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Vollbrecht enthaupten lassen, zwei andere Rathsherrn, Beyer und Heckerstump, warfen die Solmsischen von der Brücke in die Lahn und ersäuften sie kurzer Hand, um dem Scharfrichter die Umstände zu ersparen. Den sechsten Mann zu diesen 5 fünfen hätte man gar gerne dann zur Abwechslung aufgehängt es war dies Meister Gerhard Richwin, den der Graf am bittersten haßte. Allein in Weglar wie in Nürnberg hängt man keinen, bevor man ihn hat. Die alten Geschlechter aber, mit welchen der Graf längst unter Einer 10 Decke gesteckt, gewannen wieder die volle Herrschaft wie vordem.

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Obgleich Meister Richwin den besten Theil seines Besizthums in Feindeshand hatte lassen müssen, konnte er doch mit dem Geretteten später in Frankfurt als Bürger sich ein15 kaufen und ein neues Geschäft beginnen. Wenn er nun dort in wieder gesichertem Vehagen bei seiner Hausfrau saß, den treuen, bereits ergrauenden Thasso zu Füßen, dann sprach er wohl manchmal, mit einem wehmüthigen Blick auf den „stummen Nathsherrn“: „Gott verzeih' mir's, daß ich Kinder20 zucht und Hundezucht vergleiche! Die Zucht der Kinder lohnt uns Gott und wir erwarten nicht, daß ein Kind den Sold all unserer Mühen uns gleich bar bei. Heller und Pfennig heimzahle. Aber dieser Hund hat zum Dank für meine Zucht mich selber erzogen und zum Entgelt für tausend richtig 25 empfangene gesalzene Prügel mir endlich Anno 1375 gar das Leben gerettet! Niemals ward ein Schulmeister so rasch und vollgültig gelohnt, wie ich durch meinen und der Reichsstadt Wezlar stummen Rathsherrn."

Der Dachs auf Lichtmeß.

In einer kleinen schwäbischen Reichsstadt zeigte man vordem zwei Wahrzeichen: ein mächtiges zweihandiges Nitterschwert, welches im Rathhause aufbewahrt wurde — man nannte es, des Dachsburgers Schwert" und einen sieben Fuß 5 langen Sandsteinblock vor der Schmiede am Marktplaß — man nannte ihn,,des Dachsburgers Bett." Wer der Spur dieses Namens weiter nachging, der fand die Trümmer der Dachsburg mehrere Stunden nordwärts im Gebirge und zwischen der Burg und der Stadt eine Waldschlucht, „die 10 Dachsfalle" genannt.

Das ehemalige Reichsstädtlein ist inzwischen fast zu einem Dorfe heruntergekommen, das Schwert vom Ratbhause ward an den Juden verkauft, der es dann weiter in das Raritätenkabinet eines Engländers verhandelte, und der Stein vor der 15 Schmiede, auf welchem seit undenklicher Zeit die Schulkinder gespielt, wurde zerschlagen und in den Sockel des neuen Sprizenhauses vermauert. Nur die „Dachsfalle“ hat sich noch als Namen eines Waldbezirkes auf den Flurkarten der Gemeinde erhalten und von der Dachsburg blieb ein mäßiger 20 Trümmerrest. Eine Sage dagegen, welche Burg, Falle, Bett und Schwert miteinander verknüpft, lebt in voller Frische fort troß allen Wandels der Geschlechter bis auf diesen Tag.

In den alten Ritterzeiten, so erzählt sie, wurden die Bürger. arg gequält von dem Ritter von Dachsburg, welchen man meistens kurzweg „den Dachs“ hieß. Wo er ihnen auflauern und Hab' und Gut wegschnappen konnte, da that er's. Am 5 liebsten hätte er gleich das ganze Städtlein eingesteckt, allein. es war doch etwas zu groß für seine Taschen. Auch däuchte cs ihm kurzweiliger, auf scharfem Noß in's Weite zu schweifen, als Mauern und Thürme zu berennen. So lange daher die Bürger hinter ihrem Stadtgraben blieben, hatten sie Ruhe; 10 zog aber Einer auch nur ein paar Stunden über Feld, so stand Geld und Freiheit auf dem Spiel.

Ein solcher Stadtarrest kann auf die Dauer auch dem geduldigsten Deutschen zu arg werden. Da sich die Bürger aber zu schwach fühlten, für sich allein dem Dachs zu Leibe zu 15 rücken, so schlossen sie heimlich ein Schuß- und Truzbündniß mit mehreren Nachbarstädten; allein der Ritter kam ihnen auf die Schliche und verbündete sich nun auch seinerseits mit mehreren benachbarten Rittern. So ward aus der WegeLagerei ein kleiner Krieg.

