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Ahnherrn die Regierung antrat, erbte er nicht mehr als 2,240,000 Seelen, weniger als jeßt die eine Provinz Schlesien umfaßt. Was war es also, das sogleich nach den Schlachten des dreißigjährigen Krieges die Eifersucht aller 5 Regierungen, zumal des Kaiserhauses, erregte, das seither dem brandenburgischen Wesen so warme Freunde, so erbitterte Gegner zugeführt hat? Durch zwei Jahrhunderte wurden Deutsche und Fremde nicht müde auf diesen neuen Staat zu hoffen, ebenso lange haben Deutsche und Fremde nicht 10 aufgehört ihn zuerst mit Spott, dann mit Haß einen künftlichen Bau zu nennen, der starke Stürme nicht auszuhalten vermöge, der ohne Berechtigung sich unter die Mächte Europa's eingedrängt habe. Und wie kam es endlich, daß schon nach dem Tode Friedrichs des Großen unbefangene 15 Beurtheiler ermahnten, man möge doch aufhören, dem vielgehaßten den Untergang zu prophezeien? Nach jeder Niederlage sei er um so kräftiger in die Höhe geschnellt, alle Schäden und Kriegswunden würden dort schneller geheilt, als wo anders; Wohlstand und Intelligenz nehme dort in größeren 20 Verhältnissen zu, als in einem andern Theile von Deutschland!

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Allerdings war ein eigenthümliches Wesen, eine neue Schattirung des deutschen Charakters, was auf dem eroberten Slavengrunde, in den Hohenzollern und ihrem Volke zu 25 Tage kam. Mit herausfordernder Schärfe erzwang sich dies Neue Geltung. Es schien, daß die Charaktere dort größere Gegensäße umschlossen; denn Tugenden und Fehler seiner Regenten, Größe und Schwäche seiner Politik kamen in schneidenden Contrasten zu Tage, die Beschränktheiten er30 schienen auffälliger, das Widerwärtige massenhafter, das Bewunderungswerthe erstaunlicher; es schien, daß dieser

Staat das Seltsamste und Ungewöhnlichste erzeugen, und nur die ruhige Mittelmäßigkeit, die sonst so erträglich und förderlich sein mag, nicht ohne Schaden vertragen könne.

Viel that die Lage des Landes. Es war ein Grenzland, zugleich gegen Schweden, Slaven, Franzosen und Holländer. 5 Kaum eine Frage der europäischen Politik gab es, die nicht auf Wohl und Wehe des Staats einwirkte, kaum eine Verwicklung, welche thätigen Fürsten nicht Gelegenheit gab Ansprüche geltend zu machen. Seit dem ersten Jahre, in welchem Kurfürst Friedrich Wilhelm seine eigenen Festungen 10 durch List und Gewalt in Besiz nehmen mußte, wurde offenbar, daß dort an der Ecke des deutschen Bodens ein kräftiges, umsichtiges, waffentüchtiges Regiment zur Rettung Deutschlands nicht entbehrt werden könne. Seit dem Beginn des französischen Krieges von 1674 erkannte Europa, daß 15 die schlaue Politik, welche von dieser kleinen Ecke ausging, auch das staunenswerthe Wagniß unternahm, die Westgrenze Deutschlands gegen den übermächtigen König von Frankreich heldenhaft zu vertheidigen.

Es lag vielleicht auch etwas Auffallendes in dem Stamm- 20 charakter des brandenburgischen Volkes, an dem Fürsten und Unterthanen gleichen Theil hatten. Die preußischen Landschaften hatten den Deutschen bis auf Friedrich den Großen verhältnißmäßig wenig von Gelehrten, Dichtern und Künstlern abgegeben. Selbst der leidenschaftliche Eifer der Re- 25 formationszeit schien dort abgedämpft. Die Leute, welche in dem Grenzlande saßen, meist von niedersächsischem Stamme, mit geringer Beimischung von Slavenblut, waren ein hartes, knorriges Geschlecht, nicht vorzugsweise anmuthig in den Formen ihres Lebens, aber von einem ungewöhnlich 30 scharfen Verstande, nüchtern im Urtheil. In der Hauptstadt

schon seit alter Zeit spottlustig, von beweglicher Zunge, in allen Landschaften großer Anstrengungen fähig, arbeitsam, zäh, von dauerhafter Kraft.

Aber mehr als Lage und Stammcharakter des Volkes 5 schuf dort der Charakter der Fürsten. In anderer Weise, als irgendwo seit den Tagen Karl des Großen geschah, haben sie ihren Staat gebildet. Manches Fürstengeschlecht zählte eine Reihe glücklicher Vergrößerer des Staats, auch die Bourbonen haben weites Gebiet zu einem großen Staats10 körper zusammengezogen; manches Fürstengeschlecht hat einige Generationen tapferer Krieger erzeugt, keines war tapfrer als die Wasa und die protestantischen Wittelsbacher in Schweden. Aber Erzieher des Volkes ist keins gewesen, wie die alten Hohenzollern. Als große Gutsherren auf 15 verwüstetem Lande haben sie die Menschen geworben, die Cultur geleitet, durch fast hundert fünfzig Jahre als strenge Hauswirthe gearbeitet, gedacht, geduldet und gewagt, um ein Volk für ihren Staat zu schaffen, wie sie selbst: hart, sparsam, gescheid, keck, das Höchste für sich begehrend.

