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mern der irdischen Welt einen sichern Pfad in die Welt der absoluten Schönheit findet; sie ist ihm die unbändige, titanenkräftige Phantasie, die in schranken- und bewußtlosem Fluge aus der Wirklichkeit hinaus ihrer Traumwelt zuströmt und die Brücke hinter sich verbrennt, die ihn bei wiederkehrendem Bewußtsein heimführen könnte, ihm fehlt die Liebe, die den Menschen an Menschen knüpft und Zeit und Ewigfeit mit einem unlösbaren Bande umschlingt. Sie macht ihn blind für den in der Natur und in Erscheinungen der Welt sich offenbas renden Geist Gottes; darum verleugnet sie der Herr, wie sie ihn verleugnet hat und er fällt den bösen Geistern anheim; „seine Seufzer fallen in die Tiefe und Satan sammelt sie und fügt sie freudig seinen Flüchen bei."

Wie sehr diese seine Göttin ihn der Welt entfremdet hat und wie groß die Kluft ist, die zwischen seiner Phantasiewelt und der Wirklichkeit liegt, erkennt er freilich erst, als eben diese Wirklichkeit mit ihren Forderungen enger an ihn herantritt, als er mit der Wirks lichkeit in ein Bündniß getreten, das eben auch nur seine Phantasie hat schließen helfen. Das Drama beginnt mit den Vorbereitungen zu diesem Bündnisse. Der Schußengel schwebt vorüber mit den Worten: Friede den Menschen, die eines guten Willens find Gesegnet unter den Geschöpfen, wer ein Herz hat ihm kann noch Heil werden gute und sittsame Frau, offenbar dich ihm und ein Kind werde in eurem Hause geboren." Das sind die Bande, die ihn an die Wirklichkeit fesseln und ihn beglücken sollen. der Chor der bösen Geister zaubert Truggestalten hervor: den Geist seiner gestern verstorbenen Buhlerin, das geliebte Mädchen des Dichters“; den „Ruhm“ in der Gestalt eines Adlers, und,,das vermoderte Bild Edens, ein Werk Beelzebubs," worunter,,die Mutter Natur“ verstanden wird. Noch kurz vor dem Trauungsacte ruft der Schußengel:,,wenn du den Schwur hältst in Ewigkeit, wirst du mein Bruder sein im Angesicht des himmlischen Vaters", und nach geschlossenem Ehebündniß spricht der junge Ehemann: „Fluch auf mein Haupt, wenn ich jemals aufhöre, sie zu lieben.“

Aber

Das Bündniß ist geschlossen. Im ersten Taumel der jungen Liebe glaubt sich der Graf in die Welt seiner Träume verseßt und schwärmt für seine junge Frau, die ihm treu zu sein verspricht, ,,wie's die Mutter gesagt hat und wie's ihr Herz sagt", und sie foll,,ewig sein Lied" sein. Aber bald ist seine Gluth abgekühlt.

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Das Bild seiner verlassenen Geliebten, von bösen Geistern herauf gezaubert, weckt ihn aus seinem nächtlichen Schlummer und scheucht ihn von der Seite seiner nun nicht mehr geliebten Gattin. Er hat die Wirklichkeit nun näher kennen gelernt, er ist aus seinem Traume, in den ihn der Taumel der Leidenschaft gewiegt hatte, erwacht, er hat,,eine gute, liebe Frau", aber es ist eine Frau, es ist nicht die Geliebte seiner Träune. Seine Phantasie zaubert ihm sein ge= träumtes Paradies mit aller Farbenpracht vor die Seele; die Wirklichkeit ekelt ihn an. „Ich schlief," ruft er aus, seit meinem Hochzeitstage den Schlaf der Erschlafften, den Schlaf der Schlemmer, den Schlaf eines deutschen Fabrikanten neben einer deutschen Frau die ganze Welt entschlief gleichsam um mich, gleich mir — ich besuchte Verwandte, Aerzte, Waarenlager, und da mir ein Kind soll geboren werden, dachte ich an eine Amme." - Er möchte das Band zerreißen, das zwei Körper an einander fesselt, deren Seelen sich abstoßen; er schwört der Truggestalt seiner Geliebten, ihr zu folgen, wenn sie wiederkehre. Alsdann," ruft er aus,,,lebe mir wohl, Gärtchen und Häuschen, und du, geschaffen fürs Gärtchen und Häuschen, aber nicht für mich." Das häusliche Glück ist dahin; auch seine Frau fühlt das. Die kalten einfilbigen Antworten des Mannes lassen sie fürchten, was ihr bald aus seinen Worten:,,ich fühle, daß ich dich lieben follte,“ klar wird. In ihrem unaussprechlichen Schmerze fleht sie ihn an, ihr Kind nicht zu verlassen, ihr Kind zu lieben. In diesem Augenblicke verkündet eine wilde Musik die Ankunft des Mädchens. Die Frau sieht,,die bleiche Todtengestalt, das erloschene Auge das Todtenhemde, das ihr in Feßen von den Schultern fällt"; der Mann sieht ihre heitre Stirn, ihr blumenbekränztes Haar", sieht sie,,von Lichtglanz umflossen“ und will ihr folgen; und als die Frau ihn zurückzuhalten sucht, reißt er sich los mit den Worten:,,Weib aus Lehm und Koth, eifre nicht, frevle nicht, lästere nicht das ist der erste Gedanke Gottes von dir; aber du folgtest dem Rathe der Schlange und wurdest, was du bist!" Taub für den herzzerreißenden Ruf seiner Frau: ,,Heinrich Heinrich"! stürzt er der Erscheinung nach.

