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aber würde der Gedanke, daß hier nur verschiedene Formen ein und derselben Thätigkeit, verschiedene Aeußerungsweisen des gleichen Wesens vorliegen, zugleich eine tiefere Einsicht in die innere Bestimmtheit desselben und eine richtigere Würdigung seiner getheilten Wirksamkeit vermittelt haben.

Wie jezt die beiden Seiten auseinanderfallen, ist allerdings Grund zu der Bemerkung vorhanden, mit welcher Herr H. zur Grörterung der romantischen Poesie übergeht: „Es ist gewiß, diese (d. h. die poetische Richtung der Romantiker) ist überraschend genug. Sie ist um so überraschender, je feiner gerade der Keim dieser jungen Talente für ächte Poesie ist und je allseitiger ihre Kenntniß derselben." (S. 36.) Verf. findet nämlich: Was diesen (den kritischen und literar-historischen) Arbeiten ihren eigensten Reiz giebt und sie vor allen späteren Leistungen dieser Art auf das Vortheilhafteste auszeichnet, das ist ihr feiner poetischer Sinn." (S. 35.) Eine Ansicht, die billig einige Verwunderung erregt. Wenigstens dürfte es der Psychologie nicht leicht werden zu erklären, wie in demselben romantischen Geiste, der nach der Ueberzeugung des Herrn H. da, wo er schöpferisch wirksam war, eine durchaus falsche und unächte Poesie aus sich erzeugt hat, zugleich der Sinn für wahre und ächte Poesie lebendig sein konnte. Sie wird vielmehr einen solchen Widerspruch von vornherein als einen unmöglichen bezeichnen; denn wenn auch der vortrefflichste Kritiker recht wohl ein sehr schlechter Dichter sein kann, so wird er doch, mag er nun in der einen oder in der anderen Eigenschaft auftreten, stets dieselbe Grundanschauung vom Wesen der Poesie geltend machen müssen. Es unterliegt keinem Zweifel: was an der Poesie, welche sich in den kritischen_und_literarbistorischen Arbeiten der Romantiker bethätigt, ächt und wahr ist, wird sich auch da wiederfinden, wo diese Poesie unmittelbar productiv wird, und umgekehrt, die Mängel des produzirenden poetischen Geistes werden auf dem reflectirenden oder nachbildenden nicht fehlen.

Herr H. vermag die romantische Dichtung namentlich deshalb nicht als eine ächte anzuerkennen, weil sie einen wesentlich subjectiven Charakter hat. Da nun aber in den kritischen und literar - historischen Arbeiten der Romantik ein feiner Sinn für wahrhafte Poesie hervortreten soll, so wird man schließen dürfen, daß hier der romantische Geist eine durchaus objective Richtung einschlägt. Ist dem aber wirklich so? Wir glauben kaum, daß selbst der Verfasser es zugeben wird. In der That ist auch der Sinn für die historische Poesie, wie sie von Herrn H. aufges faßt und als die allein wahre bezeichnet wird, in den übrigen Schriften der Romantiker ebensowenig zu finden, wie in ihren Dichtungen. Ihren ästhetischen Grörterungen ist Begriff und Wesen jener objectiven, in der unmittelbaren Wirklichkeit wurzelnden Poesie vollkommen fremd und ihre literar-historischen Arbeiten gehen keineswegs darauf aus, den objectiven Charakter der besprochenen Dichter und Dichtungen in's Licht zu stellen und ihre historischen Beziehungen aufzuklären. Das subjective Wesen der Romantik verleugnet sich auch hier nicht; es wird nicht eben schwierig sein, dieselben Gebrechen, an welchen ihre poetische Production leidet, dieselbe Ginseitigkeit, welche diese charakterisirt, auch an ihren theoretischen Leistungen nachzuweisen.

