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denen »Motive« und deren »Attribute« bleiben doch unklare Stellen übrig! Dies hätte Adam bestimmen sollen, auf eine so künstliche und willkürliche Zerlegung der Odyssee zu verzichten, da sie keinen Anspruch auf Wahrscheinlichkeit erheben kann.

Während nun der erste Teil des Buches (S. 1-47) nichts enthält, was der Verfasser im Wesentlichen nicht schon in seinen früheren Arbeiten dargelegt hätte, geht er im zweiten Teile, der bei weitem der wichtigere ist, zu der Frage über: »Wie war es möglich, dass man mit dem Gedichte eines der grössten, ja des bedeutendsten Dichters des Altertums in so unverantwortlicher Weise verfahren konnte?« Eine Lösung dieser Frage könne nur gegeben werden, wenn man »das Verhältnis der Ilias und Odyssee zum epischen Cyklus mit in die Untersuchung hineinzieht. Dieser Weg allein sei geeignet, »die subjective Kritik mit der objectiven zu lebensvoller Einheit zu verbinden« (S. 48). Im Gegensatz zu Welcker, der Zenodot für den Hersteller des epischen Cyklus hält, nimmt Adam ein viel älteres Werk an, das, »aus den Gedichten verschiedener Verfasser zusammengesetzt, in chronologischer Reihenfolge alle Mythen des griechischen Volkes von der Hochzeit des Uranos und der Gäa an bis auf den Tod des durch den Rochenstachel fallenden Odysseus erzählte« (S. 56). Die Thätigkeit derer, die dieses Werk zusammengestellt haben (es wird von ihnen gewöhnlich im Plural gesprochen), war keine dichterisch schaffende, sondern eine banausische. Photius braucht von ihnen den Ausdruck прауμатεvoáμɛvor und fügt ausdrücklich hinzu, dass dieses Werk nicht gelesen worden sei deà tv apɛτὴν, sondern διὰ τὴν ἀκολουθίαν τῶν ἐν αὐτῷ πραγμάτων (S. 57). Die Verfasser werden Cykliker genannt, sind aber nicht zu verwechseln mit den aus der Alexandrinerzeit, über welche Kallimachus u. a. so ungünstige Urteile fällen (S. 59). Sie müssen vielmehr schon vor Sophokles, Eurypides und Polygnot gelebt haben, da diese die Fabeln in der Form, wie sie erst die Cykliker ersonnen διὰ τὴν ἀκολουθίαν τῶν πραγμάτων, in ihren Werken zur Darstellung bringen. »Entscheidend für die Wahrheit dieser Behauptung « nennt Adam selbst S. 60 das Scholion zu T 326. Leider aber zeigt sich hier wieder der Mangel an Methode, ja, was beinahe noch schlimmer ist, die Unzuverlässigkeit in den Angaben Adam's. Er citiert nämlich von dem Scholion nur die Stellen, welche für seine Ansicht zu sprechen scheinen, und erweckt dadurch den Glauben, dass der Scholiast dort einen Unterschied mache zwischen den Cyklikern und dem Verfasser der kleinen Ilias, und dass Sophokles und Euripides die Wendung der Fabel (von Achill in Weiberkleidern) wie sie naрà tois XUXAxois vorkomme in ihren Tragödien auf die Bühne gebracht haben. Nun hat aber Hinrichs in einer sehr gründlichen Untersuchung und mit genauer Angabe des handschriftlichen Materials nachgewiesen, dass dieses Scholion vier verschiedene Fassungen der Sage, von verschiedenen Händen niedergeschrieben, enthält, dass der Text, wie er in der Bekker'

