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graphieen vorhanden, und zwar nicht blos casuistische Sammlungen oder Commentare von Gesetzen, sondern auch schöne wissenschaftliche Arbeiten.

Wie das englische Recht überhaupt kein gemachtes, sondern ein allmählig und geschichtlich gewordenes ist, so denn vorzugsweise das Recht des Parliamentes. Es ist diess in dem Grade der Fall, dass der Beginn der Einrichtung und die Bildung des jetzigen Organismus seit Jahrhunderten Gegenstand geschichtlicher Forschungen ist, welche lange Zeit zu sehr abweichenden Auffassungen geführt haben. Jeden Falles haben sich die einzelnen Bestandtheile der jetzt so mächtigen und wesentlichen Körperschaft sehr allmählig angesetzt, und ihre Befugnisse und Formen oft in kaum bemerkbarer Weise entwickelt. Eine gute Geschichte des Parliamentes ist daher ein grosses Bedürfniss; und diess zwar in doppelter Beziehung. Einmal ist es wünschenswerth, dass die Entwicklung in grossen Zügen, vom politischen und selbst weltgeschichtlichen Standpunkte aus vorgeführt werde. Man will unterrichtet sein, wie diese Staatsform überhaupt in die Welt kam, und wie sie sich zu ihrem jetzigen Bestande durchgekämpft hat. Dann aber ist es auch nothwendig, die einzelnen Vorgänge und die Entstehung der einzelnen Einrichtungen, Bestandtheile und Geschäftsregeln mit urkundlicher Genauigkeit zu kennen. Noch jetzt kann in vielen Fällen das bestehende Recht nur aus dem geschichtlichen Hergange erkannt und begründet werden.

Beide Bedürfnisse sind denn nun auch mehr oder weniger befriedigt. Wir besitzen allgemeine politische und engere technische Geschichten des Parliamentes.

Nicht erst der Bemerkung bedarf es, dass jene erstere Auffassung hauptsächlich in den allgemeinen Geschichten des englischen Rechtes und der Verfassung zu suchen sit. Namentlich Hallam's beide Werke sind in dieser Beziehung von grosser Bedeutung. Allein es bestehen auch eigene Werke; und zwar theils solche, welche nur einen Theil der Entwicklung behandeln, (besonders die Entstehung des Hauses der Gemeinen und die Geschichte der Partheien,) theils umfassende Darstellungen.

Ueber der Entstehungsgeschichte des Unterhauses hat ein übles Verhäng

und überdiess lange nicht so zuverlässig, wegen ihrer Partheifärbung und Begünstigung oder Zurücksetzung einzelner Mitglieder und ganzer Partheien. Ist übrigens der Besitz der gesammten Sessional Papers nicht zu erlangen, (der allerdings einen grossen Aufwand und eben so grossen Raum erfordert,) so sollten wenigstens die, in jeder Sitzung etwa 10–15 Bände betragenden, Ausschlussberichte in keiner grösseren Büchersammlung fehlen. Der jährliche Aufwand hiefür ist, bei dem sehr billigen Preise der Parliaments-Drucksachen, ein unbedeutender; und es kann nur wiederholt werden, dass sie für fast sämmtliche Theile der Staatswissenschaften, ferner für einzelne Theile der Geschichte und der Rechtswissenschaft ganz unschätzbaren und in der That kaum erschöpfbaren Stoff enthalten.

