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zogin von Maine aufzuführen, wobei die erwähnte Fürstin die Titelrolle selbst übernommen, wie derjenige, in Weimar 1810 unter Göthe's Vorsitze ausgeführte, die Antigone nach einer Bearbeitung von Rochlitz auf der Bühne darzustellen, ohne besondere Resultate gewesen, so hat dagegen der neue, durch den edlen Kunstsinn des Königs von Preussen veranlasste, nach der Anordnung und Einübung L. Tieck's ausgeführte, ein solch lebhaftes Interesse erweckt, dass eine ganze Zeit hindurch die Dichtung des Sophokles einen Gegenstand der Tagesliteratur abgegeben hat. Es war vorauszusetzen, dass die Idee, ein griechisches Drama auf die neue Bühne einzuführen, gar manchen Widerspruch erfahren würde, namentlich von denjenigen Tagesschriftstellern, welche gewohnt sind, überall das grosse Wort zu führen, und hier plötzlich bei der Unkenntniss des griechischen Alterthums so wie der griechischen Sprache in die Gefahr geriethen, zum Stillschweigen verurtheilt zu werden, von denjenigen, welche das „,hitzige Fieber der Gräcomanie" fürchteten, nachdem sie so lange schon gegen die Anglo- und Gallomanie geschrieben. Einen derselben fertigt Nr. 2. der obigen Schriften gebührend ab. Weniger konnte man erwarten, dass auch in dem philologischen Publicum verdammende Stimmen hörbar würden. Aber es gibt nun einmal auch hier eine altgläubige Sekte, welche sich streng gegen alles Neue abschliessen möchte, eine Adelscoterie, die es als ein erblich überliefertes Vorrecht in Anspruch nimmt, auf diesem Felde des Alterthums allein zu ackern, zu erndten, eine Hierarchie, welche den Laien, als denjenigen, welche kein Organ und keine Bildung mitbrächten, womit das Alterthum erfasst sein wolle, das Recht und die Fähigkeit abspricht, und jeden dahin schlagenden Versuch, hier mitzureden, nicht bloss mitleidig belächelt, sondern mit Synodalbeschlüssen bekämpfen möchte (der Laien nehmen sich die Verf. von Nr. 1 auf's Gelungenste an!), eine Ministerpartei endlich, welche von beschränktem Unterthanenverstande redet, der auf seinem niedrigen Standpunkte unfähig sei, die Weisheit des Alterthums zu begreifen. Ihnen, den Antagonisten der Antigonisten, ist es ein Gräuel, dass man die Todten wieder aufgeweckt, dass das ehrwürdige Alterthum zum Modeartikel hat werden müssen, dass ein so edles Kunstwerk aus seinem alterthümlichen Staube, aus der engen Zelle der Gelehrten, aus der dumpfen Schulstube befreit und mit neumodigem Flittertande behängt in das öffentliche Leben getreten ist.

Wir hoffen, der grössere Theil des philologischen Publicums hat mit freudigern und dankbarern Gefühlen den Versuch willkommen geheissen! Wie mancher Schulmann mag wohl derzeit, wie Ref., den Wunsch gehabt haben, in mitten seiner Primaner mit dem sinnlichen Auge zu einem lebensvollen Bilde gestaltet zu sehen, was er so lange nur mit dem geistigen geschaut: etwa wie ein Musiker, wenn er lange an der Partitur eines musikalischen

