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1. Einleitung.

er zauberische Eindruck, welchen Shakspeare's Sommernachtstraum hervorbringt, ist von jedem Leser empfunden worden. Wenn es die Aufgabe der ächten Kunst ist, unser Gemüth von der irdischen Schwere zu befreien und es mit reiner und schöner Heiterfeit zu erfüllen, unsere gesammten Kräfte zu einem freien und harmonischen Spiele zu entbinden, so hat der Dichter durch seinen Traum diese Aufgabe gelöst. Wenn es die Eigenthümlichkeit des ächten Kunstwerks ist, unsere Phantasie zu beleben und in ihr den Trieb zum selbständigen Bilden anzuregen, so ist diese Eigenthümlichkeit ein wesentlicher Vorzug des Sommernachtstraumes. Der Dichter verwandelt durch den Zauberstab seiner Dichtung unsere Kräfte ganz in Anschauung und Phantasie; er nöthigt uns das Reich der rauhen Wirklichkeit zu verlassen und ganz in dem Reiche der Sage und der Schönheit mit glücklichem Behagen zu verweilen. Unsere Phantasie glücklich zu stimmen, anmuthig zu beschäftigen, ist ihm schon gelungen durch den Boden, auf welchem seine Gestalten sich bewegen; er verseht uns in das Land der Hellenen, in jenes Land der Jugend der Menschheit, in jenes Land, an welches unsere Einbildungskraft durch den Reiz der Naturschönheit, durch die Fülle der poetischen Sagen, durch den Reichthum der Götter- und Heroengestalten gefesselt ist; wo die Quelle unter dem Schuße der Gottheit rauschte, der Berg und der Hain durch den Athem der Nympfen lebte, wo die Knospe der schönen Menschlichkeit zum ersten Male in der Geschichte ihre heitere und liebliche Blüthe erschloß. Er führt uns hin an das Gestade des Jlissus, zu jener Stadt Athen, mit deren Namen unser Geist die Erinnerung an alle Herr

lichkeiten der Kunst und des Phantasielebens verknüpft. Er erweckt in uns die Bilder der Helden, welche durch Alterthum und Sage von einem poetischen Dämmerlichte umflossen sind. Und wenn wir nun in diesem Lande verweilen, wo jede Stelle bedeutend ist durch Sage, Kunst und Geschichte, wenn unsere Einbildungskraft erwärmt durch die Anmuth des südlichen Himmels poetisch gestimmt ist, so sehnt sich unser Auge den Göttergestalten zu begegnen, welche durch die religiöse Phantasie der Griechen von dem Olymp zu den Sterblichen herabstiegen; und der Dichter hat dafür gesorgt, daß unsere Sehnsucht befriedigt werde. Zwar belebt er die Hügel und den Hain nicht mit Nymphen; aber Gottheiten, jenen ähnlich, drücken der Natur die Bedeutung ihres Daseins auf und geben dem Leblosen eine persönliche Existenz. Indem der Dichter jene phantastische Welt der Elfen vor unsern Blicken aufrollt, versezt er unsere Phantasie in ein Reich von Gestalten der homerischen Götterwelt vergleichbar; indem aber diese Elfen Geburt und Leben der Phantasie des germanischen Volks verdanken, verknüpft der Dichter mit unendlicher Genialität zwei Welten mit einander, den romantischen Zauber des germanischen Volksglaubens mit der plastischen Einfachheit der hellenischen Sage; und giebt so unserer Phantasie die Richtung, ihr Auge über diese verschiedenen Welten schweifen zu lassen, deren Mannigfaltigkeit hier zu einer wunderbar harmonischen Einheit verbunden ist. Und wie er unserer Phantasie nicht verstattet sich einseitig in eine dieser Welten zu verlieren, so läßt er auch nicht zu, daß unsere Empfindung uns einseitig beherrsche; ein reicher Wechsel verschiedener Scenen reißt uns fort, das melodische Klingen der Elfengesänge wird unterbrochen von den rauhen Worten der Handwerker, aber auch in dem possenhaften Lärme derselben tönt ein leiser Ton tragischer Wehmuth mit. Und damit der Phantasie alles Anregende geboten werde, es breitet die mondbeglänzte Zaubernacht ihren Nebelschleier um die Gestalten dieser „, wundervollen Mährchenwelt."

