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Durch die Gefahren bedrängt und durch Belohnungen aufgemuntert, hatten sich die Bewohner der benachbarten Städte nach Jerusalem begeben; man zählte an 40,000 bewaffnete Vertheidiger, wogegen sich im Heere der Kreuzfahrer nur etwa 20,000 rüstige Fußgänger und 1500 Ritter 5 befanden, obgleich mit Einschluß der Alten, Kranken, Genesenden und der Weiber die Zahl der Belagerer und Belagerten gleich sein mochte.

Am Tage nach der Ankunft, am 7. Junius des Jahres 1099, umlagerten die Fürsten Jerusalem auf der Seite gegen 10 Mitternacht und gegen Abend. Der Herzog von Lothringen stand mit den Seinen vor der Burg Davids, wo die heftigsten Angriffe zu besorgen waren; neben ihm zur Linken Tankred und der Graf von Toulouse; dann der Graf von Flandern; nordwärts endlich, vor dem Stephansthore, Graf Robert von 15 der Normandie. Uneingeschlossen blieb dagegen die Stadt von der Ost- und Südseite, denn die höheren Berge, der geringe Raum und das Thal Josaphat erschwerten hier jeden Angriff, und erst später wurden Abtheilungen zur Bewachung des Delberges ausgesandt. — Um die Kirche der Mutter Gottes 20 (welche im Süden und außerhalb der Stadt lag) besser schüßen zu können, schlug der Graf von Toulouse bald nachher eigenmächtig sein Lager näher am Zionsthore auf und wurde deshalb fast von allen seinen Rittern verlassen; da sie aber seine Reichthümer nicht entbehren konnten, söhnten 25 sie sich wieder mit ihm aus.

Am fünften Tage der Umlagerung Jerusalems wagten die Pilger einen allgemeinen Sturm und eroberten nach langem und hartnäckigem Kampfe die äußere Mauer. Als sich aber die Belagerten nunmehr hinter die höhere innere 30 Mauer zurückzogen, blieben alle Angriffe vergeblich und die,

welche zu kühn auf Leitern hinanstiegen, wurden in die Tiefe hinabgestürzt. Man sah ein, daß die Stadt ohne Belage rungswerkzeuge nicht zu erobern sei; aber große Sorge ent stand, woher man das Holz zu diesen Werkzeugen nehmen 5 sollte, denn weit und breit um Jerusalem zeigten sich durchaus keine tauglichen Bäume. Da führte endlich ein syrischer, der Gegend kundiger Christ die Franken gen Neapolis (Sichem), wo sie in einem Thale, wenige Meilen von Jerusalem, Stämme fanden, zwar nicht so stark und hoch als sie ge10 wünscht, aber doch besser als sie erwartet hatten. Auch Tankred entdeckte bei einem Streifzuge in einer weiten Höhle mehrere große Balken, die noch seit der Zeit der ägyptischen Belagerung Jerusalems daselbst aufbewahrt wurden. Mit großem Fleiße begannen nunmehr die Sachkundigen den Bau 15 des Kriegszeuges; so groß war jedoch die Armuth der Fürsten, daß man die Kosten dieser Arbeiten lediglich aus den von dem Volke dargebrachten milden Beiträgen bestreiten mußte, und nur der Graf von Toulouse blieb im Stande, nicht allein seine Arbeiter selbst zu bezahlen, sondern auch vielen Rittern 20 eine baare Unterstüßung darzureichen. Alle aber, die Vornehmsten wie die Geringsten, zeigten gleichmäßig die äußerste Thätigkeit, und wer nicht an dem Bau jener Belagerungswerkzeuge unmittelbar Theil nehmen konnte, half wenigstens den Boden ebenen, schaffte Gesträuch zu Schanzkörben herbei 25 oder suchte auf irgend eine andere Weise das große Unternehmen zu fördern. Dennoch hielten die Belagerten sich ruhig und hofften den Untergang der Pilger von einem neuen Uebel, das furchtbar über diese hereinbrach.

Die wasserarme Gegend war durch die höchste Hiße des 30 Sommers noch mehr ausgedörrt, der Bach Kidron versiegt, Siloe unschmackhaft und alle anderen benachbarten Quellen

von den Saracenen verschüttet oder zerstört. In Schläuchen und auf Lastthieren mußten die Wallfahrer das Trinkwasser an sechs Meilen weit holen und wurden dabei oft und gefährlich von den auflauernden Arabern beunruhigt. Niemals aber reichte das so herbeigeholte Wasser für den Bedarf des 5 Heeres: man verkaufte es zu hohen Preisen, man stritt und schlug sich über den Besiß und über die Reihe des Schöpfens. Zuerst stürzten deshalb die Pferde und andere Lastthiere in großer Zahl verschmachtet zu Boden, und ein verpestender Gestank erfüllte die ganze Gegend; später erlagen auch die 10 Menschen, weil sie nirgends Schatten gegen die stechende Sonne fanden, nirgends Schuß wider die glühenden Südwinde. Immer erzeugten leichte Wölkchen die Hoffnung des Regens, und immer wurde man getäuscht. Da suchten die Pilger sich in die kühlere Erde einzugraben und legten frische 15 Erdschollen auf ihre Brust; aber bald hatte die Hiße auch jene durchdrungen. Sie tranken hierauf Blut und leckten den feuchten Niederschlag von den Steinen; allein diese widerliche Hülfe reizte und erhöhte fast noch das Bedürfniß. Schrecklicher erschien der Durst vor Jerusalem als der Hunger vor 20 Antiochien! Deshalb eilten Viele zum Jordan oder flohen gen Joppe; sie erlagen aber gewöhnlich den Nachstellungen der Türken. Andere, wehmüthig klagend, daß sie weder ihre Heimath wiedersehen, noch (so nahe dem Ziele) Jerusalem betreten sollten, näherten sich den Mauern der heiligen Stadt, 25 um diese wenigstens zu küssen; sie wurden jedoch nicht selten von den Steinen zerschmettert, welche die Saracenen auf sie hinabwarfen.

