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8° Dortmund 1804. Benzenberg hat sowohl in der Michaeliskirche zu Hamburg als im Kohlenschacht zur alten Rosskunst am Schlebusche in der Grafschaft Mark Fallversuche angestellt. Durch Combination sehr vieler Versuche gelang es ihm solche Mittelwerthe zu finden, welche der Theorie ziemlich gut entsprechen, trotzdem die Werthe der einzelnen Versuche sich von einander wesentlich unterscheiden. Bei den zuletzt angestellten Versuchen fand er nur eine östliche, dagegen keine südliche Abweichung, wie dies die Theorie Gauss' verlangt, welche nebst ähnlichen theoretischen Untersuchungen von Olbers und Guglielmini dem Buche beigeschlossen ist.

Louis Poinsot.

Einfach, ohne besondere Ereignisse, welche aufgezeichnet zu werden verdienten, floss das Leben jenes grossen Forschers hin, von dem wir hier zu sprechen haben werden. Louis Poin sot wurde am 3. Januar 1777 zu Paris geboren und starb in derselben Stadt am 15. Dezember 1859. Er war Zögling der ,,Ecole polytechnique" und gehörte zu den ersten, welche diese Anstalt absolvirten. Mit neunzehn Jahren war er

Ingenieur für Brücken- und Strassenbau. Im Jahre 1804 wurde er zum Professor der Mathematik am Lyceum Bonaparte ernannt, 1809 zum Professor der Analyse, später zum Examinator und Professor an der polytechnischen Schule, ferner zum Mitgliede des Direktionsrathes dieser Schule. Gegen Ende des Jahres 1843 wurde er am Bureau des longitudes angestellt. Seit 1813 war er (an Stelle Lagrange's) Mitglied des Institutes. Im Jahre 1852 wurde er zum Senator ernannt.

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Das Hauptwerk Poinsot's ist seine Schrift: Éléments de statique (8° Paris 1803), in welcher er seine Theorie der Kräftepaare (couples) vorträgt. In seinem Rapport général sur le progrès des sciences mathé matiques würdigt Fourier die Wichtigkeit dieser Schrift mit den Worten: Cet ouvrage présente cela de remarquable, qu'il renferme des ,principes nouveaux dans une des matières le plus anciennement connues, ,inventée par Archimède et perfectionnée par Galilée." Die Mechanik hatte ihre letzte prinzipielle Förderung durch Lagrange erfahren. Die Werke Laplace's zeigen allerdings eine wunderbar geschickte Handhabung der mechanischen Gesetze, jedoch durch neuentdeckte Prinzipien wurden sie von dem grossen Analytiker nicht bereichert. Auch die Mechanik Poisson's ändert nichts an jener Behauptung. In Poinsot haben wir den ersten prinzipiellen Fortschritt seit Lagrange's Zeiten zu registriren, durch seine Theorie der Kräftepaare hat die systematische Mechanik eine gewisse Abrundung erhalten. Die Auffassungen unseres Forschers vermochten jedoch lange Zeit nicht durchzudringen. Einzelne,

