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drei derselben, die Elfen, die Gruppe der Liebenden (Lyfander, Demetrius, Hermia, Helena), die Gruppe der Handwerker, werden in verschiedener Weise von der Willkür hin und her getrieben; die vierte, die Gruppe des Theseus und der Hippolyta, gehören der besonnenen Lebensanschauung an. Diese Gruppen sind zu betrachten.

2. Die Gruppe der Elfen.

Die Geister, welche die Welt des Sommernachtstraums in Bewegung seßen, die komische Verwirrung hervorrufen und ihr zum Theil selbst verfallen, sind die Elfen. Diese Elfen sind Geister der Natur, Herrscher im Reiche des natürlichen Lebens, keine Mächte der sittlichen Welt. Ihr Einfluß erstreckt sich daher nicht weiter als das bloß natürliche Leben reicht. Sie selbst führen ausschließlich nur ein Leben der Sinne; ihr Aufenthalt ist die Natur, welche durch Anmuth und Reiz fesselt und die Sinne gefangen hält; die Wiese und der Hain, der flare Quell, das Ufer des beschilften Baches oder der Klippenstrand des Meeres (2, 1) sind die Orte, wo sie am liebsten verweilen; ein ewiger Sommer zieret meine Lande, sagt Titania zu Zettel; und es ist sehr bezeichnend, daß sie am liebsten die,, gewürzte Luft Indiens" (2, 1) einathmen, des Landes, wo das Naturleben die Sinne mit unwiderstehlichem Zauber beherrscht. Dem Orte ihres Aufenthaltes entspricht die Zeit; in der Mondnacht, in der Zeit des „lustigen Sternenscheines“ (2, 1), in dem Dämmerlichte der Nacht (glimmering night (2, 1)), wo die scharfe Bestimmtheit der Gegenstände verschwindet, wo der Mensch der Weichheit des Gefühls und den Träumen der Einbildungskraft sich zu überlassen geneigt ist, beginnt das eigentliche Leben der Elfen. Daher heißt Oberon,, König der Schatten“ und Puck nennt sich selbst den ,, lustigen Wanderer der Nacht" (2, 1)). Die Neigungen und Genüsse der Elfen sind ganz dem Orte und der Zeit ihres

*) Puck sagt: I am that merry wanderer of night. Schlegel übersegt: „Ich schwärme Nachts umher auf solche Thaten.“

Aufenthalts angemessen; sie führen das spielende Leben des Kindes oder des natürlichen von der sittlichen Selbstbestim mung nicht gezügelten Menschen. Am Possenhaften haben sie Freude, und es ist für Titania charakteristisch genug, daß sie bei der Erinnerung an die gestorbene Freundin am liebsten der Thorheit gedenkt, mit welcher jene die vom Winde geblähten Handelsschiffe im Gehen nachahmte. Diese Elfen sind Liebhaber des Zierlichen, Anmuthigen, wie es die Natur bietet; sie verabscheuen das Häßliche und Ekelhafte der Natur; Titania befiehlt ihren Elfen, die Raupen in den Moschusrosenknospen zu tödten, mit den Fledermäusen Krieg zu führen und die nächtliche kreischende Eule zu verscheuchen; aus dem Gebiete der Elfenkönigin sollen sich die gefleckte Schlange, der Stacheligel, die Eidechsen und Blindschleichen, die langbeinigen Spinnen, die schwarzen Roßkäfer, Würmer und Schnekken entfernen, während die Nachtigall eingeladen wird ihre süßen Melodien ertönen zu lassen. Dagegen besigen Blumen, lassen. Primeln, Moschusrosen, zarte Früchte die Liebe der Elfenkönigin; ihren Zettel ladet sie ein auf einem Blumenbette sich niederzulassen; sein glattes Haupt mit den schönen großen Ohren besteckt sie mit Moschusrosen; seinem nach Viehfutter, Hafer, Heu, Bohnen hungrigen Magen hat sie vorher schon Aprikosen und Brombeeren, Purpurtrauben, Feigen, Maulbeeren und Honig angeboten. Sie liebt das Kleine, Niedliche, Zarte; zu der Leuchte, mit welcher der eselsköpfige Zettel zu Bett geht und aufsteht, soll ihm der wächserne Schenfel der Hummel dienen, der an dem Feuerauge des Glühwurms angezündet wird; mit den Flügeln des bunten Schmetterlings sollen die Mondstrahlen vom schlafenden Auge gefächelt werden (3, 1). Die Elfen der Titania sind so klein, daß sie in den Näpfen der Eicheln Plaz finden; und wie sie in dem Raume und der Gestalt das Niedliche und Zierliche lieben, so auch in der Zeit. Auf das Drittel einer Minute heißt Titania ihre Elfen sich entfernen (3, 2); vor abstracten fest bestimmten Zeitangaben, welche dem Verftande angehören und der sinnlichen Anschauung wie Arithmetik sich entziehen, haben die Elfen eine Furcht, vermeiden sie und führen Alles

