Page images
PDF
EPUB

Jahr erreicht hatte, gab er ihr einen Band von Baumgarten's Welt in Bildern. Bald wußte sie die den Bildern beigedruckten deutschen, französischen, englischen, italienischen und lateinischen Namen vom Hörensagen auswendig; doch auch den Text verlangte sie zu entziffern. Ein Abcbuch wurde herbeigeschafft. Kaum waren hier Buchstaben und Sylben bezwungen, als sie wieder zu Baumgarten zurückkehrte und auch mit diesem fertig zu werden lernte. Es war das ein Werk von drei Wochen. Bald wußte sie über jedes aufgeführte Thier oder Mineral den genauesten Bescheid zu geben, jedoch nicht ohne phantastische Ausschmückungen beizufügen. So behauptete sie von dem Paradiesvogel, er lebe in der Luft, wie der Fisch im Wasser, ruhe, wenn er müde sei, auf den Wolken und finge herrlich. „Er sicht viel zu vernünftig aus,“ sagte sie, um nicht zu singen.“

"

Mit dem siebenten Jahre fing der Lehrer das Schreiben mit ihr an; in sechs Monaten war sie im Stande, Diktirtes fehlerfrei aufzuzeichnen. Unterricht in Grammatik, Geschichte und Geographie folgte. Im neunten Jahre lernte sie Französisch. Da sie dabei hauptsächlich auf Bücher angewiesen war, gebrauchte sie die Ausdrucksweise der Autoren, die sie gerade las, bis sie später die Sprache des Umgangs mit eben so großer Fertigkeit als Anmuth handbaben lernte. Um diese Zeit führte sie der Lehrer auch in die deutsche Poesie ein; Glisabeth begann nun selber zu richten und zeigte gleich eine gewisse Selbstständigkeit und Eigenthümlichkeit der Gedanken. „Ich liebe dich,“ sagt sie in einem ihrer ersten Gedichte zu dem sanften Winde, weil du mir in's Ohr sprichst, als ob du mich grüßen wolltest.“

Noch vor dem zehnten Jahre begann sie ihre vierte Sprache, für die sie bald eine besondere Liebe gewann, das Italienische. Eine Methode, die an Jacotot erinnert, seßte fie innerhalb drei Monaten in Besiß dieses schönen Idioms. Auf ihren zehnten Geburtstag schenkte ihr der Lehrer eine Miniaturausgabe Tasso's in einem Honigkuchen. Entzückt rief sie: „Ich habe Tasso! ich werde ihn lesen, ich werde ibn auswendig lernen von Anfang bis zu Ende!" Und sie hielt Wort. In der Folge nannte sie die deutsche, russische und italienische Sprache ihre poetischen Sprachen und bediente sich ihrer, wenn sie dichtete. Ihre bedeutendsten Schöpfungen, „die poetischen Versuche,“ wurden zuerst russisch niedergeschrieben, die Nebertragung in's Deutsche und Italienische aber sofort begonnen, so daß sie mit dem Original ziemlich gleichen Schritt hielt, und höchstens einige Tage später fertig wurde. Diese Uebertragung war jedoch keine ängstliche Wort für Wort, vielmehr ließ sich Elisabeth von dem Genius der Sprachen treiben, kürzte ab oder führte weiter aus. So ist die italienische Fassung des Gedichtes der Helikon dreimal länger als die russische.

Nach sechs Monaten schritt Elisabeth, ohne daß die begonnenen Studien ruhten, zur fünften Sprache, zum Englischen, das ebenfalls nach der genannten Methode schnell bewältigt wurde. Wir finden von englischen Schriftstellern, die Glisabeth kennen und lieben lernte, nur Milton aufgezeichnet; Shakspeare's ist nirgends auch nur mit einem Worte gedacht! Und doch wäre gerade er, der mächtigste Genius auf der Seite der Romantik, am ersten im Stande gewesen, ihrer antikisirenden Richtung Gegengewicht zu halten.