sich

Das Bündniß ist zerrissen. Zwar läßt die Gräfin noch an ihrem Sohne den Laufact vollziehen, aber die erschütternden Scenen haben ihren sonst so flaren Geist zerrüttet, was sich schon aus der tiefergreifenden Frage:,,wo ist dein Vater, Drcio?" mit der sie die

heilige Handlung unterbricht, ahnen läßt, und vollends klar wird, als sie, ohne auf die Erinnerung des Geistlichen und der Pathen zu achten, fortfährt:,,ich segne dich, Drcio; ich segne mein Kindwerd' ein Dichter, daß dein Vater dich liebe, dich nicht einst verstoße.“ - „Du wird deinem Vater gefallen und dann wird er deiner Mutter verzeihen.“ Ich verfluche dich, wenn du fein

-

Dichter wirst!"

Unterdessen jagt der Graf seinem Traumbilde, dem Schattenund Trugbilde seiner Geliebten, nach und preist sich glücklich, der ,,Welt der Menschen“ entronnen zu sein. Doch die Enttäuschung bleibt nicht aus. Die Stimme des Mädchens lockt ihn immer weiter; die heitern Gefilde bleiben hinter ihm zurück, und Klippen. und Schluchten, das Bild seiner Verirrungen, umgeben ihn; die Luft verfinstert sich, Stürme umbraufen ihn, und ein Abgrund, an dem er sich plöglich findet, droht ihn zu verschlingen. Stimmen böser Geister verhöhnen ihn,,,das große Herz, die große Seele, die im Nu den Himmel durchfliegen wollte," und nun elend zusammenfinke. Da erkennt er seinen Irrthum; sein Traumbild erscheint ihm in seiner wahren Gestalt: „die Blumen lösen sich von den Schläfen und fallen zu Boden und wie sie ihn berühren, schlüpfen sie wie Eidechsen und kriechen wie Nattern; - der Wind reißt das Gewand in Fezen von. den Schultern; Regen trieft aus dem Haar; Knochen ragen aus dem Schooße hervor; ein Bligstrahl verzehrt den Augenstern." Verzweiflungsvoll ruft er aus:,,Gott, verdammst du mich, weil ich glaubte, deine Schönheit überrage um einen ganzen Himmel die Schönheit dieser Erde? weil ich ihr nachjagte, bis ich ein Spiel der Teufel wurde. Eine unsichtbare Macht drängt mich immer weiter

-

Feind siegt!"

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dein

Umsonst ist der Kampf -die Sehnsucht nach dem Abmeine Seele schwindelt Gott grunde ergreift mich Und die Erkenntniß seiner Verirrungen und die Reue find seine Rettung. Der Schußengel über dem Meere beruhigt die Wogen: „denn in diesem Augenblicke fließt das heilige Wasser auf das Haupt deines Kindes kehre heim und sündige nicht mehr fehre heim und liebe dein Kind!"

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Und er kehrt heim. Hier aber findet er seine Frau im Irrenhause und flieht mit Grausen, daß er in seinem Wahnsinne seinen Himmel zerstört und Fluch über sich und sein Haus gebracht habe. Mit dem Tode der Gräfin schließt der erste Theil.

