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tes, wie der Beschränktheit seines Standpunktes und geht durch diese Sclaverei mit seinem ganzen Thun und seinem Untergange in die Idee des Dramas auf.

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Der uns in diesen Blättern zugemessene Raum verbietet uns auf alle einzelnen Personen unseres Dramas einzugehen, selbst auf so hervorragende Charaktere wie Glendower und Worcester können wir es nicht. Indeß sieht Jeder leicht, daß, während Jener durch seine Sucht nach Anerkennung und seinen Aberglauben, welcher leßtere ihn denn auch abhält, Percy zu Hülfe zu ziehen, zu der Grundidee in innere Beziehung tritt, für diesen das stete Mißtrauen in den König und die Furcht für seine eigene Sicherheit den rothen Faden bildet, der auch ihn in sie hineinzieht. Wir gehen also gleich zu dem schnellgefüßten tollen Prinzen von Wales" und seinen Cameraden über, die die Welt, wie Perch sagt, „Bei Seite schoben und sie laufen ließen". Wir beginnen mit Falstaff. Daß in diesem die Idee des Dramas und zwar auf positive Weise als innere Freiheit sich bethätige, das beweist Jedem unserer Leser sein eigenes Lachen, das auf ihn selbst befreiend wirkt. Es kommt also nur darauf an, die Form seiner Freiheit näher zu bestimmen, und hier hat Rötscher's so sehr abstractes Verfahren jedem Nachfolger genug zu thun übrig gelassen. Zunächst nämlich läßt Rötscher den Widerspruch ganz außer Augen, der doch offenbar zwischen der von ihm behaupteten idealen Freiheit Falstaff's und seinem Dienste der Materie besteht. Denn nicht nur geht ja Falstaff aus von dieser, er sinkt auch, bar jedes substantiellen Inhalts, wie er ist, immer wieder in den Sumpf seiner zum Theil schmußigen und stets kraß materiellen Genüsse zurück. Es ist also durchaus zuzugeben, daß er zunächst, statt der Vertreter unserer Freiheit zu sein, vielmehr der unserer Abhängigkeit als Einzelwesen und folglich unserer Unfreiheit ist, ja dies ist er so sehr, daß nicht leicht eine Schwäche, die uns als Einzelwesen anhaftet, ihm fehlen dürfte. Diese Seite seines Wesens aber muß als der stete Hebel seiner Selbstbefreiung auch nothwendig zur Basis jeder Untersuchung über Falstaff genommen werden, während Rötscher gerade über sie ohne Aufenthalt hinweggeht, um ihn als „Feind aller idealen Interessen" als die, Ironie über jede den Menschen wahrhaft ergreifende Bestimmtheit" hinzustellen. Von jener concreten Bestimmtheit Falstaff's aus nun läßt sich seine Freiheit dahin aussprechen, daß er sich in jedem Augenblicke von jeder einzelnen Schwäche

loszusprechen, über jedes einzelne disappointment zu erheben, jede einzelne Anforderung der substantiellen Mächte abzuweisen und diese Abweisung zu rechtfertigen weiß; kurz daß er in jedem einzelnen Falle seiner selbst gewiß und frei ist, während er über seine sinnliche Natur selbst nicht hinauskommt. Aber lezteres freilich hindert uns nicht über ihn zu lachen, so wenig es ihn selbst ernstlich betrübt. Denn einerseits geben wir ja schon von vornherein zu, daß uns als Einzelwesen Schwächen jeder Art ankleben, und andrerseits sehen wir unser allgemeines Wesen bei ihm nicht wie bei dem Könige gefährdet, welcher Leztere sich seines Abfalls von dem Guten als Schuld bewußt war. Bei Falstaff reicht das Bewußtsein' selbst nicht weiter als sein Handeln, oder richtiger: ist dieses, wenn auch erwacht, doch nicht bis zu der Höhe der sittlichen Freiheit des Menschen aufgestiegen. Nur sein Gewissen hat sein lasterhafter Wandel aus dem Schlaf gescheucht, und mit diesem, nicht mit der sittlichen Würde des Menschen, hat er es von Zeit zu Zeit zu thun. Mit einem Worte: er ist Individuum geblieben und faßt demzufolge seine Schuld als ein allge= mein menschliches Loos, dem Niemand sich entziehen könne, für das er also auch nicht persönlich verantwortlich ist. Sehr treffend nennt ihn daher Vischer (Aesthetik Bd. I §. 217, Anmerkung), der diese Seite Falstaff's herausgekehrt hat, den guten alten Adam", der trotz aller seiner Schwächen im Grunde doch nicht böse ist und daher für alle seine Sünden stets eine Selbstbeschönigung zur Hand hat. Das also ist seine Hülfe, wenn ihm sein Gewiffen positive Vergehungen vorhält, die er sich hat zu Schulden kommen lassen. Die andre Seite seines Wesens ist seine Verschlossenheit gegen alle idealen Interessen, gegen jedes sittlichen Pathos, seine „Auflösung alles Ernstes, aller Leidenschaft, aller Affekte", wie Rötscher sagt, der dies Moment allein bespricht. Aber wie bei Mercutio's Humor in Romeo und Julie, den er nicht weniger ideal faßt, so verfährt Rötscher auch hier abstract. Denn troß einzelner Behauptungen des Gegentheils faßt er Falstaff im Grunde doch als die frei humoristische Persönlichkeit, für die das allgemeine Selbstbewußtsein in seinem Widerspruch mit der endlichen Eristenz die Quelle des Humors ist und die deshalb die höchsten tragischen Affekte verlacht, weil sie dieselben als die schrankenlose Freiheit des Gemüths aufhebend empfindet. Das nämlich ist es, was Rötscher auch von Falstaff be

