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§. 4. Geschichtschreibung.

Die Geschichte ist überhaupt nur Wissenschaft, insofern sie das sich Entwickelnde darzustellen hat, denn der Begriff der Wissenschaft schliesst das Zufällige aus. Aber sie hat wesentlich zeitliche Entwicklung darzustellen d. h. das zur zeitlichen Erscheinung kommen eines und desselben Inhaltes in den verschiedenen Stufen seiner Herausbildung, und so an die Erscheinung geknüpft ist sie empirische Wissenschaft. Weil empirisch hat die Geschichte die einzelnen Stufen der Entwicklung nach ihrer zeitlichen Trennung gegen einander zu halten, weil Wissenschaft hat sie den Inhalt als den Einen in seinen mannigfachen Erscheinungen und die verschiedenen Erscheinungen selbst als einen nothwendigen Fluss des Werdens, des aus sich selbst sich Herausbildens des Inhaltes, zu begreifen. Eine historische Darstellung wird dann am meisten wissenschaftlich sein, wenn sie den Gang der Entwicklung so darstellt, wie er sich selbst vollführt hat, denn dieser ist zugleich der vernunftnothwendige. Dabei bleibt sie empirisch, wenn sie die einzelnen Erscheinungen als solche neben einander stellt, nur so, dass sie zum Ganzen sich zusammenschliessen in der jedesmaligen Gegenwart, aus der Vergangenheit zusammengehend, in die Zukunft auseinander fahrend 1). Diess ist daher eine wissenschaftlich empirische Auffassung, welche den Gegenstand in seinem ihm eigenen zeitlichen Werden und Dasein anschaut, und bei dieser Anschauung von jedem (subjectiven) Einflusse des eigenen geistigen Auges frei bleibt.

1) Die jedesmalige Gegenwart ist das Resultat ihrer Vergangenheit, so dass sich alle Gegensätze dieser zur Einheit jener zusammenschliessen. Zugleich aber gebiert sie schon neue Gegensätze, deren Lösung, Einung, die Aufgabe der Zukunft ist, nämlich zur Gegenwart zu werden.

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Wissenschaftlich historisch ist nur das sich Entwickelnde, das nicht durch den Zufall bestimmte. Das Individuum Mensch ist ein geistig wie körperlich sich entwickelndes

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und insofern historisch; zugleich aber wird es auch durch eine Menge Zufälligkeiten bestimmt, und insofern ist es daher nicht historisch. Die geistige Entwicklung des einzelnen Menschen ist ein Werk der Erziehung, nicht aber so, als ob durch die Erziehung von Aussen etwas in ihn hineinkäme (dann fände überhaupt nicht Entwicklung statt), sondern indem das in ihm liegende zur äusserlichen Herausbildung, zur Erscheinung gefördert wird. Das bildende, (ihn zu sich) erziehende ist die geistige Umgebung des Individuums und so ist durch diese Umgebung selbst das Ziel der Erziehung gesetzt. Die nächste geistige Umgebung des Individuums ist aber die Familie, und daher ist der Geist des Individuums zunächst eine Erscheinung des Geistes der Familie. Da sich aber die Familie von selbst zum Volke erweitert, so ist der Geist des Einzelnen Erscheinung des Volksgeistes. Als solche aber ist er das nicht durch Zufälligkeiten bestimmte Individuum, sondern wesentlich eine individuelle Erscheinung der Entwicklung des Volksgeistes, Herausstellung des innerlichen geistigen Wesens des Volkes in der äussern Erscheinung des Individuums, und so ist das letzte von historischer Bedeutung. Daher ist das geschichtliche Individuum zunächst zu begreifen als Erscheinung des Volksgeistes, wodurch aber eben dasjenige, was an ihm ein zufälliges schlecht individuelles ist, abgestreift wird. Auch die That des Individuums ist historisch nur als eine durch die zufällige Einzelheit des bestimmten Individuums vollbrachte Aeusserung des Volksgeistes. Das Individuum hat seinen wahren vernünftigen Willen und seine Freiheit in dem dasselbe als eine Nothwendigkeit bestimmenden Volksgeiste. Diese Nothwendigkeit ist aber nur ein Schein, weil der Volksgeist nicht ein anderes dem historischen Individuum äusserliches Dasein hat; das historische Individuum ist sich selbst gegenständlich im Volk, wie das Volk sich im historischen Individuum anschaut. Nur die schlecht individuelle Willkür ist durch den Volksgeist bezwungen, indem sie als das Zufällige, das nichtige und darum nicht historische ist. Indem das Individuum im Volk sich gegenständlich gegenüber hat, kömmt es zum Bewusst

