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Der eheliche Bund ist durch den Tod gelöst. Die Frucht dieses Bundes und zugleich ein lebendiges Bild des darin obwaltenden Mißverhältnisses ist der Knabe Drcio, den der Dichter in der prologähnlichen Einleitung zum zweiten Theile folgendermaßen charakterifirt:,,Warum, mein Kindchen, reitest du nicht auf dem Stöckchen, spielst nicht mit dem Püppchen, tödtest keine Fliegen, spießest keine Schmetterlinge, wälzest dich nicht auf dem Rasen, stiehlst feine Leckereien, bethränst nicht alle Buchstaben von A - 3? Du König der Fliegen und Schmetterlinge, du Freund Policinells, kleines Teufelchen, warum gleichst du so einem Engelchen? Was bedeuten die blauen Augen, gesenkt und doch so lebhaft, voll Erinnerung, und doch sizen sie dir kaum länger als einige Lenze im Kopfe? Was stüßest du die Stirn auf die weißen Händchen und scheinst zu träumen, und wie eine vom Thau beschwerte Blume sind deine Schläfe geneigt von Gedanken." ,,Wenn eine welkende Blume eine Feuerseele und Himmelsbegeisterung hätte, wenn auf jedem zur Erde geneigten Blättchen ein Engelsgedanke läge statt eines Tröpfs chens Thau, eine solche Blume gliche dir, mein Kindchen.“ Die Mutter hatte ihm in dem lezten Augenblicke ihres klaren Bewußtseins, als sie noch fühlte, wodurch sie die Liebe ihres Gatten vers loren, mit ihrem Fluch gedroht, wenn er kein Dichter würde; und er ist ein Dichter, aber ein Dichter, wie ihn sich der beschränkte Geist der Mutter vorstellte. Am Grabe der Mutter gehen die eins gelernten Worte des Gebetes plöglich in einen poetischen Erguß aus, denn,,die Worte drängen sich ihm auf, und schmerzen ihn im Kopfe, so daß er sie aussprechen muß," wie auch seine Mutter sich im Irrfinn einbildete, daß ihr Jemand eine Lampe im Kopfe aufgehängt habe,,,die sie unsäglich schmerze.“ In seinen Träumereien sicht er oft seine Mutter und sie sagt ihm, fie sammle „Schwärme von Gestalten, Begeisterung und Gedanken“ für ihn ,,fie fülle seinen Mund mit Wohlklang und Kraft, schmücke seine Stirn mit Klarheit und wecke der Mutter Liebe in ihm und Alles, was die Menschen auf Erden und die Engel im Himmel Schönheit nennen, — damit sein Vater ihn liebhabe!" Das weckt in dem Grafen die Erinne rung an die ganze Schönheit, das ganze Unglück des Wesens, dessen Glückseligkeit er vergiftet hat; „jedes seiner Worte fällt mit der ganzen Last seiner vollen Bedeutung auf sein Herz und durchbohrt sein Innerftes,“ so daß er in Zerknirschung ausruft:,,Gott erbarme dich

über unser Kind, das du, wie es scheint, in deinem Zorn dem Wahnsinn und dem frühen Tode bestimmt haft. Blicke auf die Leiden des Vaters und gieb dies Engelchen nicht der Hölle preis. Laß mich mein Kind in Frieden lieben und möge endlich Friede werden zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe.“ So ist Drcio der strafende Engel seines Vaters,,,die Stimme des Gewissens, die ihm das Gericht Gottes verkündet."

Aus den Trümmern seines zerstörten Familienglücks flüchtet sich der Graf in das Staatsleben. Sein scharfer Blick zeigt ihm die von allen Seiten hinaufziehenden Wetterwolfen, die in zerstörenden Gewittern sich über der bürgerlichen Gesellschaft zu entladen drohen, er kennt den Vulcan, auf dem das ganze Staatsgebäude steht, er sieht voraus, daß „die Gesellschaft, in der er aufgewachsen,“ in Gefahr sei, gesprengt zu werden. Aber auch hier versteht er die Welt nicht, auch hier reißt ihn seine überspannte Phantasie aus der Bahn des Rechten, er findet das Band nicht, die sich lockernden Glieder der bürgerlichen Gesellschaft mit einander zu verknüpfen und aneinander zu fesseln; denn ihm fehlt die Liebe. Vergebens. ruft ihm daher der Schußengel zu:,,Liebe die Siechen, die Hungernden, die Verzweifelnden, deine Nächsten, deine armen Nächsten, und du wirst gerettet werden." Satan lockt ihn durch sein zweites Trugbild, den Ruhm in der Gestalt eines ungeheuren schwarzen Adlers, dessen Flügel pfeifen,,,wie Laufende von Kugeln in der Schlacht," auf die Bahn des Ruhmes, die ihn zum Verderben führt. Es gilt den Kampf der Vergangenheit mit der Zukunft. Mit dem Schwerte deiner Våter," ruft ihm der Adler zu,,,kämpfe für ihre Ehre und Macht weiche nicht, weiche niemals — und deine Feinde, deine niedrigen Feinde fallen in den Staub." Und so tritt er auf als Vorkämpfer der Vergangenheit gegen die Neuerungen der Zukunft und beschließt den Kampf auf Tod und Leben,,mit seinen Brüdern." - Sein häusliches Unglück hat endlich den höchsten Grad erreicht. Orcio, der im Schlafe wandelt, ist erblindet. Und doch muß er sich von ihm losreißen, denn der Kampf ist nicht mehr fern. Möge mein Segen auf dir ruhen, so ruft er dem Schlafenden zu, weiter kann ich dir Nichts geben, nicht Glück, nicht Licht, nicht Ruhm die Stunde schlägt, in der ich werde kämpfen müssen, streiten mit wenig Menschen gegen viele Menschen wo wirst du bleiben, ganz allein und unter hundert Abgründen blind, kraftlos, Kind und Dichter