Der Priester des petersburger Bergcorps räumte damals Frau Kulmann eine Stube in seiner Amtswohnung ein, womit auch Licht und Feuerung verbunden war, was die Arme sehr in Anschlag brachte. Dies führte besondere Vortheile für Elisabeth mit sich. Etatsrath Meder, der Vorstand des Bergcorps, ließ sie an dem Unterricht in Mathemaik und Naturwissenschaften Theil nehmen, den er seinen Töchtern ertheilte; besonders zogen sie Botanik und Mineralogie an. Neberdies wohnte sie den Lektionen in Musik, Gesang, Zeichnen und Tanz bei, den Meder's Töchter erhielten, unterstüßte sie dagegen in ihren Sprachstudien.

Diese Masse von Kenntnissen und Fertigkeiten, die so neben- und nacheinander von ihr aufgenommen wurden, hemmten ihre poetische Produktion keineswegs, sie befruchteten sie vielmehr mit Stoff, und gerade in diese Zeit, in ihr zwölftes und dreizehntes Jahr, fallen eine Menge dichterischer Schöpfungen. Ihre Liebe für furze, reimlose Versmaße trat schon jetzt, wo sie ihren Freund Anakreon noch nicht kannte, hervor; der Reim war ihr stets eine drückende Fessel, der sie sich, troß des

Lehrers Mahnung, gern entzog. Hätte sie doch bedenken wollen, daß die Griechen in der rhythmischen Vollkommenheit ihres Verses ein Aequivalent für den Reim der modernen Sprachen besißen; daß es aber den Vers verarmen heißt, wenn man ihn in einer Sprache, die jenes Vorzugs entbehrt, des Reimschmucks beraubt. Elisabeth's Versmaße im lvrischen und epischen Gedichte ungefähr dieselben können kaum einfacher und einförmiger gedacht werden.

Mit dem Anfang des dreizehnten Jahrs begann Großheinrich Latein mit ihr. Wenige Monate darauf, da sie den Lehrer in einer Gesellschaft die Gedichte Homers über alle Poesien der neuen Völker stellen hörte, ergriff fie die Begier, auch über die griechische Sprache Herr zu werden. In drei Tagen war sie im Stande zu lesen, in drei Wochen begann sie zu verstehen, und doch konnte ihr der Lehrer damals nur an Sonn- und Feiertagen Unterstüßung gewähren. Bald gab ihr Großheinrich Anakreon, dann Homer, dann Hesiod, Pindar, Theokrit in die Hand. Sie machte zum Verständniß dieser Dichter die sorgfältigsten Studien. Pausanias' Beschreibung Griechenlands, Barthelemy's Anacharsis hatte sie fast Wort für Wort fich eingeprägt. Weitergehend suchte sie in die Geheimnisse der Kunst einzudringen und, wie sie es ausdrückt, sich auf die Zehen stellend, den Poeten über die Schulter zu sehen, wenn sie an ihrer Staffelei fißen und die Farben mischen. „Man muß ihnen," sagt sie, die Farben reiben helfen, um das Verhältniß der Bestandtheile zu erfahren, und dieses Geschäft sein ganzes Lebeu durch fortseßen: dann erst darf man hoffen, etwas hervorzubringen, das, gleich diesen Vorbildern, auf die Nachwelt übergehen wird.“ Wie hochstrebend sie war, davon zeugen überhaupt viele ihrer Gedichte. Man lese nur das auf Marie vom Montblanc, die Tochter und Enkelin bekannter Führer im Chamounythale, welche, die erste ihres Geschlechts, dem Beispiel der Båter folgend, den Montblanc erstieg. Unsere dreizehnjährige Dichterin führt Marie so redend ein:

Wie hoch du dich auch über
Die Länder all' erhebt,
Du Riese unter Riesen,
Montblanc, so werd ich dennoch
Dich mit der Zeit ersteigen.
Nicht nur der Sonne Günstling,
Der Wolke Sohn, der Adler,
Rühmt sich auf deinem Haupte,
Dem waltenden, geruhet
Zu haben; selbst der kleinern,
Geringern Vögel mancher
Grblickte, hocherstaunet,

Von deiner Höh' die Heimath

Gleich einer Spanne Grasland,
Getheilt durch einen oder
Zwei zarte Silberfäden:
Warum sollt' ich, das Mädchen,
An deinem Fuß geboren,
Abkömmlingin fürwahr nicht
Des lezten deiner Söhne,
Dem heißen Wunsch entsagen:
Dereinst, wie auf des Vaters,
So auf des hochgefeir❜ten,
Ehrwürd'gen Ahnen Schulter
Mit Müh' emporzuklimmen,
Um mich auf Augenblicke
Die Königin zu dünken
Des tief zu meinen Füßen
Verflachten Erdenrundes?...
Es zahlte mehr als einer

Das Wagstück mit dem Leben...

Ruh' sei mit ihrer Asche!
Es wird sie, traun, der Feigheit
Kein Lebender je zeihen.
Es erntet Ruhm der eine,
Daß er ein Werk begonnen;
Es erntet Ruhm ein zweiter,
Daß er das Werk vollendet,

Ihr Loos soll mich nicht schrecken. .
Wär' ich, schon nah am Ziele,
Selbst in Gefahr zu gleiten,
Es reichte aus den Wolken
Ein Engel mir die Hände,
Und führte oder trüge
Das hochgesinnte Mädchen
Mitleidig auf den Gipfel.

Fühlt man nicht bei jeder Zeile, daß Elisabeth selber Marie von Chamouny ist, die den Montblanc des Dichterruhms ersteigt? Athmet dies Gedicht nicht die gleiche Tapferkeit, die Elisabeths Våter und Brüder auf dem Schlachtfelde bewiesen?

Großheinrich hatte mehrere Poesien der Kulmann in verschiedenen Sprachen dem Dichterfürsten in Weimar mittheilen lassen, und dieser hatte sich beifällig geäußert. Bei näherer Kunde über ihre Lebensverhältnisse hatte er bemerkt: „Schade, daß fie arm ist! Und doch ist vielleicht auch dies nicht obne Nußen.“ „Sagen Sie der Dichterin," hatte er schließlich der Ueberbringerin zugerufen, „daß ich ihr für die Zukunft einen ehrenvollen Rang in der Literatur prophezeihe, sie mag von den ihr bekannten Sprachen schreiben in welcher sie wolle." Ein solches Zeugniß, aus solchem Munde war ein mächtiger Stachel für Elisabeth, und wirkte auch auf die ångstliche Mutter. Es ward beschlossen, daß unsere Dichterin, um ihre Zukunft ficher zu stellen, zur Erzieherin sich vorbereiten, die Mußestunden aber auch ferner der Poesie widmen solle.

Der Trieb Sprachen zu lernen war bei Elisabeth keineswegs gestillt; mit Begierde ergriff sie daher das Anerbieten eines wackern Priesters, ihr das Slawonische, die russische Kirchensprache, zu lehren, und gewann so die achte Sprache.

Mit dem Schlusse des dreizehnten Jahrs begann ihre Blüthezeit in der Poesie. Das künstlerische Gefallen, das sie an Anakreon fand eine Seelenverwandtschaft hatte sonst zwischen ihr und dem Sänger von Teos nicht Statt bewog fie, eine Prosaübersehung der schönsten Lieder desselben in fünf Sprachen, eine metrische in ihren drei Lieblingssprachen, auszuarbeiten. Dies Werk wurde der Kaiserin Elisabeth, Gemahlin Alexanders, überreicht. Daß unsere Dichterin eigene Poesien, das Beste, was sie zu bieten hatte, nicht hinzufügte, ist zu beklagen. Welcher Maler, der Eigenes schaffen kann, wird Kopieen ausstellen? Die Czarin empfing die Gabe mit Huld, und erwiederte fie mit einem Diamantschlößchen. Hätte sie doch den Steinen Brot zugelegt und Elisabeth einen kleinen Jahrgehalt ausgefeßt, der mit den wachsenden Leistungen der Dichterin gestiegen wäre!

