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ist demnach Wille, jedoch auf sehr verschiedenen Stufen. Es ist diese Generalisation der einzige Weg uns das innere Wesen der Natur zu offenbaren, und um ausserdem den unausgleichbaren Gegensatz zwischen Causalität und freiem Willen aufzuheben. Die Lehre von den beiden Identitäten: der Causalität und des Willens auf allen Stufen, ist in der Schrift: Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde" enthalten; sie bildet den Grundstein der Schopenhauer'schen Metaphysik. Er spricht diesen Satz in folgender Formulirung aus: „Die Motivation" (eines Willensaktes) ist die Causalität von innen gesehen." Mechanik und Astronomie zeigen uns den Willen auf der niedrigsten Erscheinungsstufe als Schwere, Trägheit u. s. f., während umgekehrt bei unsern selbstbewussten Willensäusserungen die Causalität nicht zur Erscheinung gelangt. Alles dasjenige an den Dingen, was nur empirisch, ,nur a posteriori erkannt wird, ist an sich Wille; hingegen, soweit die , Dinge a priori bestimmbar sind, gehören sie allein der Vorstellung an, , der blossen Erscheinung." Hier ist der Anknüpfungspunkt an die Kant'sche Philosophie.

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Die Gesammtausgabe der Werke Schopenhauer's umfasst 6 Bände in 8°, Jul. Frauenstädt (Leipz. 1873) hat sie herausgegeben. 1. Bd. Schriften zur Erkenntnisslehre: I. Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde; II. Ueber das Sehen und die Farben; III. Theoria colorum physiologica eademque primaria. Der zweite und dritte Band enthält das Hauptwerk: Die Welt als Wille und Vorstellung. Der vierte Band enthält die Schriften zur Naturphilosophie und zur Ethik: I. Ueber den Willen in der Natur; II. Die beiden Grundprobleme der Ethik. Der fünfte und sechste Band besteht aus den kleineren philosophischen Schriften: Parerga et Paralipomena.

Wir haben es hier eigentlich bloss mit einer Schrift unsers Philosophen zu thun: „Ueber das Sehen und die Farben" *), deren einzelne Theile in der Schrift über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde in erweiterter Form enthalten sind.

Ueber das Sehen und die Farben. Diese Abhandlung zerfällt in zwei Theile: 1. Kapitel. Vom Sehen; 2. Kapitel. Von den Farben. - Der erste Abschnitt dieser Schrift ist als wesentlicher Fortschritt in der Erkenntnisstheorie zu betrachten. Wir finden hier unsern Philosophen auf derselben Bahn, wie sie später von Helmholtz eingeschlagen wurde. Der zweite Abschnitt hingegen tritt in die Fussstapfen der Goethe'schen Farbenlehre und nimmt den Kampf auf mit der theoretischen Optik, wie sie im zweiten und dritten Dezennium unsers Jahrhunderts hauptsächlich von Seite der französischen Physiker ausgebildet worden war. Der Inhalt des ersten Kapitels ist im Wesentlichen folgender. Die Anschauung ist

*) Die folgende lateinische Abhandlung ist bloss eine Bearbeitung der voranstehenden deutschen.

