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Arbeiten nicht selbst angesehen, und dann gemeint, eine Entdeckung gemacht zu haben. In der Geschichte von Sybaris ist ein ausgezeichnetes Capitel: S. 263-275. Warum wurde Sybaris so reich? Eigenen Seehandel hatte es nicht. Es stand, nach Athen. XII, 519, in enger Verbindung, einerseits mit Milet, andererseits mit Etrurien. Nun macht Lenormant sehr wahrscheinlich, dass bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr., während der Handel durch die Meerenge von Sicilien, soweit er von Griechen betrieben wurde, hauptsächlich in den Händen der Chalkidier war, die Milesier es theils der Chalkidier, theils der Karthager wegen, vermeiden mussten, sie zu passiren, während andererseits die Etrusker nicht in's ionische Meer gelangten. So musste der Handel zwischen Milet und Etrurien über die Landwege betrieben werden, die Sybaris beherrschte. Die milesischen Schiffe kamen nach Sybaris, die etruskischen nach den sybaritischen Häfen des tyrrhennischen Meeres; Sybaris endlich zog den Profit vom Landtransporte zwischen den Häfen. Referent möchte zur Unterstützung der Ansicht Lenormant's noch Folgendes bemerken. Milet ist im lelantischen Kriege auf Seiten Eretria's, es ist also Chalkis feindlich; um so weniger konnten milesische Schiffe durch die Meerenge fahren. Wir stehen nicht an, zu behaupten, dass Sybaris geradezu als milesische Factorei zu betrachten ist. Und noch etwas: Milet ist athenische Colonie; das erklärt vielleicht mit, weshalb nachher Athen Thurii gründet. Die Seiten 263-79 bei Lenormant sind eine Bereicherung der historischen Wissenschaft; sie entschädigen den Kritiker für alle die übereilten historisch-geographischen Bemerkungen, die er im Buche lesen muss. S. 281290 Schilderung des Luxus der Sybariten, wo wir es unterlassen Detailkritik auszuüben. Aber S. 290 kann man nicht ohne Protest hingehen lassen, wenn Lenormant von den Sybariten sagt: >>Le prétendu Scylax nous apprend qu'un jour ils débarquèrent à l'embouchure de l'Alphée et pillèrent les trésors d'Olympie«. Das ist eine so auffallende Sache, dass man sich durch den Text des Scylax von ihrer Richtigkeit überzeugen möchte. Der hat's aber nicht. Wer denn? Scymnus auch nicht. Man verfällt auf Dionysius Perieg. Da steht es zwar auch nicht, aber v. 372 etwas, was dem Eustathius Veranlassung gegeben hat, mit Unrecht zu schreiben: - ἱεροσυλίας, ἣν ἐν τῷ κατὰ Πελοπόννησον βωμῷ τοῦ ̓Αλφειοῦ ποταμοῦ ἐπλημμέλησαν was freilich auch noch nicht das ist, was Lenormant sagt, aber woraus ein flüchtig Lesender es doch wenigstens irrthümlicher Weise entnehmen kann. Man kann wirklich nicht mit einem Buche zufrieden sein, mit dem man, wenn es sich um die Controlle mancher Einzelheiten handelt, seine Zeit so ohne Nutzen verliert und das durch seine angenehme Form recht dazu geeignet ist, Irrthümern eine weite Verbreitung zu geben. In der Geschichte von Thurii finden wir S. 309 die Bemerkung »Un certain nombre d'écrivains, de date relativement récente, prétendent que Charondas fut le législateur de Thurioi. Il y a la un gros anachronisme, que l'on s'étonne de rencontrer sous la plume de Plutarque«. Wo sagt

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das Plutarch? Referent weiss es nicht. Sollte de curios. 8 gemeint sein? Da steht aber nicht der Name Charondas, und wir wissen nicht, ob er gemeint war. Dass Andere den Plutarch in dieser Hinsicht citirt haben, ist für einen Lenormant, von dem man eigene Forschung erwartet, eine schwache Entschuldigung.

