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und im Juni desselben Jahres zur grossen Armee" eingetheilt, mit der Napoleon seinen Feldzug gegen Russland eröffnete. Einige Tage vor dem. unglückseligen Uebergange über die Beresina fiel er in russische Kriegsgefangenschaft. Durch vier Monate wurde er durch unwirthbare Steppen nach Saratow an der Wolga geführt, wo er erschöpft und krank anlangte. In dieser fast zwei Jahre andauernden, unfreiwilligen Musse, entblösst von allen literarischen Hülfsmitteln, beschäftigte er sich mit mathematischen Studien und legte den Grund zu seiner synthetischen Geometrie (Traité des propriétés projectives des figures). Nach dem Friedensschlusse im Jahre 1814 kehrte er in seine Heimat zurück und wurde Geniehauptmann; von 1825-1835 war er Professor an der „École d'application" zu Metz. In jene Zeit fällt seine Erfindung einer Art von Klappbrücken mit veränderlichen Gewichten, jedoch gleichförmiger Bewegung, ferner die des nach ihm benannten unterschlächtigen Wasserrades mit enganschliessendem Kreisgerinne. Schon im Jahre 1831 war Poncelet als Mitglied der Akademie nach Paris berufen worden, jedoch erst 1834 entschloss er sich seine Vaterstadt zu verlassen und seinen Wohnort nach der Hauptstadt zu verlegen. Er gehörte daselbst dem Comité zur Befestigung von Paris an und war bis zum Jahre 1848 Professor der mechanischen Physik an der „Faculté des sciences", um dieselbe Zeit war er bis zum Brigadegeneral vorgerückt. Von 1848-1850 war er Commandant der „Ecole polytechnique", im Juni 1848 wurde er zum Obercommandanten der Nationalgarde des Seine-Departements ernannt. In den fünfziger und zu Anfang der sechziger Jahre wurde er von Seite der französischen Regierung zur Theilnahme an den Londoner und Pariser Weltausstellungen entsendet.

Poncelet ist als Begründer der neueren synthetischen oder projektivischen Geometrie zu betrachten, wobei unter Projektion einer Figur nicht deren Parallelprojektion, sondern deren perspektivisches Bild verstanden wird. Die hierauf bezüglichen Untersuchungen finden sich in des Verfassers: Traité des propriétés projectives des figures etc. 4°. Metz et Paris 1822. Diese rein mathematischen Arbeiten fanden jedoch nicht die verdiente Anerkennung, besonders war es Cauchy, der dieselben in jeder Weise angriff und zu verkleinern suchte. Dies veranlasste denn Poncelet sich ganz seinen mechanischen Untersuchungen zuzuwenden, unter denen besonders diejenigen über den Ausfluss des Wassers, über dessen Bewegung in Canälen, über die Bewegung von Gasen in Röhren, über den Widerstand der Materialien zu erwähnen sind. Poncelet war es auch, der den Begriff mechanische Arbeit*) als Grundvorstellung der Mechanik besonders hervorhob und dessen Aequivalenz mit der verschwundenen lebendigen Kraft betonte. Allerdings ist dies schon der

meter.

*) Von ihm stammt auch die Annahme der Arbeitseinheit: Kilogramm

Sinn der Lagrange'schen Grundgleichungen der Mechanik, jedoch was in diesen Gleichungen gleichsam latent gewesen, das tritt hier als ausdrücklich hervorgehobenes Moment in den Vordergrund, wodurch der Weg zu den allgemeinen Anschauungen über Energieäquivalenz angebahnt wird. Von den auf Mechanik bezüglichen Schriften Poncelet's erwähnen wir die folgenden: Cours de mécanique appliquée aux machines. fol. Metz 1826. Mém. sur les roues hydrauliques verticales, à aubes courbes etc. 4o. Ib. 1826*). Expériences hydrauliques sur les lois de l'écoulement de l'eau à travers les orifices rectangulaires verticaux à grandes dimensions etc. 4°. Paris 1832. Introduction à la mécanique industrielle physique ou expérimentale. 2me éd. Ib. 1840. Mém. sur la stabilité des revêtements et leur fondation. 8°. Ib. 1840. Biographische Angaben über Poncelet finden sich in seinem „Traité des propriétés projectives etc.", ferner in seinen: Applications d'analyse et de géometrie", ferner in den verschiedenen Gedächtnissreden, die nach seinem Tode über ihn gehalten wurden, dann Chasles: Aperçu historique sur l'origine et le développement des méthodes en géometrie etc. 4o. Bruxelles 1837. Vapereau: Dictionnaire des Contemporains. Général Didion: Notice sur la vie et les ouvrages du Gén. I.-V. Poncelet. 8°. Paris 1869.

