Page images
PDF
EPUB

II. Buch. Die neueste Zeit. Das 18. Jahrhundert. Von Newton bis zur Entdeckung des Galvanismus (1727-1790).

Von

III. Buch. Die neueste Zeit. Das 19. Jahrhundert. der Entdeckung des Galvanismus bis zur Aufrichtung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie (1790—1843).

I. Buch.

Die Neuzeit.

Das siebenzehnte Jahrhundert. Von Galilei bis auf Newton

(1642-1727).

Zwei Richtungen sind es vorzugsweise, denen sich vom Meister angeregt nach Galilei's Tode die Thätigkeit der Gelehrten zuwendete, die eine bezieht sich auf das Weltsystem, die zweite im Allgemeinen auf die Gesetze der Mechanik, vor allem jedoch auf die Gesetze freifallender Körper. Der Inquisitionsprozess, mittelst welches man das coppernicanische Weltsystem beseitigen wollte, hatte seinen Zweck durchaus nicht erfüllt, sondern die ganze Prozedur, die man den hart verfolgten Vertheidiger dieser Lehre: Galilei durchmachen liess, hatte eben zur Folge, dass die allgemeine Aufmerksamkeit sich dieser verpönten Lehre zuwendete. Doch fehlte es nicht an Gegnern, welche theils aus Anhänglichkeit an das tychonische System, theils aus Furcht vor den angedrohten kirchlichen Strafen gegen das coppernicanische Weltsystem opponirten.

Zu den Gegnern gehörten vor allem die folgenden: Longomontanus, der Schüler Tycho's, der jedoch schon unmittelbar nach seines Meisters Tode von demselben sich, wenn auch nur theilweise lossagte; ferner sind hier zu nennen Riccioli, De Rheita, Morin, Deschales und andere.

Longomontanus hält in seiner „Astronomia Danica" (Amstelod. 1622, 4°) die Bewegung der Sterne für eine scheinbare Bewegung, da er nicht voraussetzt, dass das ganze Weltall bei so ungeheurer Geschwindigkeit, wie sich dieselbe für die einzelnen Himmelskörper in Folge des täglichen Umschwunges ergeben müsste, als zusammenhaltendes Ganzes bestehen könnte. Diese Annahme, welche eine rotirende Erde voraussetzt, ist nun allerdings ein sehr bedeutender Schritt zur Annäherung

an die coppernicanische Ansicht. Der wesentliche Unterschied zwischen der Ansicht des Coppernicus und jener des Longomontanus bestand nun aber darin, dass die Erde des letzteren an einen Punkt gebannt unbeweglich im Raume stand.

[ocr errors]

Ein anderer Gegner des coppernicanischen Systemes war der angesehene Astronom und Lehrer der Mathematik in Paris Jean Baptiste Morin, der sehr heftig gegen die heliocentrische Lehre zu Felde zog in einer Schrift, deren Titel der folgende war: Famosi et antiqui problematis de telluris motu vel quiete hactenus optata solutio" (Paris 1631, 4o). Als diese Schrift von Gassendi in seiner Abhandlung von der mitgetheilten Bewegung: „De motu impresso a motore translato“ (Lugd. Batav. 1649, 4o) angegriffen wurde, antwortete er in dem oben*) erwähnten Traktate: Alae terrae fractae", welcher wieder von Deschales heftig bekämpft wurde. Dem Ansehen Morin's wäre es beinahe gelungen, in der Sorbonne, dem damals höchsten wissenschaftlichen Forum Frankreichs, eine förmliche Verdammung des coppernicanischen Systemes durchzusetzen, was jedoch besonnenen Männern zu verhindern gelang.