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Da webte und wimmelte es nun auf einmal in dem Städtchen wie in einem Ameisenhaufen, wenn ein Knabe mit dem Stock hineinstößt; denn die sonst so friedsamen Bürger fühlten wohl, was es heiße, als kriegführende Macht auf die Bühne zu treten. In den Kramläden und Werk25 stätten war allgemeiner Feiertag, auf den Gassen dagegen, in den Schenken, im Zeughaus, im Rathhaus wie nicht minder im Rathskeller wogte Jung und Alt geschäftig durchcinander. Ein Jeglicher hatte Pläne, Warnungen und Prophezeiungen in der Tasche, Jeder wollte reden, Einige sogar 30 hören, was Andere redeten, und vom Schusterjungen bis zum Bürgermeister erschienen Alle als geborene Heerführer und

Staatsmänner, deren Gaben bisher nur verborgen geruht. Vorab aber galt es als das Zeichen eines wahren Patrioten, völlig zu vergessen, daß es noch irgend ein ander Ding in der Welt gebe als die drohende Fehde mit dem Dachs und seinen Spießgesellen.

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Von alle diesem war nur ein einziger Mann ausgenommen; der Schmied Michael am Marktplaß. Er schmiedete in seiner Werkstatt weiter, als ob gar kein Dachsburger im Lande sei, ging nur dann zur Schenke, wann er Durst hatte, trank seine Kanne und redete wenig, pfiff und sang sogar noch 10 feine alten Liedlein, während die ganze übrige Bürgerschaft bloß Kriegsmärsche pfiff, und verließ sein Haus nur, wenn es draußen wirklich etwas zu thun gab.

Ja noch mehr. Er hatte stadtkundigerweise eine Liebschaft mit einer Bauerndirne, gut eine Stunde vor dem Thor, und 15 blieb verliebt vor wie nach und besuchte sogar seinen Schat dreimal in der Woche, wie er schon lange zu thun pflegte, als noch kein Mensch von einem Krieg träumte.

Die Andern schalten ihn darum einen lässigen Bürger, einen schlechten Christen ohne Gemeingeist und faßten dieß 20 nach landesüblicher Weise bündig in ein Wort, indem sie ihn „Michel Leimsieder" nannten. Doch hätte man ihm seine politische Leimsiederei vielleicht noch verziehen, wäre er wenige stens in ein eingeborenes Stadtkind verliebt gewesen; allein seine Trude war ein Bauernkind, und nicht einmal eines 25 Vollbauern, sondern eines eingewanderten Söldnerbauern Tochter, zählte also selbst unter dem Bauernvolk zum hergelaufenen Pack. Und um einer solchen Dirne willen vergaß der reichsstädtische Zunftmann für's Heil der Stadt zu zechen, zu rathen und zu reden! Die Liebschaft konnten sie dem 30 unpatriotischen Schmied nicht wehren, aber das Heirathen

R. N.

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wenigstens wollten sie ihm versalzen; so gelobten sich's die Rathsleute und die Zunftgenossen.

Die Stadt, vom Hügel zum Flüßchen niedersteigend, hatte oben einen trockenen Graben und unten einen nassen 5 und dem entsprechend zwei Thore, das Bergthor und das Bachthor. Nach altem Brauch war der Vertheidigungsplan auf die Zunftordnung gegründet, so daß jede Zunft ihr besonderes Stück Stadtmauer zu besehen hatte. Die trockene Bergfeite war von Natur minder fest als die Bachseite; es 10 fügte sich darum ganz bequem, daß man die zahlreichen Zünfte, welche im Trockenen arbeiten, die Schmiede, Schuster, Schneider, Bauleute, Bäcker und Meßger an die trockene Seite postirte, dagegen die kleine Schaar der Gerber, Fischer, Brauer, Schenkwirthe und ähnliche feuchte Berufe an die 15 Bachseite. Die wichtigsten Punkte waren jedenfalls die beiden Thore; am Bachthor hielten darum die fauststarken Gerber Wacht, am Bergthor die noch nervigeren Schmiede.

Nun galt freilich vordem Michael der Schmied für den stärksten und kühnsten Mann in der ganzen Stadt, und man 20 hätte ihm gerne den Befehl am Bergthor übertragen, wäre er nicht neuerdings Michel der Leimsieder geworden. So aber hielt der Nath dafür, daß ein so gleichgültiger, stummer und selbstgenügsamer Mann für den gefährlichsten Posten nichts tauge und stellte ihn in die Reserve zu den alten Leuten und 25 unbärtigen Jungen. Der Schmied nahm das ganz ruhig hin, als ob sich's von selbst verstünde und schmiedete ruhig fort an seiner Esse.

Inzwischen war dem Rath die geheime Kunde geworden, daß der Dachsburger nächste Woche auf Lichtmeß mit seinen 35 Freunden zusammenstoßen und in also vereinter Macht einen Hauptstreich wider das Städtlein führen werde. Es galt,

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