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Häuptlinge der Freier den Helden in so eklatanter Weise beleidigt hatte, der andere ihm hierin nicht nachstehen dürfe. Da die Kuhpfote des Ktesippos nach einer anderen Ueberlieferung noch in Aussicht stand, machte die Erfindung eines eigenen Motivs Schwierigkeiten; immerhin bietet der an die Glatze des Odysseus geknüpfte Scherz eine passende Variation und lässt von der Gestaltungskraft des Dichters der Fortsetzung eine unvergleichlich günstigere Vorstellung gewinnen, als von der des späteren Bearbeiters. (S. 519. 520). Dies also Kirchhoff's Urteil über beide! Das neunzehnte Buch dagegen teilt Kirchhoff mit Ausnahme der Episode von 3-52, welche jüngere Interpolation sei, und der ersten Erkennung des Helden durch Eurykleia beim Fusswaschen, wo eine ältere Quelle vorliege, fast ganz dem Fortsetzer zu, da namentlich die Tendenz das Folgende vorzubereiten zu stark hervortrete. Unter den Anmerkungen muss ich auf die zu Vs. 270 ff. hinweisen: Der Verfasser dieser Verse giebt sich die ganz überflüssige Mühe, den Inhalt der erfundenen Erzählung des verkappten Odysseus mit den als wirklich geglaubten oder vorausgesetzten Thatsachen der abenteuerlichen Rückfahrt des Helden in einen plausiblen Zusammenhang zu bringen, so dass nur der Abschluss dieser Abenteuer, die Heimkehr von Scheria nach Ithaka, vorläufig zurückgehalten und durch eine Erfindung ersetzt wird. Die Phaeaken beschenkten Odysseus reichlich und waren bereit, ihn in die Heimat zu führen, so dass er längst schon hätte eingetroffen sein können, wenn er nicht vorgezogen hätte, noch eine Weile herumzuziehen, um Schätze als heischender Bettler zu sammeln, in Folge wovon er auch Thesprotien besuchte. Die Erfindung ist so erbärmlich, dass sie Kirchhoff nicht glaubt dem älteren Dichter zutrauen zu dürfen, sondern sie vielmehr dem jüngeren Bearbeiter zuweist, auf den auch die Erwähnung des Abenteuers mit den Sonnenrindern führt. Wenn er aber daraus, dass Odysseus nach diesen Versen von Thrinakia direct nach Scheria gelangt, folgert, dass die zweite der von ihm (dem Bearbeiter) für die Redaction der Apologe benutzten Quellen, welche die Person der Kalypso nicht kannte, die Abenteuer in dieser Reihenfolge erzählte«, so scheint mir dies doch etwas zu weit gegangen. Die andere Darstellung muss ihm doch ebenso geläufig gewesen sein, und die hier gegebene Version auf reiner Willkür und dem Streben nach Kürze beruhen. Uebrigens musste Kirchhoff, wenn er hier die Verse beanstandet, welche auf die Vorgänge in μ directen Bezug nehmen, auch & 131. 132 athetieren (vergl. mein Progr. S. 16. 17). Jedenfalls verdient die Athetese in der jetzigen Form (Vs. 273-286) den Vorzug vor der in der ersten Auflage (Vs. 282-299). Ausgeschieden wird aus dem Folgenden noch die Episode 395-466, mehr aus subjektiven Gefühl. Sie soll dem Bearbeiter gehören, ebenso wie die Vs. 518-524 (vergl. die Anm. zu v 66-82).

