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der letzteren behauptete er die Unentscheidbarkeit der Frage, ob sich der Wille unter gleichen Umständen zu einem von zwei Entgegengesetzten zu entscheiden vermöge? Wenn der Wille es nicht vermag, so ist er nicht frei, sondern äusserlich bestimmt; vermag er es, so geschieht es, ohne dass sich der Wille bestimmt, indem die Gründe für und wider als gleich stark angenommen sind, er ist also wieder äusserlich bestimmt. So entscheidet sich die Vernunft für einen alle Freiheit aufhebenden Determinismus, während Autorität und Erfahrung sich für den Indetermi nismus erklären 2). Peter d'Ailly (de Alliaco), geb. zu Compiegne 1350, Kanzler der Universität Paris, GrossAlmosenieur von Frankreich, Bischof zu Cambray und zuletzt Cardinal, wegen seiner hochgepriesenen Gelehrsamkeit aquila Franciae und wegen seines Glaubenseifers in ́defessus a veritate aberrantium malleus genannt, gest. 1425, suchte die Möglichkeit speculativer Erkenntniss und die Trüglichkeit der sinnlichen Erkenntniss darzuthun, und entfernte sich hierin von Occam. Sonst werden als Nominalisten noch genannt: der Engländer Robert Holcot, gest. 1349; der General des Augustinerordens Gregor von Rimini, gest. zu Wien 1358; Richard Suisset oder eigentlich Suinshead, Lehrer zu Oxford um 1350; Heinrich von Hessen, wie der vorhergehende auch durch mathematische Kenntnisse ausgezeichnet, gest. 1397; Heinrich von Oyta; Nicolaus Oramus oder Oresmius, gest. 1382 als Bischof von Lisieux; Matthäus von Krakau oder eigentlich Chrochove in Pommern, gest. 1410; Gabriel Biel aus Speier, Propst zu Aurach, Professor zu Tübingen, gest. 1495, welcher einen bündigen Abriss von Occams Nominalismus verfasste.

1) Cf. Gualt. Comment. in Aristot. physic. tract. 1. c. 2.

2) Buridans Esel, der zwischen zwei Heubündeln von gleicher Güte verhungert, oder gleich hungrig wie durstig zwischen Futter und Getränk verschmachtet, ist bekannt genug, findet sich aber nicht in den Schriften des Buridan, sondern ist wahrscheinlich eine witzige Versinnlichung des oben angeführten Gedankens. Auch seine Logik erhielt den Ehrentitel: die Eselsbrücke, weil er in derselben namentlich die Schlussregeln erörterte und Anweisung zur Auffindung des Mittelbegriffes in den Schlüssen gab.

§. 213. Raymund von Sabunde.

Clemange. Mystiker.

Nicolaus von

Raymundi de Sabunda (Theologia naturalis) liber creaturarum sive naturae. Francof. 1635. Amst. 1661, 8. Vergl. Montagne: Essais etc. T. III. 1, 2, c. 12.

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Nicolai de Clemangis opp. ed. J. Mart. Lydius. Lugd. Bat. 1613. 4.

(J. Görres: Die christl. Mystik, 3 Bde. Regensb. 1836-40. 8. — Charles Schmidt: Essais sur les Mystiques da quatorzième siècle, précédé d'une introduction sur l'origine et la nature de Mysticisme. Strassb. 1836. 8.)

Joh. Tauleri opp. per Laurent. Surium. 1548. ed. Spener. Francof. 1680. 1692. Sermones u. s, w. Job. Thaulerii von Latein in deutsch gewendt. Leipz. 1498. 4. Augsb. 1508. fol. - Joh. Taulers Predigten. Frankf. 1826. Joh. Taulers Nachfolgung des armen Lebens Christi. Durch Chr. Besold. Frankf. a. M. 1621. Neu herausg. von Nikol. Casseder. Frankf, a. M. 1821. 8. Aufl. 2. 1824. Die neuste Ausg. Frankf. 1834. Vergl. J. J. Oberlin: De Joh. Tauleri dictione vernacula et mystica. Argent. 1786. 4.

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Franc. Petrarcae opp. Ven. 1501. fol. Bas. 1496. 1554. 1581. Epp. Genev. 1609. 12. — Verg!. De Sade: Mémoires pour la vie de Fr. Petrarque, Amst, 17647. 3 Bde, 4. Deutsch: Lemgo 1774 —7. 3 Bde. 8.

