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Einen höchst interessanten Beitrag zur Darlegung der religiösen Anschauungen Plutarch's bietet

Dr. Wilhelm Müller, Ueber die Religion Plutarch's. Rede beim Antritt des Rectorats. Kiel. Universitäts-Buchhandlung. 1881. 18 S. 4.

Der Verfasser bringt keine neuen Aufschlüsse über Plutarch's Religion, er beabsichtigt nur seinen Zuhörern ein abgerundetes, klares Bild derselben zu entfalten und das ist ihm in hohem Masse gelungen. Der geistvolle Plutarch, führt er aus, ist ein wohlwollender Moralist, der nicht die Verkehrtheiten seiner Zeit geisseln oder deklamiren will, sondern der als ein wahrer Seelenarzt moralisch aufzuklären berufen ist. Vom Christenthum ist er noch ganz unberührt. Die Grundlage seiner Religion ist platonischer Idealismus, die religiös-restaurative Tendenz Plutarch's nöthigt ihn, das Schwergewicht für die religiöse Praxis (nicht für die eigentliche religiöse Erhebung des Gemüths) in die Dämonenlehre zu legen. Die Frage, was denn den wesentlichen Gehalt seiner Stimmungen und seines religiösen Glaubens ausmache, beantwortet Müller dahin, dass er sagt: jene Erhebung des Geistes in das Reich des Intelligibeln, als des wahrhaft Seienden, trägt zugleich den Charakter des philosophischen Idealismus und der religiösen Erhebung. Das Streben nach Wahrheit ist Streben nach Gotteserkenntniss; das Organ der Seele, welches sich der ewigen Wahrheit aufthut, ist das Organ für göttliche Dinge. Dass der Nagel der Lust uud des Schmerzes die Seele fest an den Körper heftet, das hat nach Plutarch dies zur schlimmsten Folge, dass dadurch das Sinnlich-Wahrnehmbare für den Menschen evidenter wird, als die übersinnlichen Dinge. Indem die Seele sich gewöhnt in Folge der Stärke der Schmerz- und Lustempfindungen auf das Veränderliche und Wandelbare wie auf Seiendes sich zu richten, wird sie blind für das wahrhaft Seiende, verliert sie jenes Organ und Licht, welches tausend Augen werth ist, mit welchem allein wir das Göttliche schauen können. Die Idee des Guten hat sich mit der Idee der Gottheit zusammengeschlossen. Der sich erhebenden Seele thut sich die Gottheit als Inbegriff aller Vollkommenheit und Güte, Quelle alles Guten auf, zieht sie in ihre Nachahmung hinein und erfüllt sie zugleich mit innerer Lust und Entzücken. Und für die Energie dieser religiösen Stimmung ist von entscheidender Bedeutung die Erhebung bis zur höchsten, ungebrochenen Einheit Gottes. Die philosophische Befriedigung über einen Abschluss der Weltanschauung verschmilzt hier mit der religiösen Befriedigung in der Hingabe an das Eine, Unbedingte. Ja, indem nun der Blick von der Gottheit auf die Welt als ihr Werk sich wendet, verknüpft sich damit auch eine religiös-ästhetische Befriedigung; denn die Welt erscheint nur der reinen Seele als würdiger Tempel der Gottheit und Offenbarung des Geistig-Göttlichen, als Schauplatz des harmonischen Waltens der Götter. Hier schliesst sich der praktische

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Glaube an, der vor Allem Vorsehungsglaube ist. Neben dem Vorsehungsglauben ist es der Unsterblichkeitsglaube, welcher für die religiöse Stimmung Plutarch's grundlegend ist; hier tritt uns zuerst das Postulat der Vergeltung entgegen. Leicht wäre es, Kritik zu üben an dem Gebäude seiner Gedanken und die klaffenden Risse aufzuweisen; etwas Grosses und Schönes ist aber doch darin und er bleibt ein Prophet, ein Zeuge für die uralte, oft verschüttete und doch immer wieder lebendige Wahrheit: Herr, Du hast uns zu Dir geschaffen und unser Herz ist ruhelos, bis es ruht in Dir!

Plutarch's Apophthegmata regum et imperatorum. Theil I. Von Dr. Fr. Sass. Programm des Königl. Gymnasiums zu Ploen 1881. 21 S. 4.

