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Ein Schriftsteller von zweifelhaftem Alter und dunklen Absichten, welcher sich den Namen des berühmtesten Schülers von Paulus in Athen gab, den des Dionysius Areopagita, brachte den Be= griff in die christliche Kirche herein, und seitdem herrscht er. E3 gab vorher zwar Denkarten, dieser hier dargelegten zu vergleichen, (und so hat die Mystik besonders immer die Schriften der beiden Makarius aus dem vierten Jahrhundert als die ihren verehrt)); aber in der That noch niemals ganz dieselbe, und sie war noch niemals in offenen Gegensaß zu andern Parteien getreten. Der. Name erinnert an die Mysterien, und gewiß ging auch die Sache aus ihnen ursprünglich hervor, was és auch immer mit jenem Dionyfius für eine Bewandtniß gehabt haben möge, der wenigstens in jedem Falle ein Mysterienmann war und sich als solchen überall bekennt. Das kleine Buch dieses Schriftstellers, von der mystifchen Theologie, muß natürlich allen Bestimmungen über diesen Gegenstand zum Grunde gelegt werden; wie es denn auch geschichtlich immer als die Haupturkunde dafür vorliegt. Das Mystische stellte sich damals dem Gnostischen entgegen, und (um den allgemeinen Begriff der Sache kurz anzugeben) es bedeutete eine Denkart, in welcher eine Vereinigung mit der Gottheit, sowohl als Mittel, als auch als Zweck des religiösen Lebens, angenommen würde.

Insofern entwickelte sich die Mystik im Orient ganz wie im Abendlande, als auch sie aus den Mysterien in den herrschenden Religionen entsprang. Aber sonst ist Geist und Charakter jener morgenländischen Mystik immer so verschieden von dem der abendländischen gewesen, daß man sie oft nicht in einander wieder erkennt, und nur der unberechtigte Name sie vereint. Uebrigens ist auch jene in sich so verschieden, wie es die unsere ist; und wir werden bei einer neueren Schrift hierüber im Folgenden noch einiges zu bemerken haben. Wir wollen hierin nur das von ihr be= merken, daß sie sich immer unmittelbar an die herrschende Religion anschließen wollte; und sie ist deswegen schon immer freier, selbst kühner und lebendiger gewesen, als die des Abendlandes. Die Vereinigung beider Arten von Mystik im Übendlande erzeugte die Theosophie, auf welche wir weiterhin zurückkommen werden.

Die Mystik des Dionysius Ureopagita trieb und gedich in der griechischen Kirche seit dem sechsten Jahrhundert, obwohl mehr in der Stille, fort; immer in einer gewissen kirchlichen Opposition. Allein größere Resultate, oder auch nur weitere Entwickelungen hat sie hier nicht gehabt. Ihr gedeihlicher Boden wurde die abendländische Kirche, in welcher fie im Mittelalter dadurch freilich am meisten so üppig fortrankte und so machtig wurde, weil die Kirche dem Leben der Völker so fremd war; theils also durch die Roheit

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der Menschen, theils durch die Misbräuche, welche hier vom An= fange an geherrscht hatten, besonders die Menschenherrschaft und das todte Ceremonienwesen: aber doch hatte auch die große Gährung daran ihren Theil, welche besonders durch die fremden Philoso phieen in die Gedanken und die Lehren gekommen war. Es wurde die Mystik in die abendländische Kirche im neunten Jahrhundert übergetragen mit den areopagitischen Schriften, welche ihr Träger geworden waren; und schon im zwölften wenigstens gab es eine Partei mystischer Theologen in dieser Kirche.

Der Name derselben blieb aber lange ein Ehrenname, von der Partei selbst gebraucht, und in der großen Gährung des fünfzehnten Jahrhunderts war es wirklich eine sehr ehrenwerthe Partei, welche ihn führte, aber auch, (besonders durch Johann Charlier (aus) Gerson) die alten Ansichten dieser Art sehr zu beschränken und zu vereinfachen suchte. Es blieb die Sache auch in den großen kirchlichen Bewegungen des folgenden Jahrhunderts; sie hatte sogar großen Theil an denselben, sofern Luther wenigstens ihr sehr gün stig war und die Schriften welche sie verkündigten, selbst vertrat, sie sogar bekannt machte. Der Name dagegen verlor sich damals, schon weil er Parteiname war. Wir finden an seiner Stelle den der deutschen Theologie, im Gegensahe der scholastischen (romanischen), welchen auch eine Schrift führte aus dem vierzehnten oder fünfzehnten Sáculum, von Luther zuerst in den Druck gegeben, auch neuerdings von Vielen gepriesen und wiederholt herausgege= ben*). Dieser deutschen Theologie stellte sich eine deutsche Philoso phie an die Seite: diese war die des Paracelsus und Jakob Böhm's (philosophus teutonicus auch vor seinen Schriften genannt). Sollte denn der große und edle Name unseres Volkes immer wie ein Parteiname, und im Zusammenhange mit Entstellungen und Verzerrungen gebraucht werden?

