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dieses Capitel auswählte. Hier lernen wir in dem Dichter den Mann kennen, dessen Herz erfüllt war von den edelsten und wahrsten Empfindungen. Wir täus schen uns vielleicht, aber wir glauben in diesen Versen über die Freundschaft den Athemzug des Minneliedes zu hören. Sollte das Gemüth des Mannes, in dessen Seele ein dichterischer Hang war, der diesen Hang durch Kenntniß anderer Dichter steigerte, nicht von der Sehnsucht getroffen worden sein, die für den ritterlichen Laien dieses Zeitalters_gleichsam ein Glaubensartikel' wurde? Aber Minneglück und Ehe war dem Priester versagt; der zurückgedrängte Strom der Empfindung wandte sich auf ein verwandtes Gebiet, in der Freundschaft suchte der Dichter Ersatz und er besang sie mit der Junigkeit, wie andere Dichter die Liebe. Stellen, in welchen in der Bibel, bei Augustinus, Isidorus, bei Cicero und Sencca von der Freundschaft die Rede ist, waren ihm geläufig; er verflocht sie in sein Gedicht und führte sie in einer freieren Weise weiter aus. Man vermißt freilich in seinen Werken die gewandte, anmuthige Geläufigkeit eines Gottfried von Straßburg, die reiche Bildlichkeit eines Walther, aber der knappe Ausdruck, in welchem er nach der Darstellung hoher Ideen ringt, bat etwas ungemein Anziehendes und Rührendes. Wie wir schon aus einer oben angeführten Stelle wahrgenommen haben, kein Gut der Welt hat für ihn solchen Werth als die Freundschaft, und jeder Genuß wird ihm durch den Freund erhöht (V. 141 fg.):

Nullius boni sine socio jucunda est possessio.

Nein guot hat vulle guode,
i3 ne si, da3 i3 vvode
ein guotlik kumpanie,
alles valsches vrie.
Noch saltu merken lyse,

wô hô Seneka de wise
prise stête, trûwe vrunt;

dâr af sprikt aldus sîn munt:

Seneca. Amicitia rebus humanis omnibus est praeponenda.

Vor al de gaue der erde
sal van ganzer werde

de ware vruntscap stîgen *).

Wie die Freundschaft das Glück noch versüße, die Bitterkeit des Unglückes entferne, das „feufzervolle" Herz nicht fallen lasse, wie der falsche Dunkelfreund wankt auf dem unebenen Wege des Schicksals, das drückt der Dichter trefflich aus V. 193 fg.: vruntscap sizet lvcke. ich wêne, se vordrvcke ôk vngeluckes gallen **) se ne lezt nicht vallen daz suftenbâre berze,

an missetrostes smerze,

*) Man vergleiche hiermit Wallensteins Worte bei Schiller: Denn über alles Glück geht doch der Freund, Der's fühlend erst erschafft, der's theilend mehrt.

und Göthe's:

Mir gäb' es keine größre Pein,

War' ich im Paradies allein.

Vgl. Fr. Rückert, Weisheit des Brahmanen 1, S. 58.

**) Ein schöner Ausdruck, der daran erinnert, daß man in Deutschland die Jungfrau Maria eine Rose ohne Dornen, eine Taube sonder Gallen nannte, was Walther von der Vogelweide (Simrock 2, S. 8) auf die Kaiserin Irene an

wendet.

an allerleye rete

steit iâ vruntscap steite.
de valsche dvnkelvrunt,
de wankelt an der stunt,

swen das lvcke krumme sêt,

des ne dôt de trûwe nêt.

Die Freundschaftsbegeisterung des Dichters mündet_zuleßt in den Tiefen der christlichen Religion. „Wo zwei oder drei versammelt find in meinem Namen, to bin ich mitten unter ihnen." Durch diese Worte Christi giebt der Dichter seiner Freundschaftsbetrachtung die Weihe. Er führt das Gebot Jobannis an: „Kindlein, liebet Guch unter einander." Diese Wendung der Blume der Freundschaft zu der erwärmenden und erleuchtenden Sonne des Evangeliums ist charakteristisch für unsere Dichtung, wie für das Mittelalter überhaupt.