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Gustave-Gaspard Coriolis, geboren 1792, gestorben den 19. September 1843 zu Paris, war Zögling der École polytechnique" und der „École des ponts et chaussées". Später wurde er zum Professor der Hydraulik an der letzterwähnten Anstalt ernannt, ausserdem war er Repetitor an der erstgenannten Schule. Seit 1836 war er Mitglied der Akademie zu Paris. Das Hauptwerk Coriolis' ist dessen: Traité de la mécanique des corps solides et du calcul de l'effet des machines (Paris) 1829-1844), in welchem besonders zwei Abschnitte hervorzuheben sind, erstens derjenige, welcher den Titel führt: Prinzip der Transmission oder Fortpflanzung der Arbeit und zweitens jener, mit der Ueberschrift: Ueber relative Bewegung". Im ersten der erwähnten Capitel wird der Begriff der elementaren Arbeit und dessen Integral, der Bewegungsarbeit, oder der Arbeit schlechthin erörtert. Die lebendige Kraft drückt er durch 11⁄2 mv2 aus, während Belanger hiefür den Ausdruck mv' setzt und 11⁄2 mv2 die lebendige Potenz nennt. Die Gleichung der lebendigen Kräfte nennt er die Gleichung der Uebertragung der Arbeit. Von besonderem Interesse ist der Abschnitt über die relative Bewegung, in dem nachgewiesen wird, dass die analytische Behandlung derselben auf das Problem der Coordinatentransformation hinausläuft. Es wird ferner gezeigt, dass jede relative Bewegung in Beziehung auf ein bewegliches Coordinatensystem, als absolute Bewegung auf ein fixes Coordinatensystem

*) In dieser Abhandlung sind die Poncelet'schen Wasserräder beschrieben.

bezogen, dargestellt werden kann, wenn wir zwei fingirte Kräfte Die Titel der zahlreichen Schriften Coriolis' über

zufügen *). gehen wir.

André-Marie Ampère.

André-Marie Ampère wurde den 20. Januar 1775 zu Lyon geboren. Sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, hatte sich nach Polémieux-lez-mont-Dor in der Nähe jener Stadt zurückgezogen und lebte bloss seiner Familie. Als kleines Kind verrieth André-Marie schon eine besondere Neigung zum Rechnen. Ohne schreiben zu können, führte er lange Rechnungen mit Hülfe von Kieseln aus. Mit elf Jahren hatte er die gesammte Elementarmathematik inne und betrieb mit Hülfe seines Vaters das Studium der lateinischen Sprache, um Euler's und Bernoulli's Werke lesen zu können. Abbé Daburon, Bibliothekar des Collegiums von Lyon nahm sich des talentirten zwölfjährigen Knaben an und unterwies ihn in den Anfangsgründen der Differenzialrechnung. Mit achtzehn Jahren las er bereits Lagrange's: Mécanique analytique, ausserdem las er sehr vieles und sehr verschiedenes: Geschichte, Reisebeschreibungen, Naturgeschichte u. s. w. Ja selbst die grosse Encyclopädie von Diderot und d'Alembert las er von Anfang bis zu Ende durch, so dass er aus derselben noch nach fünfzig Jahren ganze Stellen auswendig kannte.

