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die Hand gibt, gesichert werden. Der Gouverneur soll instruiert werden, daß er die Kolonialregierung nur zu führen habe mit Hilfe der Departmentschefs, zu welchen die Legislatur Vertrauen habe, und daß er auf keine Unterstützung von seiten des Mutterlandes rechnen dürfe im Falle eines Konflikts mit der Legislatur, ausgenommen, wo es sich um rein imperiale Interessen handelte« (Report 241). Damit war die Selbstverwaltung der Kolonien nach doppelter Richtung gesichert. Einmal wurde der Kolonie das Recht gegeben durch ihre Legislatur in rein kolonialen Fragen, den Endentscheid zu geben. Sodann wurde überhaupt eine Grenzlinie gezogen, welche dem antiken Synoikismus vollständig fern lag: die zwischen Reichs- und Kolonialinteressen. Die Praxis hat dann den Umfang der letzteren auf Kosten der ersteren weit ausgedehnt. Seit kurzem (Versailler Frieden 1919) sind sogar die auswärtigen Angelegenheiten nicht mehr bloß Reichs-, sondern auch Kolonialangelegenheit.

Der Vorschlag des responsible Government ist dann von 1845-55 für die Kolonien in Canada, in den Jahren 1854-90 für die australischen Kolonien und Neuseeland, 1872 für Kapland, 1893 für Natal, 1906 für Transvaal, 1907 für die Oranjeflußkolonie von England durchgeführt worden.

2. Der zweite Vorschlag Durhams hatte eine bisher ungekannte Verwirklichung der Bundesstaatsidee zum Inhalt. Sie sollte innerhalb des britischen Weltreichs dazu dienen, Kolonien, die nachbarlich aneinander grenzten und in ihrer sozialen Struktur untereinander starke Rassen- oder Nationalitätsdifferenzen aufwiesen, zu einem höheren Gemeinwesen zu verbinden. Gerade in Canada trennten starke Glaubensund Nationalitätsgegensätze Ober- und Untercanada. In seinem »>Report (p. 229) schlägt nun Durham vor: »Ich möchte noch weiter gehen und die Frage aufwerfen, ob alle diese Dinge sich nicht viel sicherer erreichen ließen dadurch, daß die Gesetzgebungsunion (= Bundesstaat) über alle britischen Provinzen von Nordamerika ausgedehnt werde, und ob die Vorteile, die ich für zwei von ihnen (sc. Ober- und Untercanada) erwarte, nicht auf alle ausgedehnt werden sollten. Solche Union würde auf einmal die Nationalitätenfrage aus

Hatschek, Britisches und römisches Weltreich.

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der Welt schaffen. Sie würde alle Kolonien befähigen, für das Ganze zusammenzuarbeiten und vor allem, sie würde ein mächtiges und großes Volk schaffen, das die Mittel besäße, sich ein gutes parlamentarisches Regime zu sichern. <<

Wir möchten die Behauptung wagen, daß diese Verwendung der Bundesstaatsidee für die Verschmelzung selbständiger Nationen zur Einheit von dem Vorbild der Vereinigten Staaten angeregt war, wie es die Zeitgenossen damals ansahen. Hatte doch kein geringerer als Alexis de Tocqueville in seinem Buche »de la démocratie en Amérique, Paris 1835« den folgenden Zweck der Bundesstaatsidee gefunden: mehrere Völker könnten für gewisse gemeinsame Interessen ein Volk bilden, während sie im übrigen getrennt und konföderiert blieben (I, 244 f.: On découvre ensuite une forme de société dans laquelle plusieurs peuples se fondent réellement en un seul quant à certains intérêts communs et restent séparés et seulement confédérés pour tous les autres «). Tocqueville war es auch, der in den Vereinigten Staaten das Idealbild der Selbstverwaltung verwirklicht fand. Legen schon diese Betrachtungen den Einfluß der Vereinigten Staaten auf die Gestaltung britischer kolonialer Selbstverwaltung nahe, so wird jeder Zweifel dadurch ausgeschlossen, daß Gibbon Wakefield, der hervorragendste Mitarbeiter Durhams, bei der Auseinandersetzung der politischen Vorteile kolonialer Selbstverwaltung, die er municipal government nennt, das Vorbild des puritanischen Neuengland ausdrücklich anruft (p. 229, p. 231 und insbesondere p. 259 ff.: »the colonists, though they suffered greatly in these contests, still, being armed with their royal charters, assisted by the law of England which at that time deemed self-government the birthright of English colonists, and not a little favoured by distance, obscurity, and civil contests in the mother- country, generally carried their point at last. Practically, therefore and upon the whole, these colonies enjoyed municipal government «). Wären diese Kolonien abgefallen, so wäre es nach Wakefield nur deshalb geschehen, weil ihnen ihr municipal government, insbesondere durch den Versuch des Mutterlandes, sie zu besteuern, verletzt worden wäre.