in der Hauptsache ein Werk des Verstandes, der aus den rohen Sinneseindrücken mittelst der ihm eigenthümlichen Form der Causalität und der, dieser untergelegten, reinen Sinnlichkeit: Zeit und Raum, die objektive Aussenwelt schafft und hervorbringt. Unsere alltägliche, empirische Anschauung ist intellectualer Natur. Thatsächlich dienen ihr bloss zwei Sinne: das Gesicht und das Getast, die drei andern Sinne sind mehr subjectiv, da sie keinerlei räumliche Verhältnisse geben. Alles was wir anschauen, schauen wir als Ursache im Verstande an. Die Thatsachen, dass wir aus den in unsern Augen entstehenden, zwei verkehrt stehenden Bildern der Gegenstände, welche ihrerseits wieder nichts anders sind, als verschieden helle und verschieden gefärbte Fleckchen auf der Retina, die räumlichen Verhältnisse der Dinge in der Aussen welt construiren können, sowie die verschiedenen Anomalitäten beim Schielen u. s. w. zeigen uns, dass alle unsere Sinnesanschauung ein Werk unseres Verstandes sei. Der Verstand fasst daher jede Veränderung als Wirkung auf und bezieht sie auf ihre Ursache, so bringt er auf der Unterlage der apriorischen Grundanschauungen des Raumes und der Zeit das Gehirnphänomen der gegenständlichen Welt zu Stande, wozu ihm die Sinnesempfindungen bloss einige Data liefern. Dieses Geschäft vollzieht er allein, durch seine Form, welche das Causalitätsgesetz ist, ganz und gar ohne Hülfe der Reflexion, d. i. der abstrakten Erkenntniss, mittelst Begriffe und Worte, welche das Material der sekundären Erkenntniss, d. i. des Denkens, also der Vernunft bilden *). Als Beweis für die Unabhängigkeit der Verstandeserkenntniss von der Vernunft kann die Möglichkeit der Sinnestäuschung oder des falschen Scheines angeführt werden: das Doppeltsehen, Doppelttasten, das optische reelle oder virtuelle Bild, das gemalte Relief, die scheinbare Bewegung der Brücke auf der wir stehen u. A. Das vom Verstande richtig Erkannte ist die Realität, das von der Vernunft richtig Erkannte die Wahrheit. Den Gegensatz zu diesen beiden bildet der Schein (das fälschlich Angeschaute) und der Irrthum (das fälschlich Gedachte).

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Wenn wir den Inhalt des ersten Kapitels der Schrift ganz und vollinhaltlich unterschreiben können, so ist dies bezüglich des zweiten Kapitels: Von den Farben" mit nichten der Fall. Unser Verfasser stüzt sich nämlich im Wesentlichen auf Goethe's Farbentheorie und bekämpft gleich dem Altmeister der deutschen Dichtkunst die optische Theorie des Begründers der Gravitationsmechanik: Newton. Allerdings ist Schopenhauer's Farbentheorie eine vielfach wissenschaftlichere, als die Goethe's, sie enthält so manchen fruchtbaren Gedanken. Die Thätigkeit der Retina ist eine volle oder eine getheilte. Die getheilte kann quantitativ oder qualitativ sein, die quantitative wieder intensiv oder extensiv. Die

*) Schopenhauer's sämmtliche Werke. Herausgegeben von J. Frauenstädt. Leipzig 1873. Bd. I, pag. 71.

volle Thätigkeit der Retina vermittelt den Farbeneindruck des Glänzenden, des Weissen und des Schwarzen. Die intensiv getheilte Thätigkeit der Retina vermittelt den Eindruck des Grau, die extensiv getheilte den der Nachbilder, des Contrastes, die qualitativ getheilte Thätigkeit endlich die Farbenempfindungen. Bei jeder Farbe gibt es ein Complement, mit dem dieselbe die volle Thätigkeit der Retina hervorruft: die Empfindung des Weissen. Schopenhauer meint, Newton habe dadurch gefehlt, dass er als objektiv betrachtet habe, was subjektiv sei und die getheilte Thätigkeit der Retina durch eine Theilung des Lichtstrahls ersetzen wollte, dessen einzelnen Theilen unabhängig vom Auge die Farbe als ,qualitas occulta" innewohnt. Es folgt nun die Polemik gegen Newton, wobei er die Erscheinung der Dispersion, der Achromasie, der Farbenblindheit u. s. f. zu erklären sich bemüht. Den Erscheinungen der Polarisation, der Interferenz, der Fraunhofer'schen Linien steht er rathlos gegenüber, er kann bloss seinem Wunsche Ausdruck geben, dass einmal ein guter und unbefangener Kopf" käme und mit all diesem Zeug aufräumen möchte, der nämlich den wahren Zusammenhang herausbrächte, da sich nach seiner Ansicht die Physiker weniger um die Gründe, als um die Folgen der Naturpotenzen bekümmern, woher dann die technischen Erfindungen und hieraus der Respekt beim Volke herrühre, während es doch in der That um die Philosophie dieser Gelehrten schlecht bestellt sei.

Louis-Joseph Gay-Lussac.

