Page images
PDF
EPUB

vor allem die Euklidherausgeber ORONTIUS FINAEUS (1544), 240 COMMANDINUS (1572),241 CLAVIUS (1574).242 Man lächelt über J. G. LEUTMANN (1725),243 der, wenn er lateinisch spricht, punctum sagt, deutsch aber der Punkt. SEGNER (1747),244 DE LA CAILLE (1762),245 sogar noch G. FR. HILDEBRAND (1785),246 suchen die Neutralität des Punktes, sogar im Deutschen, zu retten, aber seitdem sich CHRISTIAN VON WOLFF (1679-1754) 247 in seinen verbreiteten Schriften für das volkstümlichere der Punkt entschieden hatte, haben die deutschen Mathematiker allgemein,der Punkt angenommen. In der dänischen Sprache ist Punkt noch heute Neutrum (Punktet), während die schwedische Sprache der deutschen folgt (Punkten).

Die Zusammensetzung Endpunkt bildet J. CH. STURM (1670) in der Archimedesübersetzung,248 Durchschnittspunkt geht auf D. SCHWENTERS (1641) Punkt des Durchschnids zurück.249

=

Das Wort Figur (figura Umriß) stellt sich als lateinische Übersetzung des griechischen oxua als echter Bestandteil der lateinischen Sprache 250 ein. EUKLID sagt def. XIV: Exñμá ¿oti tò ὑπό τινος ἤ τινων ὅρων περιεχόμενον (Figur ist das von einer oder mehreren Grenzen Umschlossene). Vielleicht ist eine ältere Fachübersetzung von ziua das ebenfalls echt lateinische forma gewesen. Der Feldmesser BALBUS (zweites Jahrhundert n. Chr.) 251 und MARTIANUS Capella (470 n. Chr.) 252 geben in wörtlicher Übereinstimmung: Forma est, quae sub aliquo aut aliquibus finibus continetur, so daß man auf ältere Vorlagen zurückschließen kann. Hinterher tritt dann aber bei beiden figura auf. CASSIODORUS (475-570 n. Chr.) 253 und der Codex Arcerianus (sechstes Jahrhundert n. Chr.) 254 sagen figura, BOËTIUS (480 Rom- 524 Paris) zumeist figura, selten forma; 255 in der gefälschten Boëtius-Geometrie, die aus späterem feldmesserischen Kreise stammt, wird forma genommen. Figura ist festester Bestandteil der mathematischen Wortsprache seitdem geworden, schon zu

[ocr errors]

90

[ocr errors]

245 DE

246 G. Fr. 163 1716.

240 ORONTII FINAEI In sex priores libros geometricorum demonstrationes, Lutetiae Paris. 1544. 241 Pisauri 1572. 242 Romae 1574, auch Coloniae 1590. 243 Geometria repetita oder Kurz gefaßte geometrische Grundlehren, Frankfurt-Leipzig 1725. 244 SEGNER, Vorlesungen 1270b, IV, § 15. LA CAILLE 1773, Lectiones elementaris math., Viennae 1762, § 394. HILDEBRAND, Handbuch 19o, I, § 194. 247 Mathematisches Lexicon 163, 248 Vorbericht II 535. 249 SCHWENTER, 1641238, S. 3, Z. 8. 250 Vgl. GELLIUS, Noctes Atticae, XIII, 30, 2, ed. Hosius II, Leipzig 1903, S. 98, Z. 23: Ab aspectu species et a fingendo figura. 251 Die römischen Feldmesser 1803, S. 104, Z. 1; Figura Z. 10. 252 De nuptiis, lib. VI, Nr. 7111440: Figura; § 712: Circulus est planaris figura. 253 Ed. MIGNE 15 S. 1214. 254 M. CANTOR, Agrimensoren 1175, S. 210, § 15. 255 Ed. FRIEDLEIN 1920, Inst. Arithm. 101, 14.