Elisabeth hörte von dem Kardinal Mezzofauti, der, bei sonst mittelmäßiger Begabung, sich mit den Fremden Roms in 38 Sprachen geläufig unterhielt. Dies spornte sie, ihren acht Sprachen noch drei zuzulegen: das Spanische, Portugiesische und Neugriechische. Sie hatte von Korinna gelesen, die, der Sage nach, den Sieg über den Dichterfürsten Pindar davongetragen. Von dem Gedanken erfüllt, eine moderne Korinna zu werden, schuf sie nun einen Cyklus von Liedern, die sie Korinnens Gedichte nannte. Sie machen einen Theil der obengenannten „poeti schen Versuche“ aus und waren mit dem Ende des sechzehnten Jahres vollendet. Wie genial sie bei diesen trefflichen Produktionen verfuhr, mag ein Beispiel zeigen. In einem der Korinnen - Gedichte, das Nachen-Eiland, verpflanzt sie ein aus Schiffstrümmern im Nil entstandenes Eiland, von dem sie in Belzoni gelesen, nach Bootien in den See Kopaïs, dem diese Entstehung angedichtet werden soll. Gine in Dinte getauchte Feder, von zwei Fingern der suchenden Hand gehalten, schwebt dabei über der Karte. Plößlich fällt ein Tropfen nieder dicht an der Stelle,

wo

der Gephissus in den See mündet. „Da ist ja eine Insel!“ rust sie aus. „Was ist da zu bedenken? Lassen wir die unsrige bier entstehn."

Um mehr Popularität zu gewinnen, beschloß Elisabeth jezt, ausländische und russische Mäbrchen in kleinen Gpochen auszuführen. Sie trug sich dancben mit fühneren Gutwürfen, nämlich mit dem Plane zu drei Heldengedichten, welche Kiew's Herrscher Wladimir, der das Christenthum in Rußland einführte, Iwan, den Gr oberer Kasan's, und Peter den Großen feiern sollten. Von diesen Heldengedichten war ihr feins mehr zu schreiben vergöunt.

Sie hatte das russische Mährchen Dobruna Nikitsch seit wenigen Tagen vollendet, als am 7. November 1824 die schreckliche Ueberschwemmung Petersburgs eintrat. Von den noch lebenden Brüdern Glisabeths hatte sich der älteste acht Tage zuvor verheirathet. Elisabeth hatte nach vollzogener Trauung bei stürmischem Wetter auf der Kirchentreppe, vielleicht ohne Mantel, auf den Wagen warten müssen. Sie hatte dann einige Tage bei den Neuvermählten zugebracht, und als nun die Ueberschwemmung eintrat, konnte sie nicht nach Wassili-Ostrow zu ihrer Mutter zurück, über deren Schicksal sie in größter Angst schwebte. In dem Grdgeschoffe des Hauses, das der Bruder bewohnte, stand das Wasser. Elisabeth war mit einer Menge hierhergeflüchteter Kinder beschäftigt; dazwischen rang fie die Hände und flehte zu Gott für die gefährdete Mutter. Solchen Erschütterungen war der angegriffene Körper des zarten Mädchens, das bereits mehrere Krankheiten schwer überstanden hatte, nicht mehr gewachsen. Als sie der Lehrer aufsuchte, sobald das Fallen des Wassers die Kanalbrücke zu überschreiten gestattete, fand er sie ganz heiser, und beim Abschied sagte sie unter Thränen lächelnd: „Der Ausspruch der Hebamme wird sich am Ende roch erfüllen.“

