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5. Die Gruppe des Theseus und der Titania.

Im Verhältniß zu den bereits besprochenen Gruppen der Elfen, der Liebenden und der Handwerker bildet Theseus theils einen Gegensah, theils eine Vermittelung. Der Dichter legt diesem Charakter offenbar die Ansichten in den Mund, nach welchen er sein Drama verstanden wissen will. Ulrici 1) meint, daß in Theseus und Hippolyta der Heroismus paradirt werde, da die welthistorische Seite des menschlichen Lebens, die an ihnen repräsentirt erscheine, sich nicht in ihrer - Erhabenheit bewähre, sondern in den ganz gemeinen Alltagsact einer Heirath sich auflöse.“ Allein Theseus erscheint keineswegs als ein Charakter, der sich selbst paradirt. Er ist vielmehr der ruhige, den phantastischen Spielen einer müßigen Einbildungskraft nicht mehr zugängliche Mann. Auf ihn und seine Verbindung mit Hippolyta haben daher die Elfen keinen störenden Einfluß und Titania wagt nicht den Theseus der Hippolyta zu entführen. Wohl veranlaßte sie ihn früher zur Untreue gegen Acgle, Perigenia und Ariadne; aber von diesen Verirrungen der finnlichen Natur ist Theseus durch sittliche Selbstbestimmung geläutert. Sein Verhältniß zu Hippolyta bildet daher den vollständigsten Gegensaß gegen die Willfür, mit welcher sich Demetrius und Lysander in der Liebe verhalten, wie auch gegen den Zwiespalt, in welchem sich Oberon und Titania befanden. Das ruhige besonnene Denken, die klare Auffassung der Verhältnisse, die milde, schonende, wohlwollende Beurtheilung derselben und ein liebenswürdiger Humor bilden die Grundzüge seines Charakters. Daher verhält er sich ungläubig gegen die Fabeln und Feenspiele und schreibt ihre Entstehung der Einbildungskraft zu (5, 1). Von der kühleren Vernunft beherrscht wird er daher gleichsam zum Mittelpuncte derer, die von der Willkür des Sinnenlebens und der Einbildungskraft geheilt sind, und die Liebenden von der Krankheit der Untreue genesen, versammeln sich um ihn.

1) Shakspeare's dramatische Kunst. Leipzig 1847. p. 530.

Ungleich den Elfen, welche willkürlich schalten oder durch Mittel des Naturlebens wirken, wendet er sich an die Vernunft mit moralischen Vorstellungen und Betrachtungen. Auf diesem Wege sucht er die Hermia zu bestimmen, dem Willen des Vaters zu gehorchen; er spricht bei dieser Gelegenheit einen Sah aus, der den Verwirrungen der Leidenschaft in unserem Stücke gerade so entgegen gesezt ist, wie die keusche Diana dem Cupido: diejenigen seien dreifach gesegnet, die ihr Blut so meistern, daß sie die jungfräuliche Pilgerschaft unternehmen können. Es bezeichnet ferner den vermittelnden Charakter des Theseus, daß er den Demetrius zu der von ihm verlassenen Helena zurückführen will und als Demetrius wiedergekehrt ist, den Egeus bestimmt, seine Einwilligung zu dieser Verbindung zu geben. Diese vermittelnde Natur vollendet sich. in dem Wohlwollen, mit welchem er die Schwächen und Fehler der Menschen betrachtet. Sein Verhältniß zu den Handwerkern ist in dieser Beziehung entscheidend. Obwohl von Philostrat vor dem Schauspiele derselben gewarnt, läßt er es doch aufführen; er nimmt es in besserem Sinne als es gegeben wird: die Handwerker wollen eine Pension durch ihr Drama verdienen, Theseus nimmt es als einen Ausdruck der Einfalt und Ergebenheit, und seine Humanität tritt in der Beurtheilung der Handwerker liebenswürdig hervor. Unser Spaß wird sein, sagt er zu Hippolytä, daß wir recht nehmen, was sie unrecht nehmen (to take what they mistake);,, was arme Ergebenheit nicht leisten kann, das nimmt edle Rücksicht nur nach dem Vermögen, nicht nach dem Werthe.". Wie schlecht auch die Aufführung des Dramas ausfällt, Theseus stellt die Schauspieler in ein günstigeres Licht durch die Bemerkung: die besten in dieser Art sind nur Schatten, und die schlechtesten sind nicht schlechter, wenn Einbildungskraft ihnen nachhilft 1).“ Zu den humoristischen Bemerkungen, welche The