Kunstwerks geschwelgt, sich nach der Aufführung desselben sehnt, weil er in dieser erst das Ganze allseitig zu begreifen und zu geniessen im Stande ist. „Denn was man vom stillen Genuss des griechischen Trauerspiels bei der Studirlampe, von der harmonischen ungestörten Wirkung des Vorlesens eines Shakespeareschen Stückes sagen mag, die ihm gebührende volle Geltung erhält das Drama einzig und allein auf der Bühne“, zumal das Griechische. Hören will man und sehen zugleich: mag auch Aristoteles sagen ή γαρ της τραγωδίας δύναμις και άνευ αγώνος και υπερκριτών εστίν: es ist eben nur ein Ausdruck der Ergebung, dass es nicht mehr wie früher sei, eine klassische Tragödie nicht mehr unter ihres Dichters Leitung zur Aufführung gebracht werden kann. Und wie dankbar muss man sein, sieht man auf die Erfolge des glücklichen Versuches. Wie viel neue Untersuchungen sind angeregt, welche bedeutende Stimmen haben sich über so manches zur richtigen Würdigung der attischen Bühne othwendige vernehmen lassen; wie manche der so lange für wahr gegoltenen genellischen Ansichten sind endlich nach dem Urtheile eines kompetenten Gerichts auf immer verworfen; welch ein Streben hat sich geltend gemacht, endlich in die scenischen Verhältnisse des Theaters Licht zu bringen; wie gross ist der Eifer gewesen, die sophokleische Kunst in ein helleres Licht zu setzen; endlich wie manche neue Uebersetzung ist dadurch binnen Jahresfrist hervorgerufen, welche theils im Allgemeinen dieUebersetzungskunst theils das Verständniss der sophokleischen Muse weiter gebracht haben. Ref. hat die Berichte, selbst wenn sie von Nichtphilologen ausgingen, mit Vergnügen gelesen, nicht vorweg darüber den Stab gebrochen, und hat unter vieler Spreu doch zuweilen ein recht gutes Samenkorn gefunden, das auf einen philologischen Acker gesäet, eine recht gute Frucht verspricht. So glaubt er, zumal ihm neulich das Glück zu Theil geworden, mehreren im Ganzen wohl gelungenen Aufführungen der Antigone in Frankfurt beizuwohnen, welche ihm das Wesen der Tragödie überhaupt in ihrer reinsten und edelsten Form vor die Augen zauberten und über so manche Stellen des Stücks eine klare Anschauung gewährten, genügend legitimirt zu sein, wenn er es unternimmt, in diesem Blatte eine Kritik von den Schriften zu geben, welche er oben zusammengestellt hat: gehören ja doch die Verf. derselben, wenigstens der Mehrzahl nach, selbst zu den Philologen; ganz abgesehen davon, dass sie sämmtlich Gegenstände behandeln, welche für die Interpretation des sophokleischen Stückes von Wichtigkeit sind.

Wir nehmen zur Grundlage dieser Relation die Schachtsche Schrift, weil sich daran am besten der Bericht über alle die andern anknüpfen lässt. Es ist dieselbe mit vielem Geiste geschrieben und enthält so mancherlei geistreiche Bemerkungen, freilich nicht immer in der besten Ordnung vorgetragen, dass sie nicht

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leicht eine Frage übergangen hat, welche hier von Interesse sein könnte.

Hr. Schacht ist durch das nicht minder geistvoll geschriebene und feine Bemerkungen enthaltende frankfurter Programm von Hrn. Schwenck zu seiner Schrift angeregt worden. Die Idee des sophokleischen Stücks, schon so vielfach besprochen, setzt der Letztere nämlich in die Veranschaulichung schweren Leides, welches hervorgerufen durch den Conflict *) zweier an sich sittlichen, aber mit starrer Unnachgiebigkeit verfolgten Ideen, der Religion und Pietät, und des Gehorsams gegen die Gebote der weltlichen Gewalt, beide Theile trifft. Sie ist daher sehr geeignet, fährt Hr. Schwenck fort, ernst an das Maass zu mahnen, welches uns Menschen in allen Dingen ziemt, und zu lehren, wie schrecklich dem zu enden beschieden sein kann, der unnachgiebig in leidenschaftlicher Aufregung mit Trotz den von ihm für Recht erkannten Weg verfolgt, unbekümmert um die, deren Weg der seinige hemmend und störend durchkreuzt. Der Hr. Verf, weist auf den analogen Conflict in allen christlichen Reichen hin, wo der religiöse Scrupel mit dem Staatsgesetz in Zwiespalt geräth, auf die vielen Fälle geringerer Verhältnisse, wo selbst bei den ehrbarsten Gesinnungen das einseitige Verfolgen einer Idee zu einer Verhärtung und Starrheit führe, welche im Zusammenstoss mit gleicher Starrheit breche oder beide Theile vernichte. In diesem Sinne, fährt er fort ist die Antigone des Sophokles nicht veraltet und wird nie veralten; wie überhaupt keine Dichtung, welche auf das Reinmenschliche gegründet ist, in ihrer wahren Wesentlichkeit und Form, sondern höchstens in einigen Bedingungen ihrer äussern Erscheinung veralten kann. **)

