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Stadt, dann zum Delberge. Die Saracenen, welche anfangs kaum wußten, was diese geordneten Bewegungen, dieses Singen und Lobpreisen bedeuten solle, verhöhnten die Christen und trieben mit dem Zeichen des Kreuzes beleidigenden Spott; 5 ja sie verwundeten selbst einige Pilger, welche sich den Mauern zu sehr genähert hatten, mit Pfeilen. Aber durch dies Alles ließen sich die Wallfahrer nicht irre machen in ihrem Beginnen.

Gleich nach der Rückkunft von jener heiligen Wanderung 10 begannen die Christen nähere Vorbereitungen zum Angriffe. Der Herzog von Lothringen, Robert von Flandern und Robert von der Normandie bemerkten hiebei, daß die Stadt ihrem Lager gegenüber nicht allein durch die Mauern, sondern auch durch die stärkste Besaßung und das tüchtigste Kriegszeug 15 beffer als an allen anderen Seiten gedeckt sei; deshalb veränderten sie klüglich ihre Stellung in der Nacht vor dem beschlossenen Sturme, legten mit großer Mühe die Belagerungswerkzeuge auseinander, trugen sie morgenwärts, wo die Mauer niedriger und der Boden ebener war, und sezten dann 20 Alles mit großer Anstrengung wiederum zusammen. Ein viereckiger, ans Thal Josaphat stoßender Stadtthurm befand sich nunmehr zu ihrer linken, das Stephansthor zu ihrer rechten Hand. Erstaunt sahen die Muhamedaner beim Anbruche des Tages, daß des Herzogs Lager verschwunden war, 25 und wähnten er sei davon gezogen: bald nachher entdeckten sie ihn aber mit dem Belagerungszeuge an der gefährlicheren Stelle. Gleichzeitig hatte der Graf von Toulouse mit großem Kostenaufwande eine Vertiefung ausfüllen lassen, welche sich zwischen den Mauern und dem von ihm errichteten Thurme 30 hinzog, sodaß dieser nunmehr ohne Mühe der Stadt genähert

werden konnte. Es waren aber die Thürme des Herzogs von

Lothringen und des Grafen Raimund von gleicher Bauart, hoch, vierseitig und vorn mit einer doppelten Bedeckung von starken Brettern versehen. Die äußere Bedeckung konnte man oberwärts ablösen und, einer Fallbrücke gleich, auf die Mauern niederlassen; die innere, mit Häuten überzogene schüßte dann 5 noch hinlänglich gegen Wurfgeschosse und Feuer.

Jezt begann der Sturm. Zuerst schleuderten die Chriften aus all ihrem Geschütz Pfeile und große Steine gegen die Mauer; allein ihre Kraft ging an den Säcken voll Stroh und Spreu, an dem Flechtwerk und anderen weichen Gegen 10 ständen verloren, welche die Belagerten zum Schuße aufgehängt hatten. Kühner, als könnte persönlicher Muth allein entscheiden, nahten hierauf die Pilger den Mauern; aber Steine und Balken schmetterten sie zu Boden, brennende Pfeile sezten ihr Kriegszeug in Brand, hinabgeworfene 15 Gefäße, mit Schwefel und kochendem Oele angefüllt, vermehrten die Gluth, und durch unaufhörliches Gießen von Wasser, durch Anstrengungen aller Art konnte man die Gefahren nicht besiegen, sondern kaum hemmen. So verging der erste Tag ohne Entscheidung, und nur ein Umstand erhöhte den Muth 20 der Christen: daß die Saracenen ungeachtet aller Bemüh ungen nicht im Stande waren, ein heiliges Kreuz zu vers lezen, welches man auf dem Thurme Gottfrieds von Bouillon errichtet hatte. Die Nacht verfloß in gegenseitiger Furcht cines Ueberfalles, und die Wachen wurden verdoppelt; 25 Wenigen aber war es gegeben, sich nach solcher Anstrengung und in der nahen Aussicht auf größere Thaten durch ruhigen Schlaf zu stärken.

Auch erneute sich mit der Morgenröthe der Kampf, heftiger noch als am vergangenen Tage: denn die Christen 30 waren erbittert, daß ihre früheren Hoffnungen getäuscht

worden, und die Saracenen ahnten ihr Schicksal im Falle der Eroberung Jerusalems. Deshalb beschlugen die letteren einen ungeheueren Balken ringsum mit Nägeln und eisernen Haken, befestigten zwischen diesen Werg, Stroh und andere 5 brennbare Dinge, gossen Pech, Del und Wachs darüber hin, steckten Alles an mehreren Stellen zugleich in Brand und warfen dann den Balken mit ungeheurer Anstrengung zum Thurme des Herzogs von Lothringen. Schnell wollten ihn die Christen hinwegziehen; es mißlang jedoch, weil die Belager10 ten eine starke Kette um dessen Miite geschlungen hatten und ihn festhielten. Da hoffte man wenigstens die Flammen zu löschen, welche gewaltig um sich griffen und alle Werkzeuge der Pilger zu zerstören drohten; aber kein Wasser minderte die Gluth, und erst durch den glücklicherweise für solche Fälle 15 herbeigeschafften Essig wurde der Brand gehemmt. So dauerte das Gefecht schon sieben Stunden ohne Erfolg und viele Christen wichen ermüdet zurück. Der Herzog von der Normandie und der Graf von Flandern verzweifelten an einem glücklichen Ausgange und riethen zur Rastung bis auf 20 den folgenden Tag; der Herzog von Lothringen hielt nur mit Mühe seine Mannschaft beisammen, und die Belagerten freuten sich schon der Errettung; da winkte ein Ritter vom Delberge her mit leuchtendem Schilde gegen die Stadt. „Seht ihr“, rief der Herzog,,,seht ihr das himmlische Zeichen, 25 gewahrt ihr den höheren Beistand?" Und Alle drangen rastlos wieder vorwärts; selbst Kranke, selbst Weiber ergriffen die Waffen, um die heilbringenden Gefahren zu theilen. In demselben Augenblicke warf das Geschüß der Franken mit furchtbarer Gewalt die größten Steine über die Mauern, und 30 weil alle anderen Mittel fruchtlos blieben, so wollten die

