Page images
PDF
EPUB

Autor durch sie zur gleichen Distinction veranlasst sein, aber diese Möglichkeit verschwindet vor seinen weiteren Ausführungen. Wenn er den Unterschied der Vision im Wachen und Schlafen betont, so weist dies auf die S. 355 erörterte Lehre über Traum und Vision, die Thomas aus Maimonides entlehnt hat, zurück, und wenn er dem Johannes die Offenbarung durch einen Engel, der die Form Christi angenommen hatte, zu Theil werden lässt, wobei er den letztern Zug den einfachen Worten der Apocalypse 1, 1 mittens per angelum suum, aus eigner Machtvollkommenheit hinzusetzt, so hat er dabei die höchste Stufe der maimonideisch-thomistischen Rangordnung der Prophetie im Auge. Diese ist für Maimonides die Vision, in welcher ein Engel redet, genau diese Stufe wird hier dem Johannes zuerkannt, und dem Engel die Erscheinungsform Christi verliehen. Hierdurch wird er aber über diese Stufe noch hinausgehoben und so dem Moses coordiniert, für dessen Erwähnung in diesem Zusammenhange die Lehre des Thomas, dass er der höchste Prophet gewesen sei, S. 361, genügende Erklärung bietet.

Ich glaube somit, dass unser Autor mindestens in das 12. Jahrhundert zu setzen ist, und dass er in Folge dessen nicht Haymo von Halberstadt sein kann, wofür auch die gelegentliche wirkliche Bekanntschaft mit der Septuaginta spricht, z. B. Amos 7, 1, die im neunten Jahrhundert schwer verständlich ist.1

Der Joelcommentar unseres Verfassers macht wesentlich den Eindruck eines Auszuges, in welchem unter Anderem eine längere Aus

gines (Haymo gar similitudines!) rerum cernimus, quibus aliquid significatur. Sic vidit Pharao spicas (Haymo, Maimonides, Thomas) et Moyses rubum ardentem (Glossa ordin.) ille dormiens, iste vigilans. Alia intellectualis, quum videlicet spiritu sancto revelante intellectu mentis veritatem mysteriorum, sicut eam capimus [percipimus]. Hier ist die Glossa umgearbeitet, was auch Thomas nur weitergehend mit ihr gethan hat. Die Histoire littéraire de la France XII, 473 erwähnt den Commentar und sagt S. 474 Gilbert's sonstige Glossen seien nur Erweiterungen der Glosse interlinearis Anselm's von Laon.

1) Die Stelle lautet: Aliter: Gog rex locustarum, qui secundum LXX interpretes positus est, interpretatur tectum, (so, nach Philo Origenes Hom. in Num. XVII, ed. Lommatzsch X, 214, wie Siegfried Philo S. 143 nachweist, dann natürlich auch Lyra zu Ezech.) superba quaedam et arrogans fortitudo Antichristi significatur etc. Eine weitere charakteristische Aeusserung findet sich in der Einleitung zum hohen Liede. Der Verfasser erkennt dessen dialogische Form und sagt: Est autem in hoc obscurissimus iste liber, quia nullae ibi personae commemorantur et quasi comico stylo compositus est. Er legt das Lied aus als ein epithalamium Christi et ecclesiae i. e. canticum super thalamos und bewegt sich somit in den Ideen der Mystiker.

führung des Hugo a Sto Victore excerpiert ist, mit dessen Schrift nach Hauréau diese ganze Auslegung identisch sein soll, was indessen irrig ist, wie die Vergleichung lehrt. Auch diese Benutzung Hugo's zeugt für Unechtheit des Haymo'schen Commentares, um so mehr, wenn der Hugo's ebenfalls unecht wäre, was oben S. 191 Hauréau angibt.

Der Charakter des Commentares als der eines übrigens selbständigen Auszuges gibt sich sofort kund. Wenn zur Ueberschrift bemerkt wird: Verbum Dei, quod semper fuit apud patrem, ad Johel factum est, so hat der Schreiber die S. 191 angeführten Stellen der Glossa ordinaria etc. im Auge. Zu den Worten Residuum erucae comedit rubigo folgt er dem Hugo von S. Victor: Quid enim per erucam, quae toto corpore in terram repit, nisi luxuria designatur? quid per locustam, quae saltibus evolat, nisi inanis gloria exprimitur? quid per bruchum, cujus paene totum corpus in ventre colligitur, nisi edendi ingluvies figuratur? quid per rubiginem, quae dum tangit incendit, nisa ira inunitur? Residuum ergo erucae locusta comedit, quia saepe cum luxuria (lies luxuriae) vitium a mente recesserit, inanis gloria succedit, cum se quasi sanctum ex castitate gloriatur. Dum ergo vitia vitiis fuccedunt agrum mentis alia pestis devorat, dum alia relinquit. Alles dies ist nichts als eine Kürzung der S. 194 mitgetheilten Stelle. Weiter führt der Verfasser noch die historische Deutung auf Salmanasser, Nebukadnezar, Antiochus und Vespasian an, um dann zu schliessen: Item aliter: Quatuor hae pestes significant genera vitiorum quibus humanae animae pervertuntur, nam hi metuunt cupiuntque dolentque gaudentque. Auch dies setzt die S. 193 angeführten Stellen des Remigius oder die Glossa interlinearis voraus.