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In solchem Sinne hat man Recht, den Charakter des preußischen Staats zu bewundern. Von den vier Fürsten, welche ihn seit dem deutschen Kriege bis zu dem Tage regierten, wo der greise König in Sanssouci die müden Augen schloß, hat jeder mit seinen Tugenden und Fehlern wie eine 25 nothwendige Ergänzung seines Vorgängers gelebt. Kurfürft Friedrich Wilhelm, der größte Staatsmann aus der Schule des deutschen Krieges, der prachtliebende erste König Friedrich, der sparsame Despot Friedrich Wilhelm I., zulezt er, in welchem sich die Anlagen und großen Eigenschaften fast aller 30 seiner Vorfahren zusammen fanden, im achtzehnten Jahrhundert die Blüthe des Geschlechts.

Es war ein freudeleeres Leben im Königsschloß zu Berlin, als Friedrich heranwuchs, so arm an Liebe und Sonnenschein, wie in wenig Bürgerhäusern jener rauhen Zeit. Man darf zweifeln, ob der König, sein Vater, oder die Königin größere Schuld an der Zerrüttung des Familienlebens hatten, beide 5 nur durch Fehler ihres Naturells, welche in den unaufhörlichen Reibungen des Hauses immer größer wurden. Der König, ein wunderlicher Tyrann, mit weichem Herzen, aber einer rohen Heftigkeit, die mit dem Stock Liebe und Vertrauen erzwingen wollte, von scharfem Menschenverstand, aber so 10 unwissend, daß er immer in Gefahr kam, Opfer eines Schurken zu werden, und in dem dunklen Gefühl seiner Schwäche wieder mißtrauisch und von jäher Gewaltsamkeit ; die Königin dagegen, keine bedeutende Frau, von kälterem Herzen, mit einem starken Gefühl ihrer fürstlichen Würde, 15 dabei mit vieler Neigung zur Intrigue, ohne Vorsicht und Schweigsamkeit. Beide hatten den besten Willen und gaben sich ehrlich Mühe, ihre Kinder zu tüchtigen und guten Menschen zu machen, aber beide störten unverständig das gesunde Aufleben der Kinderseele. Die Mutter hatte die Takt- 20 losigkeit, die Kinder schon im zarten Alter zu Vertrauten ihres Aergers und ihrer Intriguen zu machen; denn über die unholde Sparsamkeit des Königs, über die Schläge, die er so reichlich in seinen Zimmern austheilte, und über die einförmige Tagesordnung, die er ihr aufzwang, nahm in ihren 25 Gemächern Klage, Groll, Spott kein Ende. Der Kronprinz Friedrich wuchs im Spiel mit seiner älteren Schwester heran, ein zartes Kind mit leuchtenden Augen und wunderschönem blonden Haar. Pünktlich wurde ihm grade so viel gelehrt als der König wollte, und das war wenig genug: kaum etwas 30 lateinische Declination — der große König ist nie über die

Schwierigkeiten des Genitivs und Dativs herausgekommen, Französisch, etwas Geschichte, und was einem Soldaten damals für nöthig galt. Die Frauen brachten dem Knaben, der sich gern gehen ließ und in Gegenwart des Königs scheu und 5 troßig aus den Kinderaugen sah, das erste Interesse an französischer Literatur bei; er selbst hat später seine Schwester darum gerühmt, aber auch seine Gouvernante war eine kluge Französin. Daß dem König das fremde Wesen verhaßt war, trug sicher dazu bei, es dem Sohne werth zu machen, denn 10 fast systematisch wurde in den Appartements der Königin das gelobt, was dem strengen Hausherrn mißfiel. Und wenn der König in der Familie eine seiner polternden frommen Reden hielt, dann sahen die Prinzeß Wilhelmine und der junge Friedrich einander so lange bedeutsam an, bis das 15 herausfordernde Gesicht, das eines der Kinder machte, die kindische Lachlust erregte und den Grimm des Königs zum Ausbruch brachte. Dadurch wurde der Sohn schon in frühen Jahren dem Vater ein Gegenstand des Aergers. Einen effeminirten Kerl schalt er ihn, der sich malpropre halte und 20 eine unmännliche Freude an Puß und Spielereien habe.

Aber aus dem Bericht seiner Schwester, deren schonungslosem Urtheil der Tadel leichter wird als das Lob, ist auch zu sehen, wie die Liebenswürdigkeit des reichbegabten Knaben auf seine Umgebung wirkte. Aber selbst bei harmlosen Freuden 25 wurde der Prinz fortwährend in Lüge, Täuschung, Verstellung gedrängt. Er war stolz, hochgesinnt, großmüthig, von rücksichtsloser Wahrheitsliebe. Daß ihm die Verstellung innerlichst widerstand, daß er sich, wo sie verlangt wurde, nicht dazu herablaffen wollte, und wo er es einmal that, 30 ungeschickt heuchelte, das machte seine Stellung zum Vater immer schwieriger, größer wurde das Mißtrauen des Königs,

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