wie Auguste Comte in seinem „Cours de philosophie positive überblickten allerdings schon im Jahre 1830 die grosse Tragweite der Poinsot'schen Theorie *), allein erst nach dem Erscheinen der zweiten bedeutenden Schrift des Verfassers: Nouvelle théorie de la rotation des corps (Paris 1834) lenkte die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt jenen neuen Anschauungen zu. Es mochte nach Lagrange's Begründung der analytischen Mechanik, nachdem er die ganze Statik auf ein einziges Fundamentalprinzip zurückgeführt hatte, wohl den Anschein haben, als gebe es auf diesem Gebiete keinerlei prinzipiellen Fortschritt mehr. Es trat jedoch eine gewisse Unsymmetrie an dem Gebäude zu Tage, welche durch alle Umgestaltungen der Statik unberührt geblieben war. Zwischen den beiden Hauptarten der Bewegung, der translatorischen und der rotatorischen, welche vermöge der Translationspaare und der Rotationspaare in einander übergeführt werden können, gab es bezüglich der Bewegungsursachen keine entsprechende Reziprozität. Das Moment als Erzeuger einer Rotationsbewegung erschien bloss als ein abgeleitetes Element der Mechanik, da die durch dasselbe bedingte Bewegung doch in jeder Weise mit der translatorischen Bewegung von gleichem Range und von gleicher Ursprünglichkeit ist. Durch die Aufstellung des Begriffes: Kräftepaar, durch die Zurückführung des Begriffes: Moment auf eine neue mechanische Vorstellung ist jene Polarität zwischen den Ursachen der Bewegung hergestellt, welche zwischen den Bewegungen selbst besteht. Allerdings kann die Einführung jenes neuen Begriffes nicht als direkte, als reale Erweiterung der Mechanik aufgefasst wer den, sie ist vielmehr ein Fortschritt in formaler, in methodologischer Hinsicht, die jedoch auch zur Aufstellung einiger abgeleiteter Begriffe führte, welche mit dem des Kräftepaares in Verbindung stehen. Es sei hier vor allem die Vorstellung von dem Centralellipsoid oder wie man es gegenwärtig zu nennen pflegt, von dem centralen Trägheitsellipsoid erwähnt, das im Probleme der Rotation eines Körpers um einen Punkt eine Rolle spielt **). Eine weitere abgeleitete Vorstellung ist die der Ebene des Minimums unter den Ebenen der Maximalpaare, wodurch wir ein Minimalpaar als Minimum Maximorum erhalten ***). Die Lehre von den Kräftepaaren kann als allgemeinste Behandlung des Problems von der Zusammensetzung der Kräfte aufgefasst werden. Die Zusammensetzung der Kräftepaare geschieht in ganz analoger Weise, wie die Zusammensetzung der Kräfte. Die Regel hiefür findet sich im zweiten Abschnitte des ersten Capitels der „Éléments de statique", wo

*) Cours de philos. positive, 6 Bände. Paris 1830-42. Bd. I. 16. Vorlesung, pag. 612 u. 615.

**) Théorie nouv. de la rotation des corps. Paris 1834.

***) Anhang zur „Statik" des Verfassers, unter dem Titel: Mémoire sur

la composition des moments et des aires.

auch die Verlegbarkeit des Angriffsortes eines Kräftepaares erörtert wird. --Ein sehr schönes Beispiel für die Anwendung der Kräftepaare ist die Untersuchung über die Bedingungen des Gleichgewichtes an der Roberval'schen Wage, die sich in der Poinsot'schen Statik unter der Aufschrift: De la balance de Roberval (unter Nr. 237) findet. Die „neue Theorie der Rotation" vom Jahre 1834 erschien noch einmal in wesentlich erweiterter Gestalt in Liouville's Journal des Mathématiques im Jahre 1851 (Band XVI) und ausserdem als selbstständige Schrift. Diese Arbeit bekundet eine grosse Gewandtheit ihres Verfassers im Darstellen der ziemlich verworrenen Verhältnisse, die er in trefflich anschaulicher Weise entwickelt. Besonders gilt dies bezüglich der Aufgabe von der Rotation um einen Punkt, wobei es keine bleibende, sondern eine, ihre Lage stets verändernde Momentanaxe gibt. Es ist dies der Fall, wo Poinsot die beiden Kegel einführt, deren gemeinsame Spitze in den Drehungspunkt fällt. Der eine Kegel rollt auf der Oberfläche des andern und gibt durch die den beiden Kegeln gemeinsame Erzeugende die jeweilige Lage der Momentanaxe. Die allgemeinste Bewegung eines völlig freien Körpers im absoluten Raume kann nach unserm Forscher als Drehung um eine Momentanaxe und als gleichzeitiges Gleiten auf derselben aufgefasst werden.