Belagerten durch Zauberei dagegen wirken; aber ein Stein

tödtete die beiden herzugerufenen Beschwörerinnen nebst drei Mädchen, welche sie begleitet hatten: und dies galt den Pilgern für ein zweites Zeichen des Himmels. Binnen einer Stunde war die äußere Mauer gebrochen, der Boden geebnet und des Herzogs Thurm der inneren Mauer ge- 5 nähert. Alle Säcke, Balken, Stroh, Flechtwerk oder was die Belagerten sonst zum Schuße aufgehängt hatten, ward in Brand gesteckt; der Nordwind trieb mit Heftigkeit den Rauch und die Flammen gegen die Stadt, und geblendet und fast erstickt wichen alle Vertheidiger. In höchster Eile ließen die 10 Pilger nunmehr jene Fallbrücke vom Thurme des Herzogs auf die Mauer nieder und stüßten sie mit Balken: zwei Brüder aus Flandern, Ludolf und Engelbert, betraten aus dem mittleren Stockwerke des Thurmes zuerst die Mauern; ihnen folgten, aus dem oberen Stockwerke herbeieilend, Herzog 15 Gottfried und Eustathius, sein Bruder, dann viele Ritter und geringere Pilger. Man sprengte das Stephansthør, und mit dem Rufe: „Gott will es, Gott hilft uns!" stürzten die Christen unaufhaltsam in die Straßen.

Unterdessen war der Graf von Toulouse an der anderen 20 Seite der Stadt auf das äußerste bedrängt und sein Thurm so beschädigt worden, daß ihn Keiner mehr zu besteigen wagte. In diesem Augenblicke der höchsten Gefahr erhielten aber die Türken Nachricht von dem Siege des Herzogs, und schnell versprachen sie dem Grafen die Uebergabe des Thurmes Davids 25 gegen künftige Lösung und sicheres Geleit bis Askalon. Raimund bewilligte ihre Forderungen, erfuhr aber später wegen dieser löblichen Milde den ungerechten Tadel der Kreuzfahrer. Mit solcher Eile drangen nunmehr auch die Provenzalen in die Stadt, daß 16 von ihnen im Zionsthore 30 erdrückt wurden. Unkundig der Straßen, gelangte Tankred

fechtend bis zur Kirche des heiligen Grabes, hörte erstaunt das „Herr, erbarme dich unser!" singen, fand hier die jerusalemischen Christen versammelt und gab ihnen eine Wache zum Schuße gegen etwaige Anfälle der Saracenen. Aber 5 schon retteten sich diese fliehend von den Straßen in die Häuser, vor Allem an 10,000 in den Tempel und deffen von Mauern eingeschlossenen Bezirk. Auch dahin drangen die Christen. Alle sind Frevler und Heiligthumsschänder, kein Einziger werde verschont!" so riefen das Volk, die Fürsten 10 und die Geistlichen, und man megelte, bis das Blut die Treppen des Tempels hinabfloß, bis der Dunst der Leichname selbst die Sieger betäubte und forttrieb. Doch bemächtigten sie sich vorher mit gieriger Haft der großen Tempelschäße, welche einen dauernden Reichthum hätten begründen können, 15 wenn gewaltsamen Erwerbern die Geschicklichkeit des Erhaltens nicht allemal zur Strafe ihrer Frevel versagt wäre.

Von dem Tempel eilte man zur Synagoge, wohin sich die Juden gerettet hatten; sie wurden verbrannt. Aufgehäuft lagen jezt die Leichen selbst in den abgelegensten Straßen, 20 schrecklich war das Geschrei der Verwundeten, furchtbar der Anblick der einzelnen, zerstreut umhergeworfenen menschlichen Glieder; dennoch kehrte höhere Besinnung noch immer nicht zurück! Es war schon früher, zur Mehrung der Grausamkeit und des Eigennußes, der Grundsaß angenommen und vor der 25 Eroberung Jerusalems nochmals ausdrücklich bestätigt worden, daß Jeder eigenthümlich behalten sollte, was er in Besig nähme. Deshalb theilten sich die Kreuzfahrer nach Auseinandersprengung der größeren Maffen ihrer Feinde in einzelne kleinere Raubhorden. Kein Haus blieb unerbrochen, Greise und Weiber, Hausgesinde und Kinder wurden nicht bloß getödtet, sondern mit wilder Grausamkeit verhöhnt und ges

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