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und Terenz entlehnte Motive, wie das Wiedererkennen geraubter, als Sclaven erzogener Kinder.

Die dritte Stufe bezeichnet nun die haute comédie, die unser Dichter recht eigentlich geschaffen hat. Hier werden die früher nur sfizzirten Charaktere zu vollständig ausgemalten, fein nüancirten Charakterbildern. Die Personen, ihre Stellung zur Welt und zu einander, die Verhältnisse und Ereignisse werden wichtiger, die verspotteten Fehler und Verkehrtheiten allgemeiner und bedeutungsvoller, der komische Kern liegt tiefer, mehr in den Widersprüchen des Geistes und Herzens, des Willens und der Leidenschaft, kurz in den Räthseln der Psychologie, als in äußerlichen Verwickelungen, Ueberraschungen, Mißverständnissen, drolligen Vorfällen und Situationen, Späßen und Theatercoups. Die Kunst des Dichters hebt an der allgemein menschlichen Thorheit, an einer besonderen Verkehrtheit, ja sogar an einem sittlichen Gebrechen, indem sie, das Häßliche lächerlich machend, das moralische Interesse stets in's ästhetische hinüberspielt, die komische Seite hervor, trifft aber auch bald mit leisen, bald mit starken Geißelhieben die mannichfachen Thorheiten der Zeit, der Gesellschaft und der verschiedenen Stände und fügt zu den Charakterbildern Portraits hinzu oder verschmilzt beide in einander. In dieser oft bei uns verschrieenen, halbprofaischen Gattung, die den zur Beobachtung, zu moralischen Aperçüs, zu Wiz, Satire und Perfiflage geneigten Franzosen besonders zusagt, zeichnen sich die femmes savantes durch Feinheit des Colorits aus, wenn sie auch weniger psychologische Tiefe, als der Misanthrop, weniger energische Charakterdarstellung und Bühnenwirksamkeit enthalten, als der Tartüffe.

Durch diese drei Stücke erwarb sich Molière den Namen eines französischen Menander und ragt als solcher weit über seine Nachfolger hervor, die das Lustspiel sich immer mehr in peinliche Detailsmalerei des Privatlebens und kleinliche Portraitirung verlieren laffen, bis Beaumarchais, ein zweiter Aristophanes, erscheint, die neuere attische Comödie so zu sagen in die alte zurücklenkt, dieselbe zum Organ seiner Angriffe auf Staat und Gesellschaft macht und damit die erste Sturmglocke zur Revolution läutet.

Die Intrigue der femmes savantes ist mit zwei Worten folgende:

Madame Philaminthe, dem reicheren Bürgerstande angehörig, ist vom Fieber der Schöngeisterei befallen und will ihre Tochter dem

Herrn Triffotin, Schöngeist und Dichter von Profession, der sie damit angesteckt hat, verheirathen. Vater Chrysale, nichts weniger als Schöngeist, will sie dem jungen Clitander, dem Sohn eines alten Jugendfreundes, zuwenden. Der Poet, der sich hinter die Mutter steckt, um zur Tochter zu gelangen, oder vielmehr zur Mitgift, siegt in diesem Kampfe, denn Madame regiert im Hause mit dem Pantoffel, den sie stets unverhüllt in Händen trägt; er fällt aber noch zur rechten Zeit in eine ihm vom Schwager Ariste, der für die Liebenden wirkt, gelegte Falle. Im Augenblick der ContractUnterzeichnung kommt ein Brief, der meldet, Chrysale habe sein Vermögen verloren; Trissotin tritt mit edler Resignation: et je ne veux point d'un coeur qui ne se donne pas, zurück und räumt dem Clitander, der auch ohne Mitgift liebt, das Feld. Schluß: Verlobung des Paars mit Einwilligung von Madame, die nicht ihrem Manne, sondern den Umständen weicht. Je le savais bien que vous l'épouseriez, sagt jener zu seiner Lieblingstochter und bildet sich ein, er allein hätte Alles gemacht und sein Wille trage den Sieg davon.

Mit dieser etwas dürftigen Handlung füllt der Dichter, ohne daß wir uns langweilen, fünf Acte aus und ersetzt den Mangel äußerer Dramatik durch ein frei entwickeltes Spiel der Leidenschaften, durch scharfe Charakterzeichnung und vor Allem durch eine Vollendung der Sprache und des Verses, wie er sie bis dahin noch nicht erreicht hatte. Die Gattung einmal angenommen, kann ich auch nicht finden, daß Tendenz, Moral und Didaktik in diesem Stücke störend und prosaisch hervortreten; die Sentenzen und Discussionen find so fein in das Ganze gewebt, stehen so sehr überall am rechten Fleck und dienen so sehr zur Charakteristik der Personen, daß sie kein müssiges Beiwerk sind. Zumal bei dem Gegenstande, um den es sich hier handelt, war das Ueberwiegen der Conversation unvermeidlich, wenn er in seinem ganzen Umfang und mit voller Schärfe aufgefaßt werden sollte.