Dennoch hat auch die Ansicht des Verf. unleugbar ihren guten Grund; es ist in der That ganz richtig, daß die in Rede stehende Thätigkeit der Romantiker ein objectives Moment enthält, auf welches auch die ihr zu Theil gewordene Anerkennung in letter Instanz zurückgehen möchte. Aber diese objective Seite fehlt auch der romantischen Dichtung nicht; es kommt nur darauf an, sie näher zu bestimmen, um sogleich einzuschen, daß in dieser Beziehung zwischen den beiden, anscheinend ganz disparaten Richtungen eine wesentliche Uebereinstimmung stattfindet. Die Verkennung derselben rührt daher, daß man die Subjectivität immer nur als den abstracten Gegensatz der Objectivität auffaßt, übersicht, daß dieser Unterschied, wie schroff und schneidend er auch auf den ersten Blick zu sein scheint, dennoch im tiefften Grunde eine innere Einheit voraussetzt, kraft welcher die Objectivität dem Subjecte immanent ist. Das Wie dieser Immanenz haben wir hier nicht näher zu bestimmen; wir wollten nur eben auf diesen Punkt aufmerksam machen, weil dessen Beachtung allein geeignet ist, die zwiespaltige Auffassung der Wirksamkeit der ro

mantischen Schule, welche eine einseitige und ungerechte Schäßung ihrer beiden Seiten zur unmittelbaren Folge hat, in eine einheitliche umzuwandeln.

Es ist aber noch ein Anderes, was der Verf. an den kritischen und historischen Arbeiten der Romantiker rühmend hervorhebt, ja als das bezeichnet, worin ihr größtes und eigenthümliches Verdienst bestehe. Nicht blos, daß bei ihrer Abfassung ein wahrhaft poetischer Sinn sich thätig erwiesen, sondern vor Allem, daß nur die Pocsie es ist, welche sie geschaffen, scheint ihm ihren hohen Werth zu begründen. „Diese Kritiker arbeiten immer nur aus Liebe zur Poesie und im Juteresse derselben. Sie haben glücklicher Weise noch keine Ahnung von dem unkünstlerischen Unwesen unserer Tage, das die Aesthetik lediglich in den Dienst der Philosophie und die Literaturgeschichte in den Dienst der Geschichte stellt und dadurch die Idee einer in sich einigen, selbständigen, nur auf sich gestellten Kunstwissenschaft nachgerade wieder zu vernichten droht.“ (S. 35.) - Bei einem Manne, der von der Poesie und der Kunst überhaupt verlangt, daß sie sich mit realem Gehalte erfülle und einen historischen Charakter annehme, scheint es auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein, wenn er die Kunstgeschichte aus dem Gebiete der allgemeinen Geschichte entfernen, sie als etwas ganz Selbständiges hinstellen will. Man sollte meinen: wer die Tendenz der Poesie der Gegenwart zur geschichtlichen Wirklichkeit anerkennt und vertheidigt, der müßte auch die Richtung, welche in unseren Tagen die Kunst- und Literaturgeschichte zur allgemeinen Geschichte hin genommen hat, gutheißen. Ist es doch offenbar ein und dasselbe Prinzip, ein und derselbe Trieb, welcher hier wie dort wirksam ist.