Wenn wir bemerkten, daß des Dichters Gefühl aus schmerzlicher Entbehrung des Minneglückes in der Freundschaft Grsaß gesucht habe, so war dies nichts als eine Vermuthung, welche, auch wenn sie bewiesen werden könnte, doch die Begeisterung des Dichters für die Freundschaft bei weitem nicht genügend erklären würde. Vielmehr ist dieser charakteristische Zug des Dichters aus der Beschaffenheit seines Zeitalters zu erklären. Nicht bloß das Alterthum, auch das Mittelalter ist reich an dichterischen Darstellungen der Freundschaft. In den Nibelungen gewinnt der grimme Hagen doch unser Herz durch seine rührende Freundschaft zu Volker; im Herzog Ernst sind Ernst und Wezel treue Kameraden; das Verhältniß des Richard Löwenherz zu Blondel de Nesle, der mit hingebender Treue von Ort zu Ort wans derte, bis er den gefangenen König fand, ist umflossen von dem Dufte der Ros mantik und der Poesie, wevon Simrock in einem anziehenden Gedichte Gebrauch gemacht hat. Wenn die strengen Gotteskämpfer Roland und Olivier im Rolandsliede, welche die Liebe vergessen, so berzliche Freunde find (vgl. Ruolandes liet von W. Grimm. Götting. 1838. p. 223, 31. 226, 1-3. 227, 19), so ist das ein Zug von um so rührenderer Schönheit, je strenger sonst der ganze Charakter dieser Dichtung ist. Wir erinnern daran, wie es möglich war, daß Konemanu das Rolandslied kannte, da ja der Pfaffe Konrad dasselbe im Auftrage Heinrichs des Löwen bearbeitet hatte. Wie hoch Vridank die Freundschaft hielt, zeigen viele Stellen, die ich nicht weiter anführe, da der Herausgeber auf Vridank hingewiesen bat. Ich füge nur noch hinzu, daß auch Walther von der Vögelweide die Freundschaft in reichen, vollen Tönen besingt; ich führe diese Gedichte an, die auch im Ausdrucke wegen unserer Dichtung von Interesse sein können (Ueberseßung von Simrock 1, S. 154-157):

Wer hochgesippt, an Freunden arm,

Der bettet sich nicht allzu warm;

Mehr Frommen bringet Freundschaft ohne Sippe:
Sei einer auch entstammt von Königsrippe,

Was hilft es, wenn er keinem Freund gefiel?

Verwandtschaft läßt sich leicht erwerben,
Um Freunde muß man lange werben:
Verwandter hilft, Freund besser viel.

Wer sich zum Freund gewinnen lägt
Und ist dabei so tugendfest,

Daß man ihn ohne Wanken mag behalten,

Mit solchem Freund soll man getreulich schalten.

Des Freundes Treue, den ich wohl erkor,

Befand ich rund mit solcher Glätte,

Wie gern ich ihn behalten hätte,
Daß ich ihn dennoch bald verlor.

Wer mir so glatt wie Eis gebart
Und mich aufhebt in Balles Art,

Wenn ich dem in seiner Hand mich runde,

Das tadelt man als Untreu' nicht mit Grunde,
Da ich dem getreuen Freunde bin

Einlöthig und wohl gevieret;

Doch wer mit Unbestand sich zieret,

Bald so, bald so, dem roll' ich hin.

Gewisse Freunde.

I.

Wer dem getreuen Freund aus Stolz-den Rücken kehret,
Den Seinen zur Beschämung einen Fremden ehret,
Dem würde billig gleicher Lohn von Höhern einst gewähret,
Daß trostlos ihn der liebgehalste Freund entsendet,
Wenn er sein Bürge werden soll mit Leben und mit Gut.
Wohl oft geschieht's, die so von wandelbarem Muth

Daß Noth sie wieder zu den angebornen Freunden wendet:
Das soll nach Gottes Fügung öfter noch geschehn;

Wohl muß man dem Sprichwort Wahrheit zugestehn:

Gewissen Freund, versuchtes Schwert, wird man in Nöthen sehn.

II.

Ich will nicht mehr den Augen folgen, noch den Sinnen:
Die riethen mir zu Zweien, die ich sollte minnen,

Die waren ohne Fehl gebildet, außen so wie innen:

Ein wenig war hineingelegt: unechtes Eisen;

Als sie nun schneiden sollten, krümmten sich die Schärfen ein:
Und wäre nichts daran vermieden, das allein,

Sie würden so untadelhaft sich allerwärts erweisen,

Daß ihnen wohl vertrauen dürfte Jedermann:

O weh, daß ich des Truges Kunde je gewann!