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1) The best in this kind are but shadows; and the worst are no worse, if imagination amend them (5, 1). Shakspeare spricht hier in der Person des Thefeus seine eigne Meinung über den Schauspielerstand aus; er nennt die Schauspieler Schatten,

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seus über das Stück der Handwerker macht, liegt allerdings das Gericht über daffelbe, aber dieses Gericht wird mit Wohlwollen und Humanität von Theseus vollzogen. Theseus vers hält sich hier wie, alle Humoristen Shakspeares; sie sind von Liebe erfüllt und beurtheilen die menschlichen Schwächen mit Schonung; sie sind keine tugendstolzen Puritaner; sie wissen, daß es keine absolute Tugend und kein absolutes Laster giebt; sie wissen, wie der liebenswürdige Narr Feste in,,Was ihr wollt" sagt, daß Tugend, die sich vergeht, nur mit Sünde und Sünde, die sich bessert, nur mit Tugend geflickt ist. In seinem wohlwollenden Humor ist Theseus ganz ein Charafter von der Art, wie in Ende gut Alles gut“ (1, 2) der Graf Roussillon geschildert wird. In seinem Stolze und Wize (sharpness) sagt er König von ihm, war nicht Vers achtung oder Bitterkeit; und wenn sie darin war, so hatte einer seines Gleichen fie herausgefordert; die unter ihm standen, behandelte er als Wesen anderer Art und beugte seinen hohen Wipfel zu ihrem niedrigen Range, indem erfie stolz durch seine Demuth machte und zu ihrem armen Lobe sich herabließ." So ist denn Theseus durch die Ruhe und Besonnenheit wie durch die Humanität der Charakter, der durch den Gegensaß, in welchen er zu den übrigen Personen" gestellt ist, uns diese erklärt. Er steht dem Demetrius und Lysander gegenüber, wie die ruhige Leidenschaftslosigkeit dem schwankenden, flüchtigen, unsteten und leidenschaftlichen Sinne;

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5):

ein Ausdruck, der später wiederkehrt, wenn Puck sagt: Wenn
wir Schatten euch beleidigt" 2C. Aus dem Leben Shaksp. weiß
man, daß er sich als Schauspieler nicht glücklich fühlte. Am tief-
ften ist sein unmuth ausgedrückt in einer Stelle des Makbeth,
welche auch in anderer Beziehung mit der obigen des Sommer-
nachtstraums verglichen werden kann. Makbeth fagt (5,
,, Leben ist nur ein wandelnder Schatten (Life's but a walking
shadow); ein armer Schauspieler, der sich spreizt und knirscht
seine Stunde auf der Bühne und dann nicht mehr gehört wird.“
Die oben angeführte Stelle des Sommernachtstraums hätte daher
Schlegel nicht übersehen sollen: „Das Beste in dieser Art ist nur
Schattenspiel und das schlechteste" 2c.