Als sich die Stürme der Revolution auch den südlichen Theilen des Reiches näherten, hatte Ampère's Vater die unglückliche Idee nach Lyon zu übersiedeln, um dort in der grossen Stadt die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen, was ja zu jener Zeit schon als gefährlich galt. Er nahm das Amt eines Friedensrichters an. Bei den Massenmorden, welche Collot-d'Herbois und Fouché zu Lyon anrichteten, fiel auch das Haupt Jean-Jacques Ampère's, als eines der vielen Unschuldigen, welche die Schreckensherrschaft als Opfer forderte. Dieses Ereigniss wirkte auf den jungen Gelehrten niederschmetternd. Ein ganzes Jahr lang irrte. er unthätig herum, stundenlang häufte er Sand zu kleinen Hügeln oder starrte er den Himmel an. Die Lettres sur la botanique“ von J.-J. Rousseau brachten ihm wieder Interesse für die Wissenschaft bei. Er verlegte sich vor Allem auf Botanik, las die römischen Classiker und versuchte sich in verschiedenen poetischen Werken, die jedoch sämmtlich unvollendet blieben, auch beschäftigte er sich mit der Idee einer philosophischen Sprache. Am 2. August 1799 heiratete er Fräulein Julie

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*) Eine ausführliche und leicht verständliche Darstellung findet sich bei Rühlmann: Vorträge über Geschichte der theoretischen Maschinenlehre. Braunschweig 1883, pag. 377 ff.

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Carron aus Saint Germain. Die religiöse Richtung, welche in der Familie seiner Frau vorherrschte, theilte sich auch ihm, der hiezu Neigung hatte, mit. Ampère liess sich in Lyon nieder, wo er mathematische Lektionen gab. Nachdem er zwei Jahre lang im ungetrübten Genusse seines ehelichen Glückes gelebt hatte und Vater geworden war, hatte er den Schmerz der Trennung von seiner Familie zu bestehen, da er als Professor der Physik und Chemie an die École centrale" nach Bourg ging und seine Frau in Lyon krank zurückliess. Zu jener Zeit verfasste er seine Schrift: Considérations sur la théorie mathématique du jeu", welche 1802 zu Lyon erschien. Delambre war zu jener Zeit mit der Reorganisation der Lyceen jener Theile des Landes beschäftigt. Er bildete sich auf Grund dieses Werkes von dem Schreiber desselben ein so gutes Urtheil, dass er diesen auf seinen Wunsch zuerst nach Lyon als Professor der Mathematik an das Lyceum brachte und später seine Berufung nach Paris durchsetzte. Das Werk Ampère's legte er dem Institut vor. Dieser war nun mit seiner Familie wieder vereinigt, verlor jedoch seine Frau durch den Tod am 13. Juli 1804.

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Durch diesen herben Verlust war ihm der Aufenthalt in Lyon verleidet. Durch Delambre's Vermittlung erhielt er die Stelle eines Repetitors an der polytechnischen Schule zu Paris, wohin er sich 1805 begab. Um jene Zeit wendete er sich auch philosophischen Studien zu. Von 1805-1820 beschäftigte er sich mit Mathematik, Physik, Chemie und Philosophie. Im Jahre 1809 wurde er zum Professor der Analysis an der École polytechnique" ernannt, auch wurde er um dieselbe Zeit Ritter der Ehrenlegion. Im Jahre 1814 wurde er zum Mitgliede des Instituts ernannt.