Des Schadens schäm' ich mich, die Schande geht sie selber an.

Eine Vergleichung der Freundschaftsdichtungen Walthers mit denen Konemanns zeigt einen Unterschied, wie er zwischen einem weltlichen und geistlichen Verf. im Mittelalter hervortreten mußte. Die Gedichte des einen beweisen den freien Weltblick, die sichere Selbständigkeit, die satirische Schärfe des wandernden_ Sängers, der an den Höfen der Fürsten weilte und im Umgange Menschenkenntniß und Gewandtheit erlangt hatte; die Gedichte des andern verrathen den Priester, der in die Enge der Zelle gebannt war, dessen ganzes Denken von der Strenge der Kirche hauptsächlich beherrscht ist. Aber was Walther in ästhetischer Hinsicht voraus hat, das ersetzt Konemann durch die stille, religiöse Vertiefung in den Grundgedanken der Freundschaft, den er mannigfach variirt. Seine Behandlung der Freundschaft ist für die Kenntniß des Mittelalters so wichtig, weil wir hier ein Beispiel haben von einer christlich-religiösen Auffassung der Freundschaft, wozu den Dichter des Kaland seine priesterliche Stellung, die religiöse Beschaffenheit der Kalandsversammlungen und seine reine Auffassung derselben veranlassen mußte.

Die

Das Alterthum kannte eine solche Auffassung der Freundschaft nicht. Griechen waren von dem sittlichen Werthe der Freundschaft tief durchdrungen; ihre Philosovhen Sokrates, Plato, Aristoteles beweisen dies; Aristoteles erklärte sie für das größte aller äußeren Güter des Lebens, welches den Genuß des Glückes erhöhe, wie im Unglücke eine Stüße sei. Bei den Römern hat die Freundschaft fast einen politischen Charakter; ihre Grundlage besteht in der Uebereinstimmung politischer Ansichten, wie man aus Cicero de amicitia cap. 27 sehen kann. Wie fich Cicero mit großer Wärme über die Freundschaft ausspricht, ebenso Seneca, und Säße von beiden Schriftstellern werden auch von dem Dichter des Kaland Archiv f. u. Sprachen. XI.

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benußt. Es ist ein Beweis von tiefer Auffassung der Freundschaft, wenn Seneca de tranquillitate animi c. 7 sagt: Nihil aeque oblectaverit animum quam amicitia fidelis et dulcis. Quantum bonum est, ubi sunt praeparata pectora, in quae tuto secretum omne descendat, quorum conscientiam minus quam tuam timeas, quorum sermo sollicitudinem leniat, sententia consilium expediat, hilaritas tristitiam dissipet, conspectus ipse delectet?

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Ist die Auffassung der Freundschaft im Alterthum eine sittliche, die des Kalanddichters eine religiöse, so steht neben derselben aus der neuern Zeit eine sentimentale Auffassung. Es ist in der That seltsam, daß in derselben Gegend, in welcher Konemann lebte und die Freundschaft besang, Jahrhunderte später Gleim leben sollte, der wegen seines Freundschaftstempels" berühmt ist, mit dessen Namen eine Evoche der Freundschaftsdichtung sich verknüpft. Als Sänger der Freundschaft stand Gleim nicht allein; vielmehr war Klopsteck (vgl. stätt vieler anderer das Gedicht Wingolf“) Gleims schwermüthiger Vorgänger. Gleim hat die Freundschaft vielfach_besungen, man denke unter andern an das Gedicht „Wünsche an Herrn Uz." In seinen freundschaftlichen Briefen wollte er den Freunden ein Denkmal seßen; eine falsche, gemachte Sentimentalität herrscht in diesen Briefen wie in den Gedichten, die der ächten Freundschaft unwürdig ist.