auf sinnliche Bezeichnung, auf Anschauungen und Bilder zurück, welche ihrer eignen nur sinnlichen Natur entsprechen. Wenn Oberon dem Puck etwas ins Gedächtniß zurückrufen will, bei jener Aufforderung, die „, Lieb im Müßiggang" zu holen, beschreibt er die ganze Situation: wie er mit ihm auf einem Vorgebirge saß, wie eine Sirene von einem Delphin getragen so süßen und harmonischen Athem aushauchte, daß die rohe See bei ihrem Gesange zahm wurde und die Sterne wie im Wahnsinn aus ihren Sphären schossen, um der Seemaid Musik zu hören (2, 2). Wenn Oberon die Zeit bestimmt, in welcher Puck zurückkehren und mit ihm zusammentreffen soll, sagt er:,,sei wieder hier, che der Leviathan eine Meile schwimmt" (2, 2), oder „, triff mich, ehe der erste Hahn kräht." Als Titania ihren Gemahl an die Entstehung ihres Zwistes erinnert, braucht sie einen Ausdruck, der mehrere sinnlich bezeichnende Merkmale enthält, den Schlegel zu farblos durch „seit jenem Sommer" (2, 1) überseht ').

Wenn Oberon die Schnelligkeit der Elfen bezeichnen will, vergleicht er sie mit der Schnelligkeit des Mondes (4, 1); und Puck eilt schneller als der Pfeil von des Tartaren Bogen (3,2). So sind denn auch die Genüsse dieser Elfen nur sinnlich; unter den Künsten lieben sie diejenigen am meisten, welche der Sinnlichkeit schmeicheln, den Tanz, die Musik, den Gesang; „nach des Windes Pfeifen“ führen sie ihren Reigen auf; und die reizenden Lieder der Elfen, welche nichts anderes zum Zweck haben als die Titania in den Schlaf zu lullen, ent

1) Titania sagt: since the middle summer's spring, was verschieden erklärt wird. Steevens erklärt spring durch beginning; ·der Dichter meine,, den Anfang der Sommermitte. “ Henley versteht unter the middle summer's spring die Jahreszeit,,, in welcher die Bäume ihre zweiten oder wie sie gewöhnlich genannt werden, ihre Mittelsommer - Schößlinge treiben.“ Die lektere Erklärung scheint die richtigere zu sein, wenn wir den Charakter der Elfen bedenken, welche alle Zeitbestimmungen nicht abstract, sondern durch sinnliche Merkmale angeben. Vgl. Annotations upon Midsummer night's dream. Lond. 1787. p. 29.

