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lichen Ursprungs ist. Dies Princip ist, dass das Seelenheil das Ziel des Menschen ist, dass das höchste Gut (Grätz sagt Glück) in der Rettung der Seele liege. Dieser Begriff aber ist im Judenthum,,so sehr fremd", und Albo musste einen eignen Ausdruck dafür schaffen. Wir vermögen das nun freilich nicht zu tadeln, sondern finden darin nur ein Lob Albo's, der den grossen Mangel des Judenthums Werkgerechtigkeit und unzulängliche Einsicht in das Wesen der Sünde und Erlösung (Rettung) empfindet und mit seinen Mitteln zu heben sucht, freilich wesentlich christliche Gedanken benutzend. Denn ein solcher ist es auch, dass das Entscheidende nicht die Handlung, sondern die Gesinnung ist, nicht die Hand, sondern das Herz. Nehmen wir noch dazu, dass Albo die von Maimonides (More II, 39) so entschieden geläugnete Möglichkeit, dass das mosaische Gesetz abrogiert werden könne, zugibt, so müssen wir mit der Anerkennung von ihm scheiden, dass er ein Mann war, der durch sein Denken die rigoröse Sprödigkeit der Gesetzesreligion nicht wenig erweicht hat.

VII. Allmälige Verknüpfung jüdischer und christlicher

Auslegung.

Wir haben bisher an dem Beispiele der Joelauslegung die auf

steigende Entwicklung der rabbinischen Exegese sich selbst darstellen. lassen, indem wir dieselbe vom Targum an durch die in den Commentaren vereinzelt angeführten midraschischen Deutungen bis zu Raschi verfolgten, den wir schon mit der spanisch hebräischen Grammatikerschule und ihrem Kampfe gegen Dunasch ben Labrat1 bekannt gefunden. haben. Wir sahen hier in Raschi die traditionelle Auslegung der Alten, mit ihren bei aller phantastischen Freiheit practischen und erbaulichen Zielen, kurz die midraschische Auslegung vereint mit der erwachenden grammatischen Kunst, bei überwiegender Neigung, der alten Fassung getreu zu bleiben. Zunz Zur Gesch. u. Litt. S. 195.

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Von den beiden Elementen der Auslegung entwickelte sich bei den folgenden Gelehrten das grammatische stärker und drängte das traditionelle zurück, wir sahen nach den Vorarbeiten des Qaräers Jephet und

1) Die von Raschi benutzten Vorgänger hat Zunz Zur Geschichte und Litteratur Berlin 1845, S. 62 f. verzeichnet. Zunz bemerkt, dass er Jehuda ben Qoraisch nur aus Anführungen des Menahem ben Seruq kannte. Ueber Dunasch vgl. Schröters Ausgabe: Kritik des Dunasch etc. Breslau 1866.

der Rabbaniten Samuel hannagîd, Abu 'lwalîd und Mose hakkohen (Mose Geqatilia) den nächsten grossen Exegeten Abraham ibn Ezra schon völlig zur historischen oder zeitgeschichtlichen Deutung geneigt, aber nicht befähigt. Daneben erscheint es von besondrer Wichtigkeit, dass wenn die historische Deutung überhaupt auftritt, mit ihr zugleich die Fragen nach der Anlage, Gliederung und dem Zwecke, sowie der Abfassungszeit einer Schrift erwachen, die für Raschi noch nicht ihr nöthiges Gewicht haben, und von denen Ibn Ezra nur die Abfassungszeit, diese aber ebenso ungenügend erörtert, wie er den Zweck der Prophetie Joels, als in der Voraussagung des Sieges des Königs Josaphat liegend, verkehrt bestimmen müsste, wenn er es mit deutlichen Worten zu thun versucht hätte. Für David Qimhi hat sodann die Frage nach der Gliederung des Textes schon Bedeutung, auch erkennt er, dass die historische Deutung zuweilen undurchführbar ist, und setzt an deren Stelle die apocalyptische.

Zeigt sich so David Qimḥi für das Buch Joels als der gediegenste der drei Ausleger, so bemerken wir bei ihm Spuren eines dritten Einflusses neben dem midraschischen und grammatischen, der auf die Exegese bestimmend einwirkt, es ist dies der philosophische, den er durch die Anführung maimonideischer Lehren verräth. Für diesen Einfluss der Philosophie war Ibn Ezra weniger empfänglich (S. 254), er ist der Mann des Wortsinnes (), Qimḥi aber reflectiert auch auf die dogmatische Verwerthung desselben im Aufbau des Lehrbegriffes und benutzt darum die Mittel und Wege der maimonideischen Hermeneutik, ja auch ihre Schleichwege, und wo Ibn Ezra seiner Astronomie die Auskunft abborgt (Joel 3) und seltsame historische Combinationen anstellt, da weiss Qimhi nach Maimonides' Vorgange von den Hyperbeln der prophetischen Ausdrucksweise zu reden. Qimhi war warmer Anhänger des Maimonides. Grätz Geschichte der Juden VII, 67.