[ocr errors]
[ocr errors]

1 508

Zeiten des PLATO VON TIVOLI (1145), 256 GERHARD von Cremona (1114 bis 1187),257 LEONARDO VON PISA (1228), 258 JORDANUS NEMORARIUS († 1237) 259 usw., so daß es beim Übergang in die deutsche Sprache 260 ungeändert blieb, bis auf die heutige Zeit. Bei BOËTIUS 261 taucht die Diminutivform formula auf; er bezeichnet damit 262 die hingeschriebene Einmaleinstabelle oder gewisse daneben vermerkte Zahlenreihen, die er einer Betrachtung unterzieht. Dies Wort erscheint dann im sechzehnten Jahrhundert wieder in der Bedeutung Rechenaufstellung, Rechenschema, so bei ORONTIUS FINAEUS (1544), 263 (JOHANNES SCHEYBL (1549),264 CLAVIUS (1608);265 ADRIANUS METIUS (1626) benutzt es in seiner Arithmetica et Geometria ebenso; die einzelnen Schritte im Entwerfen eines solchen Rechenschemas nennt

er operationes. 266 Ähnlich verwendet CASPAR SCHOTT (1674) 287 das Wort formula; er rechnet 462910372 vor; die Schemata der stufenweis ausgeführten Rechnung nennt er formula prima, secunda... Im Lexicon von G. VITALI (1668) III 1 erscheint das Wort noch nicht. Inzwischen hatte es aber in der DESCARTES schen Schule die Bedeutung,,algebraischer Ausdruck" angenommen, so bei DEBEAUNE 1649),268 HUDDE (1658),269 DE WITT (1658).270 Schon LEIBNIZ gebrauchte formula ganz in modernem Sinne. 271 Das deutsche Wort Formel wird von CHR. VON WOLFF (1747) in seinem Mathematischen Lexicon 272 benutzt, als sei es damals schon ganz allgemein üblich gewesen. Um so mehr wundert man sich, daß es in seinen früheren deutschen Schriften (1710 Anfangsgründe,116 1716 Math. Lexicon 163) nicht

[ocr errors]
[ocr errors]

256 Liber embadorum des SAVASORDA 1322b, Abh. Gesch. Math. 12, 1902. S. 12. 257 Im Liber trium fratrum1179 und in der Anaritius übersetzung 11 358 S. 16 ff. 258 Liber abacil17, S. 1: figurae geometriae. 259 De triangulis, ed. CURTZE 85, S. 1, 10. 260 Um 1400, Geometria Culmensis, ed. MenDTHAL 28, S. 52; 1483, Geometria deutsch 128, S. 3, letzte Zeile; 1489, Rechenbuch des WIDMAN von Eger1145, Bl. C 5 vo: Und ist eyn figur (hier zum erstenmal ohne lateinische Endung). 261 Ed. FRIEDLEIN 1820, S. 53, Z. 23, S. 68, Z. 8, S. 71, Z. 17, S. 133, Z. 19. 262 Daselbst S. 53, Z. 23. 263 De Geometria practica, Argentorati 1544, S. 62-98. 264 Compendium arithmeticae artis, Basileae 1549, Bl. D1: Alia diuisionis formula. 265 Algebra 1116, z. B. S. 122, Z. 14, 19. 266 ADRIANI METII Arithmeticae libri duo et geometricae VI, Lugd. Bat. 1626, z. B. S. 17ff. 267 Cursus mathematicus 1318, S. 584. 268 Lat. Ausgabe der Géométrie von 269 DESDESCARTES, Lugd. 1649162, Anhang Notae breves, S. 142, Z. 5 v. u. CARTES, Geometria 1428, lat. Ausg. Frankfurt a. M. 1695, 1, S. 440, Z. 5. 270 Ebendaselbst, 2, S. 2491162 ̧ 271 Math. Schriften, ed. GERHARDT VII, Halle 1863183, S. 316: Generalis pro altiori aliqua aequatione radicis formula (Eine allgemeine Formel für die Wurzel einer höheren Gleichung). 272 Zweite Bearbeitung 17471141, I, S. 211, Z. 6 v. u.: Die von Isaac Newton erfundene Formel.

[ocr errors]

zu finden, übrigens auch im Lexikon von 1747 141 nicht mit einem besonderen Artikel bedacht ist. Ebenso verwenden das Wort dann DE LA CAILLE (1762),273 KÄSTNER (1764),274 EULER (1770),275 Mit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ist es Allgemeingut geworden. KLÜGELII 143 (1803) widmet ihm in seinem Wörterbuch einen besonderen Abschnitt.