Wir haben lange geschwankt, ob wir diese wissenschaftlich werthlose Arbeit anzeigen sollten oder nicht und nur die Rücksicht auf die Vollständigkeit des Jahresberichtes hat uns dazu veranlasst. Denn dass sich nach K. Schmidt's Beweisführung (siehe Jahresbericht 1878 und 1879 Abth. I S. 244 f.) noch ein Verfechter der Echtheit der oben genannten Schrift finden würde, hat wohl Niemand erwartet. Nun erklärt Sass die Apophthegmata für ein Erstlingswerk des Plutarch, eine aus der Lektüre aufgezeichnete Materialiensammlung, gemacht, um in späteren Vorträgen und Schriften benutzt zu werden, denen sie auch thatsächlich zu Grunde liege. Dagegen erkennt er mit Volkmann und Schmidt in dem Dedikationsbrief an Trajan ein untergeschobenes Machwerk. Zum Beweise dieser Hypothese hält er es für ausreichend, die von Volkmann gegen die Echtheit geltend gemachten Argumente zu prüfen. Schmidt's Resultate scheinen ihm zwar bekannt zu sein, auf eine Widerlegung derselben lässt er sich jedoch nicht ein, verschiebt dieselbe vielmehr auf spätere Zeiten. Dies ist um so mehr zu bedauern, als die Volkmann'schen Beweise zum grössten Theile für die Echtheitsfrage irrelevant sind, so mit einer Widerlegung kaum bedurften (siehe Schmidt S. 17 f). Hätte Sass die Probe gemacht, d. h. die Apophthegmata von Plutarch's Schriften auf ihr Abhängigkeitsverhältniss eingehend untersucht, so würde er wahrscheinlich zu einem anderen Urtheile gelangt sein. So aber dreht sich seine Untersuchung in einem beständigen Cirkel; das Ganze ist nichts, als eine petitio principii.

Sass stimmt darin mit Volkmann überein, dass die von Westermann und Jordan angenommene und neuerdings von Schmidt verfochtene Hypothese Wyttenbach's von dem Ursprung unserer Schrift aus den übrigen Werken Plutarch's unhaltbar ist. (Dass Schmidt Wyttenbach's Ansicht wesentlich modifizirt und eine Scheidung der Quellen gefordert und durchgeführt hat, scheint dem Verfasser unbekannt). Von Beweis ist keine Rede, Interpolationen werden mit einem liebenswürdigen : >Es möchte wohl nicht zu gewagt sein« angenommen u. s. W. Ein po

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sitives Zeugniss für die Echtheit der Schrift findet Sass im Stobaeus, der die Sammlung als Plutarcheisch benutzte. Zu diesem Beweise wünschen wir dem Verfasser Glück und schlagen ihm als ergiebigen Stoff für eine demnächstige Programmabhandlung vor, die Echtheit der parallela oder de fluviis aus Stobaeus zu erweisen! Nach den gegebenen Proben kann ihm dies unmöglich schwer fallen. Zu welchen geradezu absurden Konsequenzen der Standpunkt des Verfassers führt, ersieht man daraus, dass der Autor der apophthegmata regum (d. i. nach Sass Plutarch und zwar der jugendliche Plutarch), wie Schmidt unwiderleglich bewiesen, die Sammlung der apophthegmata lacon. benutzt (welche Sass selbst als unecht anerkennt), die ihrerseits wiederum aus Plutarch's Biographien entlehnt sind (siehe Schmidt S. 49 ff).

Jahresbericht über Herodot für 1880.

Von

Direktor Dr. H. Stein

in Oldenburg.

E. Bachof, Quaestiuncula Herodotea. (Programm des Gymnasiums zu Eisenach). 1880. 20 S. 4.

Der Verfasser, dem wir bereits eine gründliche Erörterung über das Verhältniss der 'Aooúpio λlóɣo: zu den Historien (siehe Jahresbericht 1877 Abth. I S. 325 f.) verdanken, giebt in dieser Abhandlung einen werthvollen Beitrag zu der neuerdings vielverhandelten Frage über die Abfassungsweise des herodotischen Werkes. Wie er früher die Kirchhoff schen Hypothesen in einem wesentlichen Stücke erschüttern half, so wendet er sich jetzt gegen Bauers Versuch das Werk in eine Reihe selbständiger óyo aufzulösen und deren zeitliche Abfolge zu bestimmen: 'nego etiamnum ex Herodoti opere posse cognosci illorum quae diximus opusculorum (óywv) eam fuisse formam, ut nullis vel paucis mutatis in commune historiarum volumen reciperentur. hoc quoque nego, demonstrari posse quo ordine libri a principio scripti fuerint'. Es ist wiederum nur eine einzelne, aber eine hervorragende und anscheinend besonders fest begründete Position des zu bekämpfenden Systems, gegen welche sich der Angriff richtet. Adolf Schöll in seiner bekannten Abhandlung (Philol. Bd. X) hat zu erweisen gesucht, dass die Geschichte des Xerxeszuges (VII-IX) zuerst und vor I-VI verfasst sei, und dafür die Zustimmung namhafter Gelehrten (Rawlinson, Büdinger, Wecklein) gefunden. Anknüpfend an diesen Satz und mittels eines ähnlichen Beweisverfahrens hat dann neuerdings Adolf Bauer das ganze Werk kritisch aufzulösen unternommen. Bachof unterzieht zuvörderst die Schöll'schen Argumente einer strengen Prüfung, die um so verdienstlicher ist, als sie zugleich die Schwächen jener Methode klärlich aufdeckt. Das erste jener Argumente lautete: in VII-IX finden sich mehrere Stellen, welche früher erwähnte und behandelte Namen und Sachen, ohne Rückweis oder Bezug auf frühere Erwähnung, wie zum ersten Male vorführen.

