichen Helenus oder Anius gefunden, welcher geschikt gewesen wäre uns jede Ahndung zu entziffern. Vielleicht ,,wären wir zu den dunkeln Wohnungen der Hölle gegangen, und der „berüchtigte Tiresias hätte uns unser Schicksal gezeigt!" Hierauf spricht Albertus: Ach, nur allzugerecht ist dein Kummer! O möchte mein „weissagendes Herz die gewünschte Linderung verschaffen! Die klugen „Mahometaner haben den Narren und Unsinnigen allezeit besondere Ehre „erzeugt, und dieses sehr weislich. Denn oft, wann sich die Flügel der Vernunft hoch über irrdische Dinge erheben, so streifen die Gedancken

„unter den Wohnungen der Sterne und werden durch den Umgang mit „den Unsterblichen beglückt. Von da aus theilt alsdann der göttliche „Mann den minder erhabenen Sterblichen unterrichtende Wahrheiten aus. ,,In Cairo wohnt ein phrenetischer Weise, welcher von aller dieser theo„mantischen Wuth begeistert ist. Ich habe bemerkt, so oft der Morosoph „zum Vorschein kam, ward er von einer unzähligen Menge umringt, und „von allen verehret. Jung und Alt, Jungfern und Weiber tüßten die „Fußstapfen des seligen Gymnosophisten. Die brünstige Braut berührte „jeden günstigen Theil, geschickt, die Kraft der Fortpflanzung zu ertheilen. Endlich thut die Stimme den heiligen Ausspruch, und die horchende ,,Menge bleibt staunend stehen... Laß uns also, dieses ist meine Mei„nung, wieder nach Cairo zurückkehren, und laß den Weisen sich bey dem „Narren Raths erhohlen." Hiermit endet sich das erste Buch. Die besten Erläuterungen des ganzen Gedichts kan man aus den Denkwürdigfeiten des Scriblerus, welche sich in Popens Werken befinden, ziehen, wovon es eigentlich eine Art der Nachahmung ist.

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Monat Junius 1751.

Die Regeln in den schönen Künsten sind aus den Beobachtungen entstanden, welche man über die Wercke derselben gemacht hat. Diese Beobachtungen haben sich von Zeit zu Zeit vermehret, und vermehren sich noch, so oft ein Genie, welches niemals seinen Vorgängern ganz folgt, einen neuen Weg einschlägt, oder den schon bekannten über die alten Grenzen hinaus bähnet. Wie unzehlig muß also nicht die Menge der Regeln seyn; denn allen diesen Beobachtungen kan man eine Art der Allgemeinheit geben, das ist, man kan sie zu Regeln machen. Wie unnüß aber müssen sie uns nothwendig durch eben diese Menge werden, wenn man sie nicht durch die Zurückführung auf allgemeine Säße einfacher und weniger machen kan..

Dieses war die Absicht des Herrn Batteur in der Einschrändung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsaß, welche er vor einigen Jahren in seiner Sprache herausgab. Er sah alle Regeln als Zweige an, die aus einem einzigen Stamme sproffen. Er ging bis zu ihrer Quelle zurück und traf einen Grundsaß an, welcher einfach und unversteckt genug war, daß man ihn augenblicklich entdecken konnte, und weitläuftig genug, daß sich alle die kleinen besondern Regeln darinnen verloren, welche man bloß vermittelst des Gefühls zu kennen braucht,

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