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hauptet*), während dieser doch` einfach unfähig ist, sich ihnen hinzugeben, und sie als Schranken nie hat empfinden lernen. Wenn also Falstaff sie verlacht, so lacht wieder nur der „gute alte Adam“, der Mensch als Individuum, der vielmehr der Gegenfüßler der freien humoristischen Persönlichkeit ist. Denn während diese, jedes bestimmte Pathos nur deshalb negirt, weil sie von sich als allgemeinem Wesen ausgeht, und das Endliche nur insofern anerkennt, als sie dieses als die Bedingung und Bäfts ihrer Allgemeinheit weiß: geht Falstaff umgekehrt von der Berechtigung des Endlichen aus, kommt aber als ihr Vertreter nothwendig zu demselben Resultate der Auflösung jedes bestimmten Pathos, weil dieses seine endliche Eristenz oder doch ihren Selbstgenuß gefährden würde. Damit stimmt denn auch sowohl die Art und Weise, wie er sich von seinen positiven Vergehungen losspricht, als die bestimmte Form überein, in der er die Anforderungen der substantiellen Mächte abweist. Was zunächst Ersteres betrifft, so erreicht er dies stets dadurch, daß er die Macht und das Gebiet der Nothwendigkeit je nach seinem Bedürfniß ausdehnt und den Menschen als von ihr absolut abhängig hinstellt, wie denn z. B. der Straßenraub nun ein Mal sein „Beruf“ ift; mit seinen Verführern ferner ist er „behert“; er hat mehr Schwachheit, weil er mehr Fleisch hat, und kann sich nur so lange bessern, als seine Kräfte noch nicht zu sehr geschwunden sind. Wo er das gegen den idealen Potenzen gegenübersteht, legt er, wie Rötscher selbst ein Mal sagt, stets den Maßstab der endlichen materiellen Zweckmäßigkeit an und findet, z. B. wie, daß die Ehre sich nicht auf die Chirurgie versteht", so, daß „sterben heißt, eine Maske sein“ und daß „der nur die Maske eines Menschen ist, der nicht das Leben eines Menschen hat." Und von demselben Gesichtspunkte aus,

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* Man vergleiche z. B. folgende Stelle (Rötscher's Cyclus 1, p. 252): „Falstaff ist der Verspotter aller sittlichen Interessen und Verhältnisse, weil fie die Hingebung des Menschen fordern, weil sie ihn mithin der Herrschaft wesentlicher Mächte unterthan machen. Ruhm, Ehre, Heldenmuth, Gemeinsinn, dies Alles sind daher Mächte, welche Falstaff vermittelst seines Humors vernichtet, weil sie ihm jenes selige Behagen, jene schrankenlose Freiheit des Gemüths aufheben, worin ihm der Werth des Lebens beruht." In der That, Rötscher hat, abgesehen von der Vernichtung des moralischen Standpunkts Falstaff gegenüber, vielmehr eine Abhandlung über die ideale Freiheit im Gegensatz zum tragischen Pathos, als über den concreten Character, der ihm vorlag, geschrieben.

verlacht er die idealen Mächte auch, wo er, im Act des Frevelns selbst, fie für sich in Anspruch nimmt, denn da macht er sie thatsächlich zum Werkzeug der Erhaltung seines sinnlichen Daseins, wie wenn er die Straßenråuber tapfer nennt und in diesem seinem Beruf fich als der Vertreter der Bedrängten geberdet. Immer ist er die Verlebendigung der Form der Freiheit, die der Mensch als Individuum, als bloß natürliches Wesen erreicht.

Das also ist der Standpunkt Fal staff's und die Stellung, die er zu der Idee des Dramas hat. So gefaßt tritt er nun aber auch zu allen einzelnen Personen in innere Beziehung. Auf den König wiesen wir schon hin. Zu diesem steht er zunächst von Seiten des Schuldbewußtseins im Contrast; denn den König machte sein Gewissen unfrei, weil er durch seine Schuld dahin gekommen war, sich als fittliches Wesen zu erfassen. Er ferner litt unter dem Aufschub seiner ersehnten und gehofften Sühne, den die innere Nothwendigkeit seiner Lage als Usurpator bewirkte, Falstaff dagegen überwindet jedes Scheitern seiner Pläne und Hoffnungen kampflos und sicher. Perch dann ist der Gegensaz Falstaffs von Seiten jenes Hingebens an ein bestimmtes Pathos, das ihn völlig beherrschte, sowie durch seine Sclaverei der Affekte, die dieser gar nicht kennt. Glendower's Aberglauben karrikirt Falstaff durch seine Annahme der Hererei, die ihm dann dienen muß, sich von persönlicher Verantwortung für seinen lasterhaften Wandel freizusprechen. Worcester endlich, der unter Ankennung der Nothwendigkeit wie in den Kampf mit dem König, fo in den Tod geht, steht er theils mit seiner Nothwendigkeit, theils mit seinem Davonlaufen vor dem Tode, den Prinz Heinrich ihm als nothwendig darstellen will, gegenüber. Und ebenso wären auch noch zwischen andern Personen unseres Stückes und ihm innere Bezüge aufzuweisen. Der wahrhaft Freie aber ist Prinz Heinrich, mit dem wir die Reihe der Personen, in denen die Idee des Dramas sich bethätigt, abschließen.