Die Forderung, daß die Poesie historisch werden müsse, hat die Ansicht zur Voraussetzung, daß zwischen Poesie und Geschichte eine wesentliche, den formellen Unterschied allerdings nicht ausschließende Einheit bestehe, und ist im Grunde mit dem Verlangen identisch, daß diese Einheit realisirt werde oder, wie man zu sagen pflegt, Poesie und Geschichte oder Leben sich mit einander vermitteln. Ganz dasselbe bedeutet die Erscheinung, auf welche der Verfasser mit einem gewissen Bedauern hinweist, die Versuche nämlich, die Entwickelung der Kunst und Poesie aus dem rein historischen Gesichtspunkte zu betrachten. Es ist ohne Zweifel richtig: die Literaturgeschichte unserer Zeit geht mehr, oder weniger ausschließlich darauf aus. die geschichtlichen Beziehungen der Poesie, ihre historischen Grundlagen und Wirkungen, sowie ihre Wechselbezichung mit den übrigen Factoren des geschichtlichen Lebens in's Auge zu fassen. Was sie aber in diese Richtung hineingedrängt hat, ist ganz dieselbe Grundvorausseßung, von welcher aus die Nothwendigkeit der historischen Poesie behauptet wird, die Ueberzeugung, daß die Poesie nur ein einzelnes Moment in dem Entwickelungsprozesse der Wirklichkeit bilde, und weit davon entfernt, neben dieser als ein Besonderes und Apartes herzulaufen oder ihr gar in einem gewissen feindlichen Gegensaße gegenüberzustehen, in ihrem innersten Kern und Wesen mit derselben zusammenfalle. Wie die ästhetische Doctrin und Praxis der Gegenwart den Zweck verfolgt, diese Einheit von Kunst und Leben in neuen Schöpfungen zu verwirklichen, so wird die Geschichte der Kunst durch die Tendenz geleitet, sie in der Vergangenheit als eine wirklich vorhandene nachzuweisen Wir geben zwar gern zu, daß hier die Poesie nicht immer zu ihrem vollen Rechte kommt, sondern oft genug zum Vortheile der allgemeinen Geschichte mehr wie billig zurücktreten mug. Man darf aber nicht vergessen, daß es in dieser Beziehung mit den bisherigen Erzeugnissen der historischen Poesie nicht besser steht. Auch diese haben vielfach mit der Poesie wenig gemein, zeigen dagegen eine oft sklavische Abhängigkeit von der Geschichte, natürlich von der Geschichte der Gegenwart. 68 ist demnach mindestens ebensoviel Grund zu der Besorgniß vorhanden, daß die sogenannte historische Dichtung die Selbständigkeit der Poesie vernichten werde, und es fehlt bekanntlich nicht an Solchen, die das wirklich befürchten, wie zu der anderen, daß die jeßige Behandlung der Kunst- und Literaturgeschichte die Unabhängigkeit derselben gefähr den könne. Wir unsererseits fürchten weder das Eine noch das Andere, leben vielmehr der Hoffnung, daß, wie aus den dichterischen Bestrebungen der Gegenwart eine historische Poesie im wahrem Sinne des Wortes hervorgeben wird, so auch die literar historischen Versuche unserer Tage zu einer ihrem Begriffe cutsprechenden

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Behandlung der Literaturgeschichte führen werden. Es ist gewiß höchst auffallend, daß Herr H., während er den Werth und die Zukunft der beginnenden historischen Poesie, ohne ihre großen Mängel zu übersehen, recht wohl erkennt, in den parallellaufenden Bestrebungen der Literaturgeschichte nur die Schatten und nicht die Lichtseite und zwar jene in einer so dunklen Färbung wahrnimmt, daß ihm ihr gegenüber sogar die rein subjective Betrachtungsweise der Romantiker in einem hellen, lichten Glanze erscheint.

Uebrigens das Beste ist, daß der Unmuth über den vorwiegend historischen Charakter der neueren Literaturgeschichte den Verfasser nicht gehindert hat, selbst in diese ihre jüngste Richtung einzugehen. Wir bemerkten schon, daß ein wesentlicher Vors zug seiner Arbeit eben darin begründet sei, daß sie die romantische Schule zu dem allgemeinen Charakter der Zeit, in welcher sie entstand und sich ausbildete, in Beziehung sebe, sie aus dem Inhalte der leitenden Prinzipien dieser Zeit zu erklären bestrebt sei. Zwar weist Herr H. wiederholt darauf hin, daß der Gegenstand seiner Betrachtung der Aesthetik oder der Poesie und nicht der Geschichte im engern Sinne angeböre, daß es ästhetische Interessen seien, die hier verfolgt werden, und die Poesie den wahren Inhalt und die eigentlichen Prinzipien der Erscheinungen abgebe, mit deren Darstellung und Erklärung er es zu thun habe. Aber das sind im Grunde nur Worte, die dem Zwecke zu dienen scheinen, der Poesie und ihrer Entwickelung einen Schein von Selbständigkeit, eine formelle Unabhängigkeit von der eigentlich geschichtlichen Bewegung zu bewahren. Sieht man näher zu, so stellt sich alsbald heraus, daß die so stark urgirte poetische Richtung nichts ist als eine besondere Form und Art der allgemeinen Richtung, in welcher sich das geschichtliche Leben damals fortbewegte. Freilich hat auch diese nur scheinbare Absonderung nachtheilige Folgen gehabt, denn durch sie ist unserer Ansicht nach der Verfasser gehindert worden, die Beziehungen der romantischen Schule zum allgemeinen Geiste ihrer Zeit so tief und vielseitig zu fassen, wie es wohl möglich und wünschenswerth gewesen wäre. Sie ist der Grund, daß die Romantik den gleichzeitigen Erscheinungen gegenüber in einer gewissen Isolirung stehen bleibt und ihnen fremder zu sein scheint, wie sie es in der That ist. Ihr Zusammenhang mit diesen würde innerlicher ergriffen und genauer bestimmt worden sein, wenn der Verf. weniger darauf bedacht gewesen wäre, fie in ihrer Eigenartigkeit hervortreten zu lassen. Zugleich hätten die sich ergebenden mehr oder minder wesentlichen Differenzen ohne Zweifel eine schärfere Charakteristik der verwandten Richtungen möglich gemacht.