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zugleich, du armer Sänger ohne Zuhörer, mit der Seele lebend über dem Erdkreise hinaus, mit dem Körper an die Erde geschmiedet o du unglücklicher, du unglücklichster der Engel Sohn."

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o du mein

Im dritten Theile beginnen die Vorbereitungen zum Entscheis dungskampfe zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Das Proletariat, der besizlose Theil der bürgerlichen Gesellschaft hat sich erhoben gegen die Besitzenden, gegen Staat und Kirche. Die rohe Masse hat die Oberhand gewonnen, hat gemordet, gesengt und ge= plündert; ein kleiner Rest der Bestzenden hat sich in die Veste Sta. Troyca geworfen; der Graf ist im Begriff, sich zu ihnen durchzuschlagen und mit ihnen den leßten verzweifelnden Kampf zu wagen. Diese Masse schildert der Dichter in der Einleitung zum dritten Theile. Sichst du jene Schaaren vor den Thoren der Stadt? Zelte, lange Bretter, bedeckt mit Fleischspeisen. — Der Becher fliegt von Hand zu Hand und wo er den Mund berührt, da bricht Geschrei hervor, eine Drohung, ein Schwur oder ein Fluch. Er fliegt und kehrt wieder, kreist und tanzt, immer voll, flirrend, blinkend unter den Tausenden. Es lebe der Becher der Trunkenheit und des Trostes.“ „Seht ihr, wie jene ungeduldig harren, unter einander murmeln, sich zum Geschrei anschicken? Alle elend, Schweiß auf der Stirn, das Haar zerzaust, in Lumpen gehüllt, mit ausges dörrten Gesichtern, die Haut der Hände eingeschrumpft von der Arbeit. Diese tragen Sensen, jene schwingen Hämmer, Hebebäume; sieh, der Lange hat ein Beil in der Hand, jener schwingt einen eisernen Ladestock über dem Kopfe. Auch Weiber sind da, ihre Mütter, ihre Frauen, hungrig und elend wie jene, vor der Zeit verwelkt, von Schönheit keine Spur auf ihren Haaren Staub der Landstraße - ihre Augen erloschen, düster — doch bald beleben sie sich der Becher fliegt umher. Es lebe der Becher der Trunkenheit und des Trostes.“ - Der Anführer dieser wilden Rotten, der Vorkämpfer der Zukunft tritt unter sie, besteigt einen Tisch, springt auf einen Stuhl, beherrscht sie, spricht zu ihnen. Seine Stimme ist gedehnt, scharf, deutlich jedes Wort ist zu verstehen. Seine Bewegungen sind langsam, leicht, sie begleiten die Worte, wie die Musik das Lied. Die Stirn hoch, breit, kein Haar auf dem Schädel die Haut angetrocknet an Schädel und Wangen, gelblich, zwischen Knochen und Muskeln eingeknickt von den

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Schläfen umkränzt ein schwarzer Bart das Gesicht

blutlos, einfarbig das Gesicht - die Augen unverwandt, auf die Zuhörer gerichtet. - Und wenn er die Arme erhebt, ausstreckt und über sie breitet, neigen sie die Köpfe, es scheint, als wollten sie niederfallen vor diesem Segen des gewaltigen Verstandes nicht des Herzens. Er verspricht ihnen Brod und Verdienst und weithin schallt ihr Geschrei: es lebe Pankraz! Brod, Brod, Brod!" - Zu seinen Füßen steht sein Freund, oder Gefährte, oder Diener mit orientalischer Physiognomie um den Mund etwas Wollüstiges, Boshaftes, die Finger voll goldener Ringe auch er schreit mit kreischender Stimme: es lebe Pankraz. Der Redner wirft seinen Blick auf ihn mir das Tuch.“ Unterbeffen dauert das Geschrei und der Lårm: „Brod, Brod, Brod! Tod den Herren! Tod den Kaufleuten! Brod, Brod!“ das Volk der Zukunft, das wir in der Theiles noch genauer kennen lernen.