sein und zwar auf der höchsten Stufe seiner Ausbildung zum Selbstbewusstsein, insofern eben seine eigene geistige Wesenheit die Erscheinung des Volksgeistes ist. So nun vollführt sich die weitere historische geistige Entwicklung zunächst im historischen Individuum, und weil in diesem wiederum das Volk sich gegenständlich hat, damit auch im Volke. So ist 1) das historische Individuum als gewordenes vom Volksgeist bestimmt 2) aber auch der Volksgeist durch das Individuum in seiner Fortentwicklung. Die historischen Individuen sind daher eben so mannigfaltig verschieden, wie der durch sie sich allseitig entwickelnde Volksgeist in der Zeit zu immer vollendeterer Herausbildung kommt und eben durch diese Verschiedenheit sind sie in Wahrheit Individuen. - Nothwendig erscheinen die historischen Individuen als die ihre Folgezeit äusserlich bestimmenden 1).

1) Die Vermischung des Zufälligen im Individuum mit dem an ihm Historischen führt zu unzähligen falschen Ansichten und Urtheilen. Hierzu gehört namentlich alles Absprechen über die moralische Tüchtigkeit der Individuen und die Verwunderung, (welche bis zur Verzweiflung an göttlicher Gerechtigkeit sich steigert), dass historisch grosse Individuen moralisch nichtswürdig erscheinen können. Die moralische Tüchtigkeit besteht in der Unterordnung alles dessen was zufällig am Einzelnen unter das an ihm dem Allgemeinen Angehörige; über dieses Verhältniss ist ein Urtheil aber schlechthin unmöglich, weil das Zufällige nicht gewusst wird. Nur Gott, vor dem es keinen Zufall mehr gibt, ist der Richter, nicht der Mensch über den Menschen, daher solches Urtheilen auch die Religion verbietet. Am wenigsten gehört solches sündliches Geklátsch in die Geschichte, und die Geschichte zu einer Lehrerin der Moral machen wollen ist eine gefährliche Thorheit. Die natürliche Entwicklung ist Gegenst. der Naturwissenschaft.

S. 6. Das Volk.

Das Volk entwickelt sich und in dieser seiner Entwicklung stellt es die Geschichte dar. Als einzelnes Volk gegen andere Völker mit natürlichen Bedingungen erscheint es aber als ein auch zufällig d. h. äusserlich bestimmtes. Als nur Einzelnes gegen Einzelne betrachtet wäre also das Volk nicht Gegenstand wissenschaftlicher Geschichtschreibung. Wie das Individuum im Volke, so findet aber das Volk im Menschengeschlechte seine historische Bedeutung. Historische Völker sind diejenigen, durch welche das Men

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schengeschlecht den Gang seiner Entwicklung nimmt. Ein Volk, welches als ein vereinzeltes, bedeutungslos für das Menschengeschlecht, stehen bleibt, ist nicht historisch, so wenig wie das ausser dem Volksgeiste stehende Individuum. Wie das Individuum ferner im Volke seine geistige Erziehung findet und an ihm seine geistige Grundlage hat, so das historische Volk am Menschengeschlecht Der Menschengeist erscheint als Volksgeist und daher als Geist des Individuums, und der Gang der Entwicklung des Menschengeschlechts bedingt die individuelle Verschiedenheit der Völker gegen einander. In der historischen Bedeutung des Individuums für das Volk liegt daher zugleich die historische Bedeutung desselben für das Menschengeschlecht.