niss gewaltet. Politischen Theorieen zu Liebe und aus missverstandener Eitelkeit ist dieselbe vielfach ganz falsch behandelt, der Irrthum aber mit grosser Hartnäckigkeit festgehalten worden. Erst durch die gründlichen und unbefangenen Forschungen der neuern Zeit sind diese Verkehrtheiten für immer unmöglich geworden. - Der Fehler ist um so weniger zu verzeihen, da der erste Beginn ganz gut und richtig war. Schon Polydorus Virgilius hatte, also im sechzehnten Jahrhunderte, das Richtige angegeben. Dann aber erklärte sich Spelman dafür. Theils in seinem Glossarium (s. v. Parliamentum), theils in einer, unter seinen hinterlassnen Schriften befindlichen Abhandlung 1) werden die ersten Anfänge des jetzigen englischen Parliamentes unter den Normannen bis zu Heinrich III., zwar nur in kurzen Umrissen allein ganz richtig, dargestellt. Der grosse Kenner des englischen Rechtes weist nach, wie zuerst die Versammlungen der Kronvasallen entstanden, und zwar mit persönlicher Anwesenheit der grossen Barone und durch Stellvertreter der kleinern aus jeder Grafschaft; erst später aber allmählig Abgeordnete der Städte und Flecken zugezogen wurden, zunächst der Geldlieferungen wegen. Ihm folgte Dugdale (in seinen Origines juridiciales); freilich ohne selbstständige Auffassung. Endlich war eine weitere, durch unglaublichen Fleiss ausgezeichnete, Arbeit der rechten Art Prynne's Sammlung der verschiedenen. Arten von Einberufungsschreiben 2). Er entnahm dieselben den im Tower aufbewahrten Urkunden; und eine aufmerksame und gewissenhafte Einsicht dieser Schrift allein hätte vor allen verkehrten Theorieen bewahren können und sollen. Der richtige Weg wurde aber später verlassen. Gegen das Ende des 17ten Jahrhunderts erzeugte ein verkehrter Eifer für die Ehre und die Rechte des Volkes eine Reihe von Schriften, welche die Theilnahme der Bürger an den Staatsgeschäften in möglichst frühe Zeiten hinaufzusetzen versuchten 3). Wenn man nicht gar bis zu den Kelten aufstieg, wollte man we

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1) Spelman, On Parliaments; in dessen English Works, Lond., 1727, Fol., Bd. II. 2) Prynne, W., Brief register, calendar and survey of the several kinds and forms of Parliamentary Writs. I-IV. Lond., 1659-64. 4. Man ist gewohnt, Prynne nur im Lichte eines politischen Fanatikers zu sehen, gegen welchen die Sternkammer allerdings grausam verfahren sei, der aber die ganze Härte und Abgeschmacktheit der Puritaner zur Schau getragen habe. Nichts ist unrichtiger. Er theilt freilich als Schriftsteller die ganze Geschmacklosigkeit seiner Zeit; allein er verdient nach Gelehrsamkeit, Eifer und Fleiss das höchste Lob. Man vergl.

über ihn Sir Harris Nicolas, Observations on histor. literat., S. 46 fg.; und Parry, Councils and Parliaments, S. 21 fg.

3) The antiquity and power of P. s. in England, written by Mr. Justice Doddridge and several other learned antiquaries. Lond., 1679. Eine spätere Ausgabe u. d. T. The opinions of several learned antiquaries touching the antiquity. . . 1685(Eine Sammlung kleiner Aufsätze verschiedener Verfasser.) Atkin, Sir R., Power, jurisdiction and privileges of Parliament. Petyt, W., The ancient

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nigstens in dem sächsischen Wittenagemote eine allgemeine Betheiligung des Volkes sehen. Zu dem Ende wurden denn nicht nur zweifelhafte Worte und Thatsachen in der gewünschten Richtung gedeutet, sondern auch die klarsten geschichtlichen Urkunden und die unbestrittensten Vorfälle und Zustände entweder verdreht oder kurzweg übergangen. Es wurde eben so viel falscher Scharfsinn als übel angewendetes Wissen im Dienste der Unwahrheit verwendet. Zwar fehlte es nicht an Widerlegungen. Namentlich trat alsbald in unmittelbarem Widerspruch gegen Petyt ein ungenannter Schriftsteller auf, welcher mit grosser Gelehrsamkeit (aber freilich nur in vereinzelter Kritik) die Falschheit der Auffassung und die Unzuverlässigkeit der Beweisführung nachwies 1). Sodann zeigte Brady mit gründlicher Gelehrsamkeit und gesundew Urtheile die völlige Unrichtigkeit jener Annahme 2). Der Irrthum war hartnäckig. Ausführlich und gelehrt, aber ohne Urtheil und Geschmack, führte Tyrrell3) nochmals die widerlegte Ansicht aus. Und nach ihm kam auch Lord Lyttelton in seiner bekannten Geschichte Heinrichs II. (übrigens ohne bessere Gründe) nochmals auf die alten Behauptungen zurück. Ja selbst in unsern Tagen trug Oldfield 4), trotzdem, dass indessen Hurd in mehreren seiner berühmten Gespräche 5) in freier geistreicher Weise das richtige Verständ

(Atwood,) Jani

right of the Commons of England asserted. Lond., 1680.
Anglorum facies nova, or several monuments of antiquity touching the Great
Councils of this Kingdom. Lond., 1680. Argumentum Antinormannicum, or
an argument proving, that William D. of Normandy made no absolute conquest of
E. by the sword. Lond., 1682.