Aber diese Auffassung der Idee, welche dem sophokleischen Stücke zum Grunde liege, setzt eine gleichmässig vertheilte Schuld der beiden Vertreter zwcier Principe voraus: wogegen

*) Dass unsere Tragödie den Conflict des Staats und der Familie behandle, ist die von Welcker. Gr. Tr. I. p. 251, repetirte Ansicht von K. O. Müller in den Götting. Anz. 1836 p. 1821.

**) Auch Verf. von Nr. 2. stimmt pag. 6 sq. bei: die Motive der Mehrzahl der alten Tragödien und namentlich der Antigone sind ein 60 rein Menschliches und darum allgemein Gültiges und Wahres, dass zu ihrem Verständniss überhaupt nur die Fähigkeit erfordert wird, sich in die Eigenthümlichkeit der Zeit und des Orts und in die Lage der handelnden Personen hinein zu denken: eine Fähigkeit, ohne die kein dramatisches Kunstwerk, dessen Stoff nicht der unmittelbarsten Gegenwart entnommen ist, begriffen werden kann. Bekanntlich hatte A. W. Schlegel in seinem Werke über dramatische Kunst und Literatur p. 117. eine ganz entgegengesetzte Ansicht. Inwiefern Beides zu beschränken, liegt in unsern Rügen, die wir unten den Erklärungsschriften machen, zu Tage.

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Hr. Schacht meint, das geringe Körnchen von Schuld, das der Dichter mit Fleiss dem Benehmen der Antigone hinzugethan, nämJich ihr aus tief verletztem Gefühle und aus Entschlossenheit entspringender Trotz, wodurch sie als Heldin hervortrete, wiege unendlich weniger als die Masse von Schuld, welche Kreon durch sein politisch scheinendes Machtgebot, durch die unpolitisch unmenschliche Anwendung desselben und durch die Miskennung der Edelthat Antigone's auf

sich lade. Es entstände hier also die Frage, ob die beiden im Stücke streitenden Parteien von gleichmässiger Schuld gedrückt werden, zu deren Entscheidung es nothwendig, beide Charactere nach denjenigen Zügen zu schildern, welche der Dichter ihnen angeheftet. Darum hat sowohl Hr. Schwenck wie Hr. Schacht sich dieser Aufgabe unterzogen. Wenn wir hier ein Gleiches thun, wenigstens die vorzüglichsten Momente der Dichtung in dieser Beziehung hervorheben, so fassen wir zugleich Nr. 2. der obigen Schriften sowie das Held'sche, mit vielem Fleisse und klarer Einsicht geschriebene Programm, das die Beleuchtung des Kreontischen Characters sich zur Aufgabe gestellt hat, speciell ins Auge. Es wird sich dabei von vorn herein häufig die Gelegenheit finden, die Uebersetzungen in ihren Schwächen und Vorzügen darzustellen. Hrn. Schwenck ist ,,Kreon, der neue Herrscher Thebens, in keiner Hinsicht ein unwürdiger und böser Mensch, welcher den Willen zeigt, um seines Vortheils oder seiner Launen willen eine Ungerechtigkeit zu begehen oder welcher kalt und hattherzig den sanfteren Gefühlen und dem Mitleid unzugänglich wäre. Ihn erfüllt ganz die neue Herrscherpflicht und er ist, weil er argwöhnt, es möge ihm der Thron missgönnt und insgeheim bedroht werden, eifersüchtig auf die neue Herrschaft, welche ihm nach Erlöschung des ihm nahverwandten Königsstammes rechtmässig zugefallen war, und er will erproben, ob seine Gebote gehalten werden, da er Argwohn hegt, es möchten sich welche gegen dieselben sträuben und sie etwa insgeheim vereitelo. · Aber schuldlos ist weder Antigone noch Kreon, denn beide sind hartnäckig und beharren mit rücksichtsloser Unbeugsamkeit auf ihrem Sinne, indem jeder Recht zu haben glaubt und, an und für sich betrachtet, auch Recht hat.“ Auch År. Held schreibt dem Kreon, als einem von der Würde und Bedeutung seines Herrscheramtes Durchdrungenen, den edlen Vorsatz zu, die Wohlfahrt und das Glück der Bürger das Ziel aller seiner Handlungen sein su lassen; aber er verbande die Schranken, welche jeder menschlichen Herrschaft gesetzt sind, er verwechsle das der Obrigkeit zustehende Recht mit willkührlicher Eigenmächtigkeit, setze an die Stelle ruhiger gemessner Handhabung der öffentlichen Gewalt die reizbare, aufbrausende Eifersucht persönlicher Ansprüche. Das sei der kranke Fleck, bei dessen jedesmaliger Berührung sein böser Geist ihn fasse, die Heftigkeit seiner Gemüths