In der That bildete sich die Schwindsucht aus. Man verbarg_den Zustand der Kranken sorgfältig vor ihr selbst und vor der Mutter; aber Glisäbeth_hatte ihn bereits errathen und war fortan nur darauf bedacht, ihn der geliebten Mutter zu verheimlichen. Mit Fassung, ja mit Tapferkeit ihr Schicksal erwartend, erfüllte sie nunmehr der eine Gedanke, neue Werke zu schaffen, die ihren Namen der Nachwelt überliefern könnten. Es war dies keine eitle Ruhmbegier: sie fühlte sich bes rufen, der Welt Gtwas zu sein; eine reine Priesterin der Vesta wollte sie im Tempel stehn, so lang sie die Füße zu tragen vermöchten.

Jcht langte auch ein verspätetes Urtheil Jean Paul's über ihre poetischen Leistungen an. „Mir abnet,“ hatte der Dichtergreis gesagt, „daß dieser kleine, so hellstrahlende Nordstern uns früber oder später zwingen wird, unsere Blicke nach ihm zu wenden.“ Elisabeth_brach in Thränen aus, sagte aber_bald_gefaßt: „Vater Homer, das ist nun einmal das Schicksal Deiner Kinder: Dein Sohn Achill, obwohl von der Mutter her mit den Göttern verwandt, muß seinen, nun schon bald dreitausendjährigen Ruhm durch frühen Tod erkaufen, und Deiner Tochter, der nordischen Korinna, steht nun ein gleiches Schicksal bevor.“

So sehen wir das heroische Märchen, troß Armuth und Krankheit, wahrscheinlich auch ohne hinreichende ärztliche Pflege, ungebrochen. Entrüstet wies sie den Vorschlag eines Bekannten, einem petersburger Millionär mit einem Gedichte zu huldigen, zurück. „Selbst der Hunger,“ äußerte sie, „soll mich nicht zwingen, meiner Poesie den Bettelsack überzuwerfen.“

Troß ihres sinkenden Gesundheitszustandes wünschte Elisabeth, da ihr die drei zulcßt erlernten Sprachen keine Schwierigkeit mehr boten, auch das Arabische und Persische sich anzueignen. Der Lehrer, mit diesen Sprachen unbekannt, hatte sich erboten, bei einem Orientalisten Vorlesungen zu hören und dann die gewonnenen Kenntnisse auf sie überzutragen; allein die zunehmende Schwäche der Kranken ver hinderte es.

Folgendes ist nun nach Großheinrich das Verzeichniß der Leistungen Elisa

beth's:

I. Die Gemäldesammlung. Unsere Dichterin verglich diese kleinen lyri schen Produktionen_mit „Bilderchen,“ deren Teniers, so lang er arm war, oft mehrere an einem Tage malte. Sie theilte sie in „Sale“ (die Orientalen in Divans) ein. Die uns vorliegende Sammlung gibt 72 solcher Säle, 24 von S.

"

7-123, 20 von S. 275-350 und die 28 leßten von S. 473-595, in wunderlicher Zerstückelung. Diese Gedichte sind nur in deutscher Sprache vorhanden.

II. Ihre Ueberfeßung Anakreon's, für welche Arbeit sie eine besondere Vorliebe hegte, erst in fünf und später in acht Sprachen. Unsere Sammlung bringt die metrische Ueberseßung in's Deutsche S. 128-133.

III. Ihre Uebersezung von Oserow's Trauerspielen in's Deutsche. Kenner rühmen ihre außerordentliche Treue.

IV. Ihre Nebersetzung zweier Trauerspiele Alfieri's in's Deutsche und seines Saul in's Russische.

V. Ihre poetischen Versuche, in russischer, deutscher und italienischer Sprache, die deutschen in der Sammlung S. 128 254.

VI. Ihre Uebersehung von Iriartes Fabeln aus dem Spanischen, mehrere Bruchstücke aus Camoens' Lusiade und 30 Oden von Manoël aus dem Portugiesischen; Bruchstücke aus Milton's verlorenem Paradiese; mehrere Gedichte Metastasio's — alles in deutscher Sprache.