Gersonis opp. Bas. 1488. Voll. III. f. ed. Edm. Richter. Par. 1606. fol. ed. Lud. Ellies du Pin. Antverp. 1756. V Voll. fol. (vollständigste Ausg.) - Cf. J. G. V. Engelhardti Commentationes de Gersonio mystico. Erl. 1822. 4. Hundeshagens Abh. über die mystische Theologie des J. Ch. von Gerson, in Illgens Zeitschr. für die histor. Theolog. Bd. 4. St. 1 und 2. J. B. M. Gence: Jean Gerson restitué et expliqué par lui'même. Paris 1836.8. (s. d. Folg.) - Charles Schmidt: Essai sur Jean Gerson. Strassb. 1839. 8. Thomae a Kempis opp. ed. Sommel. Antv. 1600. 4. `und öfter. Opp. selecta. Francof. 1838 folg. 8. Thom. a K. sämmtl. Werke. Aus dem Latein. übers. von J. P. Silbert. 2. Ausg. Wieu 1838 40, 4 Bde. 8. - J. Gu. L. Scholtz: Diss. exhib. disquisitionem, qua Thomae a Kempis sententia de re christiana exponitur et. cum Gerardi Magni et Wesseli Gansfortii sententiis comparatur, Groning. 1839. 8. Auserlesene Schriften des ehrw. Thomas á K., deutsch bearb. von Joh. Andr. Herderer. Ilmen. 1834. 12. (Die Schrift De imitatione Christi ist gegen 2000mal in allen Sprachen gedruckt worden. Vergl. G. de Grégory: Mémoire sur le veritable auteur de l'Imitation de Jesus Christ. Revu et publié par Mr. le comte de Lanjuinais. Par. 1827. 8. Deutsch mit Erläutt. und Zuss. von Joh. Bapt. Weigl. Sulzb. 1832. 8. Bibliographie literaire de J. B. M. Gence etc. editeur et traducteur du livre des Consolations interieurs, dit vulgairement De imitatione Christi, revu sur le plus grand nombre des manuscr. etc. et restitué à son ancien auteur titulaire, Jean Gerson, chancel. etc. Paris 1835, 8. Etudes sur les mystères, monumens hist. et litt. la plupart inconnus et sur divers. manuscripts de Gerson, y compris le texte primitif français de l'imit. de J. Chr. récemment decouvert par Onézime Lecroy. Par. 1836. 8. La grande oeuvre et la longue question sur l'ancien texte De imitatione Christi etc. Paris 1837. 8.)

J. Wesseli opp. ed. Lydius. Amst. 1717. 4.

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Vergl. C. H.

Götze: Comm. de J. Wesselo, Lut. 1719. 4, sel, ein Vorgänger Luthers. Hamb. 1834. 8.

Ullmann: J. Wes

Der grosse Zwiespalt welcher in der Scholastik zur Macht gekommen war, musste dieselbe bei frommen an der Religion und Kirchenlehre hängenden Menschen in Misscredit bringen. Hatte man ihr als mächtigster Stütze der Kirche eine Zeit lang das höchste Vertrauen geschenkt, so musste nun eine über ihre wichtigsten Principien in sich uneinige Wissenschaft dieses Vertrauen mehr und mehr einbüssen. Sie hatte es jetzt mehr mit sich selbst als mit der Kirchenlehre zu thun, hatte also, je mehr sie zu ihrem eigenen Zweck damit zurückkehrte, desto mehr in den Augen der Frommen ihren Zweck verloren und diese verwarfen also die Scholastik, und wie diese eben war, nachdem sie sich erschöpft hatte, nicht mit Unrecht, als ein nichtiges Getreibe des zur Erkenntniss des Ewigen unfähigen endlichen Verstandes. So war es natürlich, dass man auf eine andere Weise die Wahrheiten der Offenbarung als Gegenstände der Erkenntniss zu behandeln unternahm. Einen merkwürdigen Versuch machte in dieser Beziehung der spanische Arzt Raymund von Sabunde oder Sabeyde um 1437, welcher es unternahm aus der denkenden Betrachtung der Natur die Lehren des Christenthums zu deduciren, ohne jedoch den Scholastiker ganz verläugnen zu können. Er blieb ohne Einfluss auf die Philosophie. Als Gegner der Scholastik in ihrer gegenwärtigen Hohlheit wird auch Nicolaus von Clemange (de Clemangis), gest. um 1449, zu Paris genannt. Die Mystik hatte stets mit der eigentlichen Scholastik und besonders mit deren äusserlicher Erscheinung in Opposition gestanden, jetzt wurde diese Opposition mächtiger als je, da die Scholastik selbst immer mehr bloss äusserlich wurde. Daher sehen wir in dem 14, und 15. Jahrhundert einige tiefsinnige Mystiker auftreten, welche eine Erkenntniss des Ewigen aus dem unerschöpflichen und göttlichen Quell des religiösen Gottesbewusstseins zu schöpfen suchten, wie sie die Scholastik nicht zu gewähren vermochte. So tiefsinnig die Schriften dieser Männer aber auch sind, so viel sie zu ihrer Zeit