S. 310 bringt Lenormant in die Geschichte von Thurii eine heillose Confusion. Er erzählt die von Diod. XIV, 101 berichtete Begebenheit, wobei er die Vermuthung ausspricht, sie habe bei Lagaria stattgefunden; das durch wahrscheinliche Conjectur hineingekommene Laos erwähnt er nicht. Dann sagt er (S. 311): »Protégée par Archytas, tant qu'il présida aux affaires de Tarente, la ville de Thurioi finit, après sa mort, par tomber sous le joug des Lucaniens, à une date qui demeure incertaine. Ce fut probablement à la suite de la grande défaite subie par les confédérés grecs auprès de Laos«. Diese grosse Niederlage bei Laos war eben die von Diod. XIV, 101 besprochene, aus der Lenormant somit zwei gemacht hat, und die Unterwerfung von Thurii geschah, nach Diod. XVI, 15 (zum Jahre 356) durch die Bruttier, nicht durch die Lukanier. S. 317 ff. berichtet Lenormant über die Nekropolis von Thurii nach den Forschungen Cavallari's, mit dem er vollkommen übereinstimmt; nur hätte er ihn nicht S. 320 als »de Cosenza« bezeichnen sollen. Zu S. 323 vergl. S. 385 wegen einer ähnlichen Inschrift auf einer Goldplatte. S. 327 spricht Lenormant den sehr berechtigten Wunsch aus, dass man das in Schlamm und Erde begrabene Sybaris ausgraben möchte.

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Chap. VI Rossano (S. 331-366), Beschreibung des Silawaldes. Hier hätte Lenormant die Verschiedenheit der antiken und der modernen Begränzung des Namens Sila hervorheben können, denn während jetzt das Gebirge nördlich von der Landenge von Tiriolo Sila heisst, beschreibt es Strabo VI, 261 bei Lokri. Das defilé von Labula (oder - ulla) bei Proc. b. goth. 3, 28 entspricht nach Lenormant auch lautlich dem modernen Lipuda. Wichtigkeit von Rossano in byzantinischer Zeit; Geschichte des Heil. Nilus; der Codex Rossanensis.

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Chap. VII. Die Städte Philoktet's (S. 367-424). Es handelt sich hauptsächlich um Krimisa, Petelia und Makalla, aber Lenormant benutzt die Gelegenheit, um andere wichtige Fragen zu behandeln, z. B. die von dem Dionysoscult und den Mysterien in Grossgriechenland. Er sucht S. 370 die Lage von Arinthe bei Steph. Byz. zu bestimmen: »entre deux cours d'eau voisins«. Es ist aber nicht zu bezweifeln, dass bei Arinthe, wie bei anderen der oenotrischen Städte zu lesen ist, nicht ev μeσoñoταμίᾳ, sondern ἐν μεσογείᾳ. Es fällt also das Kennzeichen der Lage zwischen zwei Flüssen weg. S. 372 nimmt Lenormant das heutige Cariati für Chone nach Strabo: »Chônê que Strabon place dans ces environs et dont on n'a pas encore déterminé la situation précise. Warum hat Lenormant nicht die Worte Strabo's berücksichtigt: Koquiooav ἄκραν οἰκίσαι καὶ Χώνην πόλιν ὑπὲρ αὐτῆς? Nun ist Terra vecchia bei

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Cariati, wo nach Lenormant Chone gelegen haben soll, wenigstens 16 Kilometer von dem Vorgebirge dell' Alice entfernt und von demselben durch ein Flussthal, das des Fiumenica, getrennt. Wenn nun nähere Punkte vorhanden sind, die man als oberhalb des Vorgebirges gelegen bezeichnen kann, so sind doch diese eher für Chone in Anspruch zu nehmen. Das ist aber der Fall mit Cirò, was auch Mannert 214 für Chone hält. Warum ignorirt Lenormant diese allen Anforderungen entsprechende »situation précise« ? S. 374 will Lenormant allerdings auprès de Cirò ein Temesa setzen. Was Lenormant über Temesa sagt, kann Referent hier nicht alles erörtern; es ist aber jedenfalls unberechtigt, zu sagen, dass, wenn es ein Temesa am ionischen Meere gab, es nur bei Cirò gelegen haben könne. S. 378 giebt Lenormant an, dass MarincolaPistoja unterhalb Cirò die Stadt Krimisa gefunden habe, und Mannert 214 hält überdies Krimisa und Chone für identisch. S. 377 sagt Lenormant, dass die Lage des Tempels des Apollon Halios fest stehe, »puisque tous les témoignages s'accordent à dire qu'il était à l'éxtrémité du cape. Wie schade, dass Lenormant nicht diese »tous« angeführt hat! Ob es wohl eine grosse Zahl ist? Ob überhaupt eines? S. 383 und folgende spricht Lenormant von Petelia, das in der Nähe von Strongoli lag. S. 386 ist statt »VIe siècle« offenbar IVe siècle zu lesen. S. 395 -424 spricht Lenormant über die dionysischen Mysterien Unteritaliens. Es ist nicht unsere Sache, hier darauf einzugehen.