Dem zweiten Vorschlag Durhams entsprechend hat auch England die bundesstaatliche Vereinigung der größeren Kolonien im Lauf der Zeit zugelassen. Canada hat 1867, Australien 1900, Südafrika 1909/10 seine Bundesstaatsverfassung erhalten. Trotzdem muß auf einen Unterschied dieser Einigungen gegenüber der der Vereinigten Staaten von Nordamerika hingewiesen werden, weil er die Entwicklung der Folgezeit noch maßgebend bestimmen kann. Trotzdem nämlich sämtliche der obengenannten bundesstaatlichen Einigungen englischer Kolonien von den Kolonien selbst gewünscht und angeregt wurden, ist die Einigung natürlich, wie es wegen der englischen Vorherrschaft nicht anders sein konnte, durch imperiales Gesetz ins Leben gerufen. Der puritanische covenant ist deshalb nur zur Hälfte verwirklicht. Seine volle Verwirklichung würde er erst dann erhalten, wenn England als gleicher Teilhaber unter gleichen mit diesen seinen Kolonien sich eine das Weltreich umspannende Verfassung geben würde. Die Schwierigkeiten, die dem entgegenstehen, werden uns noch weiter unten (§ 14) beschäftigen. Immerhin: Selbstverwaltung der großen Kolonien ist schon jetzt verwirklicht. Sie ruht fest gegründet auf geschriebenen und ungeschriebenen Normen. Deshalb kann sie niemals zugunsten des Mutterlandes eingeschränkt, sondern nur immer erweitert werden. Vergleicht man sie mit dem römischen Synoikismus, so machte dieser die mutterländischen Kompetenzen immer größer, die Reichsgewalt schwoll immer höher an auf Kosten der Provinzen, während bei der englischen Selbstverwaltung die Rechte des Mutterlandes im Verhältnisse zu den großen Kolonien immer kleiner werden. Außer dieser politischen Seite des Gegensatzes ist der Grund hierfür ein politisch-wirtschaftliches Moment: die privatrechtliche Verankerung der Herrschaftsrechte, welche das Mutterland über seine Kolonien ausübt, im römischen Weltreich, während im britischen Weltreich das privatrechtliche Moment dieser Herrschaftsbeziehungen zum Teil schon von den Puritanern beseitigt, zum Teil durch die englische Entwicklung des Parlamentarismus zu einem wesenlosen Schein herabgedrückt worden ist. Das soll in dem Folgenden (§ 4) nachgewiesen werden.

II. Teil.

Verfassungs- und Verwaltungsparallelen.

§ 4. Römische Provincia und englische Colony.