Daß zunächst der Prinz in irgend einer Beziehung zu der Idee des Dramas stehen müsse, geht schon aus seinem Verhältniß zu Falstaff hervor, der nach der sinnlichen Seite hin als Repräsentant derselben gelten kann. In seinem Monologe freilich am Schluß der zweiten Scene stellt Prinz Heinrich dies Verhältniß als ein Werk politischer Berechnung dar und scheint damit die innere Bedeutung desselben für sich zu leugnen. Aber weit entfernt, daß diese dadurch

wirklich aufgehoben wird, führt uns eben jener Monolog vielmehr zur Erkenntniß der Natur der Stellung, die der Prinz sowohl zu Falstaff als zu der Idee des Stückes selbst hat. Denn in demselben erscheint der Prinz als selbstbewußter Mensch, zwar selbstbewußt nicht in dem Sinne des allgemeinen Selbstbewußtseins, das sich als die Substanz der Welt weiß und durch den Bruch mit ihr hindurchgegangen ist - - diese Stufe der Freiheit haben wir für die Welt, die unser Drama darstellt, schon von vornherein ausgeschlossen — wohl aber stellt er die höchste Stufe der Freiheit dar, die der Mensch als natürlicher, als ungetrennte Einheit von Geist und Natur, erreichen kann, das Selbstbewußtsein als unmittelbares, dessen erste Erscheinungsform zwar jugendlicher Uebermuth ist, das aber nichtsdestoweniger jeden Augenblick zum Gefäß für jeden sittlichen Inhalt werden kann, ja, das sogar wesentlich auf dem unmittelbaren Wissen seiner Einheit mit der Welt und den sittlichen Mächten selbst beruht. So tritt Prinz Heinrich in jenem Monologe vor uns, in Wahrheit also als die Ergänzung Falstaff's, mit dem er, als der Repräsentant der geistigen Seite der Idee des Dramas sich zusams menschließt, um diese selbst zu bilden. Oder vielmehr, da er die ungetrennte Einheit von Natur und Geist ist, mithin auch sinnlicher Mensch wie Falstaff: so nimmt er diesen in sich auf und stellt für sich allein die Freiheit des natürlichen Mens schen nach der sinnlichen wie geistigen Seite dar. Und eine andere Bedeutung hat in der That sein Verkehr mit Falstaff nicht, als daß er in diesem die Anschauung seiner finnlichen Natur hat, deren Fesseln ihn nicht drücken, weil er in unmittelbarer Einheit mit der Welt ein für alle Mal sicher ist, sie abstreifen zu können, um sich einen sittlichen Inhalt zu geben. Falstaff's innere Beziehung zu dem Prinzen bleibt also troß jener Aeußerung des Lezteren stehen und diese reduzirt sich auf das bloß Thatsächliche, daß er vermöge seines Selbstbewußtseins auf den Verkehr mit Falstaff jeden Augenblick verzichten könnte. —

Es liegt mir jest ob, das hier aufgestellte Allgemeine im Einzelnen zu erweisen und die reale Entfaltung seines Wesens zu verfolgen. Was zunächst jene Einheit von Natur und Geist betrifft, die wir von ihm aussagten, so geht dieselbe besonders in den harmlosen Scherzen, die er mit dem Kellner treibt, bis zur Kindlichkeit fort, und schon die Thatsache seiner Selbstverbannung von dem Hose