In welcher Weise sich Kirchhoff den Rest der alten Odyssee ent

standen denkt, darüber spricht er sich in der Einleitung zu aus: »Dass die vortreffliche Schilderung der Hergänge in der Nacht und am Frühmorgen des Entscheidungstages zu Anfang des zwanzigsten Buches nach Inhalt und Form dem Dichter der Fortsetzung verdankt werde, haben wir, soviel ich sehen kann, zu bezweifeln keinen Grund. Für die Darstellung des Freiermordes dagegen bis zum Ende des zweiundzwanzigsten Buches scheint er zwei verschiedene, in ihren Motiven weit auseinandergehende Ueberlieferungen benutzt zu haben. Die eine setzte den Kampf mit den Freiern auf den Tag des Apollofestes einer vouurvía, liess bei dieser Gelegenheit Penelope ihre Hand als Preis für den Sieger im Bogenkampf aussetzen und verlegte das Lokal des Herganges in den heiligen Bezirk des Apollotempels, in der anderen war die Scene des Rachekampfes das Haus des Odysseus, und der Bogenkampf spielte bei dem Hergange keine Rolle «. Die Verschmelzung ist nicht vollständig gelungen; gewisse Andeutungen, auf welche Kirchhoff im Folgenden hinweist, verraten noch die eine und die andere Auffassung. »Abgesehen von diesen Momenten ist im Uebrigen der Dichter seines Stoffes vollkommen Herr geworden und seine Darstellung gewährt einen seltenen, höchstens durch die Dehnung der zweiten Hälfte der Kampfesscene einigermassen beeinträchtigten Genuss (S. 526). Ebenso günstig urteilt Kirchhoff noch über den Anfang von : Die wohlgelungene Durchführung der letzten Scene der älteren Fortsetzung, die Wiedervereinigung des sieghaften Helden mit seiner Gattin, enthält keine erkennbaren Spuren der Anlehnung an eine ältere Darstellung des Gegenstandes. Dass der Dichter das von ihm zu anderen Zwecken erfundene Motiv des körperlich verwandelten Odysseus im Laufe der Erzählung vergessen und für die Gestaltung dieser letzten Scene unberücksichtigt gelassen hat, ist zwar ein Mangel, aber doch kein Grund, ihm das Verdienst und die Anerkennung abzusprechen, auf welche Wert und Gehalt dieses Teiles der Dichtung ihm einen begründeten Anspruch sichern (S. 531). Nur scheint mir diese Auffassung nicht ganz mit der zu stimmen, welche er im ersten Excurse zu diesem Teile der Dichtung entwickelt hat: »Für diese wegen ihrer gemütlichen Bedeutung gewiss von jeher mit besonderer Vorliebe behandelte Scene hatte die Ueberlieferung das Erkennungsmotiv eines nur den beiden Gatten und wenigen ausser ihnen bekannten Geheimnisses als typisch festgestellt, welches der Ordner noch viel weniger als jenes frühere (die Narbe am Fusse) übergehen durfte« (S. 544); denn hier scheint Kirchhoff doch Anschluss an frühere Darstellung anzunehmen. Freilich die Einzelheiten der Darstellung können dabei ausschliessliches Eigentum des Dichters sein.

Den Schluss der Odyssee (von 297 an) hält Kirchhoff mit den Alexandrinern und fast allen neueren Kritikern für unecht und weist ihn dem Bearbeiter zu; die Anmerkungen zu den einzelnen Versen sollen den Nachweis führen, dass der Dichter hier ebenso mechanisch und

ungeschickt verfahren ist, wie in den übrigen Teilen der Dichtung, und dass er namentlich viele Verse aus der Ilias und Odyssee entlehnt hat. Nur von der Erkennungsscene bei Laertes wird geurteilt, dass sie von einem lebendigen und wahren Gefühl getragen sei. Doch sei der Gedanke an etwa stattgefundene Benutzung eines älteren Liedes als unerweisbar fernzuhalten. Denn es sei kein Grund vorhanden, dem Bearbeiter die Fähigkeit abzusprechen, neben vielem allerdings Mittelmässigen und Schlechten auch einmal etwas Gelungenes zu liefern.