Chap. VIII. Das Thal des Neaithos (S. 425-456). Dies Capitel enthält manches Interessante für die Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit, z. B. zur Geschichte der Familie Simonetta und des Ordens von Fiore. S. 442 folgt dann eine Abhandlung über die Lage von Pandosia, die wir zu prüfen haben. Pandosia ist der Ort, in dessen Nähe Alexander von Epirus seinen Tod fand, er lag in der Nähe von Cosenza, nach Strab. 256. Lenormant prüft nun die bisherigen Ansetzungen von Pandosia und findet sie unbefriedigend; er stellt selbst eine neue auf, nach der Pandosia im oberen Thal des Mucone lag, und er ist mit seiner Ansetzung so zufrieden, dass er, obschon er das Charakteristische der Lage von Pandosia, die drei Hügel, wegen Mangel an Lokalkenntniss dort nicht nachweisen kann, doch (S. 454) ausruft: »mais j'affirme que c'est là qu'il faut chercher Pandosia, là qu'on en retrouvera l'emplacement. Elle n'a pu être que là et nulle part ailleurs«. Seine Gründe sind folgende (S. 452-54): Pandosia lag in der Nähe von Cosentia (das wird allgemein anerkannt); es war aber keine der Städte des oberen Crathis »que Tite-Live énumère de la manière suivante dans son XXXe livre: Uffugum (Fagnano), Besidiae (Bisignano), Hetriculum (Lattarico), Sypheum (Montalto), Argentanum (San Marco Argentaro). Nun schreibt Liv. 30, 19: Ad Cn. Servilium consulem, qui in Bruttiis erat, Consentia Aufugum Bergae Besidiae Ocriculum Lymphaeum Argentanum Clampetia multique ignobiles populi defecere. So werden die Namen jetzt

gelesen; Lenormant hat die der alten Angaben vorgezogen. Aber wo in aller Welt steht denn, dass diese Orte am oberen Crathis lagen? Und wenn das da stände, wo steht, dass keine anderen da lagen? wo ist also ein Schatten eines Beweises, dass wegen dieser Aufzählung Pandosia nicht am oberen Crathis gelegen haben könne? Pandosia soll also am Mucone gelegen haben. Das wird bewiesen durch den letzten Marsch Alexander's bei Liv. 8, 24 vermittelst der »énumération des localités touchées par la dernière campagne du roi des Molosses«, welche bei Livius »de la précision géographique la plus satisfaisante« ist (S. 454). »Il prend Cosentia, et de là, descendant d'abord la vallée du Crathis, puis remontant celle du Mucone, il passe par Sypheum (Montalto), Acerina ou Acherentia (Acri) pour atteindre Pandosia sur la partie supérieure du cours de la rivière Achéron. Je n'hésite donc pas à reconnaître cette rivière dans le Mucone«. Dass Livius (8, 24) nicht Sypheum hat, sondern Sipontum, thut weniger; Lenormant sagt, man müsse emendiren. Aber wo hat Lenormant seine Augen gehabt, als er die Stelle des Liv. 8, 24 las und S. 445 selbst übersetzte, wo nach acrentinam oder acerinam noch folgt: » alias inde Messapiorum ac Lucanorum cepisset urbes«? Also ist Alexander nach der Einnahme der von Lenormant aufgezählten Orte noch sogar in Messapien gewesen, ehe er nach Pandosia kam, und es nutzt die Aufzählung von Orten, die möglicherweise in der Nähe des Mucone lagen, für die Bestimmung von Pandosia garnichts, wenn er von ihnen noch einen Abstecher nach Messapien macht. So kann, nebenbei gesagt, Sipontum auch ganz gut stehen bleiben. Mit dieser negativen Leistung Lenormant's in der Revision der antiken Geographie Unteritaliens schliesst der erste Band.

Band II. Wir kommen nun zu Kroton.