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er preist der Hermia gegenüber den Sinn der Selbstbeherrs schung glücklich, der das Blut zu meistern versteht; er thut dies aber nicht wie ein blutloser Pendant, in dessen Adern nie die Leidenschaft glühte, er hat vielmehr selbst die Leidenschaften kennen gelernt, ja er hat sich der Untreue gegen Aegle, Perigenia, Ariadne von Titania verführt schuldig “gemacht, ist aber von dieser Krankheit durch Arbeit an sich selbst -genesen; er behandelt daher die Thorheiten und Schwächen der Liebenden mit Wohlwollen und sucht zu vermitteln wie er fann. Er steht ferner den Handwerkern und der Mißhandlung, welche die Kunst durch sie erfährt, gegenüber als der Mann des Geschmackes und der Bildung, welcher Einsicht in das Wesen der Kunst besigt, und er beweist diese Einsicht durch die tiefen Worte, welche der Dichter ihm so charakteristisch in den Mund gelegt hat, nie dem Hamlet die Bemerkungen über dramatische Poesie und Schauspielkunst, daß ,, des Dichters Auge im schönen Wahnsinne rollend vom Himmel zur Erde, von der Erde zum Himmel bligt, daß seine Feder die Gebilde der Phantasie gestaltet und dem luftigen Nichts Wohnsiz und Namen giebt." Wie tief er aber auch den gemeinen Realismus, mit welchem die Handwerker die Kunst mißhandeln, unter sich sieht und wie sehr seine humoristischen Bemerkungen die scharfe Kritik enthalten, er ist doch auch in dieser Sphäre so vermittelnd wie gegen die Liebenden (Demetrius 2c.) und sucht durch eigne Phantaste zu ergän

was dem Spiele der Handwerker an Kunst und Bildung fehlt. In der humanen Beurtheilung der Verhältnisse und Personen steht Hippolytą dem Theseus würdig zur Seite. Den heroischen Charakter der Amazone, welchen die Sage der Hippolyta giebt, hat Shakspeare wie bei Theseus bis auf wenige Züge, zu welchen die Freude am Glockenspiel des Hundegebells gehört (4, 2), fallen lassen. Eine sanfte Gemüthsart ist Hippolytas Wesen; es macht einen höchst wohlthuenden Eindruck, daß sie das Schauspiel der Handwerker gar nicht aufgeführt sehen möchte; denn sie mag nicht gern Armseligkeit bedrückt, Ergebenheit nicht im Dienst erlegen sehn. Durch diesen Zug unterscheidet sie sich sehr von der Prinzessin in verlorener Lie

besmühe (V, 2). Ihre Scherze über das Drama der Handwerker haben einen gutmüthigen Ton. So ist sie dem Theseus ähnlich; wenn sie den Glauben an Elfen theilt (5, 1), den ihr Gemahl verwirft, so ist dies ein Zug, durch welchen Shakspeare die weibliche Natur trefflich bezeichnet. Und so steht Theseus drittens auch den Phantasiegestalten der Elfen als die kühlere Vernunft gegenüber (5, 1), welche von der Elfen Traumwelt nicht in Verwirrung gebracht werden kann. So kann man den Theseus als den Charakter betrachten, welcher den Weg zeigt zur Auffassung der übrigen, geradeso wie in ,,Was ihr wollt" der liebenswürdige Narr Feste und in Romeo und Julie der Pater Lorenzo die Fingerzeige geben zur Beurtheilung der Charaktere und ihres Geschicks; und die herrlichen Worte des Theseus im Anfange des fünften Aktes, aus welchen die eigenste Meinung des Dichters spricht, bezeichnen eben so prägnant den Sinn des Stückes, wie Lorenzos Monolog (2, 3) und Bassanios Rede vor den Kästchen die Idee in Romeo und Julie und im Kaufmann von Venedig bezeichnen.

6. Der Traum.

Der Dichter hat aber noch mehr gethan, um uns über die Idee seiner herrlichen Dichtung nicht im Unklaren zu -lassen; er nennt seine Dichtung einen Traum, welcher in einer der Nächte mitten im Sommer geträumt ist (Midsummernights - dream). Diese Zeit bevölkerte der volksthümliche Aberglaube mit Geistern, gewisse Pflanzen üben eine zauberhafte Wirkung, die menschliche Einbildungskraft ist erregt und zu phantastischen Streichen aufgelegt. In dem Sinne dieses Glaubens nennt Olivia in ,,Was ihr wollt" die Narrheit des Malvolio eine Hundstagstollheit (midsummer-madness 3, 4). Die Haupthandlung verlegt aber der Dichter in die Nacht vor den ersten Mai.

Die Verwirrungen unter den Elfen, Handwerkern und Liebenden, die von ihnen später wie Träume angesehen wer

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