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schen Ausgabe steht die Dindorf'sche Ausgabe der Scholien kennt Adam nicht! überhaupt sich in dieser Form in keiner Handschrift findet, dass insbesondere die Worte ἡ ἱστορία παρὰ τοῖς κυκλικοῖς, auf welche Adam seine ganze Behauptung gründet, nicht von dem Scholiasten herrühren, der die Geschichte von Achill auf Skyros in Weiberkleidern erzählt (Zeitschr. f. österr. Gymn. 1882. S. 188-191). Nun ist freilich zuzugeben, dass diese Sage nachhomerisch ist, dass sie sich auch nicht in der kleinen Ilias oder in den Cyprien findet, und dass bei der verzwickten Gestalt des Scholions nichts gegen die Annahme der Cykliker in so alter Zeit (im 6. Jahrhundert) gefolgert werden kann, falls deren Existenz aus andern Stellen bewiesen werden kann. Aber aus ihm allein lässt sich das Vorhandensein derselben vor Sophokles nicht folgern, da ein anderer, uns nicht mehr bekannter Dichter die im Scholion erzählte Fassung der Sage erfunden haben kann, der dann Sophokles, Euripides und Polygnot folgten. Nun führt aber Adam zur Stütze seiner Behauptung noch mehrere Stellen aus Athenaeus (VII. 277e »ěyaipe d' ὁ Σοφοκλῆς τῷ ἐπικῷ κύκλῳ ὡς καὶ ὅλα δράματα ποιῆσαι κατακολουθῶν Tev Touτw pudorotiq), Clemens Alexandrinus, Aristoteles (Rhetor. III. 16 über den Cyklus des Phayllos, den Adam mit dem von Diodorus Sicul. III. 52 erwähnten Dionysios identificiert) und verschiedene Scholiennotizen an, unter denen besonders das zu 346 Erwähnung verdient (es ist vom Pferde Arion die Rede): Ὅμηρος μὲν ἁπλῶς ὅτι θειοτέρας ἦν φύσεως· οἱ δὲ νεώτεροι Ποσειδῶνος καὶ Αρπυίας αὐτὸν γενεαλογοῦσιν, οἱ δὲ ἐν τῷ κύκλῳ Ποσειδῶνος καὶ Ἐρινύος. »Hier wird Homer den Cyklikern und Jüngeren entgegengestellt. Unter den »Jüngeren« sind aber wahrscheinlich die Cykliker der alexandrinischen Periode zu verstehen« (S. 68). Aus den übrigen Stellen folgt nicht viel. Die obige aber aus Athenaeus scheint mir beweisend, und in Verbindung mit ihr bekommt allerdings die Scholiennotiz zu 7 326 eine andere Bedeutung. Jedenfalls muss es ältere Cykliker und einen epischen Cyklus vor Sophokles gegeben haben, wenn anders wir den Worten des Athenaeus Glauben schenken wollen. Ferner würde jene Erzählung von Achill's Aufenthalt auf Skyros vor dem trojanischen Kriege sehr gut jenen Cyklikern zugewiesen werden können, welche sie διὰ τὴν ἀκολουθίαν τῶν πραγμάτων erfunden hätten. Dazu kommt eine Stelle, welche Adam in Verbindung damit bringt. sagt Helena in ihrer Totenklage um Hektor:

ἤδη γὰρ νῦν μοι τόδ ̓ ἐεικοστὸν ἔτος ἐστίν

ἐξ οὗ κεῖθεν ἔβην καὶ ἐμῆς ἀπελήλυθα πάτρης.

765 f.

Da die homerische Chronologie keine zehnjährige Vorbereitungszeit kennt, so sieht Adam hierin ebenfalls eine von den Cyklikern herrührende Angabe, welche die folgende Aithiopis einleitete. Nun weist Hinrichs (a. a. O. S. 191) darauf hin, dass diese Stelle offenbare Nachahmung von 222. 223 sei, wo die Worte im Munde des Odysseus sachlich und dem Zusammenhange