CRELLE (1826) findet mit seinem guten deutschen Wort Ausdruck bald Nachahmung.276

B. Besonderer Teil.

1. Die gerade Linie. Der Winkel.

Ein erheblicher Fortschritt in der Theorie der Geraden über die Euklidische Lehre hinaus gehört erst den letzten Jahrhunderten an. Seit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts werden negative Strecken anerkannt, allgemeiner bald nach der Schöpfung der analytischen Geometrie (DESCARTES, 1637). Langsamer dringen sie in die synthetische Geometrie ein; nur zuweilen bricht sich die Auffassung Bahn, daß man durch Einführung des Begriffes Negativ bei Strecken, und auch bei Winkeln, oft mehrere Sätze, als bloße Abwandlung eines und desselben Hauptsatzes, unter einer allgemeinen Aussage zusammenstellen könne (L. W. GILBERT 1798).277 Es war C. F. MOEBIUS (1790-1868 Leipzig) vorbehalten, durch strenge Unterscheidung der Strecke AB und der entgegengesetzten BA eine neue geometrische Behandlungsart zu begründen, die bedeutende Ergebnisse erzielte.278 Die Versuche von CARNOT (1803) 279 hatten noch nicht die einfachste Anschauung erreicht.

I 259 a

273 Lectiones 245, 1762, S. 51 unten. 274 Anfangsgründe1 I, S. 272, Z. 12. 276 Lehrbuch II 485, I, S. 349.

275 Anleitung zur Algebra 11520, I, S. 34. II 277 L. W. GILBERT, Die Geometrie 11536, Halle 1798, S. 290-291. In Zusammenhang damit steht bei ihm auch die Benutzung des Doppelzeichens in gewissen geometrischen Formeln, z. B. S. 323. 278 C. F. MOEBIUS, Der barycentrische Calcul, ein neues Hilfsmittel zur Behandlung der Geometrie, Leipzig 1827, §1. MOEBIUS, Werke, ed. R. Baltzer, F. KLEIN, W. SCHEIBNER, Leipzig 1885 bis 1887, 1, S. 26. 279 L. N. M. CARNOT, Géométrie de position, Paris, An IX, 1803. Deutsch von H. C. SCHUMACHER, Geometrie der Stellung, 2 Bde., Altona 1807, 1810, I, Einleitung und Übersicht am Schluß, ferner S. 67f., 74, 80 f.

-

MOEBIUS legt fest, daß die Vertauschung zweier Punkte in den Ausdrücken AB (Strecke), ABC (Dreieck), ABCD (Tetraeder) eine Änderung der Vorzeichen bewirkt, 280 und leitet die Formeln ab: BC+ CA + AB = 0

BCD + CDA + DAB+ ABC = 0

P2 PPP + PP ̧ P ̧ P1 + P1 P ̧ P2 P2+ P¿P1 P2 P ̧ + P1 ̧Ð1⁄2Ð ̧Ð ̧ = 0.981

2

3

4 5 1 2

2 3

1 2 3

Negative Inhalte von Dreiecken und Tetraedern unter Berücksichtigung des Umlaufsinnes hatte schon G. MONGE 1809 betrachtet.282 Die Arbeiten von A. L. F. MEISTER (1724-1788; Göttingen), der den Inhaltsbegriff auch auf überschlagene Vielecke ausdehnte, waren fast gar nicht beachtet worden (1769). Vgl. S. 105.

Die Streckenformel von MOEBIUS: 283

AB CD+AC. DB + AD. BC= 0,

die in der analytischen Geometrie sich sofort als eine Identität:

(X2 — X3)·(X1 — X4) + (X3 — X1) (X2 — X ̧) + (X1⁄2 — X2) (X3 − x ̧) = 0

ergibt, ist älter. Sie kommt in der Form:

BC ADAB. CD = AC BD

in der Mitte des zehnten Jahrhunderts bei dem Araber GABIR BEN IBRAHIM ALṢĀBI 284 vor und wird dort mit dem Satze von den Ergänzungsparallelogrammen ebenso bewiesen wie später wieder von EULER (1707-1783),285 Sie geht übrigens auch aus dem Ptolemäischen Lehrsatz hervor, wenn der Kreis in eine Gerade ausartet.

G. DESARGUES (1593-1661?; Paris, Lyon, Baumeister) hat in der Theorie der Geraden ganz neue Wege eingeschlagen, indem er Büschel von Geraden und sofort auch von Ebenen (ordonnance de droites et de plans), die sich im Endlichen oder Unendlichen schneiden, seinen Untersuchungen zugrunde legte 286 und damit die Anfänge einer projektiven Geometrie (siehe diese) schuf, die in J. STEINER (1796 Utzendorf, Kanton Bern - 1863, Berlin) ihren größten Meister sieht. STEINER nahm Punktreihen, Strahlen- und Ebenenbüschel als Grundgebilde an; 287 diese nannte G. K. CH. VON 280 MOEBIUS, Werke 278, 1, S. 25, 40, 42. 281 Daselbst S. 25, 41, 43. École Polyt., cah. 15, t. VIII, Paris 1809, S. 78f., 93 f. 283 Werke 1278, S. 223. 284 Nach H. SUTER, Bibl. math. 8, 1907-1908, S. 24-25. 285 Novi comm. acad. sc. Petrop. 1 1747-48 (1750), S. 49f. 286 G. DESARGUES, Brouillon proiect 11825, I, S. 104. 287 J. STEINER, Systematische Entwicklung der Abhängigkeit geometrischer Gestalten voneinander, Berlin 1832. Werke, herausgeg. von K. WEIERSTRASS, Berlin 1881-1882, 1, S. 237.