Damals hatte sich das pretentiöse, schöngeistige und pedantische Wesen, welches die höheren Stände sich aus dem hôtel Rambouillet geholt hatten, schon den ihnen nachstrebenden mittleren mitgetheilt, und die Frauen, bei ihrer leichten Reizbarkeit, waren am meisten davon inficirt worden. Die damaligen alten und jungen Blaustrümpfe begnügten sich nicht mit der Aesthetik, sondern verstiegen

sich sogar in Astronomie, Physik u. s. w., mochte auch, wie Chrysale sagt, mancher Kalbsbraten darüber verbrennen, mancher Topf ungewaschen bleiben.

Vor allem war es ihnen aber um eine gewählte Ausdrucksweise zu thun, und Vaugelas erseßte in ihren Händen den parfait cuisinier. Die Damen unsers Stückes wollen ja sogar eine weibliche Akademie der Wohlredenheit einführen. — Es gab damals für viele Dinge zwei Ausdrücke, einen adligen und einen bürgerlichen. Diese oft von unserem Dichter, besonders aber in diesem Stück verspottete Albernheit war ein natürlicher Auswuchs löblicher Sorgfalt, mit der gerade damals die Schrift- und Conversationssprache eultivirt wurde und ihr noch heute troß den Romantikern bestehendes Gepräge erhielt.

Molière, der Dichter des gesunden Menschenverstandes, steuerte durch seine Comödien diesem Unwesen und hat, wie viele Zeugnisse der Zeit beweisen, nicht wenig zur Einführung eines besseren Geschmackes beigetragen.

Sein Stück nahm sich aber auch der Ehemanner an, deren. Knöpfe unangesezt, deren Strümpfe ungestopft blieben, der Mägde, die man wegen sprachlicher Schnißer fortjagte, der Töchter, die, wie Henriette, von gelehrten Müttern vernachlässigt wurden.

Wie Schlegel in diesem Bestreben des Dichters eine Geringschäzung aller höheren weiblichen Bildung sehen konnte, ist unbegreiflich. Nur der Hausvater und die ungrammatische Köchin wissen sich etwas mit ihrer Unwissenheit, sind sie doch die Vertreter des entgegengesezten Extrems, und müssen dies nach des Dichters Intention thun. Die anderen, nicht von der Krankheit befallenen Personen haben ganz perständige, durchaus nicht beschränkte Ansichten, wie sich unten zeigen wird, verspotten aber mit Recht falsche Wissens-Prätension und selbstgefällige Pedanterie. Am wenigsten könnten wir aber mit Schlegel so beschränkte Ansichten aus des Dichters Lage und Erziehung begreifen, die ihm bekanntlich viel Gelegenheit zu litterarischer, ja gelehrter Bildung gab, während seine mannichfachen Lebenserfahrungen, die besser als Doctrin und Stubengelehrsamkeit dazu dienen, ihn zum Lehrer der Menschheit zu bilden, sehr geeignet

waren.

Besonders in den weiblichen Charakteren tritt nun jene Verkehrtheit hervor, und der Dichter zeigt an ihnen mit dem feinsten

psychologischen Tacte, wie bloß äußerlich des Glänzens halber Angeeignetes nie die innere Bildung zu fördern und zur idealen Richtung zu erheben vermag, sondern nur dazu dient, die natürlichen Schwächen noch um eine neue, anspruchsvolle Affectation zu vermehren.

Frau Philaminthe, die Philosophin, gleicht mehr der Frau des alten angebeteten Weisen, als ihm, und braust troß allem Stoicismus bei der geringsten Gelegenheit auf, sie geräth über einen Sprachfehler der Magd in Harnisch und affectirt, wo Grund zur Unruhe ist, wie beim Verlust des Vermögens, einen ebenso albernen Gleichmuth.

