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scholastisch-philosophisch. Nämlich mit 3, 1 beginnen Verheissungen der bona spiritualia (vgl. oben die Theilung), und quia vetus testamentum promittebat temporalia Esajae 1, 19 Si audierit me bona terrae comedet, novum autem testamentum promittit spiritualia Matth. 3 Poenitentiam agite, appropinquavit enim regnum coelorum, promissio de temporalibus fuit impleta tempore veteris testamenti, ut praedictum (wir fragen wo?), ista vero tempore novi testamenti, ut videbitur. Nachdem so die Ueberleitung gewonnen, führt er Raschi's Deutung an, die von 3, 1 an alles in die Zeit des noch zukünftigen Messias verlegt, und verwirft sie natürlich, aber nicht ohne einigen christlichen Auslegern einen Hieb zu versetzen. 1 Er sagt nämlich . . . aliqui expositores nostri exponentes hunc passum de reditu captivitatis Babylonicae tempore, quo datus fuit spiritus prophetiae Esdrae Aggaeo et Zachariae, magis judaizant quantum ad hos quam ipse, nämlich Rachi. Er lässt Raschi illud quod est falsitatis, nämlich dass der Messias noch kommen soll, und nimmt von ihm an illud quod est veritatis, nämlich dass der Rest des Joel messianisch ist, und theilt diesen Rest in zwei Theile: primo ponitur id, quod jam est impletum in adventu Christi primo, secundo quod restat implendum in adventu ejus secundo. Er theilt also eigentlich in den messianischen und apocalyptischen Theil; hier ist denn freilich die Heuschreckenverwüstung und die vier Reiche ausser Betracht gelassen, und von Elias Zeit ganz abgesehen, aber Nicolaus macht es in nichts schlechter als die neusten Ausleger, die ähnlich handeln.

Das et erit post haec, 3, 1, bedeutet post tempus veteris testamenti, die Benutzung der Stelle in Act. 2 bindet den Ausleger, die catholici dürfen es nicht anders fassen. Super omnem carnem deutet Raschi zwar von denen, die ein weiches Herz haben, nach Nicolaus aber et aliter potest (!) dici nämlich über Juden und Heiden. Das prophetabunt filii et filiae wird nach der Apostelgeschichte gedeutet, am Pfingstage waren auch Frauen da, denn es heisst: erant perseverantes unanimiter in oratione cum mulieribus et Maria matre Jesu; auch die Töchter des Philippus werden nicht vergessen.

Mit 3, 3 et dabo prodigia in coelo beginnt der eigentlich apocalyptische Theil, obwohl Einige auch dies von der ersten Parusie verstehen wollen, was Nicolaus nicht zum Wortlaute stimmend findet. Der Abschnitt erleidet wieder eine Zweitheilung, quia primo ponuntur signa praecedentia judicium, sodann judicii exercitium von quia ecce 4, 1 an.

1) Wer mag das sein? Sollte ihm von Theodoret eine Spur bekannt gewesen sein, der die Kriege Cap. IV auf Zerubabel bezogen hat? Merx, Die Prophetie des Joel.

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Aus den Vorzeichen des Gerichtes verdient 3, 5 quia in monte Sion et in Jerusalem erit salvatio Beachtung. Neben der Beziehung auf Christi Werk in Jerusalem, die eigentlich unter den Vorzeichen des Gerichtes ungehörig ist, weist Nicolaus auf eine andre Möglichkeit: Potest etiam hoc referri ad futurum tempus Antichristi, quem dominus Jesus interficiet juxta Hierusalem in monte oliveti cum magna parte sibi adhaerentium. Et sic fidelibus nomen ejus invocantibus dicto modo erit salvatio a persecutione ejus. Vgl. ob. S. 198, 212. Woher aber stammt diese Lehre? Sie ist Deutung von Apocal. 11, 3—8.

Wir haben Aehnliches bei Joannes Damascenus gefunden und an ihn erinnert auch in der Schilderung des eigentlichen Gerichtes 4, 1 Nicolaus Bemerkung zu cum convertero captivitatem Juda et Jerusalem i. e. Judaeos ab Antichristo deceptos, cum detecta falsitate ejus per Heliam et Enoch ad Christum fervide convertentur.

Zu deducam in vallem Josaphat wiederholt er das Schweben Christi über dem Oelberg, das wir oben bei Remigius S. 198 gefunden haben, sowie die Localisierung von Josaphat zwischen dem Oelberge und Jerusalem. Im Thale selbst finden nicht alle zum generale judicium Platz. die übrigen stehen rings um dasselbe herum. Populus meus ist die universalis ecclesia, die alle Frommen von Abel bis zum letzten Gebornen umfasst; quos dispersi bezeichnet die von Tyrannen oft in's Exil getriebnen Christen; terram meam diviserunt bezeichnet die terra promissionis, quam Saraceni diviserunt sibi, Christianis inde partim ejectis et partim occisis. Nicolaus trifft mit Qimbi nicht überein, der dies aut die Erobrung durch Titus bezog. Auch das in prostibulo ponere von Knaben und das Verkaufen von Mädchen, wird auf den Sclavenhandel der Ungläubigen, d. h. der Muhammedaner bezogen, die so Christenknaben behandeln.