nach durchaus natürlich und passend seien. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass der Dichter von »bei der Entlehnung die sachliche Schwierigkeit mit in Kauf genommen habe«. Das ist möglich, aber ebenso die Annahme Adam's, da es jedenfalls eine Bemerkung ist, die mit der von den Cyklikern hergestellten Zeitfolge stimmt. Müssen wir bis dahin die Möglichkeit von Adam's Hypothese zugeben, so wird sie durch die folgende Betrachtung zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit erhoben. Indem nämlich Adam die Inhaltsangabe der cyklischen Gedichte, wie sie sich bei Proklus findet, mit dem vergleicht, was wir sonst von diesen Gedichten wissen, sucht er nachzuweisen, dass jene Gedichte in ihrer ursprünglichen Form umfangreicher gewesen, dass sie erst von den Cyklikern teils verstümmelt, teils erweitert, teils sonst verändert worden seien. So hätte Stasinos in den Kyprien nicht blos den trojanischen Krieg besungen, wie es jetzt nach der Inhaltsangabe bei Proklus scheinen könnte, sondern auch den thebanischen, und zwar beide bis zu Ende. Die Einheit dieses Gedichtes sei herbeigeführt durch die ẞový des Zeus, die Erde von der Last der Menschen zu befreien. Dies folgert Adam aus einer Reihe von Scholiennotizen (besonders aus einer Wiener Handschrift Phil. Graec. LXI, Scholion zu Eurip. Orest. 1641, Scholion zur Ilias I. 5). Bei der Einfügung in den epischen Cyklus seien sie verstümmelt worden; es hätte zunächst nur der trojanische Krieg Aufnahme gefunden, und auch dieser nur soweit, bis die Ilias anfängt. Das ursprüngliche Gedicht sei viel länger gewesen. Dies gehe besonders aus Athenaeus XIV. 682e hervor, wo aus dem elften Buche eine Stelle aus den Kyprien angeführt werde, worin Aphrodite dem Paris erscheint. Welcker hätte daraus das erste Buch machen wollen, doch sei bei Adam's Annahme kein Grund zur Aenderung. Athenaeus citiere das Gedicht in seiner ursprünglichen Form, und da könnte, wenn vorher der thebanische Krieg behandelt war, sehr gut jene Erscheinung der Aphrodite erst in das elfte Buch fallen, während nach Proklus die Kyprien im Cyklus überhaupt nur elf Bücher hatten. Ebenso wenig ist nach Adam im Eingange von Proklus' Inhaltsangabe die Aenderung von μerà έtidos in Gépidos nötig. Am Schlusse der Inhaltsangabe bei Proklus heisst es κατάλογος τῶν τοῖς Τρωσὶ συμμαχησάντων, wofür Welcker -σοντων setzt. Doch sei die Aoristform wichtig; sie zeige an, dass der Dichter selbst den Fortgang des Krieges erzählt habe. Besondere Erwähnung aber verdient, dass sich bei Adam's Annahme ein Widerspruch löst, der bis dahin geradezu unerklärlich erschien. Herod. II. 117 sagt: è pèv ràp τοῖσι Κυπρίοισι εἴρηται, ὡς τριταῖος ἐκ Σπάρτης ̓Αλέξανδρος ἀπίκετο εἰς τὸ Ἴλιον ἄγων Ελένην, εὐαέι τε πνεύματι χρησάμενος καὶ θαλάσσῃ λείη· ἐν δὲ Ἰλιάδι λέγει ὡς ἐπλάζετο ἄγων αὐτήν. Er folgert bekanntlich daraus, dass deshalb die Kyprien und die Ilias nicht von demselben Dichter (Homer) sein könnten. Nun wird aber gerade in der Inhaltsangabe bei Proklus nach den Kyprien erzählt: χειμῶνα δὲ αὐτοῖς ἐφίστησιν Ἥρα

καὶ προςενεχθεὶς Σιδῶνι ὁ ̓Αλέξανδρος αἱρεῖ τὴν πόλιν. Dieser unbegreifliche Widerspruch löst sich sofort, wenn wir mit Adam annehmen, dass Herodot noch das ursprüngliche Gedicht vor sich hatte, das bei der grossen Fülle des Stoffes Episoden vermied; dass diese Episode erst von den Cyklikern eingeschoben sei, um eine Uebereinstimmung mit Il. VI. 289 ff. zu schaffen. Man wird diesen Ausführungen (S. 73-80) einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zugestehen können, und wenn ihnen scheinbar das Prooemium widerspricht, welches vor den Kyprien gestanden haben soll, da dies nur den trojanischen Krieg kennt, so sieht Adam vielleicht nicht mit Unrecht in demselben ein Prooemium des ganzen xúxλos Towixós (S. 81. 82). In gleicher Weise behandelt er die andern Gedichte des epischen Cyklus und zwar die Aithiopis (S. 83. 84), die kleine Ilias (85-88), die Iliupersis (S. 89-92), die Nosten, von welchen er, im Gegensatz zu Kirchhoff urteilt, dass sie fast ganz unversehrt in den Cyklus aufgenommen worden seien (S. 92. 93).

Ganz wie diese Gedichte sei auch die Odyssee bei ihrer Einfügung in den Cyklus verstümmelt und verändert worden. Da nämlich im Cyklus in den Nosten des Hagias die uves der Athene dargestellt wird, welche die Griechen verfolgt, so musste diese auch in die Odyssee eingeführt werden, und damit das »älteste und ursprünglichste Motive, wonach Poseidon dem Odysseus zürnt wegen der Ermordung des Palamedes, verdrängt werden. Dies geschah nun nach Adam (S. 95) durch Einfügung der Telemachie mit der stark betonten vs Athene's, durch Einführung der unves des Helios im Nostos des Odysseus und durch die neue Motivierung des Aufenthaltes der Freier im Palaste des Odysseus. Da ferner in der Telegonie, welche in dem Cyklus auf die Odyssee folgte, das Begräbnis der Freier geschildert wurde, so hatte in der cyklischen Odyssee der Schluss der Odyssee von 297 an »sammt seinen Verzahnungen<< keinen Platz; ebensowenig war Phaeakis und Erkennungsscene mit ihren »Attributen der Odyssee einverleibt, weil die uives Poseidon's durch die Cykliker getilgt werden musste, also nicht in anderer Weise wieder eingeführt werden konnte. So war die xuxλex Exòoots der Odyssee beschaffen, die nur zweimal in den Scholien erwähnt wird: 7 195, p 25! Es ist wohl kaum nötig, sich auf eine Widerlegung dieser Hypothese einzulassen. Oder kann man irgend welchen Grund einsehen, weshalb die μves Poseidon's getilgt werden musste, wenn doch gleichzeitig mit der Einfügung der μves der Athene auch die des Helios erfolgt sein soll? Ferner, wenn Diomedes und Nestor ohne Gefahr nach Hause gelangten, konnte da nicht Athene erst recht ihren Liebling von der uns ausnehmen, dieser aber den besonderen Zorn Poseidon's auf sich laden?