[ocr errors]

Der respektabelste Gegner des coppernicanischen Systemes ist der Jesuitenpater Giovanni Battista Riccioli **), von dessen Fallversuchen wir später noch zu sprechen haben werden. In seinem , Almagestum novum" (Bononiae 1651. Fol. Tom. II. Cap. XXXIV. pag. 472) führt er 77 Gründe gegen das coppernicanische System an. Die meisten derselben kommen auf den einzigen Einwurf hinaus, dass man unter frei fallenden, schwebenden oder geworfenen Körpern ein Fortrücken des Fussbodens in westöstlicher Richtung wahrnehmen müsste. Mit der Widerlegung dieses Einwurfes hat sich nun schon Galilei selbst beschäftigt. Fallversuche auf schnell segelnden Schiffen stellte Gassendi an, dieselben bestätigen die galileischen Behauptungen. Diese Versuche finden sich in dem oben angeführten Werke von Gassendi: „De motu impresso a motore translato". - Den wichtigsten Einwand gegen die Bewegung der Erde fand Riccioli in der folgenden Bemerkung: Auf der ruhenden Erde würden sich die Fallräume in den einzelnen Sekunden wie die Reihe

der unpaarigen Zahlen verhalten. Wenn sich die Erde nun bewegt, werden aus den vertikal gerichteten Fallbahnen durch die Zusammensetzung der Bewegungen schiefe Diagonalbahnen, deren Längen sich anders verhalten, als die vertikale Bahn. Riccioli hat hiebei nicht berücksichtigt, dass die horizontale relative Bewegung eines fallenden Körpers im Allgemeinen die Bewegung desselben nicht im Mindesten störe. Im Uebrigen ist das Almagestum novum“ wie schon oben ein reichhaltiges Werk, das mit grossem Fleisse zusammengestellt ist und in welchem sich eine Reihe allerdings nicht sehr

erwähnt

"

*) Siehe Band I, pag. 270. **) Siehe Band I, pag. 271.

[merged small][ocr errors][merged small]

Claude François Milliet Deschales, geboren 1621 zu Chambéry, war ebenfalls Jesuit und Professor der Hydrographie zu Marseille, später Professor der Mathematik zu Lyon, endlich Rector des Jesuitencollegiums zu Chambéry. Er starb 1678 zu Turin. Deschales war ebenfalls ein Gegner der coppernicanischen Ansicht über das Weltsystem, jedoch liess er sich nicht auf so leichte Einwürfe ein, wie die von Morin und Riccioli waren, welche er als unbegründet und widerlegbar betrachtete.

Unter den von ihm verfassten Werken zeichnet sich besonders der Cursus seu mundus mathematicus" (Lugd. Bat. 1674) durch die Durchsichtigkeit seiner Darstellung aus. Bemerkenswerth sind die Fallversuche. Deschales', mittelst welcher er zur Verwunderung seiner Collegen die Tiefe eines Brunnens im Jesuitencollegium zu Lyon bestimmte.

Unter den oben angeführten Gegnern der coppernicanischen Weltordnung ist noch Maria Schyrlaeus de Rheita zu erwähnen. Schyrl, geboren 1597 in Böhmen, gestorben 1660 in Ravenna, war Kapuziner im Kloster Rheit in Böhmen *). Der vollständige Titel seines Werkes, in dem er auch das von ihm erfundene terrestrische Fernrohr beschreibt, lautet folgendermassen: „Oculus Enoch et Eliae, sive radius sidereomysticus, pars prima, Auth. R. P. F. Antonio Maria Schyrlaeo de Rheita, Ord. Capucinor. concionat. et Provinciae Austriae ac Bohemiae quondam Praelectore. Antverp. 1645. Fol. 356 pag. Pars altera 280 pag. Die beiden ersten Bücher beschäftigen sich mit den verschiedenen Weltordnungen, wobei nachgewiesen wird, dass die tychonische nicht entspreche; das dritte Buch enthält neue Hypothesen, das vierte beschreibt die damaligen neuen Entdeckungen, seine vermeintlichen neuen Jupitermonde u. s. f. Der zweite Theil des Werkes hat auf dem Titel: Theo Astronomia, qua, consideratione visibilium et coelestium, per novos et jucundos conceptus praedicabiles ab astris desumptos mens humana in invisibilia Dei introducitur". Das Werk ist grossentheils astrotheologisch-sidereomystischen und allegorischen Inhaltes.