Mit 4, 4 Verum tamen quid mihi et vobis Tyrus beginnt Nicolaus einen neuen Untertheil, wobei er seiner Lust zu distinguieren wieder nachgibt. Es handelt der Schluss 1. von der der ultio 4, 4—12, dann von 4, 12 -21 von mundi consummatio. Diesen letzten Theil scheidet er abermals in zwei Stücke, er soll enthalten einmal das finale judicium und fügt Einiges bei, was oben übergangen worden ist, sodann bestimmt er die poenae et praemia. Das erste Stück umfasst 4, 12-17, das zweite 4, 17-21.

Bei allen diesen Theilungen gelingt es ihm aber nicht sich durchgehend in der Endzeit zu halten, denn die Bedrohung von Tyrus und Sidon 4, 4 veranlasst noch zu folgender Distinction des Abschnittes 4, 4-12: primo denunciatur ultio quaedam implenda tempore veteris

testamenti, secundo alia tempore novi, und so müssten wir aus der Endzeit in die Geschichte und aus dieser unmittelbar wieder in die Endzeit springen. Jene Völker sollen nämlich nach dem jüdischen Exile satis cito debellati und captivati sein, und das ecce ego suscitabo eos de loco, in quo vendidistis eos will er gar tempore Cyri impletum sein lassen. Man sieht, hier herrscht völlige Verwirrung, die sich dadurch noch steigert, dass das vendam filios vestros in manibus (i. e. per manus Nicol.) filiorum Juda in der Mackabäerzeit buchstäblich eingetreten sein soll. Erst mit 4, 9 clamate lässt Nicolaus die ultio beginnen, die tempore novi testamenti implenda est, d. h. die sich in dem finale judicium vollendet.

Hiernach hält er dafür, dass das sanctificate bellum 4, 9 convenientius potest exponi de persecutione Antichristi, qui violentia armorum conabitur totaliter transferre Dei cultum ad se 2 Thess. 2, 8. Diesen Gedanken führt er nun durch, alle die Imperative clamate, sanctificate u. s. w. sind Aufforderungen an die Diener des Antichrists gegen die Gläubigen zu kämpfen. Wer diese Aufforderung soll ergehen lassen (die Neuern schwärzen hier Herolde ein) sagt er nicht, er umgeht die Frage durch Passivconstruction und erklärt: Clamate haec in gentibus i. e. clamabitur: Vos ministri Antichristi, et sic erit exponendum in sequentibus. Das ibi occumbere faciet dominus robustos tuos 4, 11 wird glossiert interficiens (scil. dominus) Antichristum et majorem partem sibi adhaerentium.

Mit 4, 12 beginnt die consummatio mundi; consurgant et ascendant heisst de sepulchris suis per generalem resurrectionem, die Versammlung findet im Thale Josaphat Statt. Das mittite falces ist den Engeln gesagt, die das göttliche Urtheil vollstrecken. Apocal. 14, 15. Wenn die Glorie des Richters erscheint, so wird der Glanz der Gestirne verdunkelt und die Worte: sol et luna obtenebrati sunt finden so ihre natürliche Erläuterung. Der Rest wird dann ganz anagogisch gedeutet, Zion ist das himmlische, wenn keine fremden Völker durchziehen sollen, so bedeutet das, dass die Frommen nicht mehr mit Unfrommen gemischt sein sollen. Die Quelle ist bildliche Bezeichnung des Glückes, unter Aegypten und Idumaea werden generaliter omnes peccatores verstanden, das desertum ist die Hölle, Judaea endlich ist metaphorisch die civitas coelestis.

Soweit der Joel commentar des Nicolaus, den man nach den Proben älterer Auslegung nur um so höher wird stellen müssen; Nicolaus kennt die jüdischen wie christlichen Vorgänger, aber er steht ihnen frei gegenüber, er ist auch durchaus nicht Eklektiker, sondern von einem festen hermeneutischen Grundsatze geleiteter Ausleger. Dieser Grundsatz wird

gewöhnlich nicht scharf genug bestimmt, wenn das bekannte Distichon Littera gesta docet etc. als sein reiner Ausdruck angesehen wird, den Lyra kennt keinen vierfachen Sinn, sondern nur einen zweifachen. den litteralis und mysticus; dass dieser letztere Unterabtheilungen hat. ändert an dem Grundsatze nichts, denn coordiniert ist bei ihm nur der litterale dem mystichen im Allgemeinen, aber durchaus nicht ist die litterale Deutung einer Stelle gleichwerthig einer allegorischen oder moralischen Deutung derselben Stelle. Proben des vierfachen Sinnes. so dass alle vier coordiniert und gleichwerthig erscheinen, haben wir bei den älteren christlichen Auslegern gefunden, Lyra zeigt dagegen einen vollkommen andern Charakter. Nachdem so der Irrthum bemerklich gemacht ist, der darin liegt, wenn man Lyra als Anhänger des vierfachen Sinnes betrachtet, sehen wir uns seinen zweiten Sinn einmal etwas näher an.

