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ren, daß Helena seiner gewandelten Seele nicht traut, sondern ungläubig und unwillig sich entfernt, bis die unzweifelhaften Aeußerungen seiner Liebe sie versöhnen.

Es liegt in der Natur der Sache, daß das andere Paar von Liebenden Lysander und Hermia eine große Aehnlichkeit mit Demetrius und Helena haben müssen, da sie sich innerhalb derselben Sphäre der Leidenschaft bewegen. Aber der Dichter beweist seine große Meisterschaft der Charakteristik auch hier, indem er die scheinbar so ähnlichen Charaktere durch wesentliche Merkmale unterscheidet. So haben auch Goneril und Regan im Lear, Guiderius und Arviragus im Cymbeline, die Prinzen von Marokko und Aragon im Kaufmann von Venedig, Rosenkranz und Güldenstern im Hamlet dieselbe Sphäre der Gesinnung und Weltanschauung, sind aber unter sich durch charakteristische Unterschiede gezeichnet. Lysander ist leichtfertig wie Demetrius, er verspottet unehrerbietig den Vater seiner Geliebten, er verführt sie selbst zur Flucht und Verlegung der weiblichen Sitte, hinreichende Züge, um uns auf seinen unbefestigten Charakter schließen zu lassen. Aus seinem eignen Wesen ist also schon zu erklären, daß er der Hermia untreu wird und in der Zaubernacht der Helena seine Liebe zuwendet. Aber die Möglichkeit dieser Untreue war auch durch Hermia's Charakter gegeben. Sie war von früh an, wie Helena sagt, eine Zänkerin (vixen, eigentlich Füchsin) und in ihrem Zorne tückisch (shrewd) 1) geübt in Schimpfreden, in

1) In dem Worte shrewd liegt eine ganze Charakteristik der Hers mia. Den Begriffen von shrew, shrewd, shrewishness ent- spricht im Deutschen kein einzelnes Wort. Eine shrew nannte man ein stets widersprechendes, launisches, ungeduldiges, eigensinniges, zänkisches Weib. Shakespeare hat den Begriff öfter durch hinzugefügte Beiwörter erläutert, z. B. Zähmung der Widerspenstigen 1, 2: a shrewd ill-favoured wife. Ebendaselbst curst and shrewd. Vgl. ,,Viel Lärmen um Nichts“ 2, 1. In der Zähmung der Widerspenstigen wird Katharina angeredet 3, 2: a shrew of thy impatient humour, Eigenthümlich ist das Wort noch gebraucht Troilus and Cressida 3, 3. Ende gut, Alles gut 5. Das Beiwort shrewd hat im Sommernachtstraum auch

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ihrer Heftigkeit zur Rauferei geneigt und so mit Recht von Helena des Mangels an Bescheidenheit, an mädchenhafter Schaam (3, 3) angeklagt. Ihre heftige Natur wird manchen Zwiespalt mit dem gleichfalls heftigen Lysander veranlaßt haben. Lysander belegt die Hermia mit Schimpfwörtern, die Schlegel nicht alle übersezt; er nennt sie Aethiopin, Kaze, Klette, niedrig Ding, schwarz - gelbe Tartarin, ekle Medicin, verhaßter Trank; er nennt sie anspielend auf ihre kleine Gestalt Zwergin, Minimus aus Besenkraut gemacht1), Betkoralle, Ecker. Dieses Paar, das beweisen ihre beiderseitig heftigen Naturen, hat sich schon öfter entzweit und wieder versöhnt; diese Uebung erklärt es hinlänglich, daß Lysander auch zu Hermia's Liebe zurückkehrt. Für seine Untreue büßt er durch die vorwurfs schwere Abweisung, die er durch die stets treue Helena erfährt. Für Hermia aber liegt in der kurzen Untreue ihres Geliebten eine Strafe für ihr zänkisches Wesen, für ihren Ungehorsam gegen den Vater und ihre Flucht, wie Helena für die Verlegung der weiblichen Sitte durch Spott und. Hohn büßte (denn so mußte fie die unerklärlichen Bewerbungen der beiden Jünglinge nehmen); und man sieht, wie der herrliche Dichter, der dem blöden Auge so oft die Sitte und den Anstand zu verlegen scheint, auch in seinen Träumen, deren schönster der Sommernachtstraum ist, die Verlegung der Sitte straft; diese Liebenden kommen für ihre Fehler und Launen mit kurzer Angst und Plage weg; in anderen Dramen, wie

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Puck (2, 1): you are that shrewd and knavish sprite call'd Robin good fellow. Helená dagegen, deren weiches, fanftes, nachgiebiges Herz wir kennen, ist von der Eigenschaft einer shrew frei, wie sie selbst sagt (3, 2): I have no gift at all of shrewishness.