Chap. IX Kroton und der Pythagorismus (S. 1-101). Hier treffen wir S. 6 die Notiz, dass »certains écrivains antiques« sagen, Kroton sei inmitten der Sikeler gegründet; doch sei ihre Autorität sehr »>inférieure à celle de Strabon« und dessen Quelle, Ephoros, wonach Japyger dort wohnten. Wer mögen wohl diese »certains« sein? S. 9 und 10 erwähnt Lenormant, dass nach »quelques historiens « die Krotoniaten durch Spiele bei sich die olympischen Spiele zu ersetzen gesucht haben. Es sagt es Timaeus bei Ath. XII, 522, und es folgt gleich darauf: oi òè Lvβαρίτας τοῦτο ποιῆσαι λέγουσιν, was zeigt, dass dieselbe Geschichte von beiden Städten erzählt wurde, aber offenbar nur in einer passirt ist. Wer wohl die anderen Autoren sind? denn zu »quelques « gehören doch mehr als einer. S. 18 ist wenig klar, wie Siberene zu den stets bewohnten Lokalitäten gehören kann »dont on ignore les noms anciens«. Siberene ist doch ein »nom ancien«. Und ebenso, wie Acerentia dazu gehören kann, wenn Lenormant doch I, 451 gesagt hat, es sei das alte Acherontia? Ueber den Fluss Caicinos Ancinale (S. 19) sprechen wir unten. S. 20 will Lenormant nicht zugeben, dass die pāves Tukho

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bei Lycophr. 993 von Barrio richtig bestimmt seien; Lenormant erklärt die Berge von Tiriolo dafür; er könnte Recht haben. Aber wie wird es dann weiter? Lenormant S. 23 sagt, dass Lykophron die Stadt Klete als nicht fern von den Tylesischen Bergen gelegen angebe »sur le promontoire allongé de Linos, qui ne saurait être que le cap Suvero appelé aussi Tylésion«. Ich weiss nicht, wie man beweisen will, dass dies Cap auch Tylesion hiess, und wenn es so hiess, warum dann auch die Gegend von Tiriolo so geheissen haben soll. Was kann man überhaupt mit solchen Namen bei Lykophron machen? S. 32 verspricht Lenormant später zu zeigen, dass der Fluss Sagras, an dem die berühmte Schlacht zwischen Kroton und Lokri stattfand, der Turbolo war. S. 34 macht Lenormant folgende Bemerkung: »Il y a quelque intérêt à remarquer que la numismatique atteste une étroite alliance entre Locres et Himéra dans le Ve siècle«. Diese kurzen Worte enthalten eine sehr wichtige Notiz, von der nur zu bedauern ist, dass der Verfasser sie nicht ausführlicher gegeben hat. Die Laien in der Numismatik, zu denen auch Referent sich leider rechnen muss, kannten Lokrische Münzen erst aus dem 4. Jahrh. v. Chr., und man kann wenigstens soviel versichern, dass solche aus dem fünften, den himeräischen ähnliche, von denen Lenormant hier spricht, nur sehr Wenigen bekannt sein dürften; es wäre also sehr passend gewesen, eben zur Belehrung der Nicht-Kenner, wenn Lenormant, der ja bekanntlich ein bedeutender Numismatiker ist, über diese Lokrischen, den Himeräischen ähnlichen Münzen des 5. Jahrhunderts etwas mehr gesagt hätte. Die Numismatik ist eine für die Geschichte so sehr wichtige Wissenschaft und kann andererseits ihrer Natur nach von so Wenigen beherrscht werden, dass es um so wünschenswerther ist, wenn diese Wenigen auch dem grösseren Gelehrtenpublikum gegenüber etwas freigebiger mit ihrem Wissen sind, als Lenormant sich in diesem Falle gezeigt hat. S. 35 und folgende erzählt Lenormant die Geschichte des Pythagoras und er ist geneigt, in der uns gewordenen Ueberlieferung über ihn den Charakter, welchen die Thätigkeit des Pythagoras wirklich hatte, ausgedrückt zu finden. Wir meinen, dass Lenormant noch etwas mehr die gediegene Arbeit von E. Rohde, Die Quellen des Iamblichus in der Biographie des Pythagoras, Rhein. Mus. 1871 und 1872, hätte berücksichtigen sollen. Es findet sich in dieser Abhandlung doch manches, was uns in den Stand setzen kann, die älteren Elemente der Tradition von den jüngeren abzuscheiden. Wir glauben, dass Lenormant mit Hülfe der Arbeit Rohde's dazu gekommen wäre, Einiges von dem zu streichen, was er noch dem Pythagoras zuzuschreiben geneigt ist. Dabei bleibt immerhin die Aufzählung der Eigenschaften, welche Pythagoras in sich vereinigte (S. 43), sehr bemerkenswerth. S. 64 wird in interessanter Weise die Frage behandelt, warum Pythagoras gerade Kroton als Wohnsitz wählte. Sollten nicht übrigens auch, wie zwischen Milet und Sybaris, so zwischen Samos und Kroton engere Beziehungen stattgefunden haben? S. 76.

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