Den Anstoss zu jenen Arbeiten, welche den wissenschaftlichen Ruf Ampère's am weitesten verbreiteten, erhielt er durch die Entdeckung der elektromagnetischen Wirkung des galvanischen Stromes durch Oersted im Jahre 1820. Am 11. September dieses Jahres brachte der aus der Schweiz zurückkehrende Arago die Nachricht von dieser epochalen Entdeckung des dänischen Physikers, welche er am genannten Tage in einer Sitzung des Instituts" durch einen Versuch vorführte. Sieben Tage später, am 18. September, kündigte Ampère eine höchst wichtige Entdeckung an. Während Oersted bloss die Wirkung des Stromes auf einen Magneten entdeckt hatte, fand Ampère, dass die Wirkung des Stromes sich auch auf einen beweglichen Stromleiter erstrecke. Er nahm wahr, dass zwei bewegliche, parallel gerichtete Leiter einander anziehen, falls der Strom sie in gleicher Richtung durchläuft, sich hingegen abstossen, wenn die Richtung des Stromes eine entgegengesetzte ist. Dies gilt auch für jenen Fall, in welchem die beweglichen Leiter einer und derselben Stromkette angehören. Er nannte die von ihm entdeckten Erscheinungen elektrodynamische Phänomene, zum Unterschiede von den durch Oersted entdeckten elektromagnetischen. Unmittelbar nach

dem Bekanntwerden der schönen und wichtigen Entdeckungen Ampère's wurden Bemerkungen laut, denen zufolge die Beobachtungen unsers Gelehrten im Grunde nichts Anderes zeigen würden, als die längst bekannten Erscheinungen der elektrischen Anziehung und Abstossung. Ampère konnte diesen ungereimten Einwurf durch die einfache Bemerkung beseitigen, dass gleich elektrisirte Körper sich abstossen, während von gleich gerichteten Strömen durchflossene Leiter einander anziehen und umgekehrt. Die Ampère'sche Fundamentaluntersuchung über den Zusammenhang, der zwischen den magnetischen und elektrischen Erscheinungen besteht, kann für alle Zeiten als Muster einer wissenschaftlichen Untersuchung gelten, seine Art die Natur zu befragen um die Gesetze einer Erscheinung zu finden, um aus complizirten Erscheinungen die einfachen Naturgesetze abzuleiten, hat zu einer für die Physik höchst fruchtbaren Anschauungsweise geführt. Die Entdeckungen Ampère's erregten grosses Aufsehen, einige Wochen hindurch suchten die Gelehrten in grosser Anzahl die bescheidene Wohnung Ampère's in der Rue Fossés-Saint-Victor auf, wo ein Platindraht zu sehen war, der von einem galvanischen Strome durchflossen sich unter dem Einflusse des Erdmagnetismus in den Meridian stellte.

Das letzte Werk Ampère's war jenes über die Classifikation der Wissenschaften, welches erst nach seinem Tode erschien; der erste Band 1838, der zweite 1843, durch seinen Sohn herausgegeben. Alle Wissenschaft kann in zwei grosse Abtheilungen gebracht werden: die Wissenschaften von der Welt, die kosmologischen und die Denkwissenschaften, die ontologischen. Die kosmologische Wissenschaft zerfällt in jene, welche sich mit der unbeseelten Welt beschäftigt (die mathematischen und physischen Wissenschaften) und jene von der beseelten Welt (die Naturgeschichte und die Medizin). Die ontologischen oder noologischen Wissenschaften sind wieder noologische im engern Sinne und soziale. Das Schema der Eintheilung enthält zwei Gebiete, vier Untergebiete, acht Hauptabtheilungen, sechszehn Unterabtheilungen, zweiunddreissig Wissenschaften erster, vierundsechzig Wissenschaften zweiter und hundertachtundzwanzig Wissenschaften dritter Ordnung. Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass diese schematische Eintheilung vermöge ihrer strengen Symmetrie nur auf Kosten des naturgemässen Zusammenhanges der einzelnen Disziplinen zu Stande kommen konnte. Ampère war eben im Begriffe dieses Werk zu vollenden, als er im Mai 1836 seine alljährliche Inspektionsreise anzutreten hatte. Seine Gesundheit war zu jener Zeit sehr angegriffen, er versprach sich indessen, da ihn sein Weg nach Süden führte, von seiner heimatlichen Luft Linderung und Heilung. Er wurde jedoch auf der Reise kränker und langte sterbend in Marseille an, wo er am 10. Juni 1836 Morgens um 5 Uhr seinen Geist aushauchte. Er war 61 Jahre, 4 Monate und 20 Tage alt geworden.

Heller, Geschichte der Physik. II.

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