Es erübrigt nur noch mit ein paar Worten auf die Zeit der Entstehung der jüngeren Bearbeitung einzugehen. In der ersten Ausgabe schrieb Kirchhoff (S. V), dass der ältere Kern (d. h. der alte Nostos mit der älteren Fortsetzung) bis gegen die 30. Olympiade in dieser Form bestanden habe; er fügt jetzt (S. VIII) hinzu: »und zum Teil noch später bis in die Mitte des sechsten Jahrhunderts«, weil Eugamon von Kyrene, der Dichter der Telegonie, diese noch an einen Text der Odyssee angeschlossen zu haben scheint, welche die Zusätze des Bearbeiters (wenigstens den Schluss) nicht kannte. »Um die 30. Olympiade (in der I. Auflage »zwischen der 30. etwa und 50. Olympiade«) ist dann diese ältere Redaction von einem Unbekannten einer umfassenden Bearbeitung unterworfen worden. Dieses Resultat gewinnt Kirchhoff zunächst dadurch, dass er (im II. Excurs) zu zeigen sucht, dass der sogenannte jüngere Nostos (x und u) Anklänge an die Argonautensage zeige. Diese sei aber erst nach der Gründung von Kyzikos, welche in die siebente, nach anderen in die 24. Olympiade gesetzt werde, dort localisiert worden. Ein Gedicht also, welches auf diese Sage Bezug nehme, müsse erheblich später, »jedenfalls nicht viel vor der 30. Olympiade entstanden sein. Ferner zeigen die unter Hesiod's Namen gehenden Eoeen und Kataloge Bekanntschaft mit den Zusätzen der jüngeren Bearbeitung*). Da nun diese Dichtungen zwischen die 40. und 50. Olympiade fallen, so setzt dieser Umstand eine ziemlich verbreitete Kenntnis der Odyssee in ihrer heutigen Gestalt um diese Zeit voraus. Andererseits aber zeigen die Nosten unzweideutige Anklänge an das dritte und vierte Buch der Odyssee. Während nun Kirchhoff in dem früheren IV. Excurs zu dem Ergebnis kam (die Compos. der Odyssee S. 105): Somit benutzte der Dichter der Nosten von den Bestandteilen der Odyssee nur den alten Nostos und wahrscheinlich dessen Fortsetzung, daneben auch die Telemachiade, aber dann freilich noch in ihrer unverkürzten Gestalt, als selbstständige Dichtung. Die jüngere Bearbeitung des Gedichtes und Alles, was damit zusammenhängt, war ihm unbekannt, gelangt er, namentlich weil er jetzt dem Zeugnis des Eusthatius gegenüber den Excerpten des Proklos grösseres Gewicht beilegt

') Dagegen wird 7 56-68 als eine Interpolation bezeichnet, welche noch jünger sei als die Schlussredaction der Dichtung (S. 321).

(vergl. namentlich S. 3373 mit 99-102 der Composition), in der neuen Ausgabe zu einem anderen, beinahe entgegengesetzten Resultate (S. 339): »Ausgemacht ist, dass der Dichter der Nosten von den Abenteuern des Odysseus die Landung bei den Kikonen, die Fahrt zum Hades, um den Schatten des Tiresias zu befragen, den Aufenthalt bei der Kirke und die Heimkehr erwähnte und behandelte. Nehmen wir hinzu, dass er den Inhalt des jetzigen dritten und vierten Buches kannte und nach dem Obigen ihm auch das elfte in der Fassung vorlag, welche es erst durch den Bearbeiter erhalten hat, so darf als sicher angesehen werden, was aus dem letzteren Umstande als wahrscheinlich gefolgert wurde. O. Müller glaubte die Abfassung der Nosten in die 20. Olympiade setzen zu dürfen; wäre dieser Ansatz richtig, so müsste folglich die jüngere Redaction der Odyssee noch über diese Epoche hinaufgerückt werden, und wenigstens in einen Widerspruch mit dem Ergebnis der früheren Erwägungen, wonach diese Redaction gegen die 50. Olympiade bekannt und verbreitet war, würden wir damit nicht geraten«. Mit dem letzteren Ergebnis gerät Kirchhoff allerdings nicht in Widerspruch; wie sich aber dasselbe mit dem anderen vertragen soll, dass die Bücher x und μ die Argonautensage voraussetzen sollen und dann jedenfalls nicht viel vor der 30. Olympiade entstanden sein können, ist weniger klar. Denn wenn der Dichter der Nosten um die 20. Olympiade die jetzige Gestalt der Odyssee schon genau kennen soll, so müssten wir die Abfassungszeit derselben mindestens einige Jahre früher setzen und wieder vor diese Redaction noch die Entstehung des jüngeren Nostos, der ja erst wieder von dem Bearbeiter benutzt wurde. Auf keinen Fall aber durfte Kirchhoff dann schreiben, dass der ältere Kern etwa um die 30. Olympiade<< überarbeitet worden sei; er hätte schreiben müssen »zwischen der 10. und 20. Olympiade«. Nun ist aber die Anspielung auf die Argonautensage mit gutem Grunde bestritten worden (s. u.), während die Nachahmung in den Nosten mir wenigstens ganz sicher zu sein scheint. Wollen wir also einen terminus ante quem haben, so würde alles auf eine möglichst genaue Bestimmung der Zeit, in welcher die Nosten entstanden sind, ankommen. Dies aber dürfte schwer sein und kaum zu einem anderen Ergebnis als dem O. Müller's führen.

