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Wesenheit, sondern ein Ereigniß. Er ist nur die Negation des Lebens und ein Zustand des Nichtseins. Wir vergleichen einen gestorbenen Menschen mit dem, was er lebend war, und personificiren instinctiv diesen Unterschied als Tod. Er hat so wenig Realität, sagt Feuerbach in seinen „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ (Abschn. 84), in seiner paradoxen Weise, daß er nur ist, wenn er nicht ist und nicht ist, wenn er ist. Er existirt also nur in unsrer Vorstellung von einem Menschen, der aufgehört hat zu leben, und es ist ein Darstellungsfehler, aus der bloßen Negation etwas Positives, aus dem reinen Passiv ein Activ zu machen. Darum ist es auch unrichtig, aus dem Tod eine Macht zu machen, welche gegen das Leben ankämpft. Er ist vielmehr die naturgemäße Beendigung des Lebensprocesses. Werden die nothwendigen Lebensverrichtungen gestört oder gar gewaltsam durch äußere Einflüsse zerstört, dann schwindet die Sinnesthätigkeit, Athmung, Blutumlauf und Stoffwechsel hören auf und das Leben erlischt. Die einzelnen Vorgänge bei dem Sterben sind uns großentheils noch unbekannt und die Agonieerscheinungen, mögen sie nun plöglich und unvermuthet eintreten, oder mögen sie ohne deutlich wahrnehmbaren Anfang eine längere Zeit währen, sind ihrer Natur nach noch nicht erklärt. Mit dem Aufhören des Stoffwechsels wird der Mensch zur Leiche oder zum Leichnam und in diesem treten rasch Veränderungen ein, durch welche die organischen Substanzen in unorganische Stoffe umgewandelt werden, und welche alle nach rein physicalischen und chemischen Gesezen vor sich gehen. Aber mit einer derartigen Beschreibung der das Sterben verursachenden oder begleitenden Erscheinungen ist die Bedeutung des Todes gewiß nicht erschöpft. Wie könnte er sonst einen so tiefen Eindruck auf die Gemüther der Lebenden machen?!

Die Ansichten über den Tod aber scheiden sich und richten sich einmal nach der Stufe und Beschaffenheit der Bildung, speciell nach den Anschauungen von dem Verhältniß des Menschen

alii semper. Quid sit porro ipse animus, aut ubi aut unde, magna dissensio est." In diesen Worten sind prägnant und concinn die Punkte bezeichnet, auf welche es bei Beantwortung der aufgeworfenen Frage wesentlich ankommt.

zur Natur und von der Existenz und Bestimmung des ewigen Geistes, der ihn beseelt, und zum andern nach der durch Lebenserfahrungen, Erziehung und sittlich-religiöse Eindrücke hervorgerufenen Gemüthsstimmung. Diese Verschiedenheit der Betrachtungsweise spricht sich in der Mannichfaltigkeit der Bilder aus, in welchen über den Tod geredet wird. Da heißt er z. B. in der heil. Schrift bald der König der Schrecken (Hiob 18, 14), die dunkle, geheimnißvolle Pforte, durch welche man zu dem Richter kommt (Ebr. 9, 27), bald wird er verglichen mit einem Ablegen des Pilgerkleides (2 Cor. 5, 4), einem Verlassen der zerbrechlichen Hütte, einem Abbrechen des Wanderzeltes, einem Vertauschen des irdischen Hauses, das die Seele auf längere oder fürzere Zeit bewohnt hat, mit einem Bau vom Himmel (2 Petr. 1, 13 2 Cor. 5, 1. 2), einem Lichten der Anker des Schiffes, das nach der Heimath steuert (2 Tim. 4, 6 Phil. 1, 23), oder er wird ein Entschlafen nach vollendetem Tagewerk (Joh. 11, 11 1 Cor. 15, 20 1 Thess. 4, 13 Mt. 27, 52), ein Hingang in die Wohnungen des Vaterhauses (Joh. 16, 5. 10. 14, 2. 3), ein Hinfahren zu den Vätern (Gen. 15, 15. 25, 8) oder ähnlich genannt. Parallelen zu solchen bildlichen Bezeichnungen finden sich selbstverständlich in allen Religionen und allen Sprachen.