Der eheliche Bund ist durch den Tod gelöst. Die Frucht dieses Bundes und zugleich ein lebendiges Bild des darin obwaltenden Mißverhältnisses ist der Knabe Orcio, den der Dichter in der prologähnlichen Einleitung zum zweiten Theile folgendermaßen charakterifirt:,,Warum, mein Kindchen, reitest du nicht auf dem Stöckchen, spielst nicht mit dem Püppchen, tödtest keine Fliegen, spießeft keine Schmetterlinge, wälzest dich nicht auf dem Rasen, stiehlst keine Leckereien, bethränst nicht alle Buchstaben von A - 3? Du König der Fliegen und Schmetterlinge, du Freund Policinells, kleines Teufelchen, warum gleichst du so einem Engelchen? Was bedeuten die blauen Augen, gesenkt und doch so lebhaft, voll Erinnerung, und doch sizen sie dir kaum länger als einige Lenze im Kopfe? Was stüzest du die Stirn auf die weißen Händchen und scheinst zu träumen, und wie eine vom Thau beschwerte Blume sind deine Schläfe geneigt von Gedanken.",,Wenn eine welkende Blume eine Feuerseele und Himmelsbegeisterung hätte, wenn auf jedem zur Erde geneigten Blättchen ein Engelsgedanke läge statt eines Tröpfs chens Thau, eine solche Blume gliche dir, mein Kindchen.“ — Die Mutter hatte ihm in dem lezten Augenblicke ihres klaren Bewußtseins, als sie noch fühlte, wodurch sie die Liebe ihres Gatten vers loren, mit ihrem Fluch gedroht, wenn er kein Dichter würde; und er ist ein Dichter, aber ein Dichter, wie ihn sich der beschränkte Geist der Mutter vorstellte. Am Grabe der Mutter gehen die eins gelernten Worte des Gebetes plößlich in einen poetischen Erguß aus, denn,,die Worte drängen sich ihm auf, und schmerzen ihn im Kopfe, so daß er sie aussprechen muß,“ wie auch seine Mutter sich im Irrfinn einbildete, daß ihr Jemand eine Lampe im Kopfe aufgehängt habe,,,die sie unsäglich schmerze." In seinen Träumereien sicht er oft seine Mutter und sie sagt ihm, fie sammle,,Schwärme von Ges stalten, Begeisterung und Gedanken“ für ihn ,,fie fülle seinen Mund mit Wohlklang und Kraft, schmücke seine Stirn mit Klarheit und wecke der Mutter Liebe in ihm und Alles, was die Menschen auf Erden und die Engel im Himmel Schönheit nennen, damit fein Vater ihn liebhabe!" Das weckt in dem Grafen die Erinne rung an die ganze Schönheit, das ganze Unglück des Wesens, dessen Glückseligkeit er vergiftet hat; „jedes seiner Worte fällt mit der ganzen Last seiner vollen Bedeutung auf sein Herz und durchbohrt sein Innerstes," so daß er in Zerknirschung ausruft:,,Gott erbarme dich

über unser Kind, das du, wie es scheint, in deinem Zorn dem Wahnsinn und dem frühen Tode bestimmt haft. - Blicke auf die Leiden des Vaters und gieb dies Engelchen nicht der Hölle preis. Laß mich mein Kind in Frieden lieben und möge endlich Friede werden zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe." So ist Drcio der strafende Engel seines Vaters,,,die Stimme des Ge= wissens, die ihm das Gericht Gottes verkündet."

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Aus den Trümmern seines zerstörten Familienglücks flüchtet sich der Graf in das Staatsleben. Sein scharfer Blick zeigt ihm die von allen Seiten hinaufziehenden Wetterwolfen, die in zerstörenden Gewittern sich über der bürgerlichen Gesellschaft zu entladen drohen, er kennt den Vulcan, auf dem das ganze Staatsgebäude steht, er sieht voraus, daß „die Gesellschaft, in der er aufgewachsen,“ in Gefahr sei, gesprengt zu werden. Aber auch hier versteht er die Welt nicht, auch hier reißt ihn seine überspannte Phantasie aus der Bahn des Rechten, er findet das Band nicht, die sich lockernden Glieder der bürgerlichen Gesellschaft mit einander zu verknüpfen und aneinander zu feffeln; denn ihm fehlt die Liebe. Vergebens. ruft ihm daher der Schußengel zu: „Liebe die Siechen, die Hungernden, die Verzweifelnden, deine Nächsten, deine armen Nächsten, und du wirst gerettet werden." Satan lockt ihn durch sein zweites Trugbild, den Ruhm in der Gestalt eines ungeheuren schwarzen Adlers, dessen Flügel pfeifen,,,wie Taufende von Kugeln in der Schlacht," auf die Bahn des Ruhmes, die ihn zum Verderben führt. Es gilt den Kampf der Vergangenheit mit der Zukunft. „Mit dem Schwerte deiner Våter," ruft ihm der Adler zu,,,kämpfe für ihre Ehre und Macht weiche nicht, weiche niemals und deine Feinde, deine niedrigen Feinde fallen in den Staub." Und so tritt er auf als Vorkämpfer der Vergangenheit gegen die Neuerungen der Zukunft und beschließt den Kampf auf Tod und Leben,,mit seinen Brüdern." - Sein häusliches Unglück hat endlich den höchsten Grad erreicht. Orcio, der im Schlafe wandelt, ist erblindet. Und doch muß er sich von ihm losreißen, denn der Kampf ist nicht mehr fern. Möge mein Segen auf dir ruhen, so ruft er dem Schlafenden zu, weiter kann ich dir Nichts geben, nicht Glück, nicht Licht, nicht Ruhm die Stunde schlägt, in der ich werde kämpfen müssen, streiten mit wenig Menschen gegen viele Menschen wo wirst du bleiben, ganz allein und unter hundert Abgründen blind, kraftlos, Kind und Dichter

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