Wir sind am Ende der Besprechung dieses bedeutsamen Werkes, welches durch die streng wissenschaftliche Methode der Behandlung dieser schwierigen Frage fast einzig in der Homerischen Litteratur dasteht. Wohl sind Einwendungen gegen die von Kirchhoff gefundenen Resultate möglich und wir werden deren noch mehr bei der Besprechung der folgenden Schrift machen immer aber wird man sagen müssen, dass er in der Hauptsache das Richtige gesehen und wenigstens den Weg gezeigt hat, auf welchem man allein zu einem richtigen Verständnis der Entstehungsart der Odyssee gelangen kann. Er ist einsichtig genug, um nicht mehr Anerkennung, als dieses Zugeständnis zu wünschen,

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wenn er am Schluss der Einleitung schreibt: »Zum Schlusse wiederhole ich mit Bedacht die bereits früher abgegebene Erklärung, dass das Höchste, was ich zu hoffen wage, nie mehr gewesen ist, als dass es mir gelingen werde, vorurteilslose und selbstthätiger Prüfung gewachsene Köpfe von der ungefähren Richtigkeit der hauptsächlichsten Resultate meiner Aufstellungen zu überzeugen, und dass ich nicht naiv genug bin zu glauben, dass auf dem Boden solcher Untersuchungen, wie die vorliegende, zu völliger Gewissheit und Uebereinstimmung bis in alle Einzelheiten je gelangt werden könne«.

Gegen einen Teil der von Kirchhoff aufgestellten Behauptungen wendet sich

3) Georg Schmidt, Ueber Kirchhoff's Odyssee-Studien. Programm der königl. bayer. Studienanstalt zu Kempten. 1879. 62 S. 8.

Der Titel ist allgemeiner, als der Inhalt ausführt. Schmidt spricht nämlich nicht im allgemeinen über Kirchhoff's Odysseestudien, sondern bekämpft speciell die von Kirchhoff gewollte Form der Apologe. Wir müssen von vornherein sagen, dass die Darlegung ohne Leidenschaftlichkeit und mit Gründen erfolgt, die selbst Kirchhoff anerkennen muss. Zu bedauern ist, dass die Abhandlung vor der zweiten Auflage von Kirchhoff's Odyssee verfasst ist; manche Bemerkung würde jetzt überflüssig sein. Im ersten Teile nun der Erörterung giebt Schmidt zu, dass wir auf die Frage 238 allerdings erwarten, dass Odysseus seinen Namen und seine Schicksale erzähle. Er habe dies auch gewollt, wie die ersten Worte der Antwort bewiesen. Nur habe die zweite Frage, woher er die Kleider habe, ihn bewogen, erst darauf zu antworten. Nach dieser Erzählung sei er von dem Könige unterbrochen und so gehindert worden weiter zu erzählen. Die Nacht sei zu weit vorgerückt gewesen, um alles zu beenden und der Dichter habe ausserdem den Helden vor versammeltem Volk seine Erlebnisse wollen erzählen lassen. Dabei wird der Vs. 7 297, welcher einen gewissen Abschluss in der Erzählung macht, als unecht verworfen. Von diesen Ausführungen ist nur das Zugeständnis wichtig, dass in den Versen 238. 239 wirklich nach Namen und Herkunft des Odysseus gefragt werde und dass er darauf habe antworten wollen. Wer dies zugiebt und nur Voreingenommenheit kann diesen Sinn in den Worten nicht finden der muss auch zugeben, dass er zuerst seinen Namen und seine Herkunft angeben musste, ehe er an die Beantwortung der zweiten Frage ging. Andererseits aber stösst auch die Kirchhoff'sche Anordnung der Apologe auf die grössten Schwierigkeiten, da Odysseus die drängende Frage der Arete, woher er die Kleider habe, so spät beantwortet, ja 338 ff. aufhören will zu erzählen, ohne darüber Rechenschaft gegeben zu haben. Daher werden wir durch die Notwendigkeit zu dem Ausweg geführt, den ich in meinem Programm S. 21 ff. angegeben habe, dass nämlich Odysseus genau der Frage

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