VII. Ihre ausländischen, russischen und orientalischen Mährchen, alle in russischer Sprache; nur Dobrūna Nikitsch und die Wunderlampe (S. 353-472) auch deutsch.

VIII. Ihre neugriechischen Volkslieder (S. 259–262), die fic, wenige Tage vor ihrem Tode, in schlaflosen Nächten überseßte.

Vorliegende Sammlung enthält, wie schon erwähnt, an 100,000 Verse; hätte Großbeinrich die Uebersetzungen mitgegeben, so würde ihr Umfang mehr als verdoppelt sein. Bedenkt man, daß die Dichterin im siebzehnten Jahre starb, daß ihre Thätigkeit noch weit andere Dinge umfaßte und daß ihre Kraft im leßten Jahre gebrochen war: so muß die Masse dieser poetischen Leistungen in Erstaunen sehen. Welche Produktionskraft in so schwachem Körper! Großheinrich macht uns die Sache erklärlicher, indem er uns ihre Lebensweise mittheilt. Von ihrem elften Jahre an schlief Glisabeth nie länger als sechs Stunden. Die einfache Morgentoilette und das Frühstück kosteten ihr kaum eine halbe Stunde. War kein Thee im Hause, so setzte sie sich gleich, ein Stück Brot in der Hand, an die Arbeit. Von halb Sieben an waren nun sechs bis siebtehalb Stunden der Poesie gewidmet; nichts, was um fie vorging, konnte sie abziehen; sie producirte oft 500 bis 600 Berse. Es war, sagt Großheinrich, als ob sie einer geheimen Stimme nachschriebe, so schnell gestalteten sich die Gedanken. Dabei wurden ihre Hände eiskalt, so daß fie nur durch langes Reiben wieder erwärmt werden konnten. Um Drei, nach der färglichen, nur aus zwei Schüsseln bestehenden Mahlzeit, war Elisabeth wieder bei der Arbeit, aber nun hatte sie es mit Büchern zu thun. Stehend, oder auf und niedergehend las sie; aus den Notizen, die sie dabei machte, sprang leicht an einem folgenden Morgen ein Gedicht hervor. Bis Abends Sieben trug so die emsige Biene Honig zusammen. Nach dem Thee nahm sie Zeichnungen oder Handarbeiten vor, indeß die Mutter, die während des Tags den Haushalt ohne Magd besorgte, vorlas. War die Nachmittagslektüre mehr wissenschaftlicher Art gewesen, so galt es jezt der schönen Literatur, und oft knüpften sich bedeutende Gespräche an. Doch ging Elisabeth, wenn es Noth that, der Mutter auch in häuslichen Geschäften zur Hand. Dreimal in der Woche begaben sich beide Abends um Neun zu Herrn Meder, der sich dann mit Elisabeth und seinen Töchtern in naturwissenschaftlichen Gesprächen erging. Auch übte sich Elisabeth, die kein eigenes Instrument besaß, hier auf dem Piano. Ein leichtes Abendessen schloß den Tag.

Wenn auch ein tiefer Grust die Grundstimmung Elisabeths war, so konnte sie doch auch mit der ganzen Unschuld und Harmlosigkeit ihres Alters den Freuden der Geselligkeit sich hingeben; besonders machte es ihr Vergnügen, Mährchen, die sie jedesmal neu gestaltete, in einem Kinderkreise zu erzählen. Schüchtern und zurückhaltend in der Gesellschaft, trat sie nur aufgefordert hervor; aber dann staunte man auch über die Gewandtheit und Tiefe dieses vielseitig gebildeten Geistes. Der Rede vollkommen Meister, wußte sie seichte oder boshafte Schwäßer mit raschem Worte sicher zu treffen. Ihre Wohlthätigkeit war, troß aller Ärmuth, grenzenlos.

« PreviousContinue »