...

1) A full and clear answer to a book written by W. Petit. . . . Lond., 1681. 2) Brady, R., An introduction to the old E. history, comprehendend in three seve ral tracts. . . . Lond., 1684, Fol. Ders., A complete history of E. to the end of the reign of Richard II. Lond., 1635, 4.; 2te Ausg. 1700. 3) Tyrrell, J., Bibliotheca politica; or an inquiry in to the ancient Constitution of the English Government. Ed. 2. Lond., 1727, Fol., S. 265-471. Im Uebrigen ein Werk, welches in der Lehre vom blos verfassungsmässigen Gehorsam grosse Verdienste hat. S. oben, Bd. I, S. 327.

4) Oldfield, F. H. B., History of the original Constitution of P. s. from the time of the Britons to the present day. Lond., 1797. Derselbe, The representative history of Great Britain and Ireland; being an history of the H. of Commons, Cities and Boroughs. I-VI. Lond., 1818. Das grosse Werk ist nur eine weitere Ausführung des früher erschienenen kürzeren. Es zerfällt in zwei Abtheilungen, von welchen die erste (Bd. I und II) die Geschichte des Hauses der Gemeinen wiederholt, wie sie der Verf. schon in der älteren Schrift gegeben hatte, die andere dagegen die Geschichte der Vertretung jedes einzelnen Wahlbezirkes, beziehungsweise der in jedem vorgekommenen Missbräuche giebt. Das Ganze muss lediglich als eine riesige Streitschrift zu Gunsten der Parliaments-Reform bezeichnet werden, zu welchem Ende denn die Geschichte auf jede Weise misshandelt wird. Ueberdiess ist von Geist, Uebersicht und geschichtlicher Kunst keine Rede.

5) Hurd, Rev. Dr., Moral and political dialogues. Lond., 1765; 5th ed. 1776, Bd. II.

niss noch einmal aufgeklärt hatte, eigensinnig die alten Fabeln wieder vor, unter vielfacher Gewaltanwendung gegen Worte und Thatsachen. Jetzt freilich ist wohl endlich, Dank sei es den besonderen Geschichten Palgrave's, Kemble's und Lappenberg's, so wie den allgemeinen Darstellungen Hallam's und Guizots, die Verkehrtheit für immer beseitigt.

Die Geschichte des Partheiwesens ist allerdings, strenge genommen, nicht beschränkt anf die Ereignisse im Parliamente. Dennoch ist es wohl passend, der Schriften, welche davon handeln, hier Erwähnung zu thun, weil sich einer Seits die Bestrebungen der grossen staatlichen und kirchlichen Fartheien vorzugsweise im Parliamente äussern, jeden Falles hier entschieden werden; anderer Seits das Leben des Parliamentes selbst durch die Kämpfe und Schicksale der Partheien bestimmt ist. Eigener geschichtlicher Werke über diese wichtige Seite der englischen staatlichen Zustände giebt es nun drei die Geschichte der Whigs und Tories von E. de Cize1); die Geschichte des Partheiwesens von Coxe'); endlich Lord Holland's Beitrag zur Geschichte der Whigparthei während seines Lebens 3). Unzweifelhaft die bedeutendste dieser Schriften ist die von Coxe. Hier wird mit grosser Ausführlichkeit die ganze innere Geschichte Englands von der Restauration bis zu der Reformbill, wie sich dieselbe im parlamentarischen Leben ausprägt, gegeben; also die Bildung und der Verlauf der verschiedenen Ministerien, die Verhandlungen und die wichtigsten politischen Beschlüsse in jedem einzelnen Parliamente, die von den leitenden Männern aufgestellten und von den Partheien verfochtenen staatsrechtlichen Grundsätze, die Charactere und Haltung der bedeutendsten Persönlichkeiten. Vielleicht ist es dem Verfasser nicht immer gelungen, seinen eigentlichen Gegenstand einzuhalten und sich vor Abschweifungen in die geschichtlichen Ereignisse zu bewahren; doch geschieht diess verhältnissmässig selten. Grösser ist der Fehler, dass der Verfasser selbst allzu entschiedener Partheimann (und zwar Whig) ist, und somit weder in der Auffassung der Ereignisse, der Fragen und der Personen hoch genug steht, noch immer im Einzelnen gerecht urtheilt. Im Ganzen ist jedoch das Buch keineswegs schlecht geschrieben; und es enthält einen reichhaltigen und wohlgeordneten Stoff. Die Geschichte von De Cize ist, namentlich für einen Ausländer, nicht übel. Er hat offenbar die Dinge in der Nähe angeschen und sich zu unterrichten gesucht. Allein das Buch ist doch ungenügend. Nicht nur umfasst es blos die Zeit von 1678 bis 1714; sondern es geht auch auf die Grundlagen der beiden grossen Partheien weder geschichtlich noch kritisch tief genug ein. Die Denkwürdigkeiten Lord Holland's

1) De Cize, E., Histoire du Whigisme et du Torisme. Amst., 1718.

2) Coxe, G. W., The history of Party; from the rise of the Whig and Tory factions. I-III. Lond., 1836-37.

3) Holland, H. R. Lord, Memoirs of the Whig Party during my time. 1. II. Lond., 1853-54.

sind gar unbedeutend, und stehen tief unter der Erwartung, welche die äussere Stellung des Verfassers und sein persönlicher Ruf erwecken mussten. Es fehlt sehr an staatsmännischen Ueberblicken und Urtheilen; und die wenigen spitzen Anecdoten geben eine geringe Entschädigung.

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Was nun aber die höheren Darstellungen der gesammten Parliamentsgeschichte betrifft, so sind sie, obgleich nicht zahlreich, doch sehr verschiedener Art. Mit grosser Ausführlichkeit und Gründlichkeit berichtet die, ursprünglich von einer Gesellschaft Sachverständiger bearbeitete, höchst umfassende parlamentarische und Verfassungs-Geschichte Englands 1). Es mag sein, dass die spätern Entdeckungen und Auffassungen jetzt in einzelnen Punkten Berichtigungen und Zusätze möglich machen; allein es bleibt für alle Zeiten ein sehr achtungswerthes, ein wahres Nationalwerk, in welchem die Entwicklung der Verfassung und ihre Wirksamkeit im einzelnen Falle während mehr als sechs Jahrhunderten verfolgt werden kann. Es beginnt mit der Eroberung und schliesst, in seiner neuesten Ausgabe, mit dem Jahre 1803, wo die unermessliehe Sammlung der Hansard'schen Debatten anhebt. In vielen Fällen ist es die einzige gedruckte Quelle, und namentlich finden sich aus den Zeiten, in welchen die Verhandlungen in den beiden Parliamentshäusern noch nicht regelmässig und ausführlich bekannt gemacht wurden, alle Ueberlieferungen von von Reden und Debatten gesammelt. Weniger dem Titel und der Absicht des Verfassers als der Sache nach gehört ferner in diese Abtheilung der allgemeinen geschichtlichen Werke die Geschichte der englischen Parlamentsberedsamkeit von Hegewisch). Der eigentliche Gegenstand ist nämlich sehr unvollkommen hehandelt. Weder sind die allgemeinen Ursachen der sich erst spät und allmählig im Parliamente entwickelnden Redekunst und Redefreiheit (in der Hauptsache: die allmählige Beschäftigung mit den allgemeinen inneren und äusseren Augelegenheiten, so wie die immer sicherere Feststellung des persönlichen Schutzes der Mitglieder) gehörig nachgewiesen. Noch ist auch durch passende und ausreichende Beispiele die Entwicklung vor Augen geführt. Dagegen wird mit Sachkenntniss und Geschmack von der Entwicklung der Verfassung überhaupt und der parlamentarischen Zustände insbesondere gesprochen, und der politische Geist der verschiedenen Zeitalter und berühmter Männer richtig gewürdigt. Hierdurch aber eben erhält die Schrift die ihr hier angewiesene Stelle. Einzelnheit und Tieferes darf freilich nicht gesucht Auch eben nicht auf Gründlichkeit und geschichtsphilosophischer

werden.

1) S. die oben, Seite 66 u. 67, in der Note bereits genannten Werke: Parliamentary and constitutional history of England being a faithful account of the most remarkable trensactions of Parliament from the carliest times to Dec. 1660. I-XXIV, Lond., 1767; so wie die neue sehr verbesserte Ausgabe und Fortsetzung bis 1803, welche, als eine Einleitung zu Hansard's grossem Debattenwerk, 1806 von Cobett begonnen und in 36 Bänden beendigt wurde.

2) Hegewisch, D. G., Geschichte der englischen Parlamentsberedsamkeit. Altona, 1804.

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