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6) Alle verschiedenen Philosophien denselben Einen Inhalt haben, welcher im Laufe der Zeit zu immer vollendeterer Gestaltung, Erscheinung kommt.

Es kann nun aber gefragt werden, welches dieser Eine Inhalt sei, der allen Philosophien gemein ist. Wird er durch ein Wort bezeichnet, so muss dieses offenbar selbst der Art sein, dass es nicht ein schlechthin fertiges, sondern ein aus sich selbst erwachsendes bezeichnet. Als der allen Philosophien inwohnende Eine Inhalt, muss er das allen gemeinschaftliche sein. Als solcher zeigt sich aber die Wahrheit des Wirklichen, denn es hat noch kein Philosoph etwas gelehrt denn als die Wahrheit des Wirklichen. Die Philosophie kann daher bezeichnet werden als die Lehre von dem, was wahr und wirklich ist; damit hat man aber so lange keine Definition gegeben als das, was wahr ist, nicht bestimmt ist 2). Die Wahrheit ist das Resultat der Philosophie und so ist die gegebene Bestimmung: die Philosophie ist die Lehre von dem, was wahr ist, nur der Ausdruck des vorhin gesagten, dass eine Definition der Philosophie nicht vor der Erkenntniss derselben gegeben werden könne.

1) Die Nachrichten der Alten stimmen darin überein, dass Pythagoras zuerst des Wortes Philosophie sich bedient, und sich einen Philosophen genannt habe. Diog. Laert. Prooemium §. 12., lib. VIII. §. 8. Quintilianus lib. XII. cp. 1. (§. 19. T. IV. p. 494. ed. Spalding) Clement. Stromat. I. Eusebius de Praep. Evang. K'. 4. Lactant. III., 14. Cicero Tusc. V., c. 3. med. — Diogenes Laertios und Quintilianus, führen an, Pythagoras habe zuerst gesagt er sei kein Weiser, (oogós) sondern ein Liebhaber der Weisheit (pilóoopos, sapientiae studiosus) Diogenes beruft sich auf Herakleides Pontikos: denn (gogós) weise sei kein Mensch, sondern Gott. Cicero erzählt ausführlicher, bei welcher Gelegenheit Pythagoras sich einen Philosophen genannt habe, erwähnt aber nicht, dass Pyth. ausdrücklich einen Unterschied in angeführter Weise (dass nur Gott dopós) gemacht habe. Leon bewunderte den Geist und die Beredsamkeit des Pythagoras und fragte ihn auf welche Kunst er sich am meisten stülze (confideret); worauf jener erwiderte : eine Kunst wisse er nicht, sondern er sei ein Philosoph. Leon wunderte sich über die Neuheit des Namens und fragte, welche denn Philosophen wären, und wodurch sich diese von den übrigen unterschieden? Pythagoras antworlele: Er vergleiche das Leben der Menschen den Olympischen Spielen; einige kämen mit geübten Körpern Ruhm und Kranz zu erwerben, andere um Gewinn aus Kauf und Verkauf zu ziehen; es gebe aber eine Klasse solcher, und diese sei die edelste, welche weder Beifall noch Gewinn suchten, sondern um zu sehen kämen, und eifrig darauf achteten, was vollbracht würde und wie: so kämen auch wir (Men

schen) gleichsam zu einem berühmten Markte aus einer Stadt, in dieses Leben aus einem anderen Leben und Wesen, die einen dem Ruhme zu dienen, die anderen dem Gelde: einige wenige wären, welche, alles übrige für nichts erachtend, das Wesen der Dinge (rerum naturam) eifrig (studiose) betrachteten; diese nenne er Liebhaber der Weisheit (studiosos sapientiae), das ist Philosophen: und wie es das des freien Mannes würdigste (liberalissimum) sei, ohne Erwerb zu suchen, zuzuschauen, su sei im Leben weit vor allen Bestrebungen (studiis) die Betrachtung und Erkenntniss der Dinge vorzüglich. Aus Bescheidenheit hat sich Pythagoras gewiss nicht pileoopos genannt, denn die Bescheidenheit in Bezug auf Erkenntniss war seine Sache nicht. Hegel bemerkt: (Werke Bd. XIII. S. 227.) pilóongos heisst: der ein Verhältniss zur Weisheit als Gegenstand hat; das Verhältniss ist Nachdenken, nicht nur Sein, anch in Gedanken sich damit beschäftigen. Einer der den Wein liebt (plhotros) ist von einem der des Weines voll ist, einem Betrunkenen zu unterscheiden. Bezeichnet denn aber qíhowos ein eitles Streben nach Wein?