und feines Verkehrs mit der Verkörperung des „guten alten Adam“ zeugt für diese Seite seines Wesens, das in der That ein ächt menschliches ist. Wie frei er ferner von sich selbst und zugleich wie selbstgewiß er ist, zeigt theils die Vertraulichkeit, die er seinen Genossen gestattet, theils die Unbefangenheit und Sorglosigkeit, mit der er beim Eintreffen der Nachrichten über den drohenden gefahrvollen Bürgerkrieg noch Komödie zu spielen vermag. Wie sicher ferner zeigt er sich noch insbesondere der sittlichen Natur des Menschen schon durch seinen bloßen Verkehr mit Falstaff, den alle Welt verachtet, und sein herzliches Lachen über dessen stete Selbstbeschönigung! Denn wenn auch sein jugendlicher Uebermuth als Triebfeder dieses Verkehrs mehr betheiligt ist, als er selbst einzuräumen scheint; doch wissen wir, daß seine Anschauung von vornherein sittlichen Inhalt hat, den er also durch Falstaff's Liederlichkeit nicht negirt sieht. Mithin war der Schluß berechtigt, daß er in Falstaff seine eigene Freiheit von der sinnlichen Natur anschaut. Seinem Vater gegenüber aber, aus dessen Nähe ihn zu verscheuchen dessen innere Unfreiheit nothwendig mitgewirkt hat, ist er zwar würdevoll, doch auch voll Pietät, und räumt, so-überlegen er ihm ist, doch willig ein, daß er gefehlt habe. Und als er dann geschworen, hunderttausend Tode zu sterben, oder Percy zu erschlagen, und mit diesem Schwur in die Schlacht zicht, da ist er, sagt Vernon, der ihn und seine Gefährten schildert:

Ganz rüstig, ganz in Waffen, ganz befiedert
Wie Strauße, die dem Winde Flügel leihn,
Gespreizt wie Adler, die vom Baden kommen;
Mit Goldstoff angethan wie Heil'genbilder,
So voller Leben wie der Monat Mai,

Und herrlich, wie die Sonn' im Sommers Mitte;
Wie Geißen munter, wild wie junge Stiere.
Ich sah den jungen Heinrich, Sturmhut auf,
Die Schienen an den Schenkeln, stolz gewaffnet,

Wie der beflügelte Mercur vom Boden

So leicht gewandt sich in den Sattel schwingen,
Als schwebt' ein Engel nieder aus den Wolken,
Den Pegasus zu tummeln und die Welt

Mit edlen Reiterkünften zu bezaubern.

Das muß der Held des Stückes sein, den Shakspeare dieser Perle seiner Poesie gewürdigt hat! Hier steht er ganz als der Vertreter der Idee des Stückes vor uns, insofern die Geistesfreiheit,

die er hier im Angesicht der drohendsten Gefahr behauptet, ihren Ausdruck in dem äußern Menschen findet. Und ebenso giebt er ihr auch in Worten, in der Gesinnung ihren völlig adäquaten Ausdruck. Ich laffe wieder Vernon reden, der ihn schildert, wie er Percy zum Einzelkampf gefordert habe:

Zeitlebens hört' ich nicht

Bescheidner einen Feind herausgefordert,

Es müßt' ein Bruder denn den Bruder mahnen
Zur Waffenprob' und friedlichem Gefecht.
Er gab Euch alle Pflichten eines Manns,
Staffirt' Eu'r Lob mit fürstlich reicher Zunge,
Zählt Eu'r Verdienst wie eine Chronik auf,
Euch immer höher stellend als sein Lob,
Das er zu schwach fand gegen Euren Werth;
Und, was ihm ganz wie einem Prinzen stand,
Er that erröthende Erwähnung seiner,
Und schalt mit Anmuth seine träge Jugend,
Als wär' er da zwiefachen Geistes Herr,
Zu lehren und zu lernen auf ein Mal.

Hier berührt sich Heinrich in einem Punkte mit dem König, seinem Vater, dessen Freiheit von sich selbst in seinem Urtheil über feine Feinde wir an ihrem Ort hervorgehoben haben wahrhaft groß erscheint er aber erst, als er seiner Geistesfreiheit auch in Thaten Ausdruck giebt, wir meinen, Falstaff gegenüber, dem er ohne Zögern den Ruhm des Sieges über Percy abtritt.

Somit meine ich denn dargethan zu haben, daß in der That die von mir aufgestellte allgemein menschliche Idee in den einzelnen Personen als ihre Grundmacht thätig ist. Auf die Handlung selbst im Ganzen wie im Einzelnen näher einzugehen, um auch in ihr fie nachzuweisen, dessen bedarf es nun nicht mehr, da in den Hauptcharacteren auch die einzelnen Momente der Handlung schon besprochen sind. Die Collision z. B. zwischen dem König und Percy wird auf der einen Seite durch die Furcht vor Mortimer, durch innere Unsicherheit also, und auf der andern durch den Jähzorn, die Sclaverei der Leidenschaft herbeigeführt. Die Beilegung des Zwistes dann, die der König vermöge seiner Freiheit von sich selbst wünscht, wird durch die Furcht Worcester's gehindert, Glendower ferner bleibt aus Aberglauben fern von dem Schauplaß der Entscheidung u. s. w. Nur der Schluß des Ganzen und die künstlerische Befriedigung, die er uns gibt, sei noch besonders erwähnt. Es ist nämlich augenscheinlich,

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