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Erscheinung nicht von der Idee, welche den Ausgangspunkt bildete, sondern mochte, können wir bedauern und es in diesem Sinne auch erklärlich finden, daß ihn die Verpflanzung der neuen Ideen auf deutschen Boden unangenehm berührte. Aber ganz können wir darum dennoch nicht begreifen, wie, auch die Berechtigung solcher Stimmung und Gesinnung einmal zugegeben, ein solches Lustspiel, wie das vorliegende, das Resultat sein konnte.

Ein betrügerischer Barbier lügt einem dummen Bauer vor, daß die Jacobiner ihn für ihre Zwecke ausersehen und einstweilen schon für die bevorstehende Revolution zum Bürgergeneral ernannt hätten. Er seht dem erstaunten Bäuerlein seine Feldzugspläne auseinander, wobei ein Topf saurer Milch die zu erobernde feste Stadt vorstellen soll. Das Endziel des Barbiers ist, sich ein Frühstück zu gewinnen. Er wird durch den Schwiegersohn und die Tochter des Alten überrascht. Durch den Lärm, welcher dabei entsteht, werden die Nachbarn und der Ortsrichter herbeigerufen, welcher lettere auf Grund der aufgefundenen Jacobinermüze, Cocarde 2c. eine große demagos gische Untersuchung einleiten will. Da erscheint das Schicksal dieses loyalen Lustspiels,,,der Edelmann,“ welchem das Dorf gehört, hält eine eindringliche Rede darüber, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht, und preist das Glück solcher ruhigen Unterthanen, indem er in wahrhaft patriarchalischem Ton zu seinen Bauern sich herabläßt. Endlich erhebt sich derselbe zu folgenden Orakelsprüchen: „In einem Lande, wo der Fürst sich Niemand verschließt, wo alle Stände billig gegen einander denken, wo Niemand gehindert ist, in seiner Art thätig zu sein, wo nüßliche Einsichten und Kenntnisse überall vers breitet sind: da werden keine Parteien entstehen." In diesen vagen Allgemeinheiten sollen seine Zuhörer, so scheint es, wenn anders ihr beschränkter Unterthanenverstand so weit reicht, das Ideal eines Staats erkennen.

Was sollen wir nun zu dieser Komödie sagen? Erscheint es nicht als eine sehr unbillige Forderung, wenn der Dichter verlangt, wir sollen in diesem verlogenen Schuft von Barbier und in dem dummen Bauer, der ihm glaubt, das Bild aller Revolutionsmänner des damaligen Frankreichs und derjenigen, die sich für die neuen Ideen begeistern ließen, erkennen? Niemand wird leugnen, daß viele Parteigånger der Revolution an Gierigkeit und Habsucht diesem Barbier, eine Menge der Gewonnenen dem dupirten Bauer gleichen.

Aber ist es deshalb weniger Unrecht, wenn der Dichter auch die redlichen Charaktere mit diesen Verworfenen in eine Reihe stellt und, wie ich oben gesagt, wegen der der Erscheinung anhaftenden Gebrechen die Idee an sich angreift?

Aber sehen wir einmal ab von der Idee, welche sich in der vorliegenden Komödie ausprägt, und betrachten die künstlerische Com position. Der einzige komische Charakter, der sich vorfindet, ist der Ortsrichter; oder vielmehr es hätte aus ihm eine komische Figur ges bildet werden können. Wenn Göthe nämlich es so angelegt hätte, daß in ihm eine jener Demagogenriecher gezeichnet worden wäre, welche aus einer Mücke einen Elephanten machen, nur um ihren Amtseifer zu bethätigen: so hätte eine solche aus dem Leben gegriffene Figur des Eindrucks gewiß nicht verfehlt. Damit aber hätte Göthe der Richtung und Anschauungsweise, welcher er selbst angehörte, einen wenn gleich gerechten Angriff gemacht. Natürlich also, daß er daran nicht denken konnte. So muß denn der gute Ortsrichter nicht aus übertriebenem Amtseifer, sondern aus persönlicher Feindschaft auf Untersuchung dringen, wodurch einer der wirksamsten Züge verloren geht. Daß Schnaps, der Barbier, und der Bauer in der Sis tuation, als der erstere diesem den Topf abjagen oder vielmehr abdemonstriren will, einige komische Kraft haben, soll nicht geleugnet werden; jedoch ist diese keinesfalls nachhaltig genug, um das ganze Lustspiel zu halten. Denn der Edelmann, welcher nur deshalb schon vor der Schlußscene einmal auftritt, um nicht als völliger deus ex machina zu erscheinen, trägt hierzu eben so wenig bei als das junge Ehepaar, welches mit seiner sentimentalen Zärtlichkeit das Stück einleitet und durchweg begleitet.

Demnach will es scheinen, als ob Göthe in diesem Lustspiel zwar seiner bekannten politischen Gesinnung einen Ausdruck gegeben, eine seines Namens würdige Stärke aber in dieser so wenig als in den schon betrachteten Komödien gezeigt habe.

Meiningen.

Dr. August Henneberger.

Geschichte des Sommernachtstraums.

(Fortschung zu Band X, Heft 2.)

Bei weitem wichtiger als die Episode aus Lilly's Drama ist die ,,getreue Schäferin“ von Fletcher für unsere Betrachtung.

Das Drama von Fletcher,,die getreue Schäferin" kann man nicht lesen, ohne in vielen Beziehungen an Shakspeare überhaupt, insbesondere aber an den Sommernachtstraum erinnert zu werden.