und noch gegenwärtig bei jedem für höhere Wahrheit empfänglichen Geiste zu Begeisterung für das Ewige und zu würdigen und in das Wesen Gottes eindringenden Vorstellungen Veranlassung gegeben haben, so stehen sie doch ausser der Entwicklung der Geschichte der Philosophie, auf welche sie nur einen indirecten Einfluss gehabt haben, für die Zeit, von welcher wir hier sprechen, den, dass das nichtige Treiben der letzten Scholastiker anerkannt und dass dadurch den wissenschaftlichen Gegnern derselben der Sieg erleichtert wurde. Einer der tiefsinnigsten dieser Mystiker war Johann Tauler, Dominikanerordensprediger zu Köln und Strassburg (geb. 1294, gest. 1361). Auch der berühmte italiänische Dichter Francesco Petrarca (geb. 1304, gest. 1374) gehört hierher. Durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet, der Scholastik näher stehend und bemüht die Mystik zur Wissenschaft zu erheben, war Johann Charlier Gerson, gest. 1429, Kanzler der Universität Paris, Doctor christianissimus genannt 1). Derselbe bemühte sich auch, wiewohl vergeblich, den Frieden zwischen Nominalisten (zu denen er sich selbst bekannte) und Realisten herzustellen. Den grössten Einfluss auf die Mit- und Nachwelt hatte unter den Mystikern der Verfasser der vier Bücher von der Nachfolge Christi: Thomas Hamerken von Kempen in Ober- Yssel, der 1471 starb. Ein gelehrter Mystiker war auch Johann Wessel von Gröningen, mit dem Beinamen Gansfort oder Gösevôt, gest. 1489, der als Magister contradictionum und Lux mundi gepriesen wurde 2).

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1) Die mystische Theologie, sagt Gerson: stützt sich auf innerlich in den Herzen der frommen Seelen gehabte Erfahrungen; diese Erfahrung aber kann nicht zur unmittelbaren Erkenntniss oder Anschauung derjenigen gebracht werden, welche ihrer unkundig sind. Wenn nun Philosophie jede aus unmittelbaren Anschauungen hervorgehende Wissenschaft heisst, so wird die mystische Theologie wahre Philosophie sein. In ihr Unterrichtete, auch wenn sie sonst noch so ungebildet sind, werden richtig Philosophen, ja noch richtiger Theosophen genannt, denen der himmlische Vater dasjenige offenbart, was er den Weisen und Klugen dieser Welt verbirgt. Gerson de myst. theol. consid. II. Die einfache Erkenntniss (intelligentia simplex) ist eine begreifende Kraft der Seele, welche unmittelbar von Gott ein natürliches Licht aufnimmt, in welchem und durch welches die ersten

Principien erkannt werden, dass sie wahr und gewiss sind, wenn nur die Ausdrücke (Bestimmungen dieser Erkenntniss, termini) verstanden werden. Der Verstand aber steht gleichsam im Gesichtskreise zweier Welten, nämlich der körperlichen und der geistigen, und dient jetzt der geistigen Anschauung, jetzt der Sinnlichkeit. Ibid. consid. X. Das höchste Ziel der Mystik ist Hinreissung (raptus) nicht der Einbildung oder des Verstandes, sondern des Geistes, so dass der Geist ganz in Gott, welchen einzig er liebt, ruht und ihm innigst vereinigt, ihm inhärirend, mit ihm Ein Geist wird durch vollendete Conformität des Willens. Ibid. consid. XL.,

2) Er darf nicht mit dem gleichzeitigen Nominalisten Johann Burchard von Wesel verwechselt werden.

S. 214. Schluss.

Da der Nominalismus von der Realität der sinnlich als Einzelne existirenden Dinge ausging und daher die sinnliche Erkenntniss als die Grundlage aller Erkenntniss betrachtete, so konnte er zu tieferen Speculationen auf dem Gebiete der Philosophie und Theologie nicht fortgehen und die Scholastik konnte sich ohne ihr Prinzip aufzugeben nicht über ihn hinaus entwickeln. Wir werden aber in der Folge sehen, wie aus dem Nominalismus dasjenige neue Geistesleben hervorging, welchem die neuese selbständige Philosophie angehört, wie er denn schon in seinem ersten Auftreten als eine selbständige Kritik, wenn auch nicht der Kirchenlehre, doch der wissenschaftlichen Auffassung derselben sich darstellte. Ja schon im 14. Jahrhunderte fehlte es nicht an Versuchen, nicht nur der herrschenden Philosophie sondern selbst der Kirchenlehre zum Theil mit Uebermuth auf philosophische Erkenntniss gestützt sich entgegenzustellen, wenn auch die Kirche solche Versuche mit Leichtigkeit noch zu unterdrücken vermochte 1). Dem Nominalismus haben keine Denker angehört, welche sich mit den grossen Realisten vergleichen lassen, aber es lag dieses in der Natur der Sache: die Scholastik hatte mit der vollständigen Herausbildung des Gegensatzes zwischen Bewusstsein und Gegenstand, Gedanke und Sein ihre Aufgabe erfüllt. Auch grosse Realisten hat es seit Duns Scotus nicht weiter gegeben. Was noch in der Scholastik vorgegangen, das sind unfruchtbare, mit grosser Hitze aber mit wenig Ein

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