Die Schilderung des Heereszuges in Joel II deutet er auf das Eindringen der Dämonen in die Seelen; a facie ejus contremuit terra wird gedeutet a facie hujus populi diabolici vel etiam Antichristi contremuit terra h. e. peccatores, moti sunt caeli i. e. spirituales et dominus dedit vocem etc. quia divina praedicatio praeibit Antichristi adventum. Ein Beispiel tollster Art ist endlich dies: Egrediatur sponsus etc. Sponsus Christus, de cubili suo h. e. de sinu patris ad publicum humani generis egressus. Sponsa caro ejusdem Christi ex utero Mariae virginis velut de thalamo suo prodiens. Sponsus sermo divinus, sponsa anima fidelis, welches letztere auf die mystische Schule weist, die wir S. 204 oben besprochen haben, wogegen jenes erstere uraltes allegorisches Inventar ist.1

1) Sponsus, Christus; thalamus uterus virginis Mariae, wie die Clavis des angeblichen Melito von Sardes (Pitra Spicilegium Solesmense III, LXXV) und

Auch die Aeusserungen über das Thal Josaphat sind kurz zusammengezogen und nicht ganz verständlich, wenn man nicht die breitere Ausführung des Remigius, S. 197, kennt, denn die Worte: Isti autem non judicabuntur in montibus, non in campestribus, sed in profundum et deorsum, ut statim judicii locus ipse pro poena sit, finden dort ihre Erklärung. Der Schluss der Auslegung wird immer compendiöser, wir haben nur einen Auszug vor uns, der nicht bloss die Ausleger der neunten, sondern auch die des zwölften Jahrhunderts voraussetzt und der sogar die Einflüsse einer philosophischen Theorie des Prophetismus wahrnehmen lässt. Denn die Identität des Verfassers des Apocalypsencommentares, in dessen Einleitung wir diese Spuren fanden, mit dem Verfasser der Erklärung der kleinen Propheten, die beide den falschen Namen Haymo's von Halberstadt vor sich tragen, scheint mir unzweifelhaft, da sich beide Werke auch stylistisch als verwandt erweisen, was ich hier jedoch nicht weiter verfolge.1

So viel von den philosophisch beeinfiussten Auslegern Albert und Pseudo - Haymo, von denen wir nun zum fünfzehnten Jahrhundert übergehen.

Eucherius angeben, bei denen ich aber die Deutung der Mystiker, die die sponsa als anima fidelis auffassen, noch nicht finde.

1) Ich glaubte ursprünglich, unser Commentator sei nach Thomas zu setzen, oder aber die Einleitung in der Apocalypse sei gefälscht. Auf meine Bitte hat Herr T. K. Cheyne die Handschrift 16 des Licoln College in Oxford (Coxe Catalogue of the Oxford College Libraries S. 23) zum Abschnitt der Apocalypsen - Einleitung verglichen und sie mit dem Drucke übereinstimmend gefunden verbatim et litteratim. Die Handschrift vom Cataloge in den Anfang des 12. Jahrhunderts gesetzt, kann nach dem Urtheile eines hervorragenden Sachkenners nicht jünger als höchstens 1200 sein. Somit ist der Commentator vor Thomas zu setzen, aber nach Hugo von St. Victor, er würde also in die zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts gehören. Hierzu passt seine Verwandtschaft mit den Bemerkungen des Gilbert de la Porrée, des Logicus Ethicus hic, Theologus atque Sophista, wie ihn ein Mönchshexameter nennt, der als hauptsächlicher Einführer des Aristoteles gilt. Es liegt nicht in meinem Berufe dieser Frage nachzugehen, doch konnte ich nicht umhin die sich ergebende Schwierigkeit denen bemerklich zu machen, die die Geschichte der Scholastik erforschen.

XII. Opposition gegen Lyra, Fixierung der Hermeneutik in der katholischen Kirche.

Zwischen Nicolaus und Thomas fanden wir oben S. 339 in der allgemeinen Werthschätzung der Prophetie die Differenz über Moses und David, in der wir auf Seite des Nicolaus eine christliche Reaction gegen die jüdische Theorie erkannt haben, und dieser Streit gibt Gelegenheit, den Exjuden Paulus von Burgos (Salomo Levita oder Paulus de Sta Maria † 1435) kurz zu erwähnen.,,Er corrigierte durch Additiones den Nicolaus oft unglücklich. Hermeneutisch stellt er den Litteralsinn auf Grund von 2 Cor. 3, 6 (nach alter Ueberlieferung) niedriger als die spiritualen, und sucht Widersprüche gegen die exegetische Tradition zu beseitigen. Uebrigens sehen wir aus ihm, dass diese Postille [Lyra's] bereits allgemein die glossa ordinaria sehr in den Hintergrund gedrängt hatte. Dagegen ist es bedeutsam, dass er (wie Gerson) die Erklärung des Parabolischen dem Litteralsinn zuweist." Die Vergleichung von Paulus und Nicolaus fällt in Bezug auf die Schärfe des exegetischen Blickes sehr zum Nachtheile des letzteren aus. So Diestel, Geschichte des A. T. in der chrisl. Kirche 199, 201. Als Convertit hatte er aber für das Judenthum eine starke Neigung, die ihm von seinem Gegner Döring zu Deutr. 33 vorgehalten wird.