Literatur: Mommsen, St.R. III2, S. 716 ff.; Derselbe, Ges. Schriften I, S. 282 ff.; Klingmüller in Philologus 69. Bd. (1910), S. 71 ff.; Rostowzew, Studien zur Geschichte des römischen Kolonates, Archiv für Papyrusforschung, 1. Beiheft (1910); Mommsen, Ges. Schriften III, 385 ff.; M. Weber, Römische Agrargeschichte III-IV, S. 220 ff.; Schulten, Die römischen Grundherrschaften, 1896; Beaudouin, Les grands domaines dans l'empire rom., 1899; Zulueta, Patronage in the later Empire in Oxford Studies in Soc. and Log. History I (1909); Cunningham II, 331 ff. (Beginnings of Expansion); John Hopkins, U.St. II, 4 (J. K. Hosmer, Sam. Adams, The Man of the town meeting, p. 7 ff.); ebendort II, 10 (Channing, Town and County Government in the English Colonies of North America); ebendort III, 2-3 (Ingle, Virginia Local Institutions); ebendort III, 5-7 (Wilhelm, Local Institutions of Maryland); ebendort IV, 6 (Randall, The Puritan Colony of Annapolis, Maryland); ebendort IV, 11-12 (Egleston, The Land System of the New England Colonies); ebendort V, 5-6 (Bourinot, Local Government in Canada); ebendort XIII, 1 (Whitney, Government of the Colony of South Carolina); ebendort XIII, 8 (Ballagh, White Servitude in the Colony of Virginia); ebendort XXII, 3-4 (Mc Cormac, White Servitude in Maryland, 1634—1828); Siegfried-Warnack, Neu-Seeland (Moderne Wirtschaftsprobleme, hergg. von Leo III, 1909, Kap. 14); Beloch, Der italische Bund, Kap. V-VII; Mommsen, St.R. III, 571ff., 663 ff., 716 ff.; Kornemann in Pauly-Wissowa, R.E. IV, 510 ff. (Art. Colonia); Derselbe, ebendort IV, 1172 ff. (Art. Conventus); Derselbe, ebendort 1. Suppl. 300 ff. (Art. Civitas); v. Premerstein, ebendort X, I (Art. Jus Italicum); Steinwenter, ebendort X, I (Art. Jus Latii); Toutain, Cités Romaines de la Tunisie, 1896, bes. 308-380 (in Bibl. des éc. fr. d'Athènes et de Rome, t. 72); Derselbe in Mélanges d'archéologie et d'hist. XVI, p. 315 ff., XVIII, p. 141 ff.; Max Weber, Rom. Agrargeschichte, S. 109 ff., 215 ff.; Jenkyns, Br. Rule and Jurisdiction beyond the Seas, 1902, ch. V, VI und App. II, VI; Hall, Foreign Jurisdiction u. the Br. Crown 1894, p. 204 ff.; Forsyth, Cases and opinions on const. law, 1869, ch. I, IV, V, I und VII, mein Engl. St.R. I, 203-216; Kornemann, De civibus Romanis in prov. imp. consistentibus Berl. Diss., 1891; Derselbe in Pauly-Wissowa, R.E. IV, 1173 ff.; Schulten, De conventibus civium Romanorum, Berlin 1892; Mommsen, Ges. Schriften VI, 176 ff.; Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, 1891, V. Kap.; Wlassak, Römische Prozeßgesetze 1892, II, 26 ff., 118 ff., 126 ff. und zum Vergleich mit den brit. Rechtsverhältnissen die oben angeführten Bücher von Jenkyns, Hall und Forsyth.

I. Das Problem.

Seit der Erwerbung Siziliens (241 v. Chr.) tritt in die römische Politik das schwierige Problem ein, nach welchem

System man das unterworfene und stammfremde Land dem römischen Reiche angliedern solle. Es bildete sich im Anschlusse an die seit altersher bestehende Auffassung von dem eroberten Boden, der Beute ist, und an die hellenistische Rechts- und wirtschaftspolitische Auffassung (s. unter II) der Rechtsgrundsatz heraus, daß der Provinzialboden Eigentum des römischen Volkes sei. Nebenher verfolgte der römische Adel mit diesem Grundsatz die Tendenz durch Aufrechterhaltung des förmlichen Staatseigentums am Provinzialboden, seine Parteianhänger mit Grundbesitz zu versorgen. Wer Kolonien ausführte, wer den Kolonisten Acker zuteilte, war mit seinen Nachkommen Patron der Kolonisten (Mommsen, Ges. Schriften I, 238). Die formelle Aufrechterhaltung des Staatseigentums diente nur zur Verschleierung dieser Tendenz. Die Konsequenzen dieses Staatseigentums am Provinzialboden bestanden formal-juristisch in der Tributpflichtigkeit desselben, in der Unfähigkeit, nach den Formen des quiritischen Eigentumsrechts veräußert zu werden; ferner in der Tatsache, daß alle Besitzstände an dem Boden nur durch ein administratives Verfahren geschützt waren. Der Provinzialboden war eben nicht ager Romanus und blieb außerhalb des erweiterten italischen Tribusgebietes. Diese an ihm bestehenden Ausnahmsverhältnisse machten ihn auf der anderen Seite fähig, ein Spekulations- und Ausbeuteobjekt in der Spätrepublik zu werden, in der Kaiserzeit namentlich unter Trajan und Hadrian, aber auch schon unter den Flaviern ein Versuchsfeld der Kaiser zur Beseitigung der Privatoiken und Latifundien, wobei das jene Besitzstände am Provinzialboden schützende Verwaltungsverfahren eine nicht zu unterschätzende Handhabe bot. Aber all das half nicht: Rom ging doch an seinen Latifundien zugrunde, die Provinz wurde immer weniger ein Zusammenschluß freier Gemeinwesen und noch viel weniger selbst ein solches. Sie wurde und blieb ein lebloser Verwaltungsbezirk in den Händen der Provinzialstatthalter, trotz der Versuche der Kaiser seit Augustus durch Einrichtung eines provinziellen Kaiserkults der Provinz das Leben eines Selbstverwaltungskörpers einzuhauchen oder mit anderen Worten: aus der provincia eine Nation (vos) zu machen (Ramsay, Cities of St. Paul 1907, p. 70). Alles umsonst.

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