1) 3, 2. you minimus, of hind'ring knôtgrass made. Diesen Ausdruck hätte Schlegel nicht unübersegt laffen sollen. Er ist sehr charakteristisch. Shakspeare benust hier den Glauben der Zeit, daß das knotgrass das Wachsthum eines Kindes oder Thieres hindere (vgl. Steevens in den Annotations upon MSND p. 70). Shakspeare verhält sich also hier ähnlich wie bei der Benugung der Lieb in Müßiggang" und der Blume der Diana.

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in Romeo und Julie, Othello, Cymbeline hat der große Dichter die Entwickelung des tragischen Geschicks oder Leidens an den scheinbar kleinen Umstand geknüpft, daß Julia, Desdemona, Imogen sich gegen den Willen der Eltern oder des Vaters vermählen; ja auch in unserem heitern Drama ist dèn Liebenden, wenn auch mit verzerrten Zügen, in dem Schicksal von Pyramus und Thisbe die Lehre aufgestellt, zu welchen tragischen Irrungen die Verlegung der Pietät und weiblichen Sitte führt; und es ist sehr bezeichnend, daß Helena und Hermia, welche diesem „, tragischen Scherze“ (tragical mirth) zuschauen, nichts dazu sagen, obwohl alle andern scherzen; fühlten sie sich vielleicht bei dem Schicksale Thisbe's getroffen, da auch sie mit Verlegung der Weiblichkeit und Pietät ihr Schicksal den Zufällen der Nacht anvertraut hatten? Daß aber die Personen dieses Kreises kein tragisches Geschick erfahren, liegt theils in ihrer eigenen oberflächlicheren Gesinnung, theils in der Schwäche oder dem Wohlwollen der Umgebung begründet, in den Charakteren des Egeus und des Theseus. Der erstere ist mit dem Brabantio im Othello zu vergleichen; wie dieser dem Mohren die Desdemona verweigert, so Egeus seine Tochter dem Lysander; der eine verklagt den Othello bei dem venetianischen Senate, der andere den Lysander vor dem Forum des Theseus; der eine ist abergläubisch genug seine Tochter für verzaubert zu halten, der andere wirft dem Lysander dasselbe Verbrechen der Verzauberung vor1).

1) Egeus sagt in Bezug auf Lysander (1, 1): this hath bewitch'd the bosom of my child; wo Schlegel zu schwach überseßt: der da bethörte meines Kindes Herz. Egeus glaubt, daß Lysander einen Zauber, eine Hexenkunst angewandt habe, um das Herz der Hermia zu gewinnen. Brabantio im Othello in seiner Heftigkeit und ganz seinem Charakter angemessen spricht die Beschuldigung der Bezauberung viel wortreicher aus, die Egeus nur andeutet. Brabantio nennt den Othello einen Ausüber verbotener und unerlaubter Künste" (1, 2), Othello habe die Desdemona ,, verführt durch Zaubermittel und Quacksalbertränke “ 1, 3. c. Sehr komisch ist dieser Glaube an Liebestränke angewandt in Heinrich IV., wo Falstaff (1, 2, 2) in Bezug auf Poins sagt:,,Ich habe seine Gesellschaft diese zwei und zwanzig Jahre

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Nur in der Stärke ihrer Gesinnung sind beide verschieden. Während Brabantio voll bitteren Grolles und Grames ist über Desdemona's Verbindung mit dem Mohren und in diesem Grame bald sein Leben verzehrt, nimmt es Egeus leichter, giebt den Vorstellungen des wohlwollenden und vermittelnden Theseus Gehör und gerade seine Schwäche trägt zur glücklichen Lösung der Verwirrung bei. Der Zug des Aberglaubens und Eigenfinnes ist aber von dem Dichter sowohl dem Egeus wie dem Brobantio geliehen, um die That des Ungehorsams der Töchter in ein milderes Licht zu stellen.