art aufrege, Verwirrung in alle seine Verhältnisse bringe und ihn blind mache gegen alle Liebe, Treue und Fürsorge, die ihm entgegenkomme. So werde er aus einem Verehrer der Götter zum Uebertreter ihrer Gebote, aus einem Gerechtigkeit liebenden Könige ein Peiniger derjenigen, die höhere PAichten üben, als irgend eine Staatsgewalt sie vorschreiben kann, aus einem Beschirmer der Wohlfahrt seines Volkes ein argwöhnischer Verfolger böser Absichten, die er überall vermuthe, aus einem zärtlichen, liebevollen Vater ein Mörder seines Sohnes, seiner Gattin. In allen seinen Verhältnissen, zu den Göttern und ihren Dienern, zum Staate und seinen Bürgern, zu seinem Geschlechte und seiner Familie stehe er ursprünglich auf dem guten. Grunde eines löblichen Willens, edler Gefühle und grösstentheils richtiger Einsicht. In dem Einen aber irre er, dass er auch die ewigen, ungeschriebenen, unwandelbaren Gesetze der Götter der menschlichen Obrigkeit und Gerechtigkeit unterordnen zu dürfen glaube. Und als dieser Irrthum in seiner Ausführung nothwendigen Widerstand finde, da erwache die thörichte Begier des hoffärtigen Herzens, welches nie Unrecht haben wolle, welches Belehrung für Beleidigung nehme und stolz auf die äusserlich hohe gebieterische Stellung Jeden, der in besster Absicht zu widersprechen wage, mit Zorn überschütte. Irrthum und Leidenschaft in einander verschlungen und sich gegenseitig immer neu erzeugend, treibe Kreon's Seele zu dem ungeahnten Ziele des Unglücks und Verderbens.

Mit dem Sophocleischen Motto: ου γαρ δίκαιον ούτε τους κακούς μάτην χρηστους νομίζειν ούτε τους χρηστους κακούς ausgerüstet, wollen wir zunächst untersuchen, ob der Dichter die hier angegebenen guten Seiten des Kreontischen Characters wirklich erkennen lässt. *) Folgen wir dem Laufe des Stücks, so muss das erste Auftreten des Herrschers, seine erste Rede offenbar gleich dahin zielende Winke geben, denn Sophokles lässt nicht gern seine Zuschauer in Unklarheit über diejenigen Charactere, welche als die hauptsächlichsten der Dichtung dastehen. Man hat die erste Rede des Kreon für das Programm seines Regierungsantritts angesehen, mit welchem er sich der Treue der Ersten im Staate versichern wolle. Man hat hierbei nur allgemein vergessen, dass nach der Sophokleischen Auffassung Kreon bereits längere Zeit das Heft der Regierung in Händen gehabt hat. Schon die Worte der Ismene v. 14. deuten darauf, dass die Brüder nicht an dem vorhergegangenen Tage erst gefallen sind, denn die Flucht der Feinde wird als ein doch etwas späteres Ereigniss hingestellt; Kreon ist also seit jenem Wechselmorde Re

*) Auch Aug. Boeckh sagt, Niemand könne verkennen, dass Sophokles den Kreon als einen edlen, Recht und Ordnung suchenden Alleinherrscher darstelle.

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