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hauptet*), während dieser doch einfach unfähig ist, sich ihnen hinzugeben, und sie als Schranken nie hat empfinden lernen. Wenn also Falstaff sie verlacht, so lacht wieder nur der „gute alte Adam“, der Mensch als Individuum, der vielmehr der Gegenfüßler der freien humoristischen Persönlichkeit ist. Denn während diese, jedes bestimmte Pathos nur deshalb negirt, weil sie von sich als allgemeinem Wesen ausgeht, und das Endliche nur insofern anerkennt, als sie dieses als die Bedingung und Bäßis ihrer Allgemeinheit weiß: geht Falstaff umgekehrt von der Berechtigung des Endlichen aus, kommt aber als ihr Vertreter nothwendig zu demselben Resultate der Auflösung jedes bestimmten Pathos, weil dieses seine endliche Existenz oder doch ihren Selbstgenuß gefährden würde. Damit stimmt denn auch sowohl die Art und Weise, wie er sich von seinen positiven Vergehungen losspricht, als die bestimmte Form überein, in der er die Anforderungen der substantiellen Mächte abweist. Was zunächst Ersteres betrifft, so erreicht er dies stets dadurch, daß er die Macht und das Gebiet der Nothwendigkeit je nach seinem Bedürfniß ausdehnt und den Menschen als von ihr absolut abhängig hinstellt, wie denn z. B. der Straßenraub nun ein Mal sein „Beruf“ ist; mit seinen Verführern ferner ist er „behert"; er hat mehr Schwachs heit, weil er mehr Fleisch hat, und kann sich nur so lange beffern, als seine Kräfte noch nicht zu sehr geschwunden sind. Wo er dagegen den idealen Potenzen gegenübersteht, legt er, wie Rötscher selbst ein Mal sagt, stets den Maßstab der endlichen materiellen Zweckmäßigkeit an und findet, z. B. wie, daß die Ehre sich nicht auf die Chirurgie versteht“, so, daß „sterben heißt, eine Maske sein“ und daß „der nur die Maske eines Menschen ist, der nicht das Leben eines Menschen hat." Und von demselben Gesichtspunkte aus

*) Man vergleiche z. B. folgende Stelle (Rötscher's Cyclus 1, p. 252): „Falstaff ist der Verspotter aller sittlichen Interessen und Verhältnisse, weil sie die Hingebung des Menschen fordern, weil sie ihn mithin der Herrschaft wesentlicher Mächte unterthan machen. Ruhm, Ehre, Heldenmuth, Gemeinsinn, dies Alles find daher Mächte, welche Falstaff vermittelst seines Humors vernichtet, weil sie ihm jenes selige Behagen, jene schrankenlose Freiheit des Gemüths aufheben, worin ihm der Werth des Lebens beruht." In der That, Rötscher hat, abgesehen von der Vernichtung des moralischen Standpunkts Falstaff gegenüber, vielmehr eine Abhandlung über die ideale Freiheit im Gegensatz zum tragischen Pathos, als über den concreten Character, der ihm vorlag, geschrieben.

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verlacht er die idealen Mächte auch, wo er, im Act des Frevelns selbst, sie für sich in Anspruch nimmt, denn da macht er sie thatsächlich zum Werkzeug der Erhaltung seines sinnlichen Daseins, wie wenn er die Straßenräuber tapfer nennt und in diesem seinem Beruf fich als der Vertreter der Bedrängten geberdet. Immer ist er die Verlebendigung der Form der Freiheit, die der Mensch als Individuum, als bloß natürliches Wesen erreicht.

