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mand einräumen? Dass der Name phönicischen Ursprungs sei, wäre ja darum immer noch möglich.

Wenn wir zum Schluss unser Urtheil über die Schrift des Herrn Heisterbergk zusammenfassen sollen, so geht es dahin, dass er in seiner Kritik der Ansichten anderer vortrefflich ist, und dass er insbesondere gezeigt hat, dass weder Münzen noch Sagen beweisen, dass der Name Italia wirklich vom Centrum des Landes ausgegangen ist. Es bleibt dabei, und das scheint uns von Heisterbergk nachgewiesen zu sein, dass er ursprünglich nur der südwestlichen Landzunge zukam. In seinen positiven Aufstellungen dagegen können wir ihm weniger beipflichten. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, dass er eine Stelle über die Beziehungen zwischen Sikelern und Oenotrern in der südwestlichen Landzunge falsch gedeutet hat. Aber auch abgesehen davon sind seine Ansichten über die Völkerverschiebungen im südwestlichen Italien deswegen nicht als nothwendig zu betrachten, weil sie voraussetzen, dass wir bei Antiochos, Hellanicus und anderen Autoren des 5. Jahrhunderts v. Chr. der Wahrheit entsprechende chronologisch zu ordnende Nachrichten über Begebenheiten haben, die wenigstens circa 700 Jahre vor ihnen lagen. Was für Quellen konnten sie darüber haben? Es kann ja sein, dass die Sikeler in doppelter Richtung weggeschoben sind (S. 51), zuerst nach Süden, von den Oskern, und dann nach Westen, von den Oenotrern; aber beweisen lässt sich das nicht. Heisterbergk's Italos = Itanos will uns als nicht mehr erscheinen, als wie eine jener Hypothesen, die jeder als sinnreich gelten lässt, für die aber schliesslich Niemand eintritt, als ihr Urheber. Wir halten die Möglichkeit immer noch fest, dass Italia seinen Namen wirklich von itaλós vitulus habe, dass dieser Name aber dem Lande von den Sikelern gegeben wurde als sie sich aus ihm entfernten.

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Nachdem das Vorhergehende bis auf einige die Form des Ausdrucks betreffende Modifikationen geschrieben war, bekam Referent die Philol. Wochenschrift vom 7. Januar 1882 zu Gesicht. Es findet sich hier eine Anzeige des Buches von Heisterbergk, in welcher Referent mit Vergnügen einen der von ihm angedeuteten Punkte ebenfalls hervorgehoben findet (Spalte 4 No. 1). Für No. 3 auf Spalte 5 und 6 muss man dem Recensenten sehr dankbar sein. Es wird schliesslich dabei bleiben, dass Heisterbergk's Buch eine sehr tüchtige kritische Leistung ist.

La Grande-Grèce paysages et histoire par François Lenormant, professeur d'archéologie près la Bibliothèque Nationale. Littoral de la mer Jonienne. - T. I und II. Paris 1881. VIII, 474 und 466 S. in 8.

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Herr Lenormant hatte im Jahre 1879 eine Reise durch Grossgriechenland gemacht, über deren archäologische und historische Ergebnisse er bereits in der »Academy« vom Jahre 1880 einen vorläufigen Bericht erstattete. Er hat sich entschlossen auch ein Buch über denselben Ge

genstand zu schreiben, dessen zwei erste Bände uns vorliegen. Dies Buch ist aus verschiedenen Gründen von grosser Bedeutung. Es ist vielleicht das erste Mal, dass Grossgriechenland den Stoff einer Arbeit bildet, welche, von einem namhaften Gelehrten herrührend, in zusammenhängender Weise jene schönen Gegenden historisch und geographisch schildern will. Um besser verstehen zu können, welche Stellung das Lenormant'sche Buch in der Wissenschaft einnimmt, scheint es Referenten angemessen, zunächst die in der Sache liegenden Schwierigkeiten hervorzuheben, sodann zu sehen, was Lenormant zu leisten verspricht, und schliesslich was er leistet. Wir stellen uns natürlich speciell auf den geographischen und historischen Standpunkt; so können unsere Bemerkungen eine Ergänzung zu der kurzen aber inhaltreichen Anzeige des Werkes durch Bursian im Lit. Centralbl. 1881 No. 46 bilden.