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Von den Schriften Poinsot's erwähnen wir die folgenden: Éléments de statique, 8°, Paris 1804. Mémoire sur la composition des moments et des aires (Journ. de l'École polytechn. 1806). Mémoire sur la théorie générale de l'équilibre et du mouvement des systèmes (ib. id.). Théorie nouv. de la rotation des corps, 8°, Paris 1834 *). Théorie des cônes circulaires roulants 4o et 8o, Paris 1852. Sur une certaine démonstration du principe des vitesses virtuelles (Liouville Journ. III, 1838). Remarques sur un point fondamental de la Mécanique analyt. de Lagrange (ib. XI. 1846). Eine ausführliche Biographie findet sich in der „Correspondance sur l'école royale polytechnique", Jahrg. 1814-1816, Tome 3, pag. 93 ff.; ferner in Michaud's Biographie universelle", Tome 33. Ausserdem verfasste er eine Reihe mathematischer Schriften. Die Arbeiten Poinsot's zeichnen sich durch die elegante Art der Darstellung aus. Was diesem Gelehrten jedoch eine so grosse Bedeutung für die Geschichte der mechanischen Prinzipien gibt, das ist die Methode, welche er einschlägt, um abbiegend von den Wegen der analytischen Mechanik Hauptgewicht auf die anschauliche Gestaltung der mechanischen Grundbegriffe zu legen.

Wir haben nun noch einer Reihe von Gelehrten zu gedenken, welche sich theils um die theoretische Mechanik, theils um deren Anwendungen

*) Eine deutsche Bearbeitung der erweiterten Schrift vom Jahre 1851 erschien in demselben Jahre von Prof. Schellbach in Berlin unter dem Titel: „Neue Theorie der Drehung der Körper".

Verdienste erworben haben. Es sind dies die folgenden: Monge, der ältere Carnot, Prony, Poisson, Navier, Poncelet und Coriolis. Gaspard Monge, geboren am 10. Mai 1746 zu Beaune, gestorben am 18. Juli 1818 zu Paris, war der Sohn eines armen hausirenden Handelsmannes, dessen ganzes Streben darauf gerichtet war, seine drei Söhne auf das Collegium der Stadt Beaune zu bringen. Gaspard, der älteste der Geschwister zeichnete sich dergestalt in seiner Schule aus, dass seine Lehrer, die dem Orden der Oratoristen angehörten, sich alle Mühe gaben, den höchst talentirten Jungen für ihren Orden zu gewinnen. So kam es, dass er schon mit 16 Jahren Professor der Physik am Oratoristencollegium in Lyon war. Auf den Rath seines Vaters trat er jedoch nicht in den Orden, sondern in die Militärschule zu Mézières, wo er bald darauf zum Repetenten, dann zum Professor der Mathematik und Physik wurde. In diese Zeit fallen seine Arbeiten, mit denen er die Géométrie descriptive" begründete. Im Jahre 1777 heiratete er eine junge Wittwe, Madame Horbon de Rocroy, deren Ehre er bei einer früheren Gelegenheit, ohne sie noch persönlich zu kennen, gegen die beleidigenden Aeusserungen eines zurückgewiesenen Freiers unaufgefordert in sehr drastischer Weise vertheidigt hatte. Als der Minister Turgot die Centralschule für öffentliche Arbeiten zu Paris errichtet hatte, wurde Monge auf Anrathen Condorcet's und d'Alembert's für den Lehrstuhl der Hydraulik berufen. Noch im selben Jahre wählte man ihn in die Akademie, 1783 wurde er an Stelle Bezout's Examinator der Marinezöglinge. Nach dem Ausbruche der Revolution wurde er im Jahre 1792 Marineminister, welches Amt er jedoch schon im folgenden Jahre niederlegen musste. Er wurde nun zum Direktor der Gewehrfabriken, Geschützgiessereien und Pulvermühlen der Republik ernannt, welche die in's Feld gestellten 900,000 Mann, die auf Befehl des Convents ausgehoben worden, mit Waffen und Munition versehen sollten.