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Der zweite Abschnitt, den der Herausgeber aus Konemanns Gedicht mittheilt, V. 615-911, ist überschrieben: „ein sunderlich manunge." Der Herausgeber hat wieder mit sicherem Gefühl für das Charakteristische des Dichters einen Abschnitt ausgehoben, der zu Betrachtungen einladet. Der Hauptgedanke, welcher den Dichter in diesem Abschnitte beschäftigt, ist die Aufforderung zur Reue und Buße; den reuigen, bußfertigen Sünder wolle Gott nicht verstoßen, sondern ihm verzeihen. Der Dichter bebandelt hier einen Gedanken, der von Bridank und Walther in der schönsten Weise dargestellt ist. Es sind wahrhaft poetische Worte, welche Vridank ausspricht (35, 4 fg.): „Wer mit Sünden ist beladen, der soll in Herzensreue baden. Nene ist aller Sünden Tod, so kommen die Sünder aus der Noth. Wo Gott die wahre Neue sieht, wird alle Sünde ein Nichts. Wie groß sei Jemandes Missethat, Gott dennoch größere Gnade hat. Wenn Wasser zum Berge aufsteigt, da mag des Sünders Rath werden; ich mein', wenn es heimlich vom Herzen auf zu den Augen fließt. Das Wasser hat einen sehr leisen Fluß, und Gott hört es durch das Getöse der Himmel. Die Zähre, die vom Herzen kommt, löschet manche Missethat aus, die der Mund nicht aussprechen_mag. Guter Glaube und reine Werke, die machen den Sündenberg schwinden (diu swendent den sündenberc), wie die Hiße dem Schnee thut. Dem Ungläubigen wird viel Wehe. Wer seine Sünde beweinen mag, da ist der Sünden Sühnetag.“ Man vergleiche das ganze Capitel Bridanks von sünden“ p. 33—40. Auch Walther von der Vogelweide spricht in schönen Worten von der Nothwendigkeit der Reue, wie man erwarten darf von einem Manne von so inniger Frömmigkeit, von so tiefer Aufrichtigkeit, mit der er fich anklagt, daß er Gott zu selten vreise und daß ihm die Feindesliebe fehle. Er betet zu Christus mit tiefer Reue (Simrock 1, S. 121):

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In einem „Leich“ (Simrock_1, S. 131), welches für die religiöse Anschauung Walthers von außerordentlicher Wichtigkeit ist, kommen die Worte vor:

Wie schlecht besteht der Thor einmal,
Der nicht um seiner Sünden Zahl
Im Herzen fühlt der Reue Qual!
Nie tilgt der Herr der Sünde Mal,
Die nicht gereut zu aller Stund'
Hinab bis auf des Herzens Grund.
Dem Weisen ist die Lehre kund,
Daß keine Seele wird gesund,

Die von der Sünde Schwert ist wund,
Schließt sie mit Reue nicht den Bund.

Nun fehlt uns wahre Reue;
Daß Gott sie uns aufs Neue
In unsre Herzen streue!

Sein Geist, der vielgetreue,

Der kann wohl harten Herzen geben
Wahre Reu' und reines Leben;
Dem sollte Niemand widerstreben.
Wo er die Neue gerne weiß,
Macht er die Neue glühend heiß;
Ein wildes Herz er also zåbmt,
Daß es sich aller Sünde schämt.

Kommt Fürbitt' uns geronnen
Aus der Erbarmung Bronnen,
So haben wir mit Wonnen
Erleichterung gewonnen

Der Schuld, womit wir schwer beladen,

Die hilf uns, Herrin, wegzubaden

Im Quell der ew'gen Reue um unsrer Sünden Last,

Die außer Gott nur du allein uns zu vergeben hast.

Ich habe die Verse aus Vridank und Walther mitgetheilt, um den Standpunkt zu bezeichnen, von welchem aus ich den Abschnitt in Konemanus Dichtung, welcher über die Reue, und Buße handelt, beurtheile. Konemann stimmt in der tiefen Auffassung der Reue mit Vridank und Walther ganz überein:

v. 651:

v. 782:

Ich warnes vch dvrch trvwe:
hvodet vch vor achterrvwe;
swer svnder ende wer vorloren,
de wêre bag al vngeboren;

van svmen unde vorezein
ist leides vil gescein.

wert de sêle ôk dâr,

van godde gesceiden,

daz wert ein leit vor allen leiden,

so werden dar zô stvnt

de dûvele warme vrunt
zô hant des minschen erbe.
Sprich, was al dîn werbe
dír denn môge vrômen?
alsiz dusvern is komen
joget, lust, walt, gvt, êre,
nicht wên of dîn swêre
deste swêrer denne sî.
Ach, lêve vrunt, hôre mî
vorzendes dô dich âne

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