Die Geographie und Geschichte von Grossgriechenland ist ein interessanter und noch nicht gehörig behandelter Theil der Alterthumswissenschaft. Es ist indess aus mehr als einem Grunde nicht leicht, diese Geschichte zu schreiben.

1. Der Gegenstand ist schwer abzugränzen. Die Bezeichnung Grossgriechenland ist in verschiedenem Sinne genommen worden. Wenn man aber auch zunächst nur die Städte von Rhegion bis Tarent darunter begreift, so wird man doch gezwungen, die Colonien dieser Städte am tyrrhenischen Meere mitzunehmen, und Grossgriechenland wird bis Paestum ausgedehnt. Nun liegt aber das Hauptinteresse der Geschichte von Grossgriechenland in dem culturhistorischen Theile, und da ist es wieder schwer, Elea auszuschliessen, das überdies nicht so weit nördlich liegt, wie Paestum. So kommt man dazu, überhaupt die Hellenen Unteritaliens unter der Bezeichnung Grossgriechenland zusammenzufassen, und da wird Campanien einen wichtigen Abschnitt des Ganzen bilden. Und in den Griechen selbst liegt nicht die einzige Schwierigkeit dieser Art. Es muss nothwendig die Urbevölkerung berücksichtigt werden. So kommen wegen Tarent Messapier, Peuketier, Daunier hinein, und wir gelangen auf dieser Seite bis an den M. Gargano. Ausgeschlossen bleibt dagegen auf alle Fälle das Bergland, das die oberen Thäler des Calor und Aufidus umfasst, der Wohnsitz der Völker, welche den Anstoss zum Untergange Grossgriechenlands gaben, ein feindlicher Keil, hineingetrieben in die grossgriechischen Ebenen, das moderne Principato ultra, begränzt im Osten durch den Mons Vultur, im Westen durch die Berge oberhalb Eboli's.

2. Wenn man nun so auch dazu gelangt, das Gebiet geographisch abzugränzen, so bleibt für die Behandlung die grosse Schwierigkeit, dass es nie auch nur annähernd eine politische Einheit gebildet hat, und dass es in wichtigen Epochen seiner Geschichte von Aussen beeinflusst, ja zum Theil beherrscht worden ist, ohne je als Ganzes dagegen zu reagiren. Es fehlt die ursprüngliche Einheit, und die spätere Einigung verschwindet schnell wieder.

3. Diese Geschichte zu behandeln ist aber ausserdem schwer in Anbetracht des Zustandes der vorhandenen Quellen und der Natur des Stoffes. Man hat sich mit dem Wesen der Ureinwohner zu beschäftigen, das grösstentheils nicht leicht zu erkennen ist. Man hat sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit den zahlreich vorhandenen Sagen von griechischen Colonien aus der Zeit des trojanischen Krieges thatsächliche Beziehungen zwischen Italien und Griechenland in ältester Zeit zu Grunde liegen können. Man steht endlich vor der grossen Schwierigkeit, die eine der interessantesten Erscheinungen Grossgriechenlands, der pythagoreische Bund, bietet. Die uns überlieferten Nachrichten über Pythagoras und die Pythagoreer sind aus später Zeit; in wie weit sind sie zuverlässig? Und das ist von Bedeutung nicht blos für die Culturgeschichte. Denn auch die politische Geschichte der Zeit vor und um 500 v. Chr. ist eng verflochten in die Schicksale der Pythagoreer und wird selbst schwankend, wenn diese nicht feststehen. Wir müssen hinzufügen, dass die Quellen sehr spärlich fliessen. Allgemeine Werke über grossgriechische Geschichte gab es selbst im Alterthum nicht, und auch die Geschichte der einzelnen Gemeinden ward mehr gelegentlich behandelt. Wir aber haben von Allem nur geringe Fragmente. Ungemein wichtig sind freilich die Ueberbleibsel antiker Technik in Grossgriechenland, z. B. in den Gräberfunden. Aber die Sprache die ihre Darstellungen reden, wird nicht von Allen gleichmässig gedeutet. Die unverdächtigsten Zeugen dieser Art sind noch die Münzen und einige Inschriften.