2) Diese Bestimmung kann zu weit erscheinen, insofern auch die andern Wissenschaften lehren was wahr und wirklich sei. Es muss bewiesen werden, dass sie nicht lehren was wahr ist, oder dass sie die Wahrheit des Nichtwirklichen lehren. Die Wissenschaften sind theils Erfahrungswissenschaften, theils Verstandeswissenschaften. Jene bleiben beim Aeusseren stehen (denn dieses allein wird erfahren, nicht das Innere, welches erkannt wird) und nehmen es als etwas selbständiges, welches es nicht ist, lehren also was nicht wahr ist. Jedes Erfahrungsurtheil ist unwahr, z. B. der Löwe ist gelb, zottig u. s. w., durch ist wird formelle Identität ausgedrückt, welche nicht stattfindet; Löwe und gelb sind gar nicht identisch; ja der Gegenstaud ist stets noch etwas ganz anderes als alle seine sogenannten Eigenschaften. Die Verstandeswissenschaften haben sämmtlich Abstraction ohne Wirklichkeit zum Inhalt. Die scharfste Verstandeswissenschaft: die Mathematik spricht selbst die Unwirklichkeit aller ihrer Gegenstände aus (Linie, Ebene, Zahlen, √ − 1).

S. 10.

Geschichte der Philosophie.

Das Menschengeschlecht hat nur dann Geschichte und keine zufällige Veränderung, wenn es aus sich nach innerer Nothwendigkeit sich entwickelt, nicht ein ihm Aeusserliches gegen dasselbe Zufälliges ihm gegenüber steht, und, wenn es Eines im Lauf aller Zeit bei sich bleibendes ist. Das Eine zugleich über die Zeit erhabene und doch in ihr seine Erscheinung habende nennen wir Geist1). Das Menschengeschlecht hat Geschichte also als der in die Erscheinung kommende Geist, welcher der Eine ist. Als der Eine, nicht anderes neben sich und ausser sich habende ist der Geist der Inbegriff aller Wahrheit. Wer also weiss, was wahr ist, hat die Erkenntniss des Geistes. Der Geist erscheint, weil er der Eine, nicht vor einem anderen und

für einen anderen als vor und für sich selbst: er erfährt sich selbst. In Beziehung auf den Geist, welcher in die Erscheinung kommt, ist folglich die Wahrheit selbst ein werdendes und hat mithin die doppelte Seite: 1) ihrem Inhalte nach nur Eine 2) der Erscheinung nach verschieden, aber als sich entwickelndes verschieden zu sein. So ist denn gewiss, dass die Philosophie, wenn sie die Wissenschaft der Wahrheit ist, Entwicklung nach innerer Nothwendigkeit hat; dass sie mithin Gegenstand wissenschaftlich historischer Betrachtung ist, wenn überhaupt das Menschengeschlecht Geschichte hat, welches vorausgesetzt ist.

1) Alles was uns umgibt (und wir selbst) ista) zeitlich, zeigt sich aber b) als nicht zeitlich, ewig, indem es erkannt wird Erkennen ist: entzeitlichen, und erkennbar ist Alles, was wahr ist. Die Wahrheit liegt in allem, auch im Scheine, denn der Schein ist auch, nur nicht er selbst, sondern ein anderes, und dieses andere ist die Wahrheit.

S. 11. Aufgabe der Geschichte der Philosophie.

A. Als historisch muss jede einzelne Philosophie die dreifache Bedeutung haben 1) Eigenthum des Einzelnen, des Philosophen, 2) Eigenthum des Volkes und 3) Eigenthum des Menschengeschlechts zu sein 1). Es ist die Aufgabe der wissenschaftlichen Geschichte die Philosophie, welche zunächst zeitlich nur als Eigenthum des Einzelnen erscheint, in ihrer allgemeineren Bedeutung aufzuzeigen. Dieses scheint bei der Philosophie leichter als bei irgend etwas anderem, welches Gegenstand der Geschichte ist, weil die Philosophie stets mit dem Bewusstsein und in der Form auftritt, Resultat des Denkens d. h. nicht nur eine Meinung des Einzelnen, noch bloss etwas Volksthümliches, sondern Eigenthum des Geistes überhaupt als des vernünftigen zu sein. Allein es tritt hier der Fall ein, dass wirklich philosophisches mit individuell besonderem und Volksthümlichem, welches sich noch nicht zum allgemein geistigen verklärt hat, gemengt auftritt. Der Gedanke ist das allgemein geistige, welches in unverklärter Gestalt als Meinung und Vorstellung existirt. Die Meinungen und Vorstellungen von

den Gedanken abzuscheiden ist Aufgabe des Geschichtschreibers der Philosophie 2).

1) Die Geschichte des Einzelnen und die des Volkes dem er angehőrt, sind für die Geschichte der Philosophie insofern von Interesse als sich zeigt, wie diess Volk, diess Individuum in der That historisch ist, d. h. eine Erscheinung des Geistes des Menschengeschlechts; oder wie über die individuelle und Volksbeschränkung hinausgegangen wird zur Bedeutung fürs Menschengeschlecht; endlich auch um das nur dem Subject, nur dem Volke angehörige (die Negation, den Irrthum) abscheiden zu können von dem wahrhaft Philosophischen und wahrhaft Historischen. S. d. folg.