Louis-Joseph Gay-Lussac wurde den 6. Dezember 1778 zu St. Léonard im Departement Haut-Vienne geboren, sein Vater Antoine Gay war Richter in Pont-de-Noblac. Der letztere nannte sich, um seine Familie von andern, gleichen Namens zu unterscheiden, nach einer in der Nähe von St. Léonard gelegenen Besitzung Gay-Lussac. Der junge Gay-Lussac erhielt seinen ersten Unterricht in seinem Geburtsorte, wo er von einem Geistlichen auch etwas Lateinisch lernte. Im Jahre 1793 wurde sein Vater, gleich vielen anderen, als verdächtiger politischer Gesinnungen beschuldigt, in den Kerker geworfen, aus dem er erst 1795 befreit wurde. Kurze Zeit nach seiner Befreiung sandte er seinen Sohn, dessen Talente er erkannte, in die Hauptstadt, wo dieser einige Jahre zubrachte, bis man ihn 1797 in die École polytechnique" aufnahm, wo er bis 1800 blieb. Von hier trat er in die École des Ponts et Chaussées", die er 1802 verliess. Im selben Jahre wurde er als Repetent an der École polytechnique" angestellt, 1809 wurde er zum Professor der Chemie an derselben Anstalt ernannt, nachdem er schon ein Jahr früher Professor der Physik an der Sorbonne geworden war. Gay-Lussac war ausserdem Professor der allgemeinen Chemie am „Jardin des Plantes“,

ferner Mitglied einer ganzen Reihe von Commissionen für verschiedene gewerbliche und staatlich-administrative Zwecke, wo man überall seine ausgebreiteten physikalischen und chemischen Kenntnisse in Anspruch nahm. Mitglied des „Institut" war er schon seit 1806, seit 1830 wurde er einige Male zum Deputirten gewählt, im Jahre 1839 wurde er zum Pair ernannt. Diese Auszeichnung war ihm zwar schon lange zugedacht gewesen, man fand es jedoch anfänglich dieser hohen Würde widersprechend, dass ihr Träger, wie dies Gay-Lussac that, in der königlichen Münze eigenhändig die Barren edlen Metalles mit dem amtlichen Stempel versehe. Gay-Lussac hatte in einer Pariser Leinwandhandlung zufälligerweise die Bekanntschaft eines jungen, sechszehnjährigen Mädchens, die dort als Verkäuferin angestellt war, gemacht. Sein Interesse wurde dadurch geweckt, dass er wahrnahm, dass jenes Mädchen in einem Lehrbuche der Chemie lese. Nachdem er diese Bekanntschaft eine Zeitlang fortgesponnen hatte, verlangte er das junge Mädchen, die Tochter eines armen Musiklehrers, zur Frau. Bevor jedoch diese Verbindung vollzogen wurde, sandte er sie zur Vervollkommnung ihrer Erziehung in eine Erziehungsanstalt. Seine Wahl war eine glückliche gewesen; der Gelehrte. lebte vierzig Jahre lang zufrieden an ihrer Seite.

Gay-Lussac war ein eifriger und ausdauernder Arbeiter, der sich. während seines thätigen Lebens fortwährend einer guten Gesundheit erfreut hatte. Im Jahre 1850 begann er zu kränkeln und starb nach kurzem Kranksein am 9. Mai dieses Jahres zu Paris. Kurze Zeit vor seinem Tode liess er durch seinen Sohn eine angefangene Arbeit über die Philosophie der Chemie" verbrennen, da er kein unvollendetes Werk hinterlassen wollte.

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Als Berthollet nach Beendigung der ägyptischen Expedition nach Paris zurückgekehrt war und seine wissenschaftlichen Arbeiten wieder aufnehmen wollte, bat er sich einen Zögling der „École polytechnique" aus, der ihm bei seinen chemischen Arbeiten behülflich sein sollte. Die Wahl fiel auf Gay-Lussac und auf diese Weise entspann sich ein Freundschaftsverhältniss zwischen dem älteren und dem jüngeren Gelehrten, welches bis zu des ersteren Tode währte. Gay-Lussac's physikalische Untersuchungen beziehen sich vorzugsweise auf das Verhalten der Gase und auch der Dämpfe, wenn dieselben verschiedenen mechanischen und thermischen Einwirkungen ausgesetzt werden. Hierauf beziehen sich auch jene Ballonfahrten, welche unser Forscher unternahm, um den Zustand der Luft in den höheren Regionen der Atmosphäre zu ergründen. GayLussac und Biot stiegen am 23. August 1804 aus dem Garten des Conservatoire des Arts et Métiers" in einem Ballon auf, wohl ausgerüstet mit den verschiedensten physikalischen Instrumenten. Die Expedition geschah auf Kosten und im Auftrage der Pariser Akademie der Wissenschaften, welche hauptsächlich über das Verhalten der Magnetnadel in jenen, von der Erde entfernten, Regionen Aufschluss erhalten.