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Die modernen Leistungen für die Geschichte von Grossgriechenland sind von sehr verschiedenem Charakter und Werthe. Wir haben specielle Werke von Localforschern und fremden Gelehrten; wir haben allgemeinere Schriften theils geographischen, theils historischen Inhalts; wir haben endlich neuerdings gute Karten und einen Anfang archäologisch-topographischer Durchforschung des Landes.

Fragen wir nun, was Lenormant uns geben will. Er verspricht von der Grande Grèce zu handeln und scheint das Littoral de la mer Jonienne nur als eine Unterabtheilung derselben zu fassen. Er will paysages et histoire geben; jedoch nicht als reiner Gelehrter, sondern als ein für die Gebildeten überhaupt Schreibender. Wir würden deshalb ihm hier nicht viel Raum zu widmen haben, da uns blos populäre Schriften wenig in dieser Zeitschrift angehen, wenn er nicht doch auch den Gelehrten und der Wissenschaft etwas zu leisten verspräche, ja sogar ziemlich viel. Er verspricht p. III und IV die Geschichte der griechischen Städte von Unteritalien zu schreiben »à un point de vue d'ensemble et avec un développement suffisant also offenbar nicht blos die der Küste des ionischen Meeres, und die Geschichte derselben Gegenden » pendant les six siècles de la domination byzantine«. Er fügt p. IV die Bemerkung hinzu: »Il ne m'a pas fallu, non plus, longtemps de lecture sur le terrain du texte des écrivains antiques qui ont parlé de la Grande - Grèce Jahresbericht für Alterthumswissenschaft XXVIII. (1881. III.)

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et de ses villes, pour arriver à la conviction que la géographie historique et comparative de ce pays devait être entièrement révisée, et qu'en se laissant trop souvent guider par les assertions suspectes et les fantaisies arbitraires des érudits calabrais de la Renaissance, tels que Barrio et Marafioti, la science a accepté une quantité d'erreurs tout à fait fâcheuses, dont il n'est que temps de faire sévère justice. J'ai donc été aussi conduit à reprendre ab ovo presque toutes les questions de topographie et de géographie antique de la Grande-Grèce et à en proposer dans bien des cas des solutions nouvelles. Y ai-je réussi? Les maîtres compétents en jugeront - (. Wir haben es also mit einem Buche zu thun, das Irrthümer von fast 300 jähriger Dauer ausrotten und die historische Geographie von Unteritalien auf bessere Basis stellen will. Wir dürfen schon etwas eingehend bei seiner Kritik sein.

Lenormant bezeichnet p. VI seine Arbeit als »une oeuvre de science sérieuse et consciencieuse« in welcher er auf zwei Punkte ein besonderes Gewicht gelegt habe, auf den Nutzen der Münzen für die Kenntniss von Grossgriechenland im Alterthum, und (p. VII): »la nouvelle hellénisation de l'Italie méridionale sous la domination des empereurs de Constantinople, du VIIIe au XIe siècle«. Lenormant hat nicht für passend gehalten, seine Angaben durch genaue Quellencitate zu belegen. Er vertheidigt dies Verfahren damit, dass er p. V bemerkt, er habe in andern Arbeiten bewiesen, dass er »un érudit exact et consciencieux« sei, dass seine Quellen Schriftsteller seien »qui se trouvent à la portée de tous, qu'un érudit doit sans cesse lire et relire«. Das Urtheil über dies Verfahren kann nicht zweifelhaft sein. Wer die Wissenschaft fördern und nicht blos zur Unterhaltung und Belehrung des grösseren Publikums schreiben will, muss Quellencitate geben; sonst erschwert er den Mitforschern unnöthig die Arbeit. Diese Erschwerung hat Lenormant uns bereitet. Wer sein Buch studirt um es auf seinen Werth für die Wissenschaft zu prüfen, braucht wenigstens die doppelte Zeit als wenn der Verfasser Citate gäbe, und die Zeit ist kostbar. Dass die Quellen Schriftsteller sind, die ein Gelehrter »lesen und wieder lesen« müsse, sagt nichts. Es handelt sich um eine Menge kleiner Notizen, und deren Ort weiss Niemand auswendig, wenn er auch noch so viel die Schriftsteller liest. Wenn Lenormant Recht hätte, könnte das Citiren überhaupt aufhören, denn wenn es bei Fragen der historischen Geographie überflüssig ist, giebt es überhaupt keine Nöthigung mehr dafür.