Unter den Gegnern der neuen Ansicht über das Weltsystem sind. noch die folgenden zu erwähnen. Fromond zu Löwen griff in seinem Antaristarchus seu liber de orbe terrae immobili, quo decretum a congregatione Cardinalium an. 1616 adversus Copernicanos publicatum defendit (Antverp. 1631, 4°) das coppernicanische System an, worauf ihn Philipp Lansberg in seiner Schrift: „Commentationes in motum terrae diurnum et annuum et in verum mundi aspectabilis typum" (Middelb. 1632, 4°) zu widerlegen suchte, was wieder eine Abwehr von Seite des Angegriffenen zur Folge hatte. Der Titel dieser Abhandlung lautet: Antaristarchi vindex" (Antverp. 1634, 4o).

"

*) Siehe Band I, pag. 280 u. 388.

[ocr errors]

Ein anderer Gegner des coppernicanischen Systemes war Antonius Deusing, geboren den 15. Oktober 1612, gestorben den 29. Januar 1666. Wir besitzen von ihm das folgende Werk: „De vero mundi systemate dissertatio, qua Copernici systema mundi reformatur, sublatis interim infinitis pene orbibus quibus in systemate Ptolemaico humana mens distrahitur (Amstelod. 1643, 4°). Der Ansicht dieses Autors gemäss steht die Erde, während die von den Planeten umkreiste Sonne um sie herumläuft. Die Erde dreht sich um ihre Axe und vollführt dieselbe bloss einige geringe schwankende Bewegungen, mittelst welcher er die Präcession der Nachtgleichen, die Verändernng der Excentricität und Neigung der Ekliptik erklärt. Wir haben es somit mit einer Art von tychonischem Systeme zu thun.

[ocr errors]

Noch weniger bemerkenswerth sind die Einwürfe, welche Matthias Maximilian von Parasin in seiner Schrift: Systema mundi in quo terrae immobilitas praecipue asseritur, ductis ex S. Scriptura, ratione et experientia argumentis" (Stockholmiae 1648, 4°) gegen Coppernicus vorbringt. Das von ihm entwickelte System scheint dem den alphonsinischen Tafeln zu Grunde liegenden zu entsprechen, indem es 10 Sphären an

nimmt.

Ein anderer Gegner der coppernicanischen Theorie ist Johannes Herbinius, geboren 1633 zu Pitschen in Schlesien, gestorben als Prediger 1676 zu Graudenz im heutigen Westpreussen. Der Titel seiner hier in Betracht kommenden Schrift lautet folgendermassen: „Famosae de solis vel telluris motu controversiae examen theologico philosophicum ad S. sanctam normam instituta a Johanne Herbinio Bicina Silesio, Artium et Philosophiae Magistro" (Ultrai 1655, 12°). In der Vorrede des mit einem auf den in der Schrift behandelten Gegenstand bezüglichen allegorischen Titelkupfer versehenen Werkes erörtert der Verfasser in laienhafter, jedoch sehr bescheidener Weise den Standpunkt, welchen er in dem Streite der Ptolemaiker und Coppernicaner einnehme. Er will die Schriftstellen untersuchen, auf welche sich die Anhänger der alten Ansicht berufen. Mit mathematischen Beweisen habe er nichts zu thun. Astronomie und ihre Zweifel können aus dem Standpunkte der heiligen Schrift allein nicht behandelt werden, da der heilige Geist sich wenig um die Bewegung der Sonne oder Erde kümmere. Aus der heiligen Schrift könne man weder die eine noch die andere Ansicht deduziren. Die heilige Schrift betrachte er nur als Zeugen, nicht als Richter, da das Problem aus der Natur der Sache, nicht aber nach dem Buchstaben der Schrift gelöst werden müsse. Jedoch auch die geometrischen Beweise der Astronomen hält er nicht für überzeugend, und so lässt er die Frage offen und führt bloss die Argumente der beiden feindlichen Parteien an und zwar im ersten Buche für die Anhänger der ptolemäischen Lehre, im zweiten für die Coppernicaner.

Zum Schlusse erwähnen wir noch Jakob Coccaeus und sein Gespräch

« PreviousContinue »