Aber es wird heut von Niemanden mehr bezweifelt, daß wir in dem Sommernachtstraum ein Werk befizen, in wel

chem der Gott der Phantasie auf jede Gestalt sein weihendes Siegel gedrückt hat. Und doch würde der Dichter wenig und für seine eigne Forderung Ungenügendes geleistet haben, wenn er die Gestalten seiner Phantasie an uns vorüberschwirren ließe wie Träume, in denen tiefere Bedeutung zu entdecken, tieferen Zusammenhang zu suchen wir keiner Anstrengung für werth halten würden. Er hat vielmehr seiner künstlerischen Größe gemäß die luftigen Schatten durch tiefe Ideen zusammengehalten; denn er wußte wohl und hat es deutlich genug ausgesprochen, daß das Drama nichts ist, wenn es nicht ein idealer Spiegel der Welt ist.

Wir wollen in diesen Blättern versuchen, die Idee und die Composition des Sommernachtstraumes zu entwickeln. Wenn wir von der Idee des Kunstwerks reden, so fürchten wir nicht das Mißverständniß, als ob wir unter Idee eine abstracte Lehre verständen, welche durch sein Werk aufzustellen und einzuprägen der Dichter reflectirend beabsichtigt habe. Der Dichter hat vielmehr die Aufgabe, abstract zu lehren, gar nicht zu erfüllen, sein Beruf ist die Darstellung; und es hieße den Dichter der höchsten poetischen Gattungen, des Epos und des Drama, zum Fabeldichter herabseßen, wollte man von ihm erwarten oder verlangen, daß er irgend eine einzelne Lehre oder einen einzelnen moralischen Sag auffasse und den aufgefaßten durch ein aufgestelltes Beispiel deutlich mache. Der Dichter, welcher so zu Werke ginge, wäre kein Dichter mehr, sondern ein nüchterner Prosaist; er arbeitete mit dem berechnenden Verstande, nicht mit der gestaltenden Phantasie. Das Vermögen aber, welches in dem Dichter schaffend wirkt, ist die Phantasie. Ehe sie ihre Thätigkeit beginnt, hat sie von außen Stoffe und Anschauungen empfangen; sie leben in dem Innern des Dichters, sie beschäftigen seine Sinne und Vorstellungen und sie gestalten sich durch seine Phantasie zu einer geordneten, geschlossenen Welt der Schönheit. Die Idee des Kunstwerks wird daher in dem ganzen Werke, in allen Theilen desselben, nicht bloß an einer Stelle, nicht bloß in einem Charakter erscheinen; sie wird aus jedem Gliede des poetischen Körpers als die Seele desselben uns anblicken; und