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Er schrieb zu diesem Behufe mit Berthollet und Vandermonde ein Buch: L'art de fabriquer les canons (4°, Paris 1793). An der Begründung der „polytechnischen Schule" im Jahre 1794 hatte er einen wesentlichen Antheil, er unterrichtete an derselben seine darstellende Geometrie. Als im Jahre 1796 das Direktorium eine Commission zur Uebernahme der an Frankreich abzutretenden Statuen und Gemälde nach Italien schickte, war Monge einer der Commissäre. Er begleitete Napoleon auf seiner Expedition nach Aegypten, war dort Präsident des ägyptischen Instituts", nach seiner Rückkehr übernahm er wieder seine Professur an der École polytechnique", im Jahre 1799 wurde er zum Senator, 1804 zum Grafer von Péluze (Pelusium) ernannt. Nach dem Sturze Napoleon's neigte sich auch sein Stern dem Untergange zu, wie Carnot wurde sein Name aus der Liste der Mitglieder des Instituts gestrichen und nach der zweiten Restauration ward er seiner sämmtlichen Aemter entsetzt. Er starb bald nach diesen Demüthigungen am

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18. Juli 1818. Zur Feier seines hundertjährigen Geburtstages las Arago am 11. Mai 1846 in der Sitzung der „Académie des sciences" eine ausführliche Biographie von Monge, die im II. Bande der gesammelten Werke Arago's enthalten ist. Ausführlicheres über Monge findet sich noch bei Dupin: Essai historique sur les services et les travaux scientifiques de Monge. Paris 1819.

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Monge ist der Begründer der darstellenden Geometrie, deren Aufgabe er in der Vorrede seiner „Géométrie descriptive" in folgenden zwei Sätzen zusammenfasst: 1) zu lehren auf einem Zeichenblatte von zwei Dimensionen alle Naturkörper von drei Dimensionen darzustellen, 2) aus dieser Darstellung die mathematischen Beziehungen der räumlichen Gebilde abzuleiten. Durch die so einfachen Anschauungen der Géométrie descriptive" wurden die Aufgaben der Stereotomie, der Perspective, der Gnomonik, ferner der Fortificationskunst und anderer militärischer Wissensfächer unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gebracht und es ergab sich für dieselben eine leichte Methode der Lösung. Allerdings benützten Steinmetze und Zimmerleute seit langer Zeit schon gewisse Methoden der Projektion, allein in ein wissenschaftliches, allgemeines System wurden dieselben doch erst von Monge gebracht. Dieser Gelehrte hat sich. jedoch durch seine Untersuchungen über die Flächen auch um die analytische Geometrie grosse Verdienste erworben. In Folgendem führen wir die wichtigsten Schriften Monge's, insofern sie sich auf unsern Gegenstand beziehen, an: Traité élémentaire de statique, à l'usage des écoles de la marine, 8°, Paris 1788. Précis des leçons sur le calorique et l'électricité, 8o, ib. 1805. Sur l'effet des étincelles électriques excitées dans l'air fixe (Mém. Par. 1786.) Sur quelques effets d'attraction

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ou de répulsion apparente entre les molécules de matière (ib. 1787). Rapport sur le choix d'une unité des mesures; mit Borda, Lagrange, Laplace und Condorcet (ib. 1788). Sur le phénomène d'optique, connu sous le nom de mirage (Mém. d'Egypte T. 1). Construction de l'équation des cordes vibrantes (Journ. École polytechn. VIII. 1809). Sur quelques phénomènes de la vision (Ann. de Chimie, T. III. 1789). Sur la cause des principaux phénomènes de la météorologie (ib. V. 1790).

Die Schriften Monge's, welche sich auf Physik und Mechanik beziehen, haben allerdings nicht die Bedeutung, wie jene, deren Gegenstand rein mathematischer Natur ist. Sie würden es auch kaum rechtfertigen, dass wir Monge hier anführten. Allein die Arbeiten, welche sich auf die Untersuchung der Raumgebilde beziehen, sind mittelbar auch für unsere Wissenschaft von solcher Wichtigkeit gewesen, dass es berechtigt erscheint, wenn wir hier des Schöpfers der „Géométrie descriptive" gedachten.

Lazare-Nicolas-Marguerite Carnot, geboren am 13. Mai 1753 zu Nolay (Bourgogne), gestorben den 2. August 1823 zu Magdeburg, war eines der 18 Kinder des Advokaten Claude-Abraham Carnot. Nachdem er in Autun das Gymnasium und das Seminar derselben Stadt besucht

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