Folgender Fall mag einen Beleg liefern; Nicolaus hat Deuter. 34, 10, wie wir S. 340 gesehen haben, nur für die Zeit wollen gelten lassen, die zwischen Moses und dem Verfasser dieser Stelle, also Josua verflossen ist. Demnach kann nach Josua ein grösserer Prophet als Moses aufgetreten sein, wie es Gregor von David behauptet hat. Nun höre man den Paulus: (Verba :) Non surrexit propheta major Moyse non debent intelligi, ut Postillator dicit, usque ad tempus Josuae tantum, quia si sic potius dixisset: Non surrexit usque ad hodiernum diem, prout in

1) Besprochen von Abarbanel zu Jes. 34, vgl. oben S. 236, als Convertit. Er ist dem Nicolaus gar nicht gewogen, daher mäkelt er an seinem hebräischen Wissen, das er mendicativo suffragio in aetate adulta erlangt habe, behauptet die Juden achteten Raschi's Exegese, der er folge, für gering and liessen nur seinen Talmudcommentar gelten, als Exegeten schätzten sie Moses Gerundensis höher, was doch alles nicht wahr ist, sondern Convertitenschwindel.

2) Dies bestimmt sich näher nach den Worten des Panlus in den Additones zum allgemeinen Prologe der Postille: Haec Postilla saltem in his partibus Hispaniae et ut credo Galliae communior est ceteris citra Glossam ordinariam. Ad istam enim recurrunt non solum Theologi sed etiam Juristae et alii intellectum sacrae scripturae planum habere desiderantes.

similibus solet dici. Sed cum dicat: Non surrexit, ultra denotat exclusionem respectu futuri temporis. Nec ex hoc excluduntur ministri novi testamenti, quia status antiquorum in Scripturis sub quodam saeculo quasi perpetuo saepe nominantur, ut Num. 18, 8 Legitimum sempiternum erit vobis, quod non se extendit ad tempus novae legis, ut patet intuenti etc. (Hier werden den Priestern Gaben zugesprochen, die sie im neuen Bunde nicht zu beanspruchen haben.) Auctoritas igitur B. Gregorii dicentis, quod David clariorem cognitionem habuit quam Moyses, exponenda est, ut intelligatur sic, quod David clarius expressit mysteria Christi modo et tempore (Thomas). Seine exegetische Weisheit besteht so einfach im Verdrehen, was er ganz unbefangen weiter kund gibt in den Worten: Wenn die Glossa sagt, David sei der Ausgezeichnetste der Propheten gewesen, so sei dies von den Hagiographen zu verstehen."

Wir fügen nun diesem Beispiele von Paulus' Gregorauslegung noch seine Theorie über den Sensus litteralis bei und glauben ihn dann hinlänglich charakterisiert zu haben. Er lehrt in den Additiones zum allgemeinen Prologe des Nicolaus, die Frage sei, was eigentlich den Inhalt des sensus litteralis bilde, und diesen bestimmt er formal so: sensus litteralis cujuscunque scripturae est ille, quem auctor intendit, statt zn sagen, es sei vorauszusetzen, dass der Auctor seinen Sinn durch die littera kund gebe, und dass er aus dieser zu erkennen sei. Nun ist aber der Auctor der Schrift Gott, also ist das der litterale Schriftsinn, was Gott beabsichtigt hat. Ex quibus sequitur, quod sensus litteralis sacrae scripturae non debet dici ille sensus, qui in aliquo repugnat ecclesiae auctoritati seu determinationi quantumcunque sensus talis sit conformis significationi

litterae: talis enim sensus non solum non intenditur ab auctore sed potius est haereticus. Hier ist nicht die Littera Quelle der Erkenntniss, Paulus hat sie in der Kirche, nach ihr muss die Littera gebogen werden; nicht einmal die Vermittlung, dass Kirche und Littera mit einander übereinstimmen müssen, lässt er gelten, und so kommt der katholische Standpunkt in seiner ganzen Consequenz zum Vorschein. Wenn nun dieser Satz einmal aufgestellt ist, so ist es nicht verwunder

1) Naiv ist hier die Glossa ordin.: Et non surrexit, hoc (ut ferunt) Ezdras de suo adjecit, qui bibliothecam a Chaldaeis exustam divino sensu reparavit, et litteras quibus Judaei nunc utuntur invenit, unde et velox scriba appelatus est. Aehnlich begann die Pentateuchcritik mit Annahme von Glossen.

2) So in den Additiones zum Psalmenprooemium des Nicolaus; wieder aber ist dies eine Nachwirkung der jüdischen Lehre, dass die Hagiographen geringerer Inspiration ihren Ursprung verdanken als die Prophetien.

[ocr errors]
« PreviousContinue »