2) Der Geschichtschreiber der Weltgeschichte steht gegen den, welcher Geschichte der Philosophie schreibt im umgekehrten Verhältniss. In der Weltgeschichte nämlich verbirgt sich das Bedeutungsvolle hinter dem Unbedeutenden und der Geschichtschreiber muss zuvor Geschichtsforscher sein um jenes zu finden, er muss einen feinen Takt haben das Bedeutende aufzuspüren. Im Gebiete der Philosophie hat sich von jeher das Unbedeutende einzudringen gesucht und sich zum Tiefbedeutungsvollen aufgebläht, die Unphilosophie immer neben, sogar in der Philos. ihr Wesen getrieben. Der Geschichtschreiber der Philos. müsste, wenn er kein Kriterium hat, an welchem er das echt philosophische erkennt, sich auch auf Takt verlassen. Ein Kriterium bietet sich bald dar, aber nur für den, welcher selbst Philosoph ist, während in der Philosophie sich auf Takt verlassen unmöglich, denn was in der Philosophie nicht erkannt ist (und der feine Takt soll ja des Erkennens überheben) ist überhaupt nicht vorhanden. Das Kriterium ist, dass Alles was philosophisches jemals aufgetreten, in keiner folgenden Philosophie verloren gegangen, sondern bewahrt und erhalten die Ewigkeit des Inhaltes. Diese muss der Geschichtschreiber der. Philosophie zu beurtheilen wissen, d. h. selbst Philosoph sein.

ist:

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B. Wenn die Philosophie Entwicklung hat, so ist jede einzelne Philosophie nur eine Erscheinung desselben Einen Inhaltes und die Geschichte der Philosophie ist die Darstellung des zeitlich zum erscheinenden Dasein kommenden Einen Inhaltes, welcher die Wahrheit ist. Die Aufgabe des einzelnen Philosophen ist, den Einen Inhalt zu einer vollendeteren Erscheinung zu bringen; also die Form zur Vollkommenheit zu fördern. Die Form aber ist nicht beliebig oder zufällig, sondern durch die innere Nothwendigkeit des Inhaltes, wie bei allem sich Entwickelnden, so auch bei der Philosophie bestimmt. Das Formgeben des Inhaltes ist die Methode. Zweck der Philosophie in ihrem historischen d. h. zeitlichen Dasein ist folglich die Herstellung der Methode, welche nicht dem Inhalte äusserlich,

sondern ihm adäquat, in der Vollendung mit ihm iden-
tisch ist; indem die Form nichts anderes ist als der Inhalt
selbst, insofern er zum erscheinenden Dasein gekommen.
Die Geschichte der Philosophie stellt das Werden der M e-
thode dar 1).

-

1) Die Unphilosophie, welche sich neben der Philosophie von jeher
breit gemacht und sich an ihre Stelle zusetzen gesucht, hat auch von
jeher der Methode zu entbehren gemeint, und ist an dem Unmethodischen
in ihr zu erkennen. Ansichten, Gefühle, Meinungen, Ahnungen u. dergl.
sind als etwas viel besseres, weiter führendes als die wissenschaftliche
Strenge des Gedankens ausgegeben worden. Leichter sind sie allerdings
und überschwenglicher, denn weil es in ihnen nie zum Begreifen kommt,
ist immer Ueberfülle vorhanden. In der wahren Philosophie macht sich
die Freiheit des Inhaltes zunächst als Nothwendigkeit fühlbar, und wird
dadurch unbequem, schwer: es kommt darauf an, sich ganz und unge-
theilt der Sache hinzugeben, dem eigenen Belieben zu entsagen. Man
hat diess auch so ausgesprochen: Jede wahre Philosophie müsse systema-
tisch sein; denn im System tritt der Gedanke in seiner Consequenz auf.
Unter System versteht man gewöhnlich aber das rein Aeusserliche am Inhalte
und zwar so, als habe der Systematisirende nach seiner Willkühr, über
und ausser der Sache stehend, diese formirt. In diesem Sinne ist das
System vielmehr selbst unphilosophisch und es ist Aufgabe der Philosophie
über das System hinauszukommen. Man kann die Geschichte der Phi-
losophie ausdrücklich aus diesem Gesichtspunkte betrachten: als Entwicklung
und Gestaltung der Methode. Vergl. Hinrichs Genesis des Wissens. Ein-
leitung. Heidelb. 1835.

-

§. 13. Fortsetzung.

C. Das sich Entwickelnde ist Gegenstand der Er-
kenntniss. Entweder aber fällt die Erkenntniss ausserhalb
des sich Entwickelnden, oder in dieses selbst, d. h. das Be-
wusstsein von der Entwicklung hat entweder ein anderes
oder das sich Entwickelnde selbst von ihm. Im erstern
Falle bringt die Erkenntniss auch das Bewusstsein von einem
Andern, im zweiten Falle das Bewusstsein von sich selbst.
Ist der Geist der Inbegriff aller Wahrheit und Wirklich-
keit, so ist er 1) das in der Philosophie sich Entwickelnde
und 2) ist er auch dasjenige, welches zum Bewusstsein
kommt. Philosophie ist also Kommen des Geistes zu sich
selbst, Werden des Bewusstseins des Geistes von ihm selbst.
Hierdurch, indem der Geist a) Bewusstsein b) Gegenstand
ist, sind drei Stufen des Bewusstseins gesetzt:

1) Bewusstsein und Gegenstand sind unmittelbar eins,
der Geist wird folglich gewusst, aber ohne dass der

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