Im letzten Teil des Buches endlich (S. 96 ff.) geht Adam näher auf das Wesen des ênixòç xúxλos und dessen Urheber ein und giebt zunächst nach Suidas unter κύκλια die Definition: τὰ τὴν αὐτὴν ὑπόθεσιν ἔχοντα τauτа xúжhα člɛyov, also man nannte cyklisch, was denselben Gegenstand

zur Grundlage hatte. Die einheitliche Idee nun, die allen zum grossen epischen Cyklus gehörenden Gedichten zu Grunde lag, war die užvus Gaea's, die sich wieder in unzähligen unvies geltend machte. Die zürnende Mutter vernichtet ein Geschlecht nach dem andern, das sie gezeugt hat, bis herab auf die dtoyevεis Baotheis. Auf dieser gemeinsamen Grundlage fussend, konnte ein Dichter zwei so heterogene Gegenstände wie den thebanischen und trojanischen Krieg in einem Gedichte vereinigen. Hier nun tritt wieder die Unklarheit Adam's in der Darstellung hervor. Die Kyprien sollen zu dem »grossen« Cyklus gehört haben und ebenso, nur in verstümmelter und überarbeiteter Form, auch zu dem »trojanischen<< Cyklus, der nur ein Teil des grossen war. Somit war Stasinus ein Cykliker und die, welche sein Gedicht überarbeitet, sind auch wieder Cykliker. Wie steht es nun aber mit Hagias, dem Dichter der Nosten, Arktinos, Eugamon und anderen, deren Gedichte die älteren Cykliker des sechsten Jahrhunderts zum trojanischen Cyklus zusammengestellt haben sollen? Adam scheint sich selbst zu widersprechen, wenn er S. 102 sagt: Aber nicht jedes Gedicht war durch eine uns eingeleitet<«<. Gehörte es dann trotzdem zu dem »grossen«< Cyklus? Es dürfte schwer sein, eine Antwort zu geben, ebenso schwer, wie sich eine Vorstellung von dem grossen« Cyklus zu machen, zu dem auch die Titanomachie und Gigantomachie gehört haben sollen (S. 101), dem vilis patulusque orbis, über den sich Horaz so abfällig ausspricht.

Die höchste Potenz aber des cyklischen Begriffes stellen Ilias und Odyssee in ihrer Gesammtheit dar. »Was seit dem Untergange des byzantinischen Reiches dem Gedächtnis der. Gelehrten entfallen ist, was durch alle homerischen Forschungen bis heute nicht an's Tageslicht gekommen ist: die Wahrheit, dass Ilias und Odyssee als Ganzes betrachtet einen Cyklus des trojanischen Krieges von seinen ersten Anfängen an bis in seine letzten Ausläufer bilden, ist für die definitive Gestaltung der homerischen Gedichte nicht minder, wie für die ganze homerische Frage von äusserster Wichtigkeita (S. 107. 108). Diese Wahrheit aber bezeugt nicht nur ausdrücklich Arist. de soph. elench. I. 10. 2: ἡ ̔Ομήρου ποίησις σχῆμα διὰ τοῦ κύκλου, Wozu Joh. Philoponus bemerkt: ἔστι δὲ καὶ ἄλλο τι κύκλος ἰδίως ὀνομαζόμενον, ὃ ποίημα τινὲς μὲν εἰς ἑτέρους τινὲς δὲ εἰς Ὅμηρον ἀναφέpovo, und so die Aristotelische Behauptung bestärkt, sondern auch eine genaue Analyse der Gedichte: alles was nur auf den trojanischen Krieg Bezug hat, die Vorereignisse und die Heimkehr der Griechen ist in diesen enthalten; ja selbst äusserlich ist der Kreis vollendet: die Werbung Agamemnon's um Odysseus' Hülfe steht am Schlusse des Ganzen; sie berührt sich mit der siegreichen Heimkehr des Helden nach zwanzigjähriger Abwesenheit (S. 114). Sehen wir nun, was der Verfasser aus dieser so lange verkannten Wahrheit folgert für die Entstehung der Odyssee (denn auf die kommt es ihm zunächst an). Ich führe seine

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