IX. Die theologische Bearbeitung des Schriftinhaltes bei Nicolaus.

Der

sensus mysticus ist ihm derjenige Sinn, den die Schrift enthält, sofern Gott in ihr durch die Thatsachen redet. Diese Thatsachen selbst werden durch den Litteralsinn mitgetheilt, bedürfen aber dann als Thatsachen der Deutung für das religiöse Bewusstsein oder der Aneignung, die man in unsrer Zeit historisch oder reichsgeschichtlich gibt, in Lyra's Zeit aber dogmatisch (Allegoria, Anagoge) und moralisch zu geben bestrebt war. Diese Deutung der Thatsachen ist nun keineswegs mit der Deutung der Berichte über dieselben identisch, sondern von ihr total verschieden, für die Deutung des Berichtes ist die Littera die Grundregel, nur was die littera gibt macht die Substanz der Thatsache aus, für die Deutung der Thatsachen in der historischen Wirklichkeit und für ihre Aneignung an das religiöse Bewusstsein gelten die Lehren der Kirche, und hier findet der Typus Unterkunft, der, wie wir gesehen haben (S. 129), das antike der Kategorie des Werdens noch entbehrende Aequivalent der modernen historischen Betrachtungsweise und Vermittlung der beiden Testamente ist.

So verknüpft sich mit dem durch Deutung der littera gewonnenen Sinne weiter die Deutung und Aneignung an das Bewusstsein seiner Zeit als ein zweites Element, das nicht exegetisch ist, sondern dogmatisch, und es wird klar, dass der sensus mysticus eigentlich gar nicht

das Departement des Auslegers, sondern das des verarbeitenden Theologen ist, er ersetzt für Lyra dasjenige, was wir heute biblische Theologie und Dogmatik nennen. Ich wähle als Beispiel zur Darlegung dieses Verhältnisses eine eschatologische Vorstellung, der wir schon oben. begegnet sind, um sie bei dieser Gelegenheit breiter vorzuführen.

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Die Deutung der littera in Joel 3, 5 quia in monte Sion et in Jerusalem erit salvatio hat keine Schwierigkeit, gedeutet ergibt die Stelle eine Verheissung, welche unbestimmt ist, die aber Nicolaus nicht als Ausleger, sondern als theologischer Erklärer näher zu bestimmen sucht. Er äussert sich dabei schwankend, entweder es geht auf Christi Werk in der ersten oder auf das in der zweiten Parusie. Das Werk der zweiten Parnsie, das er auch zu 4, 11 berücksichtigt, ist die Tödtung des Antichristen, die er aber aus (vermeintlich) kirchlicher Lehre und nicht aus dem exegetischen Befunde nimmt, sondern zu diesem hinzu bringt. Wie die Kirche über den Antichristen lehrte, das hat Nicolaus selbst in einem kleinen Tractate Compendium de vita Antichristi dargestellt, dessen Inhalt ich hier angebe, weil wir den hier gebotnen Vorstellungen schon in der Auslegung Joels mehrfach begegnet. sind. Ich benutze den Text in dem Praeceptorium Nicolai de Lyra cum aliis quibusdam certis tractatulis perutilibus etc. Impressum Colonie per me Hermannum Būgart (Baumgart) de Ketwych ibidem super forum antiquum morantem tzo dem Wilden Manne Anno dñi 1497 mense Augusti. Der Leser lernt hier die Art kennen, wie die ältere Bibelforschung zur Bildung ihrer Vorstellungen die Bibeltexte benutzt hat. Die scholastischen Distinctionen lasse ich fort.

Der Antichrist stammt von Dan ab, denn Gen. 49, 17 heisst es: fiat Dan coluber in via, und darum wird Dan in der Apocalypse in den Catalog der Heiligen in detestationem Antichristi nicht aufgenommen. Er wird durch Hurerei erzeugt, da er 2 Thess. 2, 3 homo peccati i. e. in peccato conceptus genannt wird, und zwar durch Wirkung des Satans, wie Augustin sagt: Spiritus malignus descendet in uterum matris et ex virtute divina commovebitur et implebitur Antichristus, denn

1) Materiell ist der Inhalt identisch mit dem von Floss in Haupt's Zeitschr. für deutsches Alterthum X, 265 veröffentlichten Schriftchen eines Albwinus an den Kölner Erzbischof Heribert, der 999-1021 den Stuhl inne hatte. Wir haben es also mit überlieferten und weit verbreiteten Vorstellungen vom Antichristen zu thun, für die ein ausgiebiger Schriftbeweis geführt wird.

2) Vgl. zum Folgenden Pseudo - Augustin de Antichristo in Augustini Opp. Mauriner Ausg. Tom. VI, Appendix P. 243, sowie der Herausgeber Admonitio in subseq. libellum, P. 242. Ueber Dan Augustin Opp. III. I. P. 591.

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