So liegt hinter der exegetischen Thätigkeit des Qimhi, die treu grammatisch ist und den Zusammenhang berücksichtigt, als weiteres Motiv und Regulativ eine bestimmte philosophische Ansicht vom Wesen der prophetischen Diction und damit vom Wesen des Prophetismus, der Offenbarung und der Religion überhaupt, und es zeigt sich, dass man die Phasen der jüdischen Exegese mit ihren eigentlich treibenden Kräften ohne Kenntniss der jüdischen Religionsphilosophie nicht durchschauen kann. Wie für das Verständniss des Entwicklungsganges der Auslegung in der Kirche die Kenntniss der Theologie der Kirchenväter, der Reformatoren, der Rationalisten u. s. w. unentbehrlich ist, so setzt die Einsicht in die Entwicklung der jüdischen Auslegung Bekanntschaft mit der jüdischen Religionsphilosophie voraus, deren in die Prophetenexegese

einschlägige Lehre wir daher nicht übergehen konnten. Wir haben so Maimonides, (Crescas) und Joseph Albo's Theorien des Prophetismus dargestellt, die eigentlich Gegensätze bilden, denn (Crescas und) Albo bestreiten Maimonides' Methode und Resultate (die 13 Glaubenssätze), ohne freilich loszukommen und sich seinem Einflusse entziehen zu können, und an diese Darstellung haben wir die Beispiele geschlossen, die zeigen sollen, wie die Theorie auf die Praxis wirkt.

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Der Hauptpunkt, um welchen es sich bei allen diesen Prophetenauslegungen handelt, ist die Frage nach dem Kommen des Messias und den letzten Dingen, dass diose aber in den Vordergrund tritt, hat seinen geschichtlichen Grund darin, dass alle genannten Philosophen practisch bei den religiösen Kämpfen gegen die Christen oder Mohammedaner betheiligt waren, bei welchen die messianischen Streitigkeiten eine grosse Rolle spielten. Wie bei den westlichen Muḥammedanern Mehdi's auftraten, so trat auch unter den Juden in Südarabien ein messianischer Vorläufer auf, gegen welchen Maimonides in seinem Temansendschreiben (1) geschrieben hat, so dass er in practische Beziehungen zu diesen Schwärmereien verwickelt wurde. Wir erfahren von ihm, dass es nicht bei Zeitberechnungen, wie die Saadja's und die eines Ungenannten, der das Jahr 1146 als das des Endes bestimmte, geblieben ist, sondern dass wirkliche Pseudomessiasse aufgetreten sind. In Ispahan trat Abu Isa Obadja auf, in Frankreich ein Ungenannter um 1087, ein andrer in Cordova um 1117, ein dritter in Fes um 1127, die über ihre Volksgenossen schweres Unglück gebracht haben. Maimonides verdammt die Schwärmerei, aber er ist selbst so davon angesteckt, dass er in demselben Sendschreiben mittheilt, nach einer in seiner Familie fortgepflanzten Ueberlieferung werde als Vorläuferin des Messias die Prophetie im Jahre 1216 von Neuem wieder beginnen. Man sieht, der Druck der Zeit steigert die Hoffnung zu schwärmerischer Erwartung, die Unterdrückung und Verfolgung erzeugt apocalyptische Träume, so im Islam wie im Judenthum, wenn der Leidensbecher voll ist, dann soll die Rettung nahe sein. Um 1286 soll dann in Palästina ein Messias aufgetreten sein. Grätz a. a. O. VII, 202.

Auch in der Zeit Chasdaj's fehlte es nicht an einem Pseudomessias, Jacob Alkorsono in der castilischen Stadt Cisneros, und es ist vielleicht diese Persönlichkeit, von deren Messianität Chasdaj Crescas selbst in

1) Sowohl bei der Begründung der ägyptischen Fatimidendynastie als bei der der berberischen Moraviden und Almohaden.

2) Grätz Gesch. der Juden V, 189, VI, 333.

den Synagogen öffentlich gepredigt hat. Jedenfalls geht aus dem Zeugnisse des Geronimo de Santa Fe in der Eröffnungsrede der Disputation von Tortosa 1413 soviel hervor, dass Chasdaj an einen eben auftretenden Pseudomessias geglaubt hat.1

Gegenüber diesen Ansprüchen auf Messianität und diesen Hoffnungen, dass die Erlösung nahe, musste die Prophetenexegese freundlich oder feindlich Stellung nehmen und wir finden in Hajjim Gallipapa einen Gegner und später in Abarbanel einen Begünstiger solcher Hoffnungen. Auch mit ihm hört diese Schwärmerei nicht auf, gegenüber dem oft wiederholten Satze, dass nur Gott Zeit und Stunde weiss, behaupten Kabbalisten und Frankisten, in Gottes Rath eingedrungen zu sein. Ein Aufgeben der messianischen Erwartung selbst gilt aber Albo wie Maimonides für Ketzerei, das Judenthum gibt sich selbst auf, wenn es diesen Glauben fallen lässt, und so bleibt der Funke immer glimmend, aus dem die Schwärmerei von Neuem emporflammen kann und emporflammt.