Ein Schluss hieraus auf die zeitliche Priorität der drei Bücher ist natürlich nicht zulässig; auch finden sich derartige Wiederholungen noch sonst in nicht geringer Zahl und erklären sich aus der Fülle des zu ordnenden Stoffes, theilweise wohl auch aus epischen Vorbildern. Schöll freilich fand darin ein Anzeichen von der ursprünglichen Selbständigkeit gewisser Abschnitte und der Trennbarkeit einzelner Partien zum Behuf längerer oder kürzerer Vorlesungen. Dann mussten sich aber Wiederholungen nur in solchen Theilen finden, die ursprünglich je einen besonderen óyos bildeten: sie finden sich aber auch in eng verbundenen Partien, und hätten sie jenen vorausgesetzten bewussten Ursprung und Anlass, so würde der Autor ohne Zweifel bei der Komposition des Ganzen zu einem Kunstwerk solche Stellen geändert oder beseitigt, oder doch mit einer seiner häufigen Rückweisungsformeln versehen haben. Anscheinend triftiger ist Schöll's zweites Argument, dass in den vorderen Büchern vieles nur kurz genannt sei was erst bei erneuter Erwähnung in den letzten Büchern näher ausgeführt werde. Aber solche Stellen, wie I 125. VII 85 (Laɣáptwo). III 126. VIII 98 (àyyapýtov). IV 62. VII 54 (dxeváxys), erledigen sich theils durch andere Erwägungen, theils durch die an zahlreichen Beispielen nachweisbare Thatsache, dass Herodot überhaupt keineswegs, wie Schöll und Bauer zu fordern scheinen, eine Sache oder Person gleich bei ihrer ersten Nennung ausführlich zu erklären pflegt. Z. B. wird die ägyptische Bapts II 41. 60 genannt, aber erst II 96 erklärt; I 96. VIII 27 wird Abae erwähnt, aber das Nähere über den Orakelort erst VIII 32 mitgetheilt; von der Stadt Buto und ihrem Tempel wird erst II 152 ausführlich gesprochen, nachdem sie vorher sieben Mal einfach genannt worden. Umgekehrt fehlt es nicht an kurzen Andeutungen in den letzten Büchern, die sich nur durch ausgeführte Erörterungen in den ersten Büchern erklären: so VIII 43 die an sich dunkien Worten Δωρικόν τε καὶ Μακεδνὸν ἔθνος durch die 156 erzählte Wanderung der Dorier, VII 117 der vs Baσinios aus I 178. In ähnlicher Weise erledigt sich auch die von Bauer (und schon früher von Büdinger) für seine Zwecke missbrauchte Beobachtung oder, richtiger, Forderung, dass Herodot überall, wo er eine Person zuerst anführe, den Vatersnamen beifüge: denn dieser ist an vielen Orten, auch der letzten Bücher, wiederholt gesetzt und zwar an mehreren nicht bei der ersten, sondern bei einer späteren neuen Nennung. Noch weniger beweiskräftig ist Schöll's drittes Argument, dass V 22 auf VII 137 ff. verweise, während sonst eine Verweisung in umgekehrter Richtung nicht stattfinde. Denn Hinweise auf spätere Ausführungen finden sich auch sonst (z. B. II 101. 149) und beweisen, dass der Autor seinen ganzen Stoff vor der Abfassung wohl disponiert hatte, wie umgekehrt auch Rückweise nicht fehlen (VII 93 auf I 171, VIII 108 auf V 2. VI 44 f.). Was endlich den »Zusammenhang des Xerxeskrieges mit dem Prooemion« anbelangt, worauf Schöll vorzugsweise die frühere Abfassung desselben zu

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