Das also ist der Standpunkt Fal staff's und die Stellung, die er zu der Idee des Dramas hat. So gefaßt tritt er nun aber auch zu allen einzelnen Personen in innere Beziehung. Auf den König wiesen wir schon hin. Zu diesem steht er zunächst von Seiten des Schuldbewußtseins im Contrast; denn den König machte sein Gewissen unfrei, weil er durch seine Schuld dahin gekommen war, sich als fittliches Wesen zu erfassen. Er ferner litt unter dem Aufschub seiner ersehnten und gehofften Sühne, den die innere Nothwendigkeit seiner Lage als Usurpator bewirkte, Falstaff dagegen überwindet jedes Scheitern seiner Pläne und Hoffnungen kampflos und sicher. Perch dann ist der Gegensaz Falstaff's von Seiten jenes Hingebens an ein bestimmtes Pathos, das ihn völlig beherrschte, sowie durch seine Sclaverei der Affekte, die dieser gar nicht kennt. Glendower's Aberglauben karrikirt Falstaff durch seine Annahme der Hererei, die ihm dann dienen muß, sich von persönlicher Verantwortung für seinen lasterhaften Wandel freizusprechen. Worcester endlich, der unter Ankennung der Nothwendigkeit wie in den Kampf mit dem König, so in den Tod geht, steht er theils mit seiner Nothwendigkeit, theils mit seinem Davonlaufen vor dem Tode, den Prinz Heinrich ihm als nothwendig darstellen will, gegenüber. Und ebenso wären auch noch zwischen andern Personen unseres Stückes und ihm innere Bezüge aufzuweisen. Der wahrhaft Freie aber ist Prinz Heinrich, mit dem wir die Reihe der Personen, in denen die Idee des Dramas sich bethätigt, abschließen.

Daß zunächst der Prinz in irgend einer Beziehung zu der Idee des Dramas stehen müsse, geht schon aus seinem Verhältniß zu Falstaff hervor, der nach der sinnlichen Seite hin als Repräsentant derselben gelten kann. In seinem Monologe freilich am Schluß der zweiten Scene stellt Prinz Heinrich dies Verhältniß als ein Werk politischer Berechnung dar und scheint damit die innere Bedeutung desselben für sich zu leugnen. Aber weit entfernt, daß diese dadurch

wirklich aufgehoben wird, führt uns eben jener Monolog vielmehr zur Erkenntniß der Natur der Stellung, die der Prinz sowohl zu Falstaff als zu der Idee des Stückes selbst hat. Denn in demselben erscheint der Prinz als selbstbewußter Mensch, zwar selbstbewußt nicht in dem Sinne des allgemeinen Selbstbewußtseins, das sich als die Substanz der Welt weiß und durch den Bruch mit ihr hindurchgegangen ist diese Stufe der Freiheit haben wir für die Welt, die unser Drama darstellt, schon von vornherein ausgeschlossen — wohl aber stellt er die höchste Stufe der Freiheit dar, die der Mensch als natürlicher, als ungetrennte Einheit von Geist und Natur, erreichen kann, das Selbstbewußtsein als unmittelbares, dessen erste Erscheinungsform zwar jugendlicher Uebermuth ist, das aber nichtsdestoweniger jeden Augenblick zum Gefäß für jeden sittlichen Inhalt werden kann,`ja, das sogär wesentlich auf dem unmittelbaren Wissen seiner Einheit mit der Welt und den sittlichen Mächten felbft beruht. So tritt Prinz Heinrich in jenem Monologe vor uns, in Wahrheit also als die Ergänzung Falstaff's, mit dem er, als der Repräsentant der geistigen Seite der Idee des Dramas sich zusammenschließt, um diese selbst zu bilden. Oder vielmehr, da er die ungetrennte Einheit von Natur und Geist ist, mithin auch sinnlicher Mensch wie Falstaff: so nimmt er diesen in sich auf und stellt für sich allein die Freiheit des natürlichen Menschen nach der sinnlichen wie geistigen Seite dar. Und eine andere Bedeutung hat in der That sein Verkehr mit Falstaff nicht, als daß er in diesem die Anschauung seiner finnlichen Natur hat, deren Fesseln ihn nicht drücken, weil er in unmittelbarer Einheit mit der Welt ein für alle Mal sicher ist, sie abstreifen zu können, um sich einen sittlichen Inhalt zu geben. Falstaff's innere Beziehung zu dem Prinzen bleibt also troß jener Aeußerung des Lezteren stehen und diese reduzirt sich auf das bloß Thatsächliche, daß er vermöge seines Selbstbewußtseins auf den Verkehr mit Falstaff jeden Augenblick verzichten könnte.

Es liegt mir jest ob, das hier aufgestellte Allgemeine im Einzelnen zu erweisen und die reale Entfaltung seines Wesens zu verfolgen. Was zunächst jene Einheit von Natur und Geist betrifft, die wir von ihm aussagten, so geht dieselbe besonders in den harmlosen Scherzen, die er mit dem Kellner treibt, bis zur Kindlichkeit fort, und schon die Thatsache seiner Selbstverbannung von dem Hofe

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