Fletcher versezt uns in diesem Werke in die Schäferwelt und man könnte seine Dichtung eine dramatische Idylle nennen; solche Dichtungen liebte das Zeitalter. Auch Shakspeare hat in Wie es euch gefällt" ein reizendes Gemälde eines Schäferlebens gegeben, das er mit der höhern Welt der gebildeten Gesellschaft in Verbindung bringt; in idyllischer Schönheit steht die Schäferscene im vierten Acte des Wintermährchens unvergleichlich da. Fletcher's Dichtung zeichnet fich durch höchst anmuthige Stellen aus, durch eine schöne fließende Sprache, durch Eleganz der Versbaus; in den Charakteren ist so große Mannigfaltigkeit, als diese in einer einförmigen Schäferwelt zu erreichen war. Die Freunde Fletcher's waren von dieser Dichtung hingeriffen, und Ben Jonson erhebt dieselbe in einem besonderen Gedichte, das den Werken Beaumont's und Fletcher's vorgedruckt ist *). Aber

*) Vgl. The Works of Beaumont and Fletcher with an introduction by G. Darley, Lond. 1840. I, p. LXXX.

Archiv f. n. Sprachen. XI.

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wie sehr man auch sich anstrengte, Fletcher über Shakspeare zu erheben, hinter dem,,Schwane von Avon" steht der elegante und geistreiche Dichter doch weit zurück; und die Huldigung, welche Fletcher dem größeren Shakspeare schuldig war, legt er in dem Umstande an den Tag, daß er ihn nachahmte. Die getreue Schäferin“ giebt den Beweis, daß Fletcher in diesem Drama von Shakspeare's Sommernachtstraum mindestens die stärksten Eindrücke erfahren hatte.

In der getreuen Schäferin" ist die Scene ein Wald, in welchem bei Nacht verabredete Zusammenkünfte zwischen Liebenden gehalten und durch verschuldete wie durch unverschuldete Störungen unterbrochen werden, wie im Sommernachtstraum. Eine Schäferin Clorin tritt zuerst auf, welche ihren Geliebten begraben hat und bei seiner Gruft ein heiliges Leben führen will, wie Signue in Wolframs Parcival bei dem Leichname des Tschionatulander; ihr bringt ein Satyr anbetende Huldigungen dar. Der Schäfer Perigot will mit seiner treuen und feuschen Amoret (der getreuen Schäferin) bei einer heiligen Quelle zusammenkommen, um dort dem Bündniß der Seelen eine heilige Weihe zu geben*); den Perigot liebt die Schäferin Amarillis und erklärt ihm ohne Weiteres ihre Leidenschaft; da sie von Perigot erfährt, daß sein Herz der Amoret gehört, daß er eine nächtliche Zusammenkunst an der hei

*) Er sagt zu Amoret die schönen Worte (p. 266):

Only my intent
To draw you thither, was to plight our troths
With interchange of mutual chaste embraces,
And ceremonious tying of our souls:
For to that holy wood is consecrate
A virtuous well, about whose flow'ry banks
The nimble-footed fairies dance theire rounds,
By the pale moon-shine, dipping oftentimes
Their stolen children, so to make them free
From dying flesh and dull mortality:
By this fair fount hath many a shepherd sworn,
And given away his freedom, many a troth
Been plight, which neither envy, nor old time
Could ever break, with many a chaste kiss given
In hope of coming happiness.

By this fresh fountain, many a blushing maid
Hath crown'd the head of her long-loved shepherd
With gaudy flowers, whilst the happy sung

Lays of his love and dear captivity etc.

ligen Waldquelle mit ihr beschlossen hat, folgt sie ihm bei Nacht in den Wald wie Helena im Sommernachtstraum dem Demetrius, und sucht die Liebe beider zu zerstören. Um diesen Zweck zu erreichen, wendet sie sich an einen tückischen Schäfer (sullen shepherd), tem sie ihre Liebe verspricht, wofern er ihr diene. Wie im Sommernachtstraum Oberon seinen Zauber durch eine Pflanze (Liebe in Müßiggang) bewirkt, so hat in der „getreuen Schäferin“ die genannte heilige Quelle wunderwirkende Kräfte: sie hat die Macht, wie Amarillis dem tückischen Schäfer erzählt, die Form jeder Creatur in die gewünschte Gestalt zu verwandeln, wofern sie dreimal eingetaucht und dazu die Zauberformel gesprochen wird. Amarillis_läßt sich schlafend durch den tückischen Schäfer dreimal eintauchen; die Zauberformel, deren er sich bedient, erinnert an Aehnliches in Shakspeare's Macbeth *). Amarillis erwacht in der Gestalt der Amoret, welche sie anzunehmen wünschte. In dieser Gestalt hat Amarillis die Zusam menkunft mit Perigot, ehe die wirkliche Amoret kommt, welche bei der nächtlichen Wanderung sich verirrt, wie solche Verirrungen auch im Sommernachtstraum vorkommen. Amarillis ist aber der Perigot nur in der Gestalt ähnlich nicht in der Gesinnung; ihre üppigen Aeußerungen und Anträge empören den sittsamen Perigot, daß er aus Verzweiflung sich tödten, zurückgehalten aber die vermeintliche Amoret strafen will und sie verfolgt. Da erscheint plößlich der,,tüdische Schäfer" und verwandelt Amarillis in ihre wirkliche Gestalt. Die wahre Amoret kommt nun und Perigot verwundet sie. Der tückische Schäfer wirft sie in die heilige Quelle, um sie vollends zu tödten.

*) Vgl. 3, 1, p. 273:

Fly away

Ev'ry thing, that loves the day:
Truth, that hath but one face,
Thus I charm thee from this place.
Snakes, that cast your coats for new,
Camelions, that alter hue,

Hares, that yearly sexes change,
Proteus altering oft and strange,
Hecate, with shapes three,
Let this maiden changed be,
With this holy water wet,
To the shape of Amoret.

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