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Mit Recht bestimmt der Verf. den allgemeinen Inhalt der Zeit, in welche die Anfänge der romantischen Schule fallen, dahin, daß derselbe in dem Kampfe des Idealismus gegen den Realismus, oder genauer, des Subjectivismus gegen die vernünftige objective Weltordnung“ bestebe. (S. 39.) „Es ist ein Kampf der Natur gegen die herzschnürende Prosa, ein Angstruf des gepreßten Herzens nach Poesie und Freiheit." Ebenso muß anerkannt werden, daß es nur sehr Wenigen gelang, diesen Kampf durchzukämpfen,“ zu einer wahrhaften Versöhnung mit der Wirklichkeit zu gelangen, es nur sehr selten möglich wurde, die Anforderungen des subjectiven Idealismus mit den gegebenen Bedingungen und Verhältnissen der objectiven Wirk lichkeit in Nebereinstimmung zu bringen. Freilich, faßt man die Natur und den Grund dieses Gegensaßes scharf in's Auge, so sicht man leicht, daß eine solche Ausgleichung um so schwieriger werden mußte, je ernstlicher der Kampf selbst gemeint war. Doch wie gerechtfertigt und nothwendig sie auch sein mochte, die Thatsache steht fest, unter den hervorragenden Persönlichkeiten, welche in jenen Tagen auf dem Gebiete der Kunst und Poesie auftraten, gab es eine Menge von einseitigen, krankhaften Talenten, die, ohne auch nur einen entfernten Ansatz zur ächten Verklärung der Wirklichkeit zu machen, ihre Productionskraft absichtlich durch subjective Willkürlichkeiten und Bizarrerien schwächen und verzerren.“ (S. 42) Herr H. erinnert, um das Gesagte zu verdeutlichen, an Jean Paul und Hölderlin, deren Wesen und Richtung er bei dieser Gelegenheit kurz, aber scharf und in der Hauptfache treffend charakterisirt. Wir hätten nur gewünscht, daß er auf die ganz beiläufig zur Sprache gebrachte Frage, wie sich diese beiden Dichter zur Romantik verhalten, etwas näher eingegangen wäre.

Was Jean Paul betrifft, so erklärt sich der Verf. in Bezug auf den eben erwähnten Punkt dahin: „Jean Paul ist ein Romantiker, wenn wir alles romantisch nennen, was einseitig, subjectiv und excentrisch ist; aber er verliert sich nie ganz in hohle, idealistische Ueberschwenglichkeit." (S. 44.) Dies möchte im Allgemeinen ganz rich tig sein. Jean Paul trifft darin mit den Romantikern zusammen, daß er ebenso wie diese eine subjective, dem Idealismus zugewandte Natur ist, aber er unterschei det sich von ihnen wesentlich dadurch, daß die Subjectivität bei ihm nicht als die reine, abstracte auftritt, sondern realistische, der Objectivität angehörige Glemente von bestimmtem Inhalte und substantieller Bedeutung in sich trägt und eben darum zu der objectiven Realität nicht in einem contradictorischen Gegensaße, in einem durchaus negativen Verhältnisse steht. In der romantischen Schule wird die Berneinung der Wirklichkeit auf die Spize getrieben; sie ist eine durchgreifende, umfassende, so daß nur das Subject als das einzige wahrhaft Reale übrig bleibt: Jean Paul dagegen ist keineswegs aus dem Zusammenhange mit der Objectivität völlig herausgetreten; er hat noch eine Menge von Berührungspunkten mit derselben und kann sie daher nur theilweise negiren. Damit hängt zusammen, daß auch da, wo er zu ihr in Gegensat tritt, seine Negation keine unbedingte, prinzipielle ist; die Subjectivität Jean Paul's hat die Sbjectivität zu ihrer Vorausseßung, sie wurzelt in ihr und erkennt sie als ihre Grund- und Unterlage an. Eben darum stellt sie sich ihr nirgends in abstracter Weise gegenüber: J. Paul negirt die Wirklichkeit nie, ohne sie zugleich wieder zu bejahen; wo ein Widerspruch gegen sie zu Tage tritt, geschieht es immer in Form der wehmüthigen Klage oder in der des Humors, beides Ausdrucksweisen der Subjectivität, in welchen dieselbe durch die Objectivität gebunden erscheint. Es unterliegt demnach keinem Zweifel, daß das subjective Gepräge der Jean Paul'schen Richtung, wenn sie in der soeben hervorgebobenen Beziehung betrachtet wird, bei Weitem nicht die ausdrucksvolle Deutlichkeit. hat, welche an dem der Romantik hervortritt. In einem ganz anderen Lichte er scheint das Verhältniß, wenn man es von einem zweiten nicht minder berechtigten Gesichtspunkte aus in's Auge faßt.