Sehen wir jetzt, was Lenormant leistet. Er hat sein Werk der Form der Reisebeschreibung angepasst; mit Tarent beginnend kommt er im ersten Bande bis zum Thal des Neaithos, im zweiten bis Squillace. Tarent wird im ersten Capitel S. 1 - 114 des ersten Bandes behandelt. Er beginnt mit einer Schilderung des gegenwärtigen Zustandes der Stadt, wobei er besonders eingehend die Schätze des Mare piccolo, der Meeresbucht, bespricht, unter denen die pinna marina merkwürdig ist, die den

Stoff für feine Zeuge liefert. Hierauf geht er zur Geschichte von Tarent über. Wenn er S. 22 sagt: »La critique remarque que la principale aventure racontée sur ce héros (Taras), celle qui a fourni le type consacré de sa représentation dans la Numismatique de Tarente, le dépeint faisant naufrage et sauvé par un dauphin qui le porte sur son dos jusqu'à terre so hätte er sich genau so ausdrücken sollen: Taras ist in der Sage ein einheimischer Heros; da er aber auf Münzen auf einem Delphin reitend dargestellt wird, so können wir annehmen, dass man von ihm eine ähnliche Sage erzählte, wie von Phalanthos und von Arion. Den Fragen über den historischen Charakter der Partheniai und über ein vielleicht anzunehmendes stark achäisches (amykläisches) Element in den Tarentinern (Lorentz, Doehle) ist Lenormant nicht näher getreten. S. 28 sagt Lenormant, dass nach der Schlacht, in der die Tarentiner und Rheginer besiegt wurden, die Messapier »au dire de Timée« mit den Fliehenden in die Stadt Rhegion eindrangen. Er hätte sagen sollen: au dire de Diodore (XI, 52); es ist doch blosse Vermuthung, dass diese Nachricht von Timaeus herstammt. S. 29 spricht Lenormant von dem nun folgenden Kriege der Tarentiner gegen die Messapier, und sagt: »L'épisode le plus horrible en fut le sac de Carbina«, aber es ist doch nur Vermuthung, z. B. von Lorentz (Tar. r. g. I, 5), dass diese Episode eben in jenen Krieg gehört. S. 30 hätte Lenormant sagen sollen, man nehme an, dass es in Tarent Ephoren gegeben habe. S. 38 erzählt Lenormant nach dem Tode des Archidamos (338 v. Chr.) folgendes: (Tarente) »put rassembler une armée fédérale, à laquelle elle joignit ses propres troupes, pour essayer de porter secours aux villes grecques de la rive orientale de la mer Tyrrhénienne, menacées par les Lucaniens. La bataille se livra près de Laos et le désastre fut complet. A la suite de cette bataille, les Lucaniens s'emparèrent de Laos et de Posidonia à laquelle ils donnèrent le nom de Paestum. Les Bruttiens se jetèrent sur Crotone et Caulonia, les Lucaniens vainqueurs pressèrent plus que jamais Tarente, enfin les Apuliens abandonnèrent l'alliance des Tarentins«. Hierüber ist Folgendes zu bemerken: Die grosse Niederlage der Griechen bei Laos war nicht nach 338 v. Chr., sondern 390 v. Chr. (Diod. XIV, 101. 2). In welcher Zeit Poseidonia barbarisch wurde, wissen wir nicht; Strab. VI, 254 spricht darüber ganz unbestimmt. Dass die Bruttier sich nach 338 auf Caulonia geworfen, davon wissen wir gar nichts; dass sie zwischen dem Zuge des Archidamos und dem des Alexander von Epirus sich auf Kroton geworfen, ist ebenfalls nicht bekannt. Lenormant's so unbefangen factisch klingende Erzählung besteht somit aus thatsächlichen Irrthümern und unbeweisbaren Vermuthungen. S. 44 spricht Lenormant von der Cavalerie der Tarentiner und sagt: »Le trait essentiel qui la distinguait des autres cavaleries grecques consistait en ceci: que chaque homme y menait deux chevaux« etc. Dass dies für die tarentinische Reiterei charakteristisch

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