Um diese Zeit der äußersten Bedrängniß traf die erfreuliche Nachricht ein, daß in dem Hafen von Joppe eine ge: 30 nuesische, mit Lebensmitteln, Wein und anderen Gütern

beladene Flotte gelandet sei und die Mannschaft sich mit den Franken vereinigen wolle. Sogleich befahl man, daß Raimund Piletus, aus dem Heere des Grafen von Toulouse, mit etwa 80 Reitern und einer verhältnißmäßigen Anzahl Fuß5 gängern die Neuangekommenen von Joppe abhole, Waldemar Karpinell aber mit 30 Mann vorauseile, um die Richtung und die Sicherheit der Wege zu erforschen. Diese letteren wurden zwischen Lidda und Ramla von einer weit größeren Anzahl Saracenen angegriffen, und Allen stand der Unter10 gang unausbleiblich bevor, wenn nicht Raimund Piletus in diesem Augenblicke angelangt wäre und die Feinde besiegt und zum Theil gefangen genommen hätte.

Raimund Piletus erreichte mittlerweile Joppe, welche Stadt die Einwohner aus Furcht vor den Kreuzfahrern ver15 lassen und zerstört hatten. Man beseßte deshalb nur die Burg, um den wichtigen Landungsplaß zu sichern. Während die Genueser hier mit Ausschiffung der Pilger beschäftigt waren, segelte die stärkere ägyptische Flotte von Askalon herbei, mit welcher eine Seeschlacht zu wagen den schwächeren 20 Christen so unräthlich erschien, daß sie, nachdem alle Güter in

Sicherheit gebracht waren, lieber die leeren Schiffe den Feinden überließen; nur ein einziges entkam nach Laodicea. Ungehindert zogen die Pilger hierauf nach Jerusalem und gesellten sich zu dem Heerhaufen des reichen Grafen von Tou25 louse. Nicht bloß um der Lebensmittel willen, welche sie herbeiführten, war ihre Ankunft erwünscht, sondern auch weil sie bessere Werkzeuge zum Baue des Geschüßes mitbrachten und bei größerer Kenntniß und Geschicklichkeit die vorher so langfam fortrückende Arbeit schnell beendigten. Ob der wach30 senden Gefahr wurden aber die Belagerten ebenfalls thätiger. Sie übersahen aus der höher liegenden Stadt das christliche

Lager, ahmten das Verfahren der Pilger beim Baue der Kriegswerkzeuge nach, und so hatten die ihrigen zulezt immer den Vorzug, aus stärkeren und besseren Vorräthen errichtet zu sein. An Arbeitern litten beide Theile keinen Mangel: denn sowie die in der Stadt gebliebenen Christen selbst 5 Hand anlegen oder andere Arbeiter bezahlen mußten, so wurden auch die faracenischen Gefangenen im christlichen Lager gezwungen, die schwersten Geschäfte zu übernehmen.

Erst um diese Zeit beseßte man den Oelberg, weil die Feinde oft aus dem östlichen Thore durch das Thal Josaphat 10 vordrangen und vereinzelte Pilger gefangen nahmen oder erschlugen. Zwei ägyptische Boten, welche von dieser neuen Stellung der Christen keine Nachricht empfangen hatten und sorglos nahten, wurden ergriffen, der eine in heftiger Eile getödtet und der zweite durch Drohungen zu dem Bekenntnisse 15 gezwungen, daß nach 14 Tagen ein großes Heer zum Entsage von Jerusalem erscheinen werde. Diese Aussage befreite jedoch den Unglücklichen keineswegs, wie er gehofft hatte, von einer harten Behandlung, sondern an Händen und Füßen gebunden wollte man ihn in die Stadt schleudern; weil aber 20 die Kraft des Wurfzeuges nicht hinreichte, fiel er nahe bei der Mauer auf spiße Felsstücke nieder und starb eines kläglichen Todes.

Die Furcht vor der baldigen Ankunft der Aegypter erzwang jezt den Beschluß, Jerusalem sogleich entscheidend zu 25 bestürmen, und zu diesem wichtigen Unternehmen wollte man den Beistand des Himmels erflehen. Deshalb versammelten und ordneten sich Fürsten und Pilger in ihrer besten Waffenrüstung, und die Bischöfe nebst anderen Geistlichen führten, weiß gekleidet und Kreuze tragend, den Zug unter feierlichem 30 Gesange erst in die Kirche der heiligen Maria im Süden der

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