[ocr errors]

[ocr errors]

-

[ocr errors]

282 J.

[ocr errors]

STAUDT (1798-1867 Erlangen) mit Bezug auf ihre Mächtigkeit 1847 288 einförmige oder Grundgebilde erster Stufe.

In der Definition des Winkels (yovia, angulus; Scheitel = zoový, vertex) ist bis heute keine Einigkeit erzielt. In der Hauptsache sind es zwei Erklärungsversuche, die in verschiedenen Formen auftreten. Die Auffassung des Winkels als Neigung oder, genauer gesagt, als Richtungsunterschied zweier Geraden geht auf EUKLID lib. I, def. 8 - vgl. S. 25), durch ihn wahrscheinlich auf die Platonische Schule (viertes Jahrh. v. Chr.) zurück.

EUKLID spricht von xλios (Biegung), danach BALBUS (erstes Jahrh. n. Chr.)289 und MARTIANUS CAPELLA (um 470 n. Chr.)290 von inclinatio (Neigung zweier Geraden), APOLLONIUS (um 225 v. Chr.) und nach ihm HERON (um 100 n. Chr., vgl. S. 25) von der Einengung der Ebene an dem Knickpunkt einer Geraden (συναγωγὴ ἐπιφανείας πρὸς ἑνὶ σημείῳ ὑπὸ κεκλασμένῃ γραμμή).201 An EUKLID schließt sich über die Araber LEONARDO VON PISA 292 und die Mehrzahl der mittelalterlichen Mathematiker an. BOËTIUS nannte den Winkel den Zusammenschluß (conclusio) zweier sich nicht deckender Geraden zueinander, 293 GERBERT († 1003 Rom) die Vereinigung zweier aus verschiedener Richtung nach einem Punkte gezogener Geraden (coadunatio linearum e diverso ductorum) 294; letzterer bringt dann aber sofort auch noch jene zweite Auffassung des Winkels als Teil einer Fläche, die vielleicht aus der eben erwähnten Apollonischen Erklärung hervorging: Angulus est spatium, quod sub duabus lineis se invicem tangentibus continetur (Winkel ist der Flächenteil, der von zwei sich berührenden Geraden umschlossen wird),295 Diese Flächenerklärung nehmen A. ARNAULD (1667) 296 und L. BERTRAND (1778) 297 auf, indem sie den Winkel als unendliches Ebenenstück definieren. Ihnen schließen sich S. FR. LACROIX (1765 bis 1843),298 R. BALTZER (1818-1887, Gießen) 299 und mehrere

[blocks in formation]
[ocr errors]

[ocr errors]
[ocr errors][merged small][merged small]

290 De nuptiis 1440, lib. VI, § 711.
292 Practica geometriae1489, II, 1.
294 Opera, ed. BUBNOW 157, S. 65, Z. 18.

291 Vgl. PRO

293 Ed. FRIED

295 Daselbst

S. 66, Z. 1. 296 Nouveaux Élémens de Géométrie 1714. Vgl. K. Bopp, Abh. Gesch. Math. 14, 1902, S. 275. 297 L. BERTRAND, Développement nouveau. Genève 1778 11939. Bd. II, S. 6: Un angle est une portion de superficie plane contenue entre deux lignes droites, qui se coupent et sont terminées à leur point de section. 298 Cours de mathématiques, Paris 1796-1799, z. B. deutsche Übersetzung der Elemente von S. FR. LACROIX durch V. IDELER, Berlin 1828, I, § 7, S. 7. 299 R. BALTZER III 192, Die Elemente der Mathematik, Bd. II (3. Aufl. Leipzig 1870, S. 5). TEN 94, 2, 1893, S. 94-183.

300 Vgl. die sehr eingehende Darstellung bei H. SCHOT

« PreviousContinue »