S. 7. Das Menschengeschlecht.

Das Menschengeschlecht ist rein historisch als schlechthin sich Entwickelndes ohne äussere zufällige Bestimmungen des Werdens, denn es ist überhaupt Geist, welcher in die Erscheinung tritt 1). Seine Erscheinungen in der Geschichte sind 1) Volk und 2) Individuum. Das Individuum ist die Erscheinung, das in ihm erscheinende, die Wahrheit und Wirklichkeit desselben ist das Volk, aber auch dieses hat seine Wahrheit und Wirklichkeit nicht schlechthin an ihm selbst, sondern am Menschengeschlechte.

1) Empirisch hat das Menschengeschlecht nicht ein anderes neben sich, von welchem es sich durch Zufälligkeiten unterscheidet, mit ihm aber zu einem höhern sich (geistig) zusammenschliesst. Wir erfahren kein solches andere. Mit Individuum und Volk verglichen hat es alle Zufälligkeit abgestreift, nur die Zeitlichkeit ist an ihm geblieben, durch welche es sich als Geist von Gott unterscheidet.

$. 8. Das Historische.

Die geschichtliche That, das historische Factum ist daher nothwendig zugleich 1) Eigenthum des Einzelnen, 2) Eigenthum des Volkes und 3) Eigenthum des Menschengeschlechtes und Alles dasjenige, was nicht diese dreifache Bedeutung hat 1) ist nicht Gegenstand der Geschichte. Aber nicht alles, was diese Bedeutung hat, ist auch historisch 2), sondern dazu gehört noch, dass sich in ihm die Entwick

lung des Menschengeschlechtes darstellen d. h. derselbe eine immer gegenwärtige Inhalt zu immer mehr seinem Wesen adäquater Erscheinung in ihm kommen muss.

1) Diese Bedeutung liegt nicht sinnlich wahrnehmbar vor, aber sie muss erkannt werden

2) Nicht historisch (d. h. wahre Geschichte habend) und doch dieser dreifachen Bedeutung theilhaft, ist z. B. die Religion. Vergl. § 14. Anm.

S. 9. Definition der Philosophie.

Es fragt sich nun, ob die Philosophie 1) Gegenstand wissenschaftlich historischer Betrachtung sein könne, d. h. ob sie etwas sich aus sich nach innerer Nothwendigkeit entwickelndes sei. Um dieses zu beantworten, kann nach der Definition der Philosophie gefragt werden. Die Definition ist der Begriff des Gegenstandes, dieser aber auch der Inhalt desselben. Ist der Gegenstand ein sich entwickelnder, so ist die Erkenntniss desselben die Darstellung seiner Entwicklung nach derselben dem Gegenstande innerlichen Nothwendigkeit, nach welcher derselbe auch zeitlich in die Erscheinung tritt. Hieraus folgt, dass, wenn die Philosophie eigene Entwicklung hat, also historisch ist: 1) Ihre Definition nicht ihrer Erkenntniss vorausgeschickt

werden kann, sondern vielmehr Resultat derselben ist. 2) Die Erkenntniss der Philosophie nach derselben innern

Nothwendigkeit den Gang der Entwicklung nehmen muss, nach welchem die zeitliche Erscheinung der Philosophie sich bestimmt.

3) Jede einzelne wahre Philosophie, als die letzte, alle früheren wirklichen Philosophien als Stufen der Erkenntniss in sich enthalten muss.

4) Es so viele verschiedene Definitionen der Philosophie geben muss, als einzelne Philosophien, (jede eine bestimmte Entwicklungsstufe bezeichnend).

5) Diese Definitionen sowie die einzelnen Philosophien unter einander in dem Verhältnisse stehen müssen, dass sie einander nicht ausschliessen und aufheben, sondern jede spätere die Erfüllung, das ausgebreitetere, herausgebildetere Dasein aller früheren ist.

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