Die schon verblühte Tante Belise, besonders stark in Astronomie und Rhetorik, tröstet sich über ihre unfreiwillige Entsagung mit der visionsartigen Täuschung, daß alle Männer in sie verliebt seien und nur nicht wagten, es ihr zu zeigen; sie sicht in Vernachlässigung, ja Grobheit, versteckte Liebeserklärungen und wittert etwas der Art selbst in Clitander's Behauptung, er wolle fich lieber hängen lassen, als sie heirathen, einer der übervollen Pinselstriche, die Molière mitunter dem Bühneneffect zu Liebe sich erlaubt.

So weit wie die etwas phlegmatische, in seliger Selbsttäuschung dahin lebende Belise hat es ihre Nichte, die sensitive Armande, noch nicht gebracht. Obgleich sie die Ehe als ein prosaisches hausbackenes Institut verachtet, so fischte sie doch gern den früher von ihr zurückgewiesenen Clitander wieder und sezt alle Maschinen in Bewegung, ihn ihrer Schwester abspänstig zu machen, geberdet sich aber so, als wolle sie nur aus Gefälligkeit seine Anbetung dulden.

Diesen drei Thörinnen, denen Molière durch seine Nuancen einen besondern Charakter zu geben wußte, - auch ohne Personenangabe könnte man jedesmal sagen, wer von ihnen spricht, steht die jüngere Schwester Henriette gegenüber, das einfach natürliche Mädchen; sie hat sich ganz aus sich selbst herausgebildet, die Verfehrtheit der anderen hat ihr den rechten Weg gezeigt. Wie ihre ungeschminkte, natürliche Sprache, die sie jedoch, wenn es gilt zu perfifliren, auch zum Ton der précieuses emporzuschrauben weiß, gegen das Kauderwelsch der anderen absticht, so sticht auch ihr sicheres, harmonisch in sich begründetes Wesen gegen die Gezerrt- und Geziertheit der anderen ab. Sie liebt ihren Clitander von ganzer Scele, aber nicht nach den Romanen der Frau von Scudéry und ohne falschen Pathos. Die Ehe ist ihr das Ziel der Liche, aber sie weiß

ihr auch zu entsagen und führt ihren eraltirten Liebhaber auf das

wahre Maaß zurück:

L'amour, dans son transport, parle toujours ainsi,
Des retours importuns évitons les soucis.

Act. V. Scène V.

Dabei hat sie aber andererseits auch Kraft genug, sich jedem Zwange zu widerseßen. Sie spricht mit anständiger Offenheit ihre Wünsche und Hoffnungen aus, ist aber dabei reineren Herzens, als ihre prüde Schwester, der das Wort Ehe und Hochzeit das Blut in die Wangen treibt. Kurz, sie ist eine der liebenswürdigsten Schöpfungen des Dichters und gleicht durch sanft gehaltene Idealisation einer jener Göthischen Gestalten, indem sie durch die verschrobene Umgebung cin um so schöneres Licht erhält. - Auch Martine, die so schlecht spricht und so ausgezeichnet kocht, ist mit ihrem kecken Mutterwig vortrefflich gehalten und schaut gleich jener Dorine des Tartüffe so klug in Alles hinein; sie behält auch immer das letzte Wort, und doch ist der Unterschied zwischen Köchin und Zofe genau beobachtet.

Von den männlichen Charakteren ist Vater Chrysale ein wahres Prachtstück, eine frisch aus dem Leben gegriffene Figur; wir sind ihm schon irgendwo begegnet, wahrscheinlich in einer jener reichgewordenen Kaufmannsfamilien, wo der weibliche Theil sich durch Bildung vornehm zu machen sucht, während Papa im Comptoir arbeitet. Der alte Herr möchte sich und Andere glauben machen, er regiere im Hause, darum donnert und blißt er, so oft Madame nicht dabei ist, und giebt seinen Töchtern die jener zugedachte Ladung. Er nimmt immer einen gewaltigen Anlauf zur Mannheit. "Ich habe zu regieren, was ich will, das soll geschehen!" so spricht er mit großer Festigkeit und wagt selbst einen ersten Angriff voll Kraft and Feuer, indem er sich dabei auf sein gutes Recht stüßt; beim ersten dürren Wort von Madame, die nicht mehr braucht, ihn zur Raison zu bringen, zieht er sich aber zurück, läßt Alles über sich ergehen und freut sich, wenn die Köchin für ihn eintritt. Aber wie gut ist er dabei, wie freut er sich über die Zärtlichkeit des jugendlichen Liebespaares, das ihm seine grünen Jahre zurückruft, wie klar übersicht er die Thorheit seiner Umgebung, wie drollig weiß er sie zu schildern. Der verständige Mann unter dem Pantoffel der thö richten Frau, das ist der komische Kern des Stückes. Vergebens

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