Die Subjectivität, wie sie in der Romantik zur Erscheinung kommt, hat den höchsten Grad einseitiger Ausbildung erreicht und ist damit zugleich auf dem Punkte angelangt, wo sie in ihr Gegentheil, die Objectivität, umschlagen muß. Der romantischen Subjectivität wohnt, gerade weil sie ihr prägnantester Ausdruck ist, eine entschiedene Tendenz zur Objectivität inne. Man sicht dies daraus, daß die Roz mantik die Subjectivität zugleich als die Objectivität seßt, indem sie einerseits außerhalb des Subjectes nichts wahrhaft Reales anerkennt, andererseits aber All und Jedem, was rom Subjecte ausgeht, die Bedeutung eines Objectiven beilegt. Der Standpunkt Jean Paul's ist in dieser Rücksicht ein ganz anderer. Der Dualismus von Subject und Object, welcher in der romantischen Schule freilich in einseitiger Weise aufgehoben wird, besteht hier fort und zwar treten sich die beiden Glieder desselben in einem schroffen Kontraste gegenüber. Es ist bekannt, wie sich Jean Paul in die allerconcreteste Realität, die in der Regel auch die allertrivialste zu sein pflegt, zu verlieren im Stande ist. Wo dies der Fall, erscheint sein Reas lismus als ein ganz unbedingter, dem jede Spur einer höhern Idealität mangelt. Gleich einseitig ist der Idealismus, welcher anderswo im Vordergrunde steht. Man kann mit allem Rechte behaupten, daß er in einer weit abstracteren, hohleren Form auftritt, wie selbst der romantische; wo er zur Geltung kommt, ist von der Realität ganz und gar keine Rede mehr, denn auch die erfüllte Subjectivität, die als ihr angehörig betrachtet werden kann, liegt hier ferne; es bleibt eben nichts wie die vollkommen leere, wir möchten sagen, wie die reine Form der Subjectivität übrig.

Freilich kann auch diese lediglich auf sich gestellte Subjectivität, die übrigens nur da aufzutreten vermag, wo die Objectivität im Gegensaße zu ihr firirt ist, einer objectiven Grund- und Hinterlage nicht entbehren. Wo sich Jean Paul der Wirklichkeit verneinend entgegenstellt und sich ganz und gar in sich zurückzicht, wendet er sich zugleich dem Himmel zu, d. h. die Subjectivität nimmt bei ihm die Form der Objectivität an. Jean Paul ist religiös ́im gewöhnlichen Sinne des Wortes, in welchem es bekanntlich auf einen abstracten Gegensaß von Subject und

Object, von Idealismus und Realismus hinweist. Und dies ist eines der Momente in seinem Wesen, durch welche sich dasselbe von dem der Romantiker durchgreifend unterscheidet. Die Romantiker sind entschieden irreligiös; sie haben mit der positiven Religion keinerlei Gemeinschaft und selbst wenn sie was übrigens den irreligiösen Charakter ihrer Blüthezeit, d. b. derjenigen, in welcher der wahre Inhalt ihres Wesens zum reinsten Ausdrucke kömmt, keineswegs aufhebt später zum Katholizismus zurückkehren, so sind es nicht sowohl_die_spiritualistischen_Dogmen und Vorstellungen desselben, wie seine concrete Universalität und sinnliche Objectivität, wodurch sie angezogen werden.