So gesellt sich zu den alten Elementen der exegetischen Kunst, zu der Tradition, der Grammatik und der philosophischen und dogmatischen Reflexion als viertes speciell für die Auslegung der Propheten die Reflexion auf die Erfüllung, oder was damit identisch ist, das Merken auf die Zeichen der Zeit, denn die Propheten haben von der Zukunft geschrieben, die doch irgend wann vielleicht eben jetzt Gegenwart wird. Hiermit stellt sich von selbst die Frage, sind die Propheten zeitgeschichtlich oder endgeschichtlich oder vermöge des mehrfachen Sinnes und der göttlichen Oeconomie in der Weltentwicklung in beiden Beziehungen gleichzeitig zu deuten und zu verstehen?

Wir fanden bei Albo die beiden ersten Richtungen bezeichnet, die dritte nicht ausgeschlossen, vielleicht huldigt er ihr unbewusst selbst. Zeitgeschichtlich deuten Mose hakkohen und Ibn Ezra, Hajjim Gallipapa, endgeschichtlich Qimḥi, Berechnungen der Zeit im Sinne des biblischen Realismus stellt Abarbanel an, wie andre vor ihm.

Besonders stachelig wurde nun die Frage der messianischen Auslegung gegenüber der Kirche, welche ihrer Lehre auch noch die zwingenden Beweise der Vergewaltigung und Misshandlung der Widerstrebenden beizugeben vermochte, und in der ebenso wie bei den Juden um das Jahr 1400 die schwärmerische Erwartung, dass das Ende der Welt nahe sei, durch den später canonisierten Vincenz Ferrer † 1419 verbreitet wurde. Dieser Dominicaner schrieb eine Epistola ad Benedictum XIII de fine mundi et tempore Antichristi. Ich habe zwar dies Schrift

1) Grätz a. a. O. VIII, 108, 415.

chen nicht unter diesem Titel gefunden, wohl aber in zwei übereinstimmenden Ausgaben aus dem fünfzehnten Jahrhundert auf der Kgl. Bibliothek zu Stuttgart gelesen. Es führt den Titel Mirabile opusculum Sancti Vincentii ordinis praedicatorum de fine mundi, die eine Ausgabe gibt den Druckort und das Jahr nicht an, die andre zwar nicht das Jahr, aber den Drucker (per Conradum Zeninger civem Nurembergensem). Ferrer will darin die Weissagungen Dan. II, III et IV breviter aperire, quarum prima loquitur de casu vitae spiritualis, secunda de lapsu dignitatis ecclesiasticae, tertia de ruina fidei catholicae. Das bestimmende Princip seiner Auslegung ist das des Typus: Omnia veteris testamenti contingebant in figura. Die Statue Dan. II bildet Anfang und Ende der Kirche ab, das Gold die Zeit der Apostel und Märtyrer (400 Jahre), das Silber die Periode der erwachenden Haeresen der Arianer u. A. (500 Jahre), das Erz den mit dem Auftreten Mohammeds beginnenden Geschichtsabschnitt. Die Zeitrechnung geht freilich in die Irre. Damals schon wollte Jesus die Welt zerstören, aber auf Fürbitte der Maria gewährte er, wie dies in den Legenden der Heiligen Dominicus und Franciscus zu lesen steht, einen weitern Aufschub. Die Orden dieser Heiligen haben die Aufgabe, die Welt durch ihre Predigt zu bekehren (und hier sieht man, warum Ferrer sich berufen glaubt, auch die Judenbekehrung in die Hand zu nehmen), und sie haben 150 Jahre hindurch ihre Regeln streng gehalten, aber seit 50 Jahren sind sie nachlässig geworden. Dies zeigt die Statue mit den tibiae ferreae an, die die Zeit markieren, in der Ferrer wirkt, und die er unter Benutzung von Stellen aus den Psalmen und den Klageliedern nicht schwarz genug schildern kann. In's Besondre wird der hohe Clerus und die Orden mitgenommen: Bischöfe und Ortspfarrer (Rectores) sind von ihren Sitzen abwesend, die Sacramente muss man für Geld erkaufen, alle sind mentaliter vel corporaliter Symoniaci. Die Füsse der Statue aus Thon und Eisen bedeuten die Zeit des Antichrists, der Thon besagt, dass ein Theil der Christen de luto d. h. carnales sein werden. Der Stein ist endlich Jesus als Weltrichter. Dass das Weltgericht nahe sei, wird nicht ausdrücklich gesagt, aber hinreichend klar zu verstehen gegeben.

In Dan. III findet Ferrer zwei Antichristen verkündigt, der erste ist der Antichristus mixtus, der in grosser Heiligkeit auftritt, der zweite der Antichristus purus. In die Deutung sind Benutzungen von Ezechiel 8 verwoben. Interessant ist darin die Beschreibung eines mittelalterlichen Schreibzeuges (calamarium), sowie die Erwähnung der Artillerie (bombarda, percutere cum bombardis, bombardare).

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