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In dem Kreise der Liebenden, haben wir gesehen, herrschte die Willkür und Laune wie in dem Reiche der Elfen; Will für und Laune rufen Verwickelungen komischer Art hervor, welche aber für die Betheiligten eine Strafe einschließen, die fie selbst veranlaßt haben. Die Willkür und ihre Verwirrungen lösen sich auf und die Thorheiten erscheinen wie ein Traum. In diesem Kreise hatten die Elfen daher Gelegenheit zur Wirksamkeit. Sie haben diese auch in eben so großem Maaße bei den Handwerkern.

4. Die Gruppe der Handwerker.

Der Geist der Willkür und Laune beherrscht auch die Handwerker; er erstreckt sich bei ihnen auf die sittliche Bedeutung der Kunst. Sie wollen ein Schauspiel vor dem Herzoge zu Nacht aufführen; aber zur glücklichen und erfolg= reichen Ausführung ihres Planes fehlt ihnen nicht mehr als Alles. Zuerst die Uneigen nüßigkeit, der reine Eifer für die Sache; durch ihr Spiel hoffen sie,, gemachte Leute" › (4, 2) zu werden, d. h.,, sechs Bagen (sixpence)" täglicher Pension von dem Herzoge zu erhalten. Dann geht ihnen die

her stündlich verschworen und doch bin ich mit des Schuftes seiner Gesellschaft behert. Wenn der Schurke mir nicht Tränke gegeben hat, daß ich ihn lieb haben muß, so will ich gehängt sein; es kann nicht anders sein, ich habe einen Trank gekriegt.“ Vgl. Lustige Weiber 2, 2. Wintermährchen 4, 3. Cymbeline 1, 7. Was ihr wollt 3, 3.

nöthige Kenntniß der Sache ab, die Einsicht in das Wesen der Kunst; harthändige Handwerker, wie Philostrat von ihnen sagt, haben sie nie bisher mit ihrem Geiste gearbeitet und jezt ihr ungeübtes Gedächtniß mit ihrem Stücke ermüdet (5, 1). Ihre Unbildung drückt sich in ihrem Aberglauben aus; durch ihn sind sie eine Beute für Puck; als sie im Walde bei Nacht ihr Stück probiren, leiht ihr schwacher durch Furcht noch verlorner Sinn sinnlosen Dingen Waffen gegen sie (3, 2); Puck, d. h. der Zufall und die Naturerscheinungen, welche ihre abergläubische Fürcht mit getrübtem Auge ansieht, verfolgt sie als Eber, Pferd, Hund, Bär, Feuer; und das Wort des Theseus (5, 1) geht an ihnen in Erfüllung, daß die furchtsame Einbildungskraft in der Nacht leicht den Busch für einen Bären hält. Die Höhe oder vielmehr Niedrigkeit ihrer Bildung ist aber an der Bewunderung zu messen, die sie dem Zettel zollen; an seinen Rath appelliren alle; sein Urtheil ist das entscheidende; er hat nach Flauts Bemerkung den besten Wig von allen HandwerksLeuten in Athen, die beste Person dazu und was den Wig betrifft, ist er ein wahrhafter Phönix (4, 2) 1), daher muß er die Hauptrolle in dem „, tragischen Scherze" spielen; kein Mann in Athen wäre weiter,, kapabel, den Pyramus herauszubringen" (able to discharge Pyramus).. Nichts desto weniger ist er nach Pucks Charakteristik die schalste Dickhaut (the shallowest thick-skin) der armseligen Gesellschaft; und was sehr charakteristisch ist, um so eitler, je schäler. Er, der wichtigste Spieler, treibt die Willkür, mit welcher die Handwerker die Kunst tractiren, durch seine Eitelkeit auf die Spize; er will, wie so viele Schauspieler, nicht seine Rolle, sondern sich spielen; er will glänzen, sich sehen lassen; daher geht sein „Haupthumor 2)“ auf einen Tyrannen; er würde den

1) Nach der Schlegelschen Uebersekung; das Original hat hier das Wortspiel mit paramour (Buhler) und paragon (Muster); Schlegel giebt es glücklich durch Phänomen und Phönix wieder. 2) Yet my chief humour is for a tyrant (1, 2). Schlegel übersest,, Hauptgenie" aber in dem Worte Humor liegt die Willkür und Laune ausgedrückt, mit welchem Zettel die Kunst betreibt. Er hat die Sonderbarkeit, die Laune, am liebsten einen

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