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wollte. Der Ballon war nicht gross genug und erhob sich deshalb bloss auf die Höhe von 3977 Metern. Die fortwährende Drehung des Ballons erschwerte die Schwingungsbeobachtungen der Magnetnadel. Biot wurde ohnmächtig, Gay-Lussac widerstand den Anwandlungen von Schwäche und führte die vorgesetzten Beobachtungen aus. Er fand den Einfluss des Erdmagnetismus auf die Nadel nahezu gleich demjenigen an der Oberfläche der Erde, allerdings konnte er im Ganzen bloss die Zeit von fünf Schwingungen beobachten. Der elektrische Zustand der Luft war ein bedeutender und zwar immer negativer. Das Saussure'sche Haarhygrometer wies auf grosse Trockenheit, das Thermometer sank von 14 auf 82° Reaumur. Nach 32 Stunden kamen die beiden Luftschiffer wohlbehalten auf der Erde an. Gay-Lussac war mit dem erreichten Resultate nicht zufrieden und entschloss sich zu einer zweiten Luftreise. Am 9. September 1804 stieg er allein auf und erhob sich bis zu einer Höhe von 7016 Metern. Er fand in diesen obern Regionen die Luft sehr kalt, das Thermometer wies auf 6° Reaumur unter dem Gefrierpunkte, während zur selben Zeit die Temperatur an der nördlichen Seite der Sternwarte im Schatten über 22° Reaumur betrug. Es ergab sich aus diesen Beobachtungen eine Abnahme der Temperatur für je 174 Meter um einen Grad. Diese Rechnung ist allerdings wenig stichhaltig, da die Bestimmung der Ballonhöhe aus den beobachteten Barometerständen schon ein gewisses Gesetz der Abnahme der Temperatur voraussetzt. Gay-Lussac gelang es dieses Mal, für die Beobachtung der Schwingungsdauer der Magnetnadel bessere Resultate zu erhalten als das erste Mal. Die Zeit einer Schwingung betrug in den verschiedenen Höhen etwa 42 Sekunden, soviel beiläufig, als an der Oberfläche der Erde. Die Schwankungen von einigen Bruchtheilen von Sekunden zeigten keinerlei gesetzmässige Veränderung. Das Athmen war in dieser Höhe erschwert, der Puls und die Athmungsthätigkeit war eine beschleunigte, die Trockenheit der Luft war eine so bedeutende, dass der Gelehrte kaum im Stande war, ein Stück Brot hinabzuschlingen. In der Höhe von etwa 6300 Metern sammelte er Luft in einem Gefässe, die er nachher einer eudiometrischen Untersuchung unterzog. Er fand, dass die Luft in jener Höhe genau dieselbe Zusammensetzung habe, wie an der Oberfläche der Erde. Ferner wies er nach, dass diese Luft keine Spur von Hydrogen enthalte, entgegen der Ansicht Berthollet's, der die Gewittererscheinungen auf atmosphärische Knallgasexplosionen zurückzuführen versucht hatte. Nach einer Luftfahrt von etwa 6 Stunden erreichte Gay-Lussac den festen Boden zu St. Gourgon zwischen Rouen und Dieppe.

Die älteren Versuche über die Ausdehnung der Gase bei constantem Drucke und besonders der atmosphärischen Luft, hatten keine verlässlichen Resultate geliefert, da die angewendeten Gase Wasserdampf enthalten hatten. Der Wahrheit am nächsten kamen die Bestimmungen von Lambert, De Luc und Tob. Mayer. Die beiden ersten erhielten

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