Bekanntlich wird die Religion von Vielen aus der Subjectivität hergeleitet und als eine eigenthümliche Bestimmung derselben bezeichnet. Aber aus dem, was wir soeben über die Romantiker bemerkten, erhellt, daß das religiöse Moment der Subjectivität keineswegs nothwendig inhärirt. Wir machen darauf aufmerksam, weil an diesem Punkte wie an manchem anderen deutlich wird, daß innerhalb der Subjectivität Differenzen bestehen, welche wesentlich verschiedene Formen derselben begründen. Es kann demnach, wenn irgend eine Grscheinung aus dem Wesen der Subjectivität erklärt werden soll, nicht genügen, sie in ihrem allgemeinen Inhalte zu Grunde zu legen; vielmehr kommt es darauf an, in jedem einzelnen Falle die besondere Form, in welcher sie auftritt, näher zu bestimmen. Doch das beiläufig; wir kehren zur Vergleichung der Jean Paul'schen und romantischen Richtung zurück, um noch einige andere nicht minder erhebliche Unterschiede kurz zu berühren.

Jean Paul ist, wie bekannt, vorwiegend Humorist und zwar erscheint er, wie Herr H., dessen Erklärung vom Humor wir übrigens nicht für ausreichend halten können, mit Recht bemerkt, „in vielen Partien als ein Humorist ersten Ranges. “ (S. 43.) Den Romantikern dagegen ist der Humor völlig unbekannt, während die bei ihnen hervortretende Ironie, deren eigenthümliche Natur der Verf. in einem be sonderen Abschnitte ausführlicher entwickelt hat, der Denk- und Darstellungsweise Jean Paul's durchaus fremd bleibt. Nicht minder ist der ethische Standpunkt der beiden Richtungen ein ganz verschiedener. Die Sittlichkeit Jean Paul's, welcher Herr H. irgendwo das Prädicat „gediegen" beilegen zu dürfen glaubt, besteht in der abstracten Moralität, daher er denn auch über das höchste Postulat dieser legs teren, über die negative Bestimmung der fleckenlosen Reinheit und kindlichen Unschuld, nicht hinauskommt. Diese Form der Sittlichkeit hat einen wesentlich spiritualistischen Charakter und unterscheidet sich eben hierdurch von der romantischen Ethik, welche ein entschieden sensualistisches Gepräge fragt.

Wer die Schriften Jean Paul's gelesen hat, weiß, wie vertraut derselbe mit dem beschränkten, gemüthlichen Familien- und Stillleben ist, wie gerne er in diesen engen, traulichen, freilich oft auch geistlosen und langweiligen Kreisen verweilt und wie treffend er das in ihnen herrschende Leben und Treiben darstellt. Vergleicht man ihn in dieser Rücksicht mit den Romantikern, so stellt sich ein Gegensatz heraus, der kaum schneidender gedacht werden kann. Es wird nicht nöthig sein, diese Behauptung durch eine genauere Charakteristik der allbekannten „,,Aristokratie der Geistreichen“ zu bewähren. Wir wollen lieber noch auf einen Punkt hinweisen, in welchem zwischen der romantischen Schule und Jean Paul eine vollkommene Uebercinstimmung stattfindet. Dem Einen wie dem Anderen mangelt in gleichem Maße Das Verständniß der Geschichte überhaupt und das Interesse für den bistorischen Prozeß, welcher sich in ihrer unmittelbaren Gegenwart vollzieht. Das Allgemeine existirt für sie nur in Form von subjectiven Vorstellungen, nicht als objective Macht, welche ihren Inhalt durch die in Vermittelungen fortschreitende geschichtliche Bewegung realisirt. Ihr subjectiver Standpunkt hindert sie eben, die Vermittelung als die natürliche Form des objectiven Werdens anzuerkennen. Hierin liegt der Grund, daß sie, um ihren Idealismus zu verwirklichen, auf die Herstellung eines die Geschichte aufhebenden Urzustandes hinarbeiten, welcher dann freilich bei den Romantikern eine andere Gestalt erhält, wie bei Jean Paul.

Ueberhaupt ist dies den im Uebrigen oft weit auseinandergehenden Richtungen jener Zeit vielfach gemeinsam; fie substituiren der gegebenen Wirklichkeit, welche im

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