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,,Bürger Renegat, reich'

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Dies ist der Held, dies ersten Scene des dritten

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Zuerst treten wir in das Zelt der Renegaten, der getauften Juden. Sie jubeln, daß das Kreuz gefallen ist; „auf zügellose Freiheit, auf endloses Gemezel, auf Zwift und Bosheit, auf die Dummheit und den Hochmuth" der Christen wollen sie Israels Macht gründen und fluchen den wenigen Herren, die ihnen noch Widerstand leisten. - Pankraz hat unterdessen seine Obersten bei einem Mahle bei sich versammelt gehabt; sobald er sich allein sieht, bricht er in die Worte aus:,,Funfzig schwelgten hier vor einem Augenblick und schrien bei jedem meiner Worte: Vivat! Verstand wohl auch Einer meine Gedanken? Begriff er das Ende des Weges, an dessen Anfang er lärmt? Ach! fervide imitatorum pecus." Er schickt einen Renegaten zu dem Grafen mit der Nachricht, er wünsche eine geheime Zusammenkunft mit ihm. Der Graf zwingt den Renegaten, ihn durch das Lager der Feinde zu führen, bei wel cher Gelegenheit wir das bunte Treiben dieser Horden näher kennen lernen. Hier sehen wir eine Schaar Männer und Weiber um einen Galgen tanzen und weithin schallt ihr Chor:,,Brod, Verdienst und Holz für den Winter, Ruhe im Sommer; Hurrah, Hurrah! Gott hatte kein Mitleid mit uns; Hurrah, Hurrah! — Die Könige hatten kein Mitleid mit uns; Hurrah, Hurrah! - Die Herren hatten kein Mitleid mit uns; Hurrah, Hurrah! -Wir danken heut Gott, den Königen, den Herren für den Dienst; Hurrah, Hurrah!“ Dort

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Fluch!"

schwelgt ein Schwarm Kammerdiener unter einer Eiche. „Meinen alten Herrn hab' ich schon getödtet," ruft der Eine;,,ich such' nach meinem Baron" der Andere;,,aus den Vorzimmern, unsern Gefäng nissen, brachen wir zusammen, einmüthig, in einem Wurf; Vivat! Wir kennen die Lächerlichkeit, die Unkeuschheit der Salons; Vivat!" schreien sie im Chor. — Mit rauhem, wildem Gebrüll naht sich ein Trupp Schlächter: „Art und Messer, unsre Waffe Schlacht haus unser Leben - uns all' Eins, ob wir Vich, ob Herren schlachten -Kinder der Kraft und des Blutes, blicken wir gleich gültig auf andere schwächere, weißere wer uns ruft, hat uns für die Herren schlachten wir die Ochsen, für das Volk die Herren Art und Messer unsre Waffe -Schlachthaus unser Leben Schlachthaus, Schlachthaus, Schlachthaus!“ - Dort liegt ein Handwerker im Verscheiden und noch ruft er mit brechender Stimme: Ich sehe den Tag der Freiheit nicht mehr; Fluch den Kaufleuten, die Seide verkaufen, Fluch den Herren, die in Seide gehen Fluch Ein Schwarm Bauern schleppt einen Edels mann gefangen mit sich, sein Flehen übertönt ihr Geschrei: „Der Vampyr sog unser Blut, unsern Schweiß; wir haben den Vampyr; beim Teufel, beim Teufel, du sollst hoch sterben, wie ein Herr, wie ein großer Heer, sollst hängen über uns Allen. Tod den Herren, den Tyrannen uns Armen, uns Hungrigen, uns Müden, Essen, Schlafen, Trinken. Wie die Garben auf dem Felde sollen ihre Leichen liegen, wie die Spreu auf der Tenne soll die Asche ihrer Schlösser zerstieben. Bei unsern Sensen, Aerten und Flegeln, Brüder vorwärts!” An einer andern Stelle predigt Leonhard, ein eraltirter Jüngling,,,der Prophet der Freiheit," dem Volk die Res ligion der Zukunft, zu seinen Füßen ruht eine Tochter der Freiheit": ,,Wir beide sind das Bild des freien, auferstandenen menschlichen Geschlechts; seht, wir stehen auf den Trümmern der alten Gestalten, des alten Gottes. Ehre uns, denn wir haben seine Glieder zers rissen, sie sind jezt Staub und Schutt; und seinen Geist überwanden wir durch unsern Geist; sein Geist ging in Nichts." -,,Eine neue Welt verkündige ich. Dem neuen Gott übergebe ich den Himmel. Herr der Freiheit und der Wollust, Gott des Volkes, jedes Opfer der Rache, jedes Unterdrückers Leiche werde dein Altar; in einem Dccan von Blut versinken die alten Thränen und Leiden des Volks; sein Leben ist von jezt an Glück, sein Gesch Freiheit

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