das Werk, welches ideal ist, wird seine Idealität zuerst in seinem Unterschiede von der Wirklichkeit beweisen. Dieser Unterschied ist, daß die sittliche Weltordnung, welche in der Wirklichkeit nicht immer deutlich hervortritt, in dem poetischen Kunstwerke klar und bestimmt erscheint. Das wirkliche Leben. und die Geschichte bieten eine Menge von Zuständen und Ereignissen dar, welche wie Wolken vor die Sonne der sittlichen Weltordnung treten und ihr Leuchten verhindern; wir sehen im Leben und in der Geschichte die Vertreter großer Ideen oft der Beschränktheit und Bosheit unterliegen; wir finden nicht immer, daß das Böse seine gerechte Strafe findet. Denn Geschichte und Leben fließen in einer immer gleichen Reihe dahin, stellen sich in einer so bunten Fülle und Mannigfaltigkeit dar, daß wir nicht immer im Stande find, den Punct wahrzunehmen, wo die Idee ihre Entwickelung vollendet und den Sieg errungen hat; daß wir nicht immer vermögen ins Innere der Personen zu blicken, die Beschaffenheit ihrer Handlungen zu erkennen, und die Ruhe oder Zerrissenheit der Seele wahrzunehmen, welche die wahre Belohnung oder Strafe der guten oder bösen That find. Die Poesie dagegen hat ihre ideale Bedeutung darin, daß sie uns aus dem wirren Weltlaufe ein Stück absondert, in welchem wir die sittliche Weltordnung in ihrer Herrschaft erblicken; Leben und Geschichte, wenn sie von der Poesie behandelt sind, entwickeln sich in einer Consequenz und runden sich zu einem Ganzen ab, wie wir in dem wirklichen Leben oft vermissen oder schwer wahrnehmen. Die böse Gesinnung, welche im Leben oft zu triumphiren scheint, von dem Dichter dargestellt, stürzt sich unausbleiblich in ihr eigenes Nichts; der edle Sinn, das redliche Streben, die sittliche Idee erlangen den Sieg und finden. den glücklichen Erfolg - in der Poesie. Während im Leben die Impietät in ihrer Ruchlosigkeit ohne Strafe bleiben kann, in Shakspeare's Lear ergeht über sie ein furchtbares Gericht; während die Leidenschaften im Leben in ihrer zerstörenden Gewalt minder hervorzutreten brauchen, von der Poesie dargestellt vernichten sie sich selbst; während im Leben der Edle oft nur zum unglücklichen Dulden verurtheilt zu sein scheint,

in der Poesie erscheint das wahre Glück desselben, die Ruhe der Seele und die Selbstgenügsamkeit des guten Willens. Die Poesie, und darin besteht ferner ihre Idealität, legt uns das innere Empfinden und Denken des Menschen bloß, alle Geheimnisse, welche der Mensch in der Wirklichkeit in sein Herz verschließt, werden hier offenkundig, sie sondert das Wesen von dem Scheine und wir machen durch sie die Erfahrung nur um so tiefer, daß es nichts giebt, was den Menschen wahrhaft glücklich machen kann als die Richtung auf die sittliche Idee, als Selbstbeherrschung und Wahrheitsliebe. Diese Säße finden keinen Widerspruch, was die Tragödie betrifft. Selbst der oberflächlichste Sinn muß bei den Tragödien eines Shakspeare glauben, daß er, um mit Göthes Wilhelm Meister zu reden, vor den aufgeschlagenen, ungeheuren Büchern des Schicksals stehe, in welchen der wilden Leidenschaft Ziel und Ende geschrieben steht. Aber das ideale Wesen der Kunst tritt eben so sehr im Lustspiel hervor, welches dem gemeinen Leben verwandter zu sein scheint. Wie in der Tragödie die furchtbaren Leidenschaften zum Falle kommen, so in dem Lustspiele die Thorheiten, die Einbildungen und Launen, mit einem Worte die Willkür, welche mit dem Leben nur spielt. Von Shakspeares Lustspielen dürfen wir vor Allem sagen, die Ideen, welche in denselben verkörpert erscheinen, gehören dem Gebiete der Sittlichkeit an. Eine sorgfältige Betrachtung des Sommernachtstraumes wird den Beweis liefern. Die Idee, welche in diesem Lustspiele verkörpert auftritt, ist, daß alle Will-. für, welche die sittlich ernsten Verhältnisse leidenschaftlich oder leichtsinnig behandelt, sich in Verwirrung stürzt, eine Beute des Zufalls wird und dadurch ihre Strafe erfährt, während der besonnene, leidenschaftslose Sinn über den Launen des Zufalls steht und mit der Selbstbeherrschung auch die Herrschaft über die äußern Verhältnisse des Lebens besigt. — Um diese Idee in ihrer Verkörperung deutlich wahrzunehmen, wird man wohlthun, die Charaktere in ihrer Entfaltung zu beobachten. Es ergeben sich mit Leichtigkeit vier Gruppen von Charakteren;

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