Für den Leib hat der Tod ein Aufgelöstwerden, ein Zürückfehren zu dem Staube, von dem er genommen ist (Gen. 3, 19 Sir. 17, 2. 40, 11 Pred. 3, 20. 1 Cor. 15, 50 Pf. 146, 4, vergl. auch Eur. Suppl. 532 sqq., Chrys. fr. 836) zur Folge; er muß verwesen. Diesem Geseze ist kein Sterblicher entnommen, auch ein Henoch nicht, noch Elia, obwohl dieselben von Gott weggenommen und nicht mehr gesehen wurden.*) „Es sei denn,

*) Was Henoch, den Vater des Methusalah, betrifft, so wird Gen. 5, 24 nur berichtet: „Und dieweil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott hinweg und ward nicht mehr gesehen.“ Auf dieses nicht näher geschilderte Ereigniß wird auch Sir. 44, 16. 49, 16. Ebr. 11, 5 Rücksicht genommen. Die hebräische Sage schmückte dasselbe erst aus und umrankte das Ende des Gottesmannes, der in der jüdischen Tradition nicht nur als Erfinder der Buchstabenschrift, der Rechenkunst und der Astronomie, sondern auch als der erste Schriftsteller erscheint (das sogenannte Buch Henoch; Jud. V. 14) mit ihren Gebilden. Als Analoga bieten sich aus dem griechischen Mythenkreis Alias 20, 234 τὸν (Γανυμήδη) καὶ ἀνηρείψαντο θεοὶ Διὶ οἰνοχοεύειν, κάλλεος

daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein und bringt keine Frucht" (Joh. 12, 24), das hat sich noch an Allen, die von Weibern geboren worden sind, erfüllt. Es ist eine nur von Schwärmern und Visionären hier und da geglaubte und verfochtene Meinung, daß besonders Bevorzugte der sog. ersten Auferstehung theilhaftig werden und mit Leib und Seele in den Himmel kommen könnten. Man habe deß zum Zeichen und Beweise die Särge leer gefunden, in welchen die so Auferweckten begraben worden waren, und daraus ersehen können, daß ihre Leiber nicht verwesten, sondern verklärt und zum Leben in der Himmelssphäre geschickt gemacht waren. *) Allgemeine Erfahrung trog vorkommender Ausnahmen —

eiveza olo iv áðavátowi petein, und Hom. Hymn. in Vener. 203 sqq. und andere Stellen, wie Od. 4, 561 sqq., obwohl das Ende des Menelaus anderer Art ist. Doch hängt mit dieser Vorstellung von dem Entrücktwerden jene andere Sage von Menschen zusammen, die plößlich von der Erde verschwinden und nach dem Urtheil der Welt zu den Göttern emporgehoben sein müssen (Liv. 1, 16; Diod. Sic. 2, 20. Maii observatt. sacr. I, 41 sqq.). Es bekundet sich darin das Streben, das Ende ausgezeichneter Menschen ebenso zu verherrfichen, wie ihre Geburt. So wird bei Dion. Halic. 2, 56 in Bezug auf Romulus die Entrückung desselben geradezu mit seiner Erzeugung in Verbindung gebracht. - Die Apotheose des Elias (2 Kön. 2, 6 sqq.), über welchen auch die Mohammedaner ihre Fabeln und Sagen haben, welchen eine persische Ueberlieferung zum Lehrer des Zoroaster macht und der nach dem phantasievollen Nork („Der Prophet Elias, ein Sonnenmythus.“ Leipzig 1837) mit Helios identificirt ist, war der würdige Schluß eines an Wundern reichen Lebens. Daß die Erzählung der angeblichen Himmelfahrt des für die Theokratie so unerschrocken thätigen Propheten, dessen Person sich auch mit den messianischen Hoffnungen des Volkes verknüpfte, mythischen Charakters ist, geht schon aus dem Umstande hervor, daß 2 Chron. 21, 12 König Joram von Juda nach dieser Begebenheit einen Brief von dem Propheten Elia erhält, der doch gewiß nicht im Himmel geschrieben war. Man kann sich darum wohl kaum ernstlich auf Henoch und Elia berufen, wenn man ein directes Eingehen zum Leben lehrt, dessen Einzelne angeblich gewürdigt sein sollen, ohne zuvor die Berwesung geschaut zu haben.

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*) Der bekannte Pastor von Bodelschwingh, früher in Paris, hat unter dem erschütternden Eindruck trauriger Erlebnisse unlängst die Behauptung erneuert, daß allerdings eine sogenannte „erste Auferstehung" stattfinde, zu welcher die Leiber auserlesener Sterblichen erweckt würden, ohne zuvor in Asche und Staub aufgelöst worden zu sein. Mißverstandene Schrifftellen Apoc. 20, 5; Act. 13, 37; Joh. 21, 23 und ähnliche haben als Belege für diesen Wahnglauben dienen müssen. Es wird aber Verwesliches nie das Unverwesliche erben; 1 Cor. 15, 53.