halten wie die ähnlichen in Göthes Faust') nichts, was über das Sinnenleben und die natürliche Anschauung hinausginge, nichts, was der sittlichen Weltanschauung angehörte. Weil uun die Liebe der Elfen zum Anmuthigen und Reizenden die durchgebildete Schönheit nicht einschließt, so bezieht sich ihre Neigung zur Menschenwelt wesentlich auf Kinder, deren Leben ja ein vorherrschend natürliches ist; und wir wissen, daß Oberon und Titania aus Eifersucht auf den Besiß eines schönen Knaben zerfallen sind. So besteht auch ihr ganzer Hofstaat, ihre Dienerschaft aus Geistern, die wie die Herrscher selbst der Natur angehören und nur eine niedere Stufe in der Rangordnung des Naturlebens einnehmen; die weibliche Titania hat einen ungenannten Blumengeist zum Diener, ihre Leibwache 2) sind die Schlüsselblumen, in deren Ohr der Elfe. die Thautropfen als Perlen hängt; zu ihrem Gefolge gehören Senffamen, Bohnenblüthe, Motte und Spinneweb (3, 1), welche schon durch ihre Namen andeuten, daß sie Repräsentanten des Pflanzen- und niedern Naturlebens find. Diese Dienerschaft ist ganz dem Charakter der Titania angeniessen, welche als Weib minder scharf hervortritt, mehr ein weibliches Gemüthsleben führt und das Sinnliche, Anmuthige der Natur bedeutet. Dagegen ist Oberon als der männliche. Charakter eine kräftigere, strengere Persönlichkeit; er läßt seine Gemahlin hart an 3), schilt sie aus wegen ihrer Liebe zu Zettel; als Repräsentant des Naturlebens steht er auf einer höhern

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2) Das Original nennt diese Leibwache pensioners (2, 1); es spielt mit diesem Ausdrucke auf eine Leibwache der Königin Elisabeth an, deren Mitglieder durch Geburt und Schönheit hervorragten und pensioners hießen.

3) 2, 2. Tarry, rash wanton etc.

Stufe; er ist der kundigere, in die Geheimnisse der Natur eingeweihte Geist, denn wir erfahren nicht, daß auch Titania die Kräfte der Pflanzen kennt, durch welche Oberon so bezaubernde Wirkungen hervorbringt und aufhebt: Oberon ist daher auch der durch Thätigkeit hervorragende Naturgeist, vor dessen überlegener Gewalt Titania sich nicht sicher zu stellen vermag. Daher ist auch der thätige, neckische Puck sein Diener. In dieser Welt, der Schatten," über welche Oberon herrscht, ist Puck der Vollstrecker des Schicksals, das in Oberous Händen ruht; dieses Schicksal ist aber nichts anderes als der Zufall, der als Natur und Naturerscheinung seine Wirkungen hervorbringt. Dem bloßen Sinnenleben, wenn das Auge durch Dämmerung und Nacht verschleiert ist, dem von keiner Besonnenheit und Kritik befestigten Sinne spielt der Zufall in der Form von Naturerscheinungen eine Menge neckischer, scheinbar schadenfroher Streiche; wie es Theseus sehr richtig bezeichnet, daß man in der Nacht von einem Graun befallen den Busch leicht für einen Bären hält (5, 1). Dies ser Zufall mit seiner scheinbaren Laune und Willkür heißt Puck. Es ist eine vortreffliche Consequenz in der Anschauung, daß Puck mit seinen Neckereien und Possen die Stelle eines Spaßmachers am Hofe des Oberon spielt '); denn dem Naturleben

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1) Aus der Schlegelschen Uebersehung geht dieß nicht deutlich genug hervor, wenn es heißt (2, 1): „Oft lacht bei meinen Scherzen Oberon;" Die Worte Pucks sind: I jeste to Oberon, d. h. ich bin der Lustigmacher des Oberon; mit dem Worte jester wird in manchen Lustspielen Shakspeare's der Narr bezeichnet, z. B. in Was ihr wollt. Derselbe Sinn liegt in den Worten,, thou lob of spirits (2, 1), womit der Elfe der Titania den Puck anredet. Das Wort lob bemerkt Johnson zu dieser Stelle (annotations upon MSND p. 19) ferner die Worte lubber, looby, lobcock, all denote both inactivity of body and dullness of mind. unthi= tigkeit des Körpers (inactivity of body) wird man dem Puck nicht zuschreiben können, wie auch Drake, Shaksp. and his times 2 p. 348 sagt; ist Puck doch schneller als der Pfeil des Tartaren und das Amt seiner Thätigkeit, wie er sie selbst beschreibt (2, 1), ist das einer rührigen Person. Über das Tölpelhafte ist in dem Worte lob ausgedrückt und es entspricht offenbar dem

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