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Schrifften.

Erster [und zweyter] Theil.

1753.

Lessing, sämmtl. Werke. III.

18

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Vorrede.

So sind die Schriftsteller. Das Publicum giebt ihnen einen Finger, und sie nehmen die Hand.

Meine Freunde

darunter gehört

es versteht sich, daß meine Eigenliebe mit wollen mich bereden, daß einige Bogen von mir den Beyfall der Kenner erlangt hätten. Daß ich es glaube, weil ich meine Rechnung dabey finde, ist natürlich. Und daß ich mich jezt der Gefahr ausseße, dasjenige Alphabetweise zu verlieren, was ich Bogenweise gewonnen habe, ist zwar auch natürlich, ob es aber eben so gar klug sey, das ist eine andere Frage. Wann der Hund, der in der Fabel nach dem Schatten schnappt, auch zu meinem Vorbilde wird, so mag ich es haben,

Die Bogen, deren ich jezt gedacht, sind eine Sammlung kleiner Lieder. Sie erschienen vor zwey Jahren unter dem Titel Kleinigkeiten. Man darf nicht glauben, daß ich sie eben deßwegen so nennte, damit ich der unerbittlichen Critik mit Höflichkeit den Dolch aus den Händen winden möchte. Ich erklärte schon damals, daß ich der erste seyn wolle, dasjenige mit zu verdammen, was sie verdammt; sie, der zum Verdruß ich wohl einige mittelmäßige Stücke könnte gemacht haben, der zum Troße ich aber nie diese mittelmäßige Stücke für schön erkennen würde. Ich grif ihr so gar vor, und bat meine Leser gewisse Blätter zu überschlagen, die ich damit entschuldigte, daß die Handschrift schon seit drey Jahren nicht mehr in meiner Gewalt gewesen sey.

Ob diese Versicherung unter die Autorstreiche gehörte, wird man jezt aus dem zweyten Drucke sehen. Ich habe geändert; ich habe weggeworfen, und bin so strenge gewesen, als es nur immer meine Einsicht

hat zulaffen wollen. Es ist wahr, ich hätte noch strenger seyn können; wenn ich nehmlich alles durchgestrichen, oder wenigstens alles, ohne mich jemals zu entdecken, so wie es war, gelassen hätte: Denn das elende streicht sich selbst durch, und schlechte Verse, die niemand lieset, sind so gut, als wären sie nicht gemacht worden. Doch es mag drum seyn; ich bekenne es, daß ich gegen die kleinen Denkmähler meiner Arbeit nicht ganz ohne Zärtlichkeit bin; und daß sich diese Zärtlichkeit dop= pelt fühlen läßt, wenn ich sie namenlos ein Raub des ersten des besten werden sehe.

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Aber überlege ich es auch? Diese Lieder enthalten nichts, als Wein und Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir denken? Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer leichtsinnigen Moral, oder man nenne sie poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen; man sage, ich habe meine Ausschweifungen darinne verewigen wollen, oder man sage, ich rühme mich darinne solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht einmal geschickt sen; man gebe ihnen entweder einen allzuwahren Grund, oder man gebe ihnen gar keinen: alles wird mir einerley seyn. Genug sie sind da, und ich glaube, daß man sich dieser Art von Gedichten, so wenig als einer andern zu schämen hat.

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Ich weis, daß auch andre so denken, und wenigstens bin ich es von einem gewissen Herrn H** überzeugt. Dieser Herr hat meine Kleinigfeiten mit dem allerausserordentlichsten Beyfalle beehrt, indem er sie für feine Arbeit ausgegeben. Und wann es nicht darauf ankäme, daß entweder er oder ich ein Lügner seyn müßte, so würde ich mir ein Vergnügen daraus gemacht haben, ihm niemals zu widersprechen: denn die Ehre, die ihm daraus hätte zufließen können, wäre ohne Zweifel so klein ge= wesen, daß sie meinen Neid nicht würde erweckt haben. Damit ich ihn aber nicht durch diese Erklärung gänzlich zu Schanden mache, so will ich ihm dasjenige, was er sich wider mein Wissen angemaßt hat, hier vor den Augen der ganzen Welt schenken. Ich würde dieses am besten in einer Zueignungsschrift haben thun können, und würde es auch wirklich gethan haben, wann ich von dem Zueignen nicht ein allzu abgesagter Feind wäre. Diese Schenkung, wann es ihm beliebt, kann er auch auf alles das übrige erstrecken, und ich will gar nicht böse werden, wenn ich höre daß auch

meine Oden, meine Fabeln, meine Sinnschriften, und meine Briefe ein andrer gemacht hat.

Doch ich eile von diesen allen meinen Lesern nur einige Worte zu sagen. Wann durch das Ausstreichen in den Liedern keine Lücken entstanden wären, und wann ich diese Lücken zu erfüllen nicht meinen ganzen poetischen Vorrath hätte durchlaufen müssen, so würde ich vielleicht an eine Sammlung aller meiner Versuche noch lange nicht gedacht haben; und sie würden noch lange zerstreut und verstümmelt in der Irre und im Vergessen geblieben seyn. Doch so gehts; wenn man ein Schriftsteller werden soll, so muß sich alles schicken. Die väterliche Liebe ward auf einmal bey mir rege, und ich wünschte meine Geburthen beysammen zu sehen. Ich weis nicht was es für ein Geschicke ist, daß solche Wünsche immer am ersten erfüllt werden; das aber weis ich, daß wir oft durch die Erfüllung unsrer Wünsche gestraft werden. Ob mir es auch so gehen soll, wird die Aufnahme dieser zwey Theile entscheiden, von welchen ich dem Publico ganz im Vertrauen eröfne, daß sie nichts als ein Paar verwegne Kundschafter sind.

Der erste enthält dasjenige, was ich in den kleinen Gattungen von Gedichten versucht habe. Der Lieder habe ich schon gedacht, und die verschiedenen neuen Stücke welche darzu gekommen sind, haben mich genöthiget sie in zweern abzutheilen. Für diese bin ich am wenig= sten besorgt, weil sie grösten Theils das Licht schon kennen, und bey diesem Abdrucke mehr gewonnen, als verloren haben.

Den wenigen Oden, welche darauf folgen, gebe ich nur mit Zittern diesen Namen. Sie sind zwar von einem stärkern Geiste als die Lieder, und haben ernsthaftere Gegenstände; allein ich kenne die Muster in dieser Art gar zu gut, als daß ich nicht einsehen sollte wie tief mein Flug unter dem ihrigen ist. Und wenn zum Unglücke går etwa nur das Oden seyn sollten, was ich, der schmalen Zeilen ungeachtet, für Lehrgedichte halte, die man anstatt der Paragraphen in Strophen eingetheilt hat; so werde ich vollends Ursache mich zu schämen haben.

Die Fabeln, die ich gemacht habe, sind von verschiedener Art, und ich begreife unter diesem Namen auch die Erzehlungen, weil ich finde, daß sie selbst Phädrus mit darunter begriffen hat. Andere mögen dem Beys Fontaine folgen, welcher freylich Ursache hatte, seine Erzehlungen, von den Fabeln, die der Unterweisung gewidmet sind, zu

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