ist aber die, daß die Trennung der Seele vom Leibe, daß das Sterben für den Menschen etwas Unnatürliches und Widernatürliches ist, vor welchem uns graut und schaudert. Nicht nur für die Umstehenden ist dieses Sichlosringen der Seele unter dem gewaltsamen oder auch schmerzlosen Tode des Leibes ein räthselhaftes, banges Geheimniß, sondern für den Sterbenden selbst ist der Tod der lezte und schrecklichste Feind, der zu überwinden ist; auch die alten Weisen schämten sich der Furcht vor dem Sterben nicht.,,Emori nolo; sed me esse mortuum nihil aestumo", dieser Ausspruch des Epicharmus (Cic. Tusc. I c. 8. §. 15) ist recht bezeichnend für das Gefühl, das auch im Herzen der Lebenssatten sich vor dem Tode sträubt. Darum denn auch die maßlose Trauer, der trostlose Schmerz über das Sterben und die Angst vor dem Tode, welche das Thier gar nicht kennt und die ein nicht beneidenswerther Vorzug des Menschen ist. Herodot berichtet uns (V, 4) zwar von der Sitte eines thrakischen Volkes, welches im Hinblick auf die vielen Leiden und Schmerzen des menschlichen Daseins die neugebornen Kinder, deren erste Stimme ja Weinen ist (vgl. Sap. 7, 3), mit Klagen und Wehmuth begrüße, dagegen die Gestorbenen mit Lust und Freude unter die Erde bringe, da diese von allem Uebel erlöst in Seligkeit fortlebten. Auch bei dem Volke der Keer, welchem die Dichter Simonides und Bakchylides angehörten, pflegte man die Todten nicht zu betrauern und achtete man das Leben nur gering. Ebenso sind ja die Worte des Euripides (Kresphontes, fr. 452 sqq.) vielberufen : „Wir sollten bei dem Neugebornen trauernd uns Versammeln ob der Leiden, welche ihn bedrohn, Doch den Gestorbenen, aller Noth Entronnenen, Glückselig preisend, fröhlich bringen aus dem Haus.“

Im Ganzen und Großen aber herrscht überall Furcht des Todes und Grauen vor dem geheimnißvollen Ende des Menschenlebens. Nicht allein die Heiden", nein, auch die Gläubigen des A. T. fürchten sich „vor der Grube, darin kein Wasser ist, vor dem Lande, da man Nichts gedenkt, vor den Gräbern, da man des Herrn Treue nicht erzählt, vor dem Verderben, in welches man hinunterfährt“ (Ps. 88), und in diesem Punkte macht weder Land noch Stand, weder Alter noch Geschlecht einen Unterschied.

Die Menschen waren und sind „Knechte durch Furcht des Todes ihr Lebenlang" (Ebr. 2, 15), nicht freie, fröhliche Gotteskinder, bei denen Glaube, Liebe und Hoffnung alle Furcht und Pein ausgetrieben haben. In Jedem wohnt" wie Plato einmal sagt — „ein furchtsames Kind, welchem bange ist um die dunkle Zukunft, als könne in ihr Seele und Bewußtsein verloren gehen."

Woher dieses Grauen?! Wenn der Tod nichts Andres ist als das aus der Natur eines in Zeit und Raum sich entwickelnden, endlichen Geschöpfes folgende, selbstverständliche Loos, das der Mensch mit aller Creatur theilt, warum hat er denn allein den beklagenswerthen Vorzug, daß er weiß ich muß sterben", und daß er allein der bangen Todesfurcht unterworfen ist?! Man antwortet darauf, die Angst vor dem Sterben sei nur derselbe Trennungsschmerz, welcher unser Herz bei jedem Abschiede befalle, und der uns den Uebergang aus alten gewohnten Verhältnissen in neue, unbekannte so schwer mache. Und wer alle Vorzüge des Selbstbewußtseins, fremder und eigner Erfahrung, der Rückerinnerung und Vorausberechnung, gegenwärtiger Freude und zukünftiger Hoffnung genieße, der müsse es mit in den Kauf nehmen, daß er auch weniger Angenehmes und sogar Bitteres kommen sehe, daß es ihm nicht leicht werde, an das Aufhören des Lebensgenusses zu denken, und daß die Sorge ihn begleite, wie bald und wie jäh es ein Ende mit uns nehmen kann. Wenn der Mensch, so fügt man wohl hinzu, so viele Vorzüge vor den Thieren habe, so müsse er sich auch die daraus für ihn entspringenden Nachtheile gefallen lassen; man könne nicht blos privilegia bona verlangen, man müsse dafür auch die privilegia odiosa hinnehmen.

Andere aber haben aus dem allgemeinen Grauen der Menschen vor dem Tode gefolgert, der Tod sei etwas Widernatürliches; er gehöre nicht in die ursprüngliche Schöpferordnung Gottes hinein. Aus der Idee Gottes des Lebendigen, der das Leben selbst sei und der Quell des Lebens für alles Geschaffene, den die Schrift einen Liebhaber des Lebens" nenne (Ps. 30, 6. Sap. 11, 27), und der uns das ewige Leben schenken wolle, ergebe sich, daß der Tod ein Ungöttliches und Widergöttliches sein Spieß, Edm., Entwicklungsgesch. d. Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode. 5

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