Frren wir nicht, so brachte das siebzehnte Jahrhundert erst, und zwar unter den Jesuiten und durch sie veranlaßt, unter den Protestanten den Namen der Mystiker in Gebrauch. Dieses Wiederaufleben hat sehr bedeutend auf die Geltung und das Geschick der Sache eingewirkt. Denn dort gehörte die Mystik von nun an zu den Versuchen, in der Kirche zu verdunkeln; hier begann

*) 3. B. von K. Grell, zu Berlin 1817, unter jenem alten Titel: Die deutsche Theologie". Wir erlauben uns bei dieser Erwähnung nur unsere Verwunderung auszudrücken, wie sich die neuesten heroen der Orthodoxie auch auf diese Schrift beziehen können, in welcher doch die Dogmen nur allegorisirt worden sind. Nämlich man nimmt es nur mit den Formeln genau, und oft versteht man es nicht ein mal, was die Schriftsteller eigentlich gewollt haben.

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sie, schon durch diesen Zusammenhang mit dem Papstthume (wie man jene Kirche einmal vorzugsweise nannte, da doch der Katholicismus nicht immer Papstthum, und die lutherische Kirche des siebzehnten Jahrhunderts in vielen Stücken dem Papstthume sehr verwandt war), aber auch bei der Gegenpartei unter den Nichtjesuis ten verhaßt zu werden. Nur unter den Cartesianern gab es einige Ausnahmen. Daher mußte die pietistische Partei seit ihrem Entstehen fortwährend den Vorwurf hören, daß sie aus der mystischen Theologie hervorgegangen sey; und ihr Stifter, der, seiner Gesinnung nach sehr ehrwürdige Spener (der übrigens allerdings zu großen Verirrungen Anlaß gab, welche nicht bloß in dem Geiste und Leben der Zeit lagen) hatte selbst nichts angelegentlicher zu thun, als die Seinen von diesem Vorwurfe zu reinigen.

Von da an dauerte indeffen der Name in allen kirchlichen Parteien fort; die Sache aber entwickelte sich mehr in der katholischen; als bei den anderen.

Der Jansenismus und das Oratorium, diese Mittelparteien zwischen Römischkatholischen und Protestanten, hingen ihr, in der alten und manchen neuen Formen, an. Aber erst die neueste Zeit hat Namen und Sache in jene Berühmtheit gebracht, deren im Eingange gedacht wurde und welche wir kennen. Man kann sagen, daß die kantischen Schriften auch diese, wie so viele andere, alte kirchliche Benennung wieder hervorgezogen, und nach und nach auch aus ßer der kirchlichen Sprache, als Bezeichnung einer allgemeinen Denkund Sinnesart, (nicht mehr also bloß als mystische Theologie, sondern als Mystik oder Mysticismus) in Gebrauch gebracht haben. Es ist aber auch nun erst fühlbar geworden, wie übel es gekomi men sey, daß man einen solchen kirchlichen Namen zum Gebrauche überkommen hatte: denn dieser führte für das Schlechtere eine Gemeinschaft mit dem Besseren, und also bald eine Entschuldigung, bald selbst eine Ermunterung für dasselbe mit sich; und es knüpften sich viele Misverständnisse und Streitigkeiten an ihn.

Es wird die Beurtheilung der Schriften, zu welcher wir sogleich übergehen werden, zur Erörterung mancher einzelner Erscheinungen auf dem Gebiete des Mysticismus führen; und wir wollen hier nur etwas über den Begriff der Sache hinzufügen. Eine gewisse Denk- und Sinnesart überhaupt sollte der Name eigent lich niemals bezeichnen: denn dafür hat die Sprache schon mancherlei andere Namen und der alte Mysticismus war etwas mehr; selbst wenn man den Namen außer der Theologie gebrauchen möchte, muß er doch in einer besonderen Beziehung gebraucht werden. Die Weichheit des Gefühles also, die Unklarheit der Gedanken, die Verworrenheit, die Schwärmerei und deren verschiedene Arten und Abarten sind an sich noch nicht Mystik. Wohl aber liegen

ihr solche Zustände der Seele und solche Umstände in der Bildungsgeschichte der Zeit zum Grunde. Auch gehört der Name nie bloß für Erscheinungen des gemeinen Lebens, wenngleich die Mystik oft auch nur in entfernterem Zusammenhange mit Schulen und Parteien gestanden hat. Endlich dürfen niemals in sich abgeschlossene, unbe= zogene Erscheinungen in der Menschengeschichte so genannt werden; sondern immer nur solche, welche in ihrer Zeit entstanden, auf sie bezogen sind.

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Unserer Ansicht nach also, und nach der Geschichte der Mystik, besteht sie vielmehr erstlich immer in einer Gegenwirkung, im Großen oder im Einzelnen, gegen eine herrschende oder die öffentlich anerkannte Denkart in Religion, Wissenschaft und Philosophie, und zwar in einer Gegenwirkung gegen den Vernunftgebrauch (überhaupt, oder einen gewissen), oder für die Herrschaft einer Auctoritat. so zeigen sie die, im Vorigen gegebenen, flüchtigen Umrisse in eis ner dreifachen Opposition vornåmlich: gegen die gnostische die kirchlich-scholastische und die kirchlich reflectirende Denkart. Ferner ist sie immer ein künstliches Erzeugniß, aus Schulen und Theorien hervorgegangen, gewesen, und in stehenden Formeln, in einem ge= wissen stehenden Charakter und als künstliches Erzeugniß erhalten worden. Endlich hat alle Mystik Eine Idee zum Gegenstande, die der Vereinigung mit Gott, auf welche sie sich immer, als auf das Mittel und den Zweck ihres Strebens zugleich, gerichtet hat. In jedem Falle und in allen Gestalten aber war sie immer eine Ueberz spannung der Gefühlsreligion; nur von einer besonderen Richtung und Beziehung. Die Idee aber von der Vereinigung mit Gott ist das natürliche Erzeugniß jener Gefühlsanspannung, so wie mit ihr die vornehmsten mystischen Misbräuche natürlich zusammen= hången.

Was nämlich auch immer die Bedeutung und der Grund der Gefühle im menschlichen Leben sey*); wo sie zur Oberherrschaft und somit zur Ueberspannung gelangt sind, erscheinen sie als solche Regungen, in denen sich der Mensch, von aller Thätigkeit und Wirksamkeit zurückgezogen, auf einen inneren Genuß beschränkt, welchen er denn auch ganz allein durch sich selbst erwartet. Aber

*) Dieser Gegenstand hat neuerdings die Philofophen von neuem fehr beschäftigt. Die ganze Untersuchung ist auch erst von Kant ausgegangen. Wir bekennen sehr gern, daß dasjenige, was Krug neuerlichst gegen die seit jenem hergebrachten Vorstellungen über das Gefühlsvermögen entwickelt hat, uns sehr zugesagt habe. Und es ist merkwürdig, daß in manchen Hauptansichten mit ihm einer unserer trefflichsten Philosophen, Schopenhauer, übereingestimmt hat, mit welchem jener Schriftsteller sich sonst wohl wenig begegnen mag.

es ist nicht nur die angelernte und anerkannte Nothwendigkeit der Idee von Gott, als dem Urgrunde des menschlichen Daseyns, durch welche sich diese Gefühle endlich alle auf die Gottheit beziehen müssen; sondern sie entwickeln sich zu jener Vorstellung von einer nothwendigen Verbindung mit Gott, durch ihre Natur selbst. Denn sie streben in das Tiefste und das Geheimste zurück, und wollen in völliger Passivität von einer mächtigen Kraft angeregt werden; zugleich aber wollen sie alles dieses was sie suchen, nicht außer sich, sondern in einem unmittelbaren Zusammenhange mit dem Wesen der Seele selbst besigen. Und dieses giebt eben jene Vereinigung mit der Gottheit, welche die Mystik unmittelbar, geheimnißvoll und in einem rein passiven Zustande der Seele erwartet. Indem sie aber auf diese Idee eben beschränkt wird, faßt sie jene Vereinigung zugleich als Mittel und als Zweck auf; und auch dieses mehrt die Verwor renheit, in welcher die ganze Sache besteht. Selbst in den Aeußerungen offenbart sich dieselbe, indem der Mystiker immer zugleich zu besigen meint und doch auch verlangt und sucht; und gewiß liegt hierin mehr als in gewissen theologischen Meinungen der Grund je= nes demüthigen Hochmuthes, welchen wir auf diesem Gebiete so häufig vorfinden.

Der Zustand des Mysticismus und seine vornehmsten Erschei nungen lassen sich nun sehr vielfach und weit entwickeln; auch mag es noch viele andere Ausdrücke für den Begriff geben, welchen wir hier aufgestellt haben: aber das Wesentliche der Sache scheint immer hierauf zurückkommen zu müssen.

Manche Abtheilungen in den Erscheinungen der Mystik, welche zum Theil auch von alten Zeiten her im Gebrauche waren und von den neuesten Schriftstellern wiederholt worden sind, sind nicht genau genug. Der theoretische Mysticismus z. B., im Gegens sage zu dem praktischen, geht schon aus dem Wesen der Sache heraus und ist Theosophie; oder die Unterscheidung hat einen bloß zufälligen Grund, den nämlich, daß ein Mystiker sich über seine An= sicht und sein Streben ausspreche, ein anderer sich auf die Betrachtung und den Genuß in sich selbst beschränke. Der active, im Gegensahe zum passiven, kann auch nicht acht seyn, oder er ist uns bloß die Bezeichnung eines zufällig anderen Zustandes, welcher in der Mystik selbst nichts verändert. Wir möchten an der Stelle dieser beiden Abtheilungen die vorschlagen, in Mysticismus der Contemplation und des Genusses, und in den des Individuums und der Partei. Denn allerdings richtet sich dieser Zustand, nach der natürlichen Anlage und der gesammten Eigenthümlichkeit der Einzelnen, bald mehr auf die Gemeinschaft des Geistes mit Gott, bald mehr auf die des Gemüthes; und der Mensch, welcher in demsel= ben